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Die Wissenschaft ist ein ernstes Geschäft, aber gehört ihr deshalb das letzte Wort?

Europas Forscher in Turin: Wie motiviert man Schüler, Naturwissenschaften zu studieren? Strategien aus Norwegen und Deutschland

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Lehrer, Journalisten, Wissenschaftler: Sie sitzen auf dem Fußboden, stehen hinter der letzten Sitzreihe, drängeln sich im Eingang. Der Sala Atene, ein...

Lehrer, Journalisten, Wissenschaftler: Sie sitzen auf dem Fußboden, stehen hinter der letzten Sitzreihe, drängeln sich im Eingang. Der Sala Atene, ein mittelgroßer Vortragssaal im Turiner Kongresszentrum Lingotto, ist viel zu klein, um alle Tagungsteilnehmer aufzunehmen, die sich für die 10-Uhr-30-Session interessieren. Zeitgleich bleibt die große Aula im Kellergeschoss halbleer, immer wieder stehen hier Vortragsgäste auf und gehen – in Richtung Sala Atene, wo bis zum Ende der Session ständig neues Publikum dazustößt. Worum geht es hier, welches Thema hat eine solche Anziehungskraft?

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Andrang im Sala Atene

Es ging im Sala Atene um die Frage, welche Maßnahmen in den Schulen Europas ergriffen werden müssen, damit Schüler sich nach dem Abitur zu einem naturwissenschaftlichen Studium entschließen. Vertreter dreier Länder sprachen: Joachim Dengg vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR) in Kiel, die norwegische Geowissenschaftlerin Elisabeth Engum sowie die Italienerin Michela Mayer, die für das nationale Bildungsinstitut die schlechten Pisa-Ergebnisse der italienischen Schüler zu deuten versucht.

Dengg und Engum sind in sehr ähnlichen Projekten engagiert, bei denen es darum geht, Schüler noch vor dem Abitur an Forschungsprojekten zu beteiligen. Das ernüchternde Ergebnis der beiden Wissenschaftler: Lässt man Teenager auf Forschungsschiffen Bohrkerne aus dem Meeresboden untersuchen oder bringt ihnen mit Hilfe von künstlichen Membranen im Physiologie-Labor das abstrakte Wort „Osmose” aus dem Biounterricht nahe, dann wird ihre Einstellung einer wissenschaftlichen Laufbahn gegenüber zwar positiver. Dabei gibt es sogar eine Korrelation mit der Menge der Projekte: Je häufiger sie an praktischen Projekten teilnehmen, desto stärker verbessert sich das Image der Naturwissenschaften. Doch das Gefühl, eine naturwissenschaftliche Ausbildung und Tätigkeit sei harte Arbeit, bleibt unverändert – selbst bei einer Vielzahl von frühen Stippvisiten in Wissenschaft und Forschung.

Diese – durchaus realistische – Einschätzung, eine Labor-Laufbahn sei mit besonderen Anstrengungen verbunden, ist aber, folgt man den beiden Wissenschaftlern, einer der Hauptgründe dafür, dass Abiturienten sich für Jura, BWL oder Anglistik einschreiben statt für Biochemie oder Physik.

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Nobelpreisträger-Talk am Samstagabend in Turins City: Hinter den dreien liegt ein steiniger Weg bis zum wissenschaftlichen Welterfolg. Die Beschwernisse dieses Wegs halten Schüler offenbar von einer naturwissenschaftlichen Laufbahn ab

Dennoch bewirke ein Projekt wie “NaT-Working Meeresforschung” am IFM-GEOMAR in Kiel einiges, sagt Joachim Dengg – gerade im Hinblick auf das Ziel, “dem trockenen Unterrichtsstoff Kontext hinzuzufügen”. Man könne die Vorstellung, die sich Jugendliche von einer wissenschaftlichen Tätigkeit machen, in entscheidenden Punkten korrigieren. “Bevor sie teilnehmen, haben die Schüler die Vorstellung, dass Wissenschaft daraus besteht, ein großes Experiment zu machen, dann eine Anwort zu haben und fertig”, sagt Dengg. Wenn sie dann bei den Wissenschaftlern hospitierten, würden sie erfahren, dass man in der Regel viele Messungen durchführt, um am Ende mit einer Annäherung statt einer Antwort dazustehen. Um solche Erfahrungen zu ermöglichen, lassen die Kieler die Jugendlichen bestimmte Projekte selbständig gestalten – von Anfang bis Ende.

Ein bisher ungelöstes Problem der Initiative sei allerdings, den Erfolg zu bewerten, sagt der Ozeanograph Dengg. Zwar weiß man schon, dass sich mehr Schüler für die Biologie-Projekte des Instituts anmelden als für solche aus den Bereichen Physik und Chemie. Bislang werde aber nicht verfolgt, ob die teilnehmenden Jugendlichen sich später tatsächlich an der Uni für Naturwissenschaften einschrieben – oder ob man bloß künftige Politikwissenschaftler ins Leben entlassen habe, die sich ein bisschen mehr als andere für Naturwissenschaften interessieren.

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Schüler ziehen Biologie-Projekte der Physik und der Chemie vor: Virusmodelle in der Esof-Ausstellungshalle (Fotos(3) huch)

Was langfristig aus ihren Schützlingen an den Schulen wird, weiß auch die Norwegerin Elisabeth Engum nicht. Sie unterstützt das EU-Projekt CarboSchools, das Schüler die Techniken der Klimaforschung und die Folgen des Klimawandels vermitteln soll. Dafür arbeiten Forscher wie die Geowissenschaftlerin Engum eine Zeitlang als Lehrer, um Schüler in die Geheimnisse und Realitäten wissenschaftlichen Arbeitens auf ihrem Gebiet einzuweihen. Norwegen hofft auf solches Engagement wie das von Engum, denn trotz großer Investitionen in die Bildung schneidet das Land beim Pisa-Test verhältnismäßig schlecht ab. Ohne Schwierigkeiten läuft allerdings auch Elisabeth Engums Projekt nicht ab: Eigentlich wollte sie Mittelstufenschüler unterrichten, aber aus organisatorischen Gründen wurden ihr Oberstufenschüler zugeteilt, also Sechzehn- bis Neunzehnjährige. „Nach zehn Jahren in der Schule haben diese Jugendlichen sich ihre Meinung über Naturwissenschaften längst gebildet”, sagt Engum, die es als besondere Herausforderung begreift, noch einmal Interesse zu wecken, wenn die jungen Leute mit den Fächern, um die es geht, innerlich schon abgeschlossen haben. Sie versuche ihnen zu vermitteln, Wissenschaft sei “fun and not too difficult”. Denn auch in Norwegen ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass unter anderem die befürchteten Anstrengungen in naturwissenschaftlichen Studiengängen und Berufen die Schüler von einer entsprechenden Studienwahl abhalten. Ein langes lernintensives Studium, dann der Durchhaltewillen und das spezielle Interesse, das man im Labor braucht, und im Nacken stets der Grundsatz “Publish or perish”: Dass Wissenschaftler immer wieder neue Initiationsriten hinter sich bringen, sich ständig erneut den Beurteilungskriterien in einem sich rasant entwickelnden Bereich aussetzen müssen, bewies der Ansturm bei einer zweiten, zur gleichen Zeit stattfindenden Esof-Veranstaltung. Denn nicht nur im Sala Atene wurde es eng. Auch bei “The Future of Peer Review” im Sala Dublino standen die Zuhörer bis auf den Gang.


2 Lesermeinungen

  1. cbergh sagt:

    Ich teile die Meinung von...
    Ich teile die Meinung von hrbjoern: Warum sollte man Werbung für Naturwissenschaften machen? Die Berufsaussichten sind schlecht, und die Schüler wissen das ganz genau. In jedem größeren Dorf kann man als Arzt, Rechtsanwalt oder Diplom-Kaufmann arbeiten. Firmen, die Physiker oder Chemiker brauchen, sind dünn gesät. Dort werden Naturwissenschaftler als “nützliche Idioten” in Labors benutzt, während Manager Karriere machen. Selbstverständlich kann man auch als Naturwissenschaftler Manager werden, dann stellt sich aber die Frage, warum man nicht gleich BWL oder Jura studiert. Die Gehälter für Topabsolventen in Jura sind weiterhin fast doppelt so hoch wie diejenigen für Naturwissenschaftler. An Universitäten und Forschungseinrichtungen wie der MPG muss man sich jahrelang mit schlecht bezahlten, befristeten Kettenverträgen über Wasser halten, bis man häufig als 40jähriger arbeitslos ist. Ich bin Dr. rer. nat. und hatte in 16 Jahren Uni-Laufbahn 12 Verträge in 6 Städten; eine Festanstellung ist nicht in Sicht, eher das EDEKA = Ende der Karriere. Fazit: am Markt gibt es ein Überangebot an Naturwissenschaftlern. Werbung für ein naturwissenschaftliches Studium zu machen ist kriminell. Ich hoffe, die jungen Generationen sind weiterhin schlau genug, um mehrheitlich die Finger davon zu lassen.

  2. hrbjoern sagt:

    Die Frage stellt sich: Warum...
    Die Frage stellt sich: Warum sollte man denn Naturwissenschaften studieren? Ich promoviere z. Zt. in Astrophysik, ja, es macht Spaß, ja, es ist anstrengend – aber auch wenn ich fleißig bin, auch wenn ich gut bin, an deutschen Universitäten und Forschungsinstituten habe ich fast keine Chance auf eine unbefristete Anstellung. (Außer als Professor, und das können naturgemäß die wenigsten von uns werden.) – Warum also sollte man sich die Mühe machen? Um alle zwei Jahre einer neuen, schlecht bezahlten PostDoc-Stelle hinterherzuziehen? Kein Wunder, dass solche Studienfächer nicht sehr beliebt sind.

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