Planckton

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Die Wissenschaft ist ein ernstes Geschäft, aber gehört ihr deshalb das letzte Wort?

Mit Lippenstift und Nagellack

| 9 Lesermeinungen

Mädchen sind nun mal einfach anders als Jungs. Während Jungs sich schon von frühauf gerne an der Konstruktion komplexer Lego-Konstruktionen erfreuen,...

Mädchen sind nun mal einfach anders als Jungs. Während Jungs sich schon von frühauf gerne an der Konstruktion komplexer Lego-Konstruktionen erfreuen, Denkrätsel lösen, Computerprogramme schreiben und bei „Jugend forscht” mitmachen, interessieren sich Mädchen halt vor allem für Make-up, Lippenstifte, Mode und „Germany’s next Topmodel”. Was will man da machen. Blöd ist nur, dass diese Interessendifferenz sich entsprechend schlecht auf die gesellschaftlich erwünschte Geschlechtergleichheit in Berufszweigen auswirkt, die klassischerweise nicht mit Lippenstiften assoziiert werden. Wissenschaft zum Beispiel. Hoffnungslos, Mädchen auch nur in die Nähe eines Labors zu locken, in dem die aufwendig gestylte Trendfrisur nicht geschätzt wird und zudem sackartige Laborkittel die aktuelle Sommermode verdecken.

Bild zu: Mit Lippenstift und Nagellack

Vor diesem Hintergrund kann kaum überraschen, dass Frauen unter den Forschern nach wie vor eine klare Minderheit darstellen. Gottseidank hat die Europäische Kommision dieses Problem glasklar gesehen, analysiert, und in eine aktuelle Kampagne umgesetzt. „Science: It’s a girl thing!” heißt es dort, poppig in Mädchen-Pink geschrieben. Um den Nachwuchsforscherinnen emotional eine Brücke in die Wissenschaft zu bauen, ist das „i” in science durch einen Lippenstift dargestellt. Und für alle science girls, die das noch nicht völlig überzeugt, wurde außerdem noch ein fetziges Teaser-Video gedreht, in dem zunächst drei aufgestylte Mädels in Next-Topmodel-Manier auf einen leicht verstört wirkenden Mädchenschwarm-Laborhelfer zumarschieren, bevor die Labor-Laufsteg-Szenerie in einem schnell geschnittenen Gemenge von Nagellack, Puderquasten, Lippenstiften, Laboranordnungen, bunten Kügelchen und Formeln aufgeht. Mittendrin wirft sich die sexy Girlgroup aus Model-Forscherinnen in Pose, demonstrierend, dass Wissenschaft nicht notwendig etwas mit intelligenten Gesichtsausdrücken zu tun haben muss.

Bild zu: Mit Lippenstift und Nagellack

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Die Europäische Kommision hat mit diesem Video offenbar den Nerv der Zeit getroffen. In rasanter Geschwindigkeit verbreitete sich noch am 22. Juni, dem Tag der Veröffentlichung, die frohe Kunde über die endlich geglückte Zusammenführung von Wissenschaft und Beauty-Sektor im Internet. Blog-Kommentare, Facebook-Diskussionen, die Resonanz hätte emotionaler kaum sein können. Seltsamerweise verschwand der Teaser aber nach wenigen Stunden wieder aus dem Netz. Inzwischen ist dieser 53-Sekunden-Clip durch ein doppelt so langes, aber nur halb so aufregendes Video ersetzt worden. War der Erfolg des ursprünglichen Kurzteasers zu groß gewesen? Hatten Mädchen in High-Heels europaweit die Forschungszentren gestürmt? Wir können nur spekulieren und erleichtert darauf verweisen, dass vorausschauende Internetnutzer Sicherungskopien erstellt haben.

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Der Rest der Kampagne geht angesichts dieses furiosen Videofeuerwerks fast unter. Zumal in den weiteren Portraitvideos europäischer Studentinnen und Forscherinnen der Fashion- und Lifestyle-Aspekt deutlich unterrepräsentiert ist. Zum Träumen regt lediglich der Punkt „Dream Jobs” auf der Webpage ein. Was darf man hier erwarten? Laborbrillen-Model am Cern? Nagellackentwicklerin an der LMU München? Designerin für bunte, chemische Kügelchenmodelle am MPI für Chemie? Man weiß es nicht, die Europäische Kommission vertröstet die Wissenschafts-Girls mit einem „come back soon to find out more!” Dem Nachwuchs bleibt also noch etwas Zeit für Phantasiespiele in Pink mit Nagellack und Puderquaste.

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Bildquelle & Video: Europäische Kommission


9 Lesermeinungen

  1. astroklaus sagt:

    Soll das etwa unter "die...
    Soll das etwa unter “die Mädels dort abholen, wo sie sind” laufen?
    Der Teil der “Zielgruppe”, der tatsächlich nur am Outfit interessiert ist, wird vermutlich dort bleiben, wo er ist – und der andere wird wohl so reagieren wie die Kommentare.
    (Wäre auch mal interessant, wieviele von den oben erwähnten “Girlies” durch die Mitwirkung an der Werbeveranstaltung von einer naturwissenschftlicehn Karriere überzeugt worden sind?)
    Andererseits ist im “mittleren Bereich” die Trennung gar nicht so eindeutig.
    Vor allem in den (von D aus) südlicheren Ländern – angefangen mit Frankreich – ist Latzhose etc auch für Naturwissenschaftlerinnen eher verpönt, und je nach Umfeld durchaus auch höhere Absätze üblich (zumindest in der Vorlesung).
    Hierzulande habe ich es aber tatsächlich leider erlebt, daß es eher Häme als Mitleid hervorrief, als sich eine Diplomandin beim Löten ein Loch in den Rock brannte (“mit Jeans wäre das nicht passiert”).
    Wo wohl die Initiatoren der Kampagne herstammen?

  2. chw1981 sagt:

    Yeah Yeah, sexism in science...
    Yeah Yeah, sexism in science is terrible! Let’s ban sex from labs. Labs are there to find the kingdom of all truth only. We need resiliant knowledge that increases our fitness for competition. Let’s be reasonlable and construct reliable tools that can predict the most profitable investment in our future. Labs are a not playrooms. No children allowed! Sperm in a glas and lubrication on gears please. Love youporn. The sound of keyboard is our music. 532nm is our hope.

  3. Azuki sagt:

    By nature, I love to dress up...
    By nature, I love to dress up and feel sexy in my own skin. I am still young, so of course, it’s a need, at least for me, to make the best out of it. However, as a lab member under the control of a well-known professor in Japan, I prefer a modest but classy appearance; sometimes even *gasp* boyish style. Therefore, no high heels (quite distracting sound in lab anyway) nor headache-inducing perfumes. And I also appreciate other female colleagues to abide by that rule. Outside my work I can behave and dress like a hyper cute lolita (which is normal in Japan). I think the division between private and academic life is quite important especially as a woman. What I tried to say is that girls should not stop feeling feminine only due to their scientific background but we should act professional. This above-mentioned video is just an expression of some odd fetish fantasies of some men who have no idea about the real life in a lab. The best thing against such non-sense is ignorance. Let us concentrate on scientific progress and forget about fickle, unimportant stuff like that.

  4. EgonOne sagt:

    Ist ja sehr beruhigend dass...
    Ist ja sehr beruhigend dass man in Bruessel entdeckt hat das “Science is a girl thing.”
    Ich war einst Co-Pilot to a most competent Captain who was a most impressive girl and a first rate flyer, who knew more about the science of aviation, than I did in those years. In fact, she was a lady too. Science or not !
    That’s when I discovered that girls are programmed differently by nature, than boys. …… and lipstick and nail polish where simply symptoms of the difference.
    Excuse the lapse into Denglish — an old habit.
    Pax vobiscum

  5. TSTS sagt:

    Da bekomme ich als...
    Da bekomme ich als Naturwissenschaffts-Studentin ja fast schon Studiums-Abbruch-Gedanken, wenn die nachfolgenden Bachelor-Jahrgänge in rosa und pink in die Uni strömen. Lieber Make-Up als vernünftige solide Ausbildung perfektionieren? Fragwürdig.
    Außerdem: neben einem hochwertigen Naturwissenschaftsstudium habe zumindest ich (in Göttingen) wenig Zeit, um mich ausgibig um Schönheitsprodukte, Schminke und (aktuelle) Mode zu kümmern.
    Zu Beginn des ersten Semesters hatte ich auch noch Modebewusstsein und ein gewisses Schönheitsideal – aber nach vier Wochen war davon nur noch Schlabberpullover, Pferdeschwanz und Turnschuhe geblieben – geschminkt wurde sich maximal noch zur Verdeckung der Augenringe! Das Studium ist nicht für jeder Mann und besonders nicht für 3-Stunden-im-Bad-rose-anmal-Püppchen, den den halben Tag vorm Spiegel posieren – entschuldigen Sie, wenn ich das mal so aus eigener Erfahrung (mit 140 Kommilitoninnen zu Beginn des 1. Semesters und deren “optischer Entwicklung”) knallhart formuliere!
    (Vielleicht haben ja die Unis für die Deaktivierung eingesetzt, weil sie Angst vor dem haben, was da kommen könnte… wer weiß!?)

  6. MeikeN sagt:

    Super Kampagne! Da wartet man...
    Super Kampagne! Da wartet man doch gespannt auf neue Ideen um zB. Fachkräfte in die EU zu locken. Ein Werbespot etwa, in dem Afrikaner sich Buschtrommelnd mitteilen, wie viel man hier verdienen kann, und ein Inder sich an einer Liane von Indien bis nach Europa schwingt. Nicht zu veressen die Indieaner, die mit Kriegsgeheul steigende Aktienkurse bejubeln und Nahostlern die vor Freude in die Luft gehen.
    Auch interessant: angesichts statistisch bedenklichen Abschneidens junger Männer auf dem Ausbildungsmarkt sollten sich IHK und co vielleicht ein Beispiel nehmen und mehr Autorennen, Explosionen, und am besten Großwildjagt mit Keule motivisch in ihre Werbekampagnen einfließen lassen. Work: it’s for man. Ugah.

  7. molinerisimo sagt:

    Am Donnerstag wurde ich am...
    Am Donnerstag wurde ich am Nachmittag Zeuge einer herrlichen (ups! aber “dämlichen” wäre noch schlimmer…) Veranstaltung am Place Luxembourg in Brüssel, dierekt vor dem Europäischen Palament: An die hundert Girlies (entschuldigen Sie den Ausdruck, aber wenn es sexistisch klingt, so liegt es, wie mir dünkt, weniger an mir als an denen, die sie ausgesucht, ausgestattet und choreografiert haben: die reinste Erniedrigung) tanzten im Regen in weissen Laborkitteln (drei waren rosa…) albern aber sinnfrei herum. Andere steckten in durchsichtigen Plastikkugeln und spazierten darin durch die Gegend, wobei Lametta und Kunstschnee, wie in einer Andenkenkugel, um die Girlies herumwirbelte. Sehr malerisch. Dazu Aufzugsmusik. Und manche/r blieb sogar stehen und machte Bilder mit der Handykamera. Jetzt verstehe ich, was die ganze Veranstaltung sollte. Daher vielen Dank, Frau Anderl, für die Aufklärung.

  8. tricky1 sagt:

    Nachdem die Amtsschimmel in...
    Nachdem die Amtsschimmel in Brüssel sich erfolgreich um die Krümmung von Gurken und Ausformungen der Norm-Kacke zum Testen von Wasserklos gekümmert hatten sind nun eben dringlichere und deutlich schwierigere Probleme zu lösen.
    .
    Wer will es ihnen denn verargen wenn 60 jährige Beamte die holde weibliche Intelligenzia so einschätzen? Und auch Sibylle hat mit keinem Wort verraten wie man es besser machen könnte;)

  9. corastella sagt:

    Ach, beruhigend zu wissen,...
    Ach, beruhigend zu wissen, dass die Europäische Kommission verantwortlich mit unser aller Steuergeldern umgeht und klar erkannt hat, was wirklich wichtig ist…

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