Am Abend der Diplomfeier stellte sich irgendwann einer meiner Physikprofessoren zu mir, stieß mit mir an und sagte dann: „Frau Anderl, jetzt will ich Sie mal etwas fragen: Haben Sie sich jemals in ihrem Studium aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert gefühlt?” Etwas überrumpelt habe ich damals geantwortet: „Ääähm… nein. Ich glaube nicht.” Woraufhin der Professor mich fast erleichtert anstrahlte und antwortete: „Ja, das freut mich, dass Sie das sagen. Man hört ja immer so viel von Diskriminierung und so, aber ich kann mir das immer gar nicht richtig vorstellen.”
Geschlechter-Diskriminierung in der Wissenschaft erscheint tatsächlich oft wie ein schwer zu fassendes Phantom, eine Art „Gender-Yeti”, von dem man viel hört, aber wenn man nach Augenzeugen sucht, dann hat ihn unter den rationalen, reflektierten, modern denkenden Angehörigen der Forschungsinstitute kaum jemand schon einmal unzweifelhaft selbst gesehen. Der Fall unverblümtester Vorverurteilung, der mir damals nach kurzem Nachdenken doch noch einfiel, hatte sich gleich am Anfang meines Studiums ereignet, als ein weißbärtiger Senior-Student nach der Logikvorlesung auf mich zukam und sagte: „Du hast das doch bestimmt auch alles nicht verstanden, wollen wir eine Lerngruppe aufmachen?” Und auch diese Geschichte war wohl weniger eine unzweifelhafte Sichtung offener Diskriminierung, als vielmehr ein Fall besonderer Altersschrulligkeit.
Gleichzeitig gibt es aber gewisse schwer zu ignorierende Fakten. Frauen sind in vielen Gebieten der Wissenschaft stark unterrepräsentiert, insbesondere in den höheren Hierarchieebenen, und das obwohl die Zahl der weiblichen Universitäts-Absolventen zugenommen hat. Das Rätsel, warum so viele Frauen in den Naturwissenschaften auf der Strecke bleiben, hat schon so manchen Erklärungsversuch auf den Plan gerufen. Dass Frauen einfach weniger talentiert sind, scheint unwahrscheinlich. Stattdessen wurde spekuliert, dass der typisch weibliche Lebensentwurf einfach nicht zusammenpasst mit einer wissenschaftlichen Karriere beziehungsweise, dass Frauen weiblich erstrebenswerte Attribute in Konkurrenz zu wissenschaftlichem Erfolg sehen (“Schlau oder Sexy”), oder dass pubertierende Mädchen durch ihre Leidenschaft für Mode und Make-up die Wissenschaften als Berufsoption zu wenig im Blick haben (“Mit Lippenstift und Nagellack”). Diskriminierung von Frauen scheint demgegenüber kein primäres Problem zu sein, zumal es mittlerweile so zahlreiche explizite Förderprogramme und Gender-Regelungen gibt, dass sich mancher hinter vorgehaltener Hand schon fast Sorgen um eine Benachteiligung von Männern macht.
Vor diesem Hintergrund dürfte daher die aktuell veröffentlichte Studie einer Forschergruppe um Corinne A. Moss-Racusin von der Yale University von großem Interesse sein. Dort wurde experimentell der Frage nachgegangen, ob es in wissenschaftlichen Fakultäten Geschlechtervorurteile gegenüber Studentinnen gibt. Die angewandte Methode ist ebenso simpel wie robust gegenüber Störfaktoren: in einer randomisierten, doppelblind durchgeführten Studie wurden in den USA wissenschaftlichen Forschungsinstituten der Fächer Biologie, Chemie und Physik Bewerbungsunterlagen für den Posten eines Labormanagers zugeschickt, in denen zufällig entweder ein männlicher oder ein weiblicher Name eingefügt wurde. Das Geschlecht des Bewerbers war damit der einzige Unterschied, den die Bewerbungsunterlagen aufwiesen. Die adressierten Professoren wurden daraufhin um eine Einschätzung des Bewerbers/der Bewerberin gebeten. Konkret abgefragt wurden geschätzte Kompetenz, Eignung zur Einstellung, angebotenes Einstiegsgehalt und angebotenes Karriere-Mentoring.
Die Ergebnisse sind denkbar eindeutig: in allen Kategorien hatte das Geschlecht des Bewerbers signifikanten Einfluss auf die Bewertung (siehe Fig. 1, 2). Weibliche Bewerber wurden als weniger kompetent und als weniger für eine Einstellung geeignet eingeschätzt als männliche Bewerber. Es wurden weniger Maßnahmen zur Karriereunterstützung angeboten und das Einstiegsgehalt lag mit durchschnittlich 26.507,94 Dollar klar unter dem entsprechenden Durchschnittswert für die männlichen Studenten (30.238,10 Dollar). Eine Auswertung der Daten mithilfe eines zusammengesetzten Kompetenzindex zeigte darüber hinaus, dass die geringere Wahrscheinlichkeit für eine Einstellung der Studentinnen durch die Wahrnehmung der vermeintlich geringeren Kompetenz erklärt werden kann.
Erstaunlich mag sein, dass das Geschlecht des die Bewerbung beurteilenden Wissenschaftlers keinen Einfluss auf die bestehenden Vorurteile hatte. Auch Frauen schätzen Studentinnen als weniger kompetent ein. Die Deutung der Autoren der Studie ist, dass die aufgedeckten Vorurteile weder vorsätzlich noch bewusst sind, sondern dass sie sich auf verbreitete kulturelle Stereotypen zurückführen lassen.
Für das Bestreben, den Frauenanteil in den Naturwissenschaften zu erhöhen, können diese Resultate direkte Relevanz besitzen. Die Autoren der Studie wählten für ihre Bewerbungen einen fiktiven Studenten vor Studienabschluss mit einer Qualifikation, die nach Angaben der Autoren genau der Mehrheit aufstrebender Nachwuchswissenschaftler entspricht. Diese Wahl wurde damit begründet, dass die Jahre vor einer möglichen Doktorarbeit genau die entscheidenden sind, wenn es um die Frage nach einer weiteren wissenschaftlichen Karriere geht. In diesem Zeitraum ist äußeres Feedback zentral für die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Sofern eine vorurteilsbelastete, negative Einschätzung von Studentinnen die Karriere-Entscheidung pro/contra Wissenschaft beeinflusst, hätte dies nach Auskunft der Autoren der Studie auch Konsequenzen für die zu wählenden Mittel im Bestreben, den Frauenanteil in den Naturwissenschaften zu heben. Denn in diesem Fall würden nicht etwa flexible Arbeitszeiten und eine höhere Identifikation von Frauen mit Wissenschaft den Umschwung bringen, als vielmehr objektive und transparente Evaluations- und Aufnahmekriterien für Studierende.
Unabhängig von solch weitgehenden Forderungen sollte eine direkte Konsequenz aus den vorliegenden Forschungsergebnissen aber wohl für jeden Wissenschaftler und jede Wissenschaftlerin sein, die eigenen Einschätzungen von Studenten und Studentinnen jeweils bewusst kritisch zu hinterfragen. Denn es scheint nicht unplausibel, dass man vor dem Einfluss kultureller Stereotypen manchmal weit weniger gefeit ist, als man sich selber eingestehen möchte. Das Phantom „Gender-Diskriminierung in den Wissenschaften” würde damit weniger durch die Frage „Haben Sie sich schon einmal diskriminiert gefühlt?” aufzuspüren sein, als sich vielmehr hinter der Frage „Wann habe ich schon einmal eine Frau ungerechtfertigt als inkompetent eingestuft?” verbergen.
Bildquelle: C. A. Moss-Racusin et al. (2012) “Science faculty’s subtle gender biases favor male students”, PNAS Early Edition, doi: 10.1073/pnas.12
Ich kenne nur die Begründung...
Ich kenne nur die Begründung aus einigen Handwerksbetrieben :
Frauen sind biologisch anfälliger und damit kostenintensiver. Was sowohl Schwangerschaften, wie Periode oder Wechseljahre meint.
Bei der Wahl zwischen einem gleich quyalifizierten Mann mit einer Frau, greift man dann eher zum “zuverlässigeren” Mann.
Sagen kann man so etwas natürlich heute nicht mehr. Genau das ist dann das Problem, die Schere zwischen öffendlich korrekter Darstellung und unterschwelliger Wahrnehmung.
Nur keine Probleme einkaufen, egal welcher Art, ist schliesslich Chefpflicht No.1.
Das Problem ist natürlich...
Das Problem ist natürlich nicht irgendein “prinzipieller” Unterschied in der Kompetenz, sondern (wie so oft) ein tatsächlicher oder empfundener Unterschied in der Herangehens- und Arbeitsweise. Ob das dann der deutsche Werkstattmeister ist, der über die “dumm konstruierten ausländischen Mistkarren” schwadroniert, um seine eigene Beschränktheit zu kaschieren, der Pilot, der die Fähigkeiten der Kollegen anhand deren Armbanduhrgröße taxiert oder die Fakultät, die die Prinzipien des Labormanagements festschreiben möchte.
Auch als “Quereinsteiger” wird man ständig besonders kritisch beäugt und ohne kompetenten verbündeten “Insider” hat man kaum Chancen, auch offensichtlichem Unfug abzuhelfen (“ham’ wer immer schon so gemacht”). Hierzu ist eine Studie aber noch viel schwieriger als schon bei offensichtlichen Unterscheidungsmerkmalen wie Geschlecht oder Hautfarbe.
Im Übrigen ist es natürlich nicht so, daß “die Frauen” Fortschritte gemacht hätten – jede und jeder macht ihre persönliche Entwicklung individuell.
Hanna Reitsch und Elly Beinhorn flogen schon vor 80 Jahren besser als die meisten Männer, aber jede heutige Pilotin muß ihren Schein selbst machen. Wahrscheinlich könnte man aber allgemein sagen, daß die Minderheit in einer Berufsgruppe im Schnitt besser ist, da sie sich mehr Mühe gibt, um ihr Ziel zu errreichen.
Vor kurzem habe ich eine Frau kennengelernt, die Linienpilotin bei der LH ist und nach ihrer “Morgenschicht” Toulouse-München-Toulouse-München mittags zu einem Flugplatzfest kam und dort ein komplettes Kunstflugprogramm vorgeführt hat.
Mit ihr würde ich mit Sicherheit erheblich lieber fliegen (vielleicht sogar beim Kunstflug ;-) als mit den drei Männern, die beim Flug AF447 fast drei Minuten lang nicht bemerkt haben, daß sich ihr Airbus im freien Fall befand.
Eine Studie, die Fig. 2 in...
Eine Studie, die Fig. 2 in dieser Form veröffentlicht, würde ich direkt doppelt kritisch ansehen. Rein optisch haben sie es nämlich so dargestellt, als sei das Gehaltsangebot bei Frauen nur bei ca. 1/4 des Betrages, den Männer angeboten bekommen. Wenn man aber die Beträge mit mit der zugebilligten Kompetenz vergleicht (ca. 4,1 zu ca. 3,3), wurde den weiblichen Bewerbern zwar nur 80% der Kompetenz zugebilligt, aber immerhin 87% des Gehalts.
Und was sollen hier die “objektiven und transparenten Aufnahmekriterien für Studierende”, wenn es um wissenschaftliche Karriere geht? Über eine potentielle wissenschaftliche Karriere entscheidet der Stundent üblicherweise während der Promotion und nicht schon, wenn er ein Studium anfängt.
Offensichtliche Diskriminierung ist zu bekämpfen aber Besserstellerei von Frauen um jeden Preis (brauchen wir eine Männerquote für KiTa-Erzieher?) ist ebenso verwerflich.
Ich muss sagen, ich empfand...
Ich muss sagen, ich empfand den Artikel als sehr angenehm zu lesen. Er zeigt dass keiner von uns davor gefeit ist, Menschen unbewusst zu diskriminieren. Davon sind Männer übrigens in gleichem Maße betroffen, allerdings eher nicht im wissenschaftlichen Umfeld.
Ich bin daher generell für anonyme Bewerbungen. Würde ich mich in einer solchen Machtposition befinden, ich würde meine Sekretärin (oder Sekretär ;-) ) bitten, den Namen, das Foto, und geschlechtsspezifische Merkmale zu streichen. Nur so kann man sichergehen wirklich neutral zu urteilen. Vielleicht wird dann irgendwann auch endlich mal der ganze Gender-Mist (sorry, das ist es überwiegend)) obsolet.
@Kolma_Puschi
Beryl...
@Kolma_Puschi
Beryl Markham?
Ist mir kein Begriff.
Dieser Mangel mag aber an einer mangelhaften Erziehung liegen, die von so mancher B-Note begleitet wurde. Sogar, von einer gelegentliche C-Note.
Ob sowas den “persoenlichen Kompetenz Bereich” bereichert?
Life is full of surprises.
Herzlichst
Vielleicht ist die Bewertung...
Vielleicht ist die Bewertung der (In)kompetenz zum Zeitpunkt der Bewerbung bei den Frauen eine Festlegung (zeitlich unbegrenzt) und bei den Maennern nur eine Feststellung (“…den Jungen biegen wir schon hin”). Was das wiederum fuer Rueckschlusse hinsichtlich der Erwartungen und Erfahrungen bei Felxibilitaet und Belastbarkeit zulaesst, kann dann die naechste Studie zeigen.
@EgonOne
Ihr Kommentar ist ja...
@EgonOne
Ihr Kommentar ist ja zum Teil ganz nett zu lesen, aber da er nicht das Geringste mit dem Inhalt des Artikels zu tun hat, beschleicht mich der Verdacht, daß Sie vielleicht lediglich die Überschrift gelesen haben könnten … Kann das sein?
Daß Sie dann auch noch gönnerhaft schreiben, daß Frauen “viele Fortschritte über die Jahre gemacht” hätten, gibt ganz klar einen Abzug an der B-Note. Um in Ihrem persönlichen “Kompetenz-Bereich” zu bleiben: Sagt Ihnen der Name Beryl Markham was?
Size matters !!!
.Das ist...
Size matters !!!
.Das ist immer ein kontroverses Thema, werte Sybille Anderl — mit der angeblichen, subtilen Inkompetenz der Frauen.
Wer hat diese Idee wohl erfunden — oder wurde sie entdeckt?
Ich weiss nur dass Frauem viele Fortschritte ueber die Jahre gemacht haben, und sich taeglich in ihren Berufen bestens beweisen. Manche sollen sogar als Gehirnchirurgen agieren, andere fliegen schon ewig Jumbojets ohne dass jemand was bemerkte.
“You’ve come a long way, baby” sagen Kollegen.
” I like the way you nailed that ILS Approach into FRA. Real sharp. First rate, ” sagt so mancher Kollege mit Respekt..
Manchmal kommt die Frage, wie kann man den Unterschied zwischen maennlichen und weiblichen Aviateurs ueberhaupt feststellen?
Einfach, sagt ein grauhaariger Veteran, mit sanfter Ironie:
“Man kann Maennerpiloten von Frauenpiloten bei der Groesse ihrer — bitte aufpassen — Armbanduhren erkennen”, erklaert er mit autoritaerer Stimme. Die selbe die schon jahrelang Passagiere beruhigte im Flug durch schlimme Trubulenz ueber dem Atlantik, Pazifik oder zwischen Gewittern ueber der Karibik.
Ob das etwas mit subtiler Kompetenz — oder Inkompetenz zu tun hat ?
Nur wenige Passgiere — abgesehen von dem Heiligen Vater — kuessen den Boden nach einer Landung in fernen Plaetzen.
Das heisst doch sicherlich auch etwas, oder?
Well, egal — Happy Landings Leute
und pax vobiscum
alle vorgestellten...
alle vorgestellten untersuchungen gehen m.e. am ziel vorbei. heutige entscheidungskriterien sind sachlich, qualitäts und leistungsbezogen. bei der auswahl wird der oder die bestqualifizierte gewählt. dabei gehen auch ein die unterschiede zwischen frau und mann, die gibt es immer noch. das ändert keine frauenquote.
Da würde mich doch einmal...
Da würde mich doch einmal auch noch eine Aufgliederung nach den drei Fächern interessieren! Ich weiß nicht, wie es in den USA ist, aber zumindest in den Anfangssemestern hierzulande sind die Geschlechterquoten von Biologie und Physik geradezu komplementär. Wenn man also zB in Biologie (vielleicht aus Quotengünden?) einen Mann suchen würde, müßte man ihn auch dann nehmen, wenn er deutlich schlechter ist als eine Frau…
Die Klage, man müßte als Frau bessere Leistungen liefern, um als gleichwertig eingestuft zu werden, habe ich auch in der Astronomie immer wieder gehört (nicht nur von Studentinnen und PostDocs, auch von unzweifelhaft ganz hervorragenden etablierten Professorinnen – international).
Den umgekehrten Fall einer “Quotenfrau” habe ich allerdings auch erlebt….