Wenn man sich unter Wissenschaftlern aufhält, wundert man sich nicht sonderlich, wenn man mit psychischen Auffälligkeiten konfrontiert ist. „Das sind doch alles Autisten hier ohne jegliche soziale Fähigkeiten”, kriegt man da nicht selten zugeraunt, und muss dabei vielleicht an den Ex-Kollegen denken, der nachweislich nur einmal pro Monat sein Hemd gewechselt hat oder an den Gaststudenten, der sich mit „Du guckst mich immer an wenn ich an deinem Büro vorbei gehe. Das ist gruselig” vorgestellt hatte.
Dass sich Kollegen mit psychischen Problemen selbst outen, kommt dagegen seltener vor. Und dass so etwas sogar über das Internet geschieht, dürfte schließlich gänzlich ungewöhnlich sein. Umso aufrüttelnder ist ein Ende September erschienener Blog-Artikel von John Johnson, einem Astronomieprofessor am California Institute of Technology, in dem dieser sich als ehemals Betroffener des „Impostor Syndrome”, zu deutsch Hochstapler-Syndrom, beschreibt und andere Betroffene dazu aufruft, sich professionelle Beratung zu suchen.
Was damit gemeint ist, ist die Vorstellung, dass der eigene Erfolg nicht den eigenen Fähigkeiten entspringt, sondern vielmehr nur auf Glück, Fleiß oder die Manipulation anderer zurückzuführen ist. Verbunden ist damit die ständige Angst, schließlich irgendwann aufzufliegen, wenn herauskommt, dass man in Wirklichkeit gar nicht so schlau ist, wie alle denken. Ein Ausweg aus dieser Selbstsicht ist offenbar schwierig, da das Symptom die Annahme beinhaltet, dass nur man selbst die Wahrheit über die eigenen Fähigkeiten kennt.
Das Hochstapler-Syndrom wurde erstmalig 1978 von Pauline R. Clance und Suzanne Imes an der Georgia State University in Bezug auf erfolgreiche Frauen beschrieben, die in der Lage waren, jeden vermeintlichen Beweis ihrer Kompetenz im Sinne ihrer selbst-zugeschriebenen Inkompetenz wegzudiskutieren. So entkräftete beispielsweise eine Professorin ihren beruflichen Erfolg mit dem Einwand: „Ich bin nicht gut genug, um an dieser Fakultät zu arbeiten. Im Auswahlprozess muss ein Fehler aufgetreten sein.” Als klinische Symptome werden in dieser Studie allgemeine Ängstlichkeit, fehlendes Selbstvertrauen, Depression und Frustration aufgrund der nicht erreichbaren eigenen Standards genannt.
Clance und Imes sehen in ihrer Veröffentlichung zwei mögliche familiäre Ursachen des Symptoms. Zum einen kann es sein, dass ein Mädchen innerhalb der Familie in die Rolle der Einfühlsamen, sozial Begabten gedrängt wird, während die Rolle des/der Intelligenten schon durch ein anderes, nahes Familienmitglied besetzt ist. Die Verunsicherung wird dann aus einer inneren Zerrissenheit resultieren: zum einen ist der Glaube an diesen Familienmythos fest in der eigenen Selbstsicht verankert, zum anderen gibt es den inneren Impuls, den Mythos zu entkräften und die eigene Intelligenz zu beweisen. Gleichzeitig kann das Syndrom laut Clance und Imes aber auch auftreten, wenn die Eltern andersherum ihre Tochter für überragend halten, verbunden mit der Einstellung, sie könne alles erreichen, wenn sie nur wolle. Wenn in der Realität aber die Erfahrung gemacht wird, dass es doch Schwierigkeiten geben kann, bestimmte Erfolge zu erlangen, passt das überschwängliche elterliche Lob nicht mit eigenen Erlebnissen zusammen. Es entsteht ein Misstrauen gegenüber der elterlichen Einschätzung, resultierend in Selbstzweifeln und dem Versuch, Perfektion wenigstens nach außen zu wahren. Die Autoren schildern beispielsweise den Fall eines Mädchens, das gegenüber ihrer Mutter immer zu verheimlichen versucht hatte, wenn sie für die Schule lernte, weil ihre Mutter die Überzeugung geäußert hatte, schlaue Menschen müssten nicht lernen. In beiden familiären Konstellationen ist die Grundlage des Hochstapler-Syndroms ein Auseinanderklaffen der eigenen Wahrnehmung mit den Erwartungen von außen. Daraus resultierende Strategien können übertriebener Fleiß, selbst-verleugnender Anpassungswille und das starke Bedürfnis nach externer Bestätigung sein.
Während Clance und Imes das Hochstapler-Syndrom noch als überwiegend Frauen betreffend beschrieben, konnte in späteren Studien kein Unterschied zwischen den Geschlechtern festgestellt werden, auch wenn Frauen aufgrund sozialer Stereotypen eher dazu geneigt sein könnten, eigene Erfolge auf andere Faktoren als ihre eigenen Fähigkeiten zurückzuführen. Männer scheinen das Hochstapler-Syndrom allerdings anders umzusetzen als Frauen, wie eine Masterarbeit an der Georgia State University, verfasst von James Beard 1990, zu zeigen versucht. Während sich das Syndrom bei Frauen in Vorsicht und defensive Zurückhaltung umsetzt, neigen Männer gemäß dieser Studie zu einer Kompensation durch hektische Aktivität, um ihre Kompetenz zu beweisen.
Zusammenfassung der statistischen Resultate der Studie „Women and the Impostor Syndrome in Astronomy”, R. Ivie und A. Ephraim, Statistical Research Center, American Institute of Physics. Die Bezeichnungen p<.01 bzw. p<.05 bedeuten, dass die Ergebnisse aufgrund reinen Zufalls nur mit einer Wahrscheinlichkeit von weniger als 1% bzw. 5% aufgetreten wären.
Mittlerweile gibt es Skalen, um das Hochstapler-Syndrom quantitativ zu testen: die Clance IP Scale (1988) und die Harvey IP Scale (1981). Fragen aus diesen Tests wurden jüngst genutzt, um eine groß angelegten Untersuchung an amerikanischen Graduiertenstudenten der Astronomie und Astrophysik durchzuführen. Das Ergebnis war, dass das Hochstapler-Syndrom unter den Studenten verbreitet ist und dass deutlich mehr Studentinnen als Studenten sich als Hochstapler fühlen (siehe Tabelle). Diese Selbst-Einschätzung tritt allerdings seltener auf, wenn die Studenten einen Mentor besitzen. Die Veröffentlichung dieser Ergebnisse war Anlass für John Johnsons Blog-Post. Auch in Deutschland dürfte sein Appell viele potentielle Adressaten haben. Beispielsweise gibt es in Deutschlands größtem Begabtenförderungswerk inoffiziell den sogenannten CIA, den „Club der irrtümlich Aufgenommenen”. Dieser „Club” erfüllt selbstironisch letztendlich vielleicht einen ähnlichen Zweck, wie 1978 von Clance und Imes unter anderem als Therapie vorgeschlagen: Hilfe durch Gruppentherapie.
Es gibt aber übrigens auch ein gegenteiliges Syndrom: den 1999 von Justin Kruger und David Dunning (Cornell University) beschriebenen Dunning-Kruger-Effekt. Inkompetente Menschen neigen dazu, die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, während sie tatsächliches Können anderer, kompetenterer Personen unterschätzen. Die Kombination dieses Effekts mit Varianten des Hochstapler-Syndroms hatte schon Bertrand Russell 1933 in seinem Aufsatz „The Triumph of Stupidity” für die damalige politische Situation verantwortlich gemacht: „Die grundlegende Ursache der Probleme ist, dass die Dummen todsicher und die Intelligenten voller Zweifel sind.”
Fotos: Maria Irl, Christopher Felehner, Caro/Hoffmann
<p>@Claus F...
@Claus F Dieterle
Ich bin Ihrem Link gefolgt und fand Unglaubliches (Sind Sie von Titanic?):
“Als Heilpraktiker / Psychotherapie sind meine Behandlungsschwerpunkte Biblische Krankenheilung (Aufklärung und Beratung), Niedergeschlagenheit, Depression und Einsamkeit. Therapeut und Markeninhaber der “Christus Erbauungs-Hypnose”, Deutsches Patent und Markenamt. Grundlage sind dabei biblische Verheißungen wie z.B. aus Philipper 4,13: “Sie sind allem gewachsen, weil Christus Sie stark macht” und die Anwendung in konkreten Lebenssituationen.
Christliche Schriftenmission: christliche Traktate kostenlos bestellen und christliche Traktate verteilen.
Ich bin Autor……
Als persönliches Mitglied der Ev. Landeskirche bin ich bestrebt meine Tätigkeit so auszuüben, daß Jesus Christus an mir Freude hat. Meine Biographie entnehmen Sie bitte dem ‘Who is Who in der Bundesrepublik Deutschland’.”
Workers of all countries, unite! M.T.T.
@ sanctum.praeputium
Es gibt...
@ sanctum.praeputium
Es gibt “wahre” Christen und zum Beispiel auch “U-Boot-Christen”, die nur gelegentlich zum Gottesdienst auftauchen und im Alltag nicht als Christen zu erkennen sind (Matthäus 10,32.33).
“Mit guten Segenswünschen” ist eben eine gebräuchliche Formulierung.
Friede sei mit Ihnen!
Claus F. Dieterle
@Claus-F-Dieterle
Sie haben...
@Claus-F-Dieterle
Sie haben geschrieben: “Es gibt keine froheren und glücklicheren Menschen als wahre Christen.”
Das ist ein sehr bezeichnender Satz, da er deutlich macht, dass nur der Christ ein sehr froher und glücklicher Christ ist, der ein wahrer ist. Alle anderen – unwahren – Christen müssen eben etwas falsch gemacht haben.
“Mit guten Segenswünschen”, da muss ich mich fragen, wie man schlechte Segenswünsche formulieren würde.
@ sanctum.praeputium
Christen...
@ sanctum.praeputium
Christen habe eine andere Perspektive und Lebensführung:
Paßt euch nicht den Maßstäben dieser Welt an.
Römer 12,2
Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.
Apostelgeschichte 5,29
Es gibt keine froheren und glücklicheren Menschen als wahre Christen.
Aber ihre Freude ist von der Welt himmelweit verschieden.
Johann Wolfgang von Goethe
Mit guten Segenswünschen
Claus F. Dieterle
Mir kam beim Lesen dieses...
Mir kam beim Lesen dieses lustigen Artikels und eines religiösen Kommentars – das Impostor Syndrome kannte ich noch nicht – der Gedanke, dass Religiöse schlechthin unter dem Dunning-Kruger-Effekt leiden, was ihnen selbst natürlich nicht auffällt, da sie mittels Kraft Jesu durch permanente Ignoranz und einen göttlichen Blinden Fleck beglückt sind.
@ tricky1
Das erwähnte...
@ tricky1
Das erwähnte Leistungsvermögen der Christen im Hinblick auf Philipper 4,13 soll natürlich im biblischen Sinne genutzt werden (z.B. Matthäus 25,40).
Christen sollen aber auch diese Aussagen nicht vergessen:
Keiner soll höher von sich denken, als es angemessen ist. Bleibt bescheiden und sucht das rechte Maß!
Römer 12,3
Auf Stolz folgt Sturz, nach Übermut kommt Untergang.
…Wer dem Herrn vertraut, findet bleibendes Glück.
Sprüche 16,18.20
Wir alle sind fehlerhafte Menschen.
Jakobus 3,2
Wichtig ist es, die “Waffenrüstung Gottes” anzulegen (Epheser 6,10-18).
Mit guten Segenswünschen
Claus F. Dieterle
@Claus-F-Dieterle:
Sind Sie...
@Claus-F-Dieterle:
Sind Sie der Meinung, dass gläubige Menschen von diesen Effekten verschont sind?
Höchst Interessant, vom...
Höchst Interessant, vom Hochstapler Syndrom hatte ich noch nie gehört, während der Dunning-Kruger-Effekt auch bei BlogautorInnen vorkommen soll. (Selbstverständlich nicht bei Planckton).
Ich halte mich daran, was...
Ich halte mich daran, was Paulus und Timotheus an die Philipper schrieben:
Allem bin ich gewachsen, weil Jesus Christus mich stark macht.
Philipper 4,13
Mit guten Segenswünschen
Claus F. Dieterle
Sehr interessante...
Sehr interessante Dissertation, werte Sybille Anderl.
Es machte mich nachdenklich.
Ich weiss nicht ob das was mit Hochstapelei zu tun hat, aber ich kenne erfolgreiche Leute, die so incognito wie moeglich bleiben wollen, wie nur moeglich. Sie fahren alte Autos, wohnen in unauffaelligen Villen, in guten Gegenden, und sind nur in Galakleidung wenn sie unbedingt irgendwo erscheinen muesen. (Madam moechte zum Tanz im St.George Country Club, oder ein langer Abend in der Oper.) Hier handelt es sich um “old money.”
Dann kenne ich andere finanziell Erfolgreiche, die immer zeigen wollen wie erfolgreich sie sind. Eventuell, nouveau rich?
Denen genuegt nur das letzte Modell von Rolls, oder Aston Martin, oder einen Maybach (aeltere Version) um zum Coffe Shop zu fahren. Natuerlich sind sie alle best bekleidet, aund ausgeruestet von Gucci, Armani und all den anderen Nobel Marken die in solchen Kreisen de rigeur sind. Keeping up appearances, what?
Nun ja, jedem das seine. Mit der Hochstabelei wird es auch langsamer, da man nicht ueberall einen “Entrance” machen kann, wie im Casino Monte Carlo, und dergleichen Plaetzen. Ob das auch inBaden Baden zutrifft?
Mir bleibt der Eindruck: Fuer die Hochstapelei der Erfolgreichen: Keep a low profile. Hide your success. Dress down. Blend in.
Nur auf der Yacht der Betuchten ist es anders. Miete die grosste die es gibt. Have a Party …. und flieg nach hause, per “Heavy Metal Corporate Jet.”
Happy Landings…und pax vobiscum