Es ging hoch her in den letzten Wochen innerhalb der philosophischen Community. Wen es in die entsprechenden Internet-Diskussionforen verschlug, der fühlte sich erinnert an die kollektive Empörung einerseits und versuchte Beschwichtigung andererseits, die Deutschland Anfang des Jahres erfasste, als Rainer Brüderle sich öffentlich mit Sexismusvorwürfen konfrontiert sah. Tatsächlich besitzt die Philosophie seit letzter Woche sozusagen einen international wirksamen „Brüderle-Fall“. Nur dass es diesmal nicht um Dirndlausfüllung sondern um „handjobs“ geht und sich der Fall nicht im Alkohol-affinen Umfeld einer Hotelbar sondern innerhalb „nüchterner“ Email-Korrespondenz zwischen einem Philosophieprofessor und dessen Studentin abgespielt hat. Das Resultat indes ist in beiden Fällen sehr ähnlich: eine Diskussion möglicher struktureller Ursachen von Geschlechter-Diskriminierung auf der Grundlage der Sammlung persönlicher Erfahrungsberichte.

Anlass des Ganzen war ein am 4. Juni in der US-amerikanischen Akademiker-Zeitung „The Chronicle of Higher Education“ erschienener Artikel, in dem bekannt gegeben wurde, dass der prominente Philosoph Colin McGinn zum Ende des Jahres aufgrund des Vorwurfs sexueller Belästigung von seiner Professur an der University of Miami zurücktreten werde. McGinn, der sich vor allem innerhalb der Philosophie des Geistes einen Namen gemacht hat, wird beschuldigt, unangemessene Emails mit explizit sexuellen Inhalten an eine Studentin geschrieben zu haben, die sich daraufhin an das Gleichstellungsbüro der Universität gewandt hatte. Der Fall erreichte schließlich die Universitätspräsidentin Donna E. Shalala, die McGinn unverzüglich vor die Wahl zwischen Rücktritt und einer genaueren Untersuchung des Falls stellte. Obwohl McGinn daraufhin erstere Option wählte, bestreitet er die Vorwürfe vehement. Der genannte Zeitungsartikel zitiert Unterstützer McGinns, die darauf hinweisen, dass die fraglichen Email-Passagen aus dem Kontext gerissen wurden und die Universität McGinn kein faires Verfahren geboten hätte.
Wie auch immer dieser konkrete Fall zu bewerten ist, er ereignet sich in einer Zeit, in der das Thema der Diskriminierung von Frauen und Minderheiten innerhalb der Philosophie ohnehin intensiv diskutiert wird. Der Soziologe Kieran Healy untersuchte 2011 den Frauenanteil in Bezug auf die in den USA 2009 in verschiedenen Disziplinen verliehenen Doktortitel. Dabei zeigte sich, dass die Philosophie die wenigsten weiblichen Doktoranden unter allen untersuchten Geisteswissenschaften aufweist und sogar „männlicher“ ist als Mathematik, Chemie oder Astrophysik. Diese Unterrepräsentation der Philosophinnen setzt sich auf der Ebene der festen Stellen fort: Im UK sind allgemein nur etwa 21% der Philosophen Frauen, das gleiche gilt für die USA. Wie niedrig dieser Wert ist, wird vor allem dann deutlich, wenn man bemerkt, dass fachunabhängig der Anteil der Professorinnen in den USA bei 40% liegt (US Daten von 2003). Es stellt sich die Frage, wie es zu diesem Frauendefizit kommt und an welcher Stelle innerhalb der akademischen Laufbahn es auftritt.

Die Philosophinnen Molly Paxton, Carrie Figdor und Valerie Tiberius von der University of Minnesota und der University of Iowa sind 2012 dieser Frage nachgegangen, indem sie von 56 US-amerikanischen Institutionen, an denen Doktortitel der Philosophie vergeben werden, Informationen zum Frauenanteil in Einführungskursen, im Hauptstudium, im Promotionsprogramm und an den philosophischen Instituten auswerteten. Auf der Grundlage dieser Daten konnten sie nachweisen, dass der stärkste Abfall der Frauenquote beim Übergang zwischen Einführungskursen und dem Hauptstudium auftritt. Gleichzeitig zeigte sich, dass der Anteil der im Hauptstudium noch übrig gebliebenen Studentinnen positiv mit dem Frauenanteil in den Instituten korreliert. Je mehr Frauen im philosophischen Institut angestellt sind, desto weniger Abwanderung gibt es demnach nach dem Grundstudium.

Die Studie von Molly Paxton und ihren Kolleginnen ermittelt zwar den Zeitpunkt der Abnahme des Frauenanteils, die Gründe dafür, warum es für Frauen offenbar schwierig ist, sich in der Philosophie durchzusetzen, bleiben aber nach wie vor unklar. Spekulative Erklärungsansätze gehen in verschiedene Richtungen. Die These, dass Frauen einfach anders denken, polemisch vertreten von Denkern wie Hegel oder Schopenhauer und in wertneutralerer Weise verfolgt von feministischen Philosophen und Philosophinnen der Psychologie, scheint sich empirisch nicht zu bestätigen. Dagegen kann man davon ausgehen, dass die in der Psychologie ausgiebig untersuchten Phänomene implizit existierender Vorurteile (siehe Planckton „subtile Inkompetenz“) sowie der Bedrohung durch Stereotype (siehe Planckton „Mathematik“) auch in der Philosophie eine wichtige Rolle spielen. Letzteres beschreibt die Tatsache, dass Mitglieder einer sozialen Gruppe mit negativem Stereotyp in bestimmten Situationen weniger leistungsfähig sind, da ihr Wissen über bestehende Vorurteile ihr eigenes Verhalten im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung negativ beeinflusst. Innerhalb der Philosophie, die mehrheitlich von weißen, heterosexuellen, nicht-behinderten Männern betrieben wird, erscheint es nicht unplausibel, dass Frauen als Minderheitengruppe entsprechender Verunsicherung ausgesetzt sein könnten.
Der Einfluss dieser psychologischen Phänomene könnte auch die Unterrepräsentation von Frauen in Bezug auf Veröffentlichungen in namhaften, philosophischen Journals erklären. Die Philosophin Sally Haslanger ermittelte 2008 den Anteil weiblicher Autoren in Veröffentlichungen der vorangegangenen fünf Jahre für fünf namhafte philosophische Journals. Dabei zeigte sich beispielsweise, dass 95.5 Prozent der in den fünf vorhergehenden Jahren erschienenen Artikeln in der Zeitschrift „Mind“ von Männern geschrieben wurden. Lediglich in einer der fünf betrachteten Zeitschriften wurde ein Anteil weiblicher Autoren erreicht, der dem prozentualen Anteil von Philosophinnen an philosophischen Instituten entspricht. Diese Zahlen können zwei Ursachen haben: entweder reichen Frauen weniger Manuskripte ein – ein solches Verhalten könnte einer low-risk Strategie der Frauen entsprechen, die charakteristisch ist für die Bedrohung durch Stereotype – oder Veröffentlichungen von Frauen werden häufiger abgelehnt. Tatsächlich berichtet Haslanger, dass der Review-Prozess in den untersuchten Journals nicht immer anonym ist. Sofern dies tatsächlich der Fall ist, wären die Referees möglicherweise dem Einfluss unbewusster Vorurteile ausgesetzt.
All diese Überlegungen lassen allerdings weiterhin offen, warum gerade die Philosophie von Vorurteilen und Stereotypen stärker betroffen sein sollte als andere Disziplinen. Vor einer Woche gab es beim jährlichen Treffen der „Society for Philosophy and Psychology“ an der Brown University neue Philosophie-spezifische, empirische Daten. Toni Adleberg und Morgan Thompson, Masterstudenten an der Georgia State University, präsentierten Ergebnisse ihres Professors Eddy Nahmias, wie die Psychologie-Professorin Tania Lombrozo in einem Online-Artikel für NPR berichtet. Anschließend an die Studie von Paxton, Vigdor und Tiberius wurden 700 Studenten und Studentinnen zu ihren Erfahrungen in Philosophie-Einführungsveranstaltungen befragt. Dabei zeigte sich, dass Studentinnen diese Veranstaltungen weniger angenehm fanden, sich weniger mit Philosophen identifizieren konnten und weniger die Teilnahme an einer weiterführenden Veranstaltung in Erwägung zogen als ihre männlichen Kommilitonen. Zudem kam heraus, dass die Wahrnehmung des Geschlechteranteils auf dem Lehrplan einerseits sowie die Wahrnehmung der Nützlichkeit der Philosophie auf dem Arbeitsmarkt andererseits statistisch den Einfluss des Geschlechts auf den weiteren Verbleib in der Philosophie vermitteln. Ansatzpunkte zur Erhöhung des Frauenanteils in der Philosophie könnten demnach also sein, mehr Texte von Autorinnen im Lehrplan zu berücksichtigen und eine bessere Aufklärung in Bezug auf den Nutzen einer philosophischen Ausbildung zu leisten.

Es gibt allerdings noch einen weitere Faktor, der bei der Suche nach Erklärungen der Unterrepräsentation von Frauen in der Philosophie immer wieder, und insbesondere momentan angesichts des Falles McGinns, genannt wird: gemutmaßt wird, dass die Philosophie in ungewöhnlich hohem Maß von sexueller Belästigung betroffen ist. Die Philosophin Jennifer Saul stellte im letzten Jahr in ihrem Blog diese These auf und gründet dies auf Erfahrungen, die sie als Herausgeberin des Blogs „beingawomeninphilosophy.wordpress.com“ gemacht hat. Dieses Blog sammelt Erfahrungsberichte sexueller Belästigung von Philosophinnen und entwirft durch seinen großen Erfolg ein beunruhigendes Bild der Situation von Frauen innerhalb der Philosophie. Die Tatsache, dass es kein entsprechendes Projekt für Frauen in den klassisch männerdominierten Naturwissenschaften gibt, wirft erneut die Frage auf, ob die Philosophie tatsächlich mit charakteristischen Problemen zu kämpfen hat, die es in anderen Disziplinen so nicht gibt. Es stellt sich aber gleichzeitig die Frage, ob die Resonanz des Blogs nicht eher auf ein besonders ausgeprägtes feministisches Bewusstsein der Philosophinnen im Vergleich zu ihren naturwissenschaftlichen Forscher-Kolleginnen zurückgeführt werden kann, als auf eine allgemeine Häufung sexistischer Vorfälle.
Sofern man die Erfahrungsberichte aber ernst nimmt, bietet der Fall McGinn nun erneut Anlass, mögliche generische Ursachen dafür zu diskutieren, warum die Philosophie besonders anfällig für sexuelle Belästigung sein könnte. Ein Grund könnte in der strukturellen Organisation philosophischen Arbeitens liegen. Im Gegensatz zu der in den Naturwissenschaften in Projekt- und Arbeitsgruppen organisierten Forschung arbeiten Philosophen zumeist stark individuell in enger Zweierbeziehung zwischen Student und Professor. Gleichzeitig erscheint in der Philosophie durch das Fehlen eines allgemeingültigen Forschungsparadigmas die Beurteilung philosophischer Arbeiten sehr viel stärker subjektiv als in den Naturwissenschaften, die über objektivere Standards verfügen. Aufgrund der Kombination beider Tatsachen ist eine Selbsteinschätzung der eigenen Leistung in der Philosophie schwieriger und führt in eine starke Abhängigkeit vom guten Willen des zuständigen Professors. Zweifellos wird es notwendig sein, entsprechende Vermutungen in der Zukunft durch gezielte empirische Forschung zu prüfen. In jedem Fall kann man beobachten, dass sich das Thema der Diversität innerhalb der Philosophie als ein ernst zu nehmendes Problem mehr und mehr etabliert. In Deutschland wurde beispielsweise im letzten Jahr der Verein zur Förderung von Frauen in der Philosophie gegründet („SWIP“), der im April dieses Jahres an der HU Berlin seinen ersten Workshop durchführte.

In die allgemeine Aufregung hinein ließ es sich Colin McGinn im Übrigen nicht nehmen, sich in seinem Blog selbst zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu Wort zu melden. Die Argumente, die seine Unschulds-These untermauern sollten, kann man wertneutral wohl mindestens als originell bezeichnen. Dreh- und Angelpunkt ist demnach die Semantik des Ausdrucks „handjob“, der durch seine angebliche Doppeldeutigkeit als Masturbation einerseits und als „Tätigkeit für und mit der Hand“ andererseits Anlass für intelligente Wortspiele liefert. Als ein solches sei daher auch seine Aussage zu verstehen gewesen, er habe an die Studentin während eines „handjobs“ gedacht. Gemäß McGinn können sich Akademiker umso mehr an diesem Wortspiel erfreuen, als die Kulturgeschichte der Hand fast alle Tätigkeiten vom Tischlern über Mauern und Kochen bis hin zur Kalligraphie unter das Label „handjob“ fallen lässt – McGinn betont, dass er diese Allgegenwart der Hand selbst in einem seiner Bücher zelebriert. Kontextuell vergleichbar sei die Situation des Email-Austauschs demnach mit zwei professionellen Glasbläsern, die sich an dem Wortspiel erfreuen sich gegenseitig einen zu blasen, wenn sie sich untereinander ohne jeden sexuellen Bezug bei der Arbeit vertreten. Leider hat McGinn seine tiefsinnig-humoristische Rechnung aber gemacht, ohne den humorlosen Charakter heutiger Studenten zu berücksichtigen. So bleibt ihm nicht viel anderes, als in seinem Blogartikel vom 6. Juni resigniert festzustellen: „graduate students are not what they used to be“. Was im Gegenzug dazu verleiten mag, nach Boethius einen alten lateinischen Spruch anzubringen, der durch sein Zutreffen auf den vorliegenden Fall im doppelten Sinne, konventionell wie buchstäblich, ganz nach McGinns Geschmack sein müsste: Si tacuisses philosophus mansisses – Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben.
...und bitte nächste Woche
dann einen Artikel über die strukturelle Diskriminierung von Männern in Grundschulen, Kindergärten uswusf.
Auch dort sind diese ja erschreckend unterrepräsentiert…..und Unterrepräsentation scheint ja manchen GenderistInnen bereits als Nachweis für Diskriminierung zu reichen.
Warum beschelicht mich so ein seltsames Gefühl dass ein solcher Artikel nie kommen wird?
PS: als Alternative lasse ich auch einen ausführlichen Bericht über die – zweifelsohne auch nur auf Diskriminierung beruhende – Unterrepräsentanz von Frauen auf Baustellen, bei der Müllabfuhr usw. gelten.
Die Philosophie hat ganz andere Probleme
Wenn Frauen darauf keine Lust haben, ist das kein Problem, sondern ihr Glück.
Warum wird aus jedem geringen Frauenanteil immer gleich ein Problem gemacht?
Ich spiele online World of Tanks.
Da fahre ich mit anderen Jungens mit Panzern in der Gegend rum und wir schießen uns gegenseitig ab.
Das sind alles weder Faschos noch Militaristen.
Es macht uns einfach Spaß.
In unserem Clan gibt es keine einzige Frau.
Hätten wir eine, wir würden sie wie eine Prinzessin behandeln.
Es ist albern, hinter jedem geringen Frauenanteil sofort versteckten Sexismus zu vermuten.
Sexismus
Nur so: Gemeinhin wird sexistische Diskriminierung definiert als die Behandlung einer Person aufgrund und nur aufgrund ihres Geschlechts. Die von ihnen als Prinzessin behandeltet Mitspielerin dürfte sich also mit Recht diskriminiert fühlen.
Die Philosophie hat ganz andere Probleme
Nämlich dass sie nicht mehr um das Leben, sondern um sich selbst kreist.
Das nennt man dann Metaphilosophie.
Bodenständige Menschen bezeichnen es auch als geistige Onanie.
Wenn Frauen darauf keine Lust haben, ist das kein Problem, sondern ihr Glück.
Warum wird aus jedem geringen Frauenanteil immer gleich ein Problem gemacht?
Ich spiele online World of Tanks.
Da fahre ich mit anderen Jungens mit Panzern in der Gegend rum und wir schießen uns gegenseitig ab.
Das sind alles weder Faschos noch Militaristen.
Es macht uns einfach Spaß.
In unserem Clan gibt es keine einzige Frau.
Hätten wir eine, wir würden sie wie eine Prinzessin behandeln.
Es ist albern, hinter jedem geringen Frauenanteil sofort versteckten Sexismus zu vermuten.
Einfache Lösung: "Philosophinnenquote" einführen!
“Leider hat McGinn seine tiefsinnig-humoristische Rechnung aber gemacht, ohne den humorlosen Charakter heutiger Studenten zu berücksichtigen.” Traurig aber wohl war! Ich kann sie nicht mehr hören, diese spießigen, anal-retentiven Jammerfeministinnen! Mir fallen in der Tat spontan nur drei Philosphinnen von Rang und Namen ein: Simone de Beauvoir, Hanna Arendt und Iris Murdoch. Erstaunlich für ein Fach in dem man es als Autodidakt und, wie mein Mitforist schreibt: “Eigeninitiative” zu etwas bringen kann.
Natürlich sind Männer und Frauen in allen Belangen völlig gleich.
Hallo,
Abweichungen gibt es nur durch falsche Erziehung, soziale Prägung, Unterdrückung und sexuelle Nötigung. Das Männer keine Kinder kriegen können liegt wirklich nur daran, dass sie verdammt noch mal zu faul dazu sind.
mfg W. Barth
Ziffern
Bald wird auch per Dekret “beschlossen”, dass jede Ziffer denselben Wert zu haben hat.
Siehe Platons Timaios
Bereits Platon erklärt in seinem Dialog “Timaios” in der (wie ich meine) Persiflage auf die Metempsychosis, daß ein Mann, der sich nicht für Philosophie interessiere, im nächsten Leben als Frau wiedergeboren würde…
Aufschrei und Taliban
Auch bei meinem Philosophiestudium in den 90iger Jahren war der weibliche Anteil unter den Studenten nicht höher als 25%. Natürlich wurde auch damals die Frage nach den Gründen gestellt, die geläufigste Antwort (auch unter den Studentinnen) war, daß es sich bei der Philosophie wohl wie beim Maschinenbau oder der Physik verhielte – es fehlte den Frauen einfach an der Motivation oder Lust, dieses Fach zu wählen. In der Tat sind nach dem Grundstudium auch überproportional viele Studentinnen in andere Fächer gewechselt. Schön, daß diese offensichtlichen Sachverhalte nun auch durch qualifizierte Studien verifiziert werden konnten.
Allerdings wäre damals niemand auf die Idee gekommen, daß der geringe Frauenanteil etwas mit struktureller Diskriminierung oder gar Sexismus zu tun haben könnte.
Heute nun ist diese bekannte Situation “alarmierend”, es muß ein “Aufschrei” her und natürlich eine umfassende Debatte. Der Artikel führt dankenswerterweise jede vorstellbare Argumentation beider Seiten auf, so daß es dem Außenstehenden leicht fällt, die weitgehende inhaltliche Leere derselben zu überschauen.
Der geschilderte Fall des McGinn assoziert zumindest bei mir mit dem, was wir aus vergangen geglaubten Zeiten als Inquisition kennen.
Die ihm in Aussicht gestellte “Wahl” war wohl als eine hochnotpeinliche Untersuchung mit begleitender öffentlicher Diffamierungskampagne zu verstehen. Für einen Philosophen, dessen fachliche Reputation eng mit seiner Persönlichkeit verknüpft ist, kann das kein aufrechter Gang sein.
Vom Mittelalter sind derart Verfahren als peinliche Befragung überliefert. Im Kern war es dem Delinquenten wohl möglich, seine Unschuld zu beweisen, aber oft nur um den Preis des eigenen Lebens oder schwerer Verletzungen. Auch wenn die Folterkammern abgeschafft sind, etwas anderes als eine öffentliche, von zermürbenden Shitstürmen und Demütigungen begleitete Demontage seiner Persönlichkeit war für McGinn nicht vorgesehen.
Anscheinend verfügt die heutige Zivilisation über keine kommunikativen Optionen mehr, derart “Verfehlungen” etwa durch eine Abmahnung oder durch eine persönliche Entschuldigung zu bereinigen. So muß ein angesehener Professor sein Amt verlassen und es wird anscheinend auch nicht reflektiert, daß der Abgang dieses Mannes auch einen Verlust an akademischer Leistungsfähigkeit für die Universität mit sich bringt. Das Ende einer akademischen Karriere, nicht etwa wegen sexueller Gewalt oder anderer Verbrechen, sondern aufgrund anzüglicher Mails. Was für eine Werteverschiebung hat hier stattgefunden?
Im Kontext des modernen Medienfeminismus muß alternativlos die Höchststrafe her, und die beteiligten akademischen Kreise sollten sich fragen, worin noch der strukturelle Unterschied dieser exekutorischen Zwanghaftigkeit zur moralischen Rigorosität etwa der Taliban besteht.
DAS wäre mal ein ergiebiges Thema für eine philosophische Gegenwartsdebatte.
Professorenstellen in der Philosophie sind rar, und – wie die Autorin völlig zu recht anmerkt – objektive Maßstäbe kaum vorhanden. Oft entscheidet die persönliche Bekannschaft oder der Einfluß von Fürsprechern. Da kann eine gesellschaftlich aufgeheizte Stimmung, in der die Berufungskomission jederzeit mit einem “Aufschrei” und der Keule des “strukturellen Sexismus” rechnen muß, schon die ein oder andere Entscheidung zugunsten von weiblichen Bewerbern beeinflussen.
Könnte diese ganz und gar unphilosophische Motivation das eigentliche, halbbewußte Agens des Aufschreis der Philosophinnen sein?
Jetzt also auch die Philosophie.
Das Abstrusitätenkabinett des Jammerfeminismus ist um ein Juwel reicher. Bezeichnend ist übrigens, dass auch hier wieder – wie üblich – allgemeine Verdächtigungen („Diskriminierung“, „Sexismus“) gegen die Männer in den Raum gestellt werden, aber wenn es darum geht, konkrete Belege vorzuweisen, ist wieder Fehlanzeige. Aber das Aussprechen des Verdachts reicht ja aus, Bevorzugungsmaßnahmen oder Quoten zu fordern, denn das wird zweifellos kommen.
Über die Jahrhunderte bestand überhaupt kein Zweifel, dass die Philosophie ein extrem männliches Geschäft ist, aber solche Betrachtungsweisen werden ja von den Genderwissenschaften mit einem Tabu und dem Verdikt des „Biologismus“ belegt, und die durchschnittliche Journalistin ist erfahrungsgemäß entsprechend vorbelastet.
Es fragt sich immer, was denn bitte eine Statistik zu bedeuten hat, wenn doch jeder das Geschäft freiwillig betreiben kann. Philosophie ist in weit überdurchschnittlichem Maß von geistiger Eigeninitiative abhängig, und jeder, der sich von ein paar Äußerlichkeiten von der Sache abbringen lässt, ist kein Philosoph, ob männlich oder weiblich.
Es geht nicht um irgendeine Quote
Ich glaube nicht, dass die Autorin mit ihrem Artikel auf eine Quote hinaus wollte (ich selber wäre auch dagegen).
Und es gibt sicher die konstruierten Fälle. Die Frage ist doch aber: Was, wenn der Fall ernst zu nehmen ist. An wen kann sich eine junge Studentin wenden und was wird dann aus dem Fall? Die Meisten verlaufen im Sande, so viel ist klar. Vielleicht wird die Studentin nicht mehr von ihrem aufdringlichen Professor geprüft. Aber eine Dauerpräsenz kann so natürlich nicht vermieden werden.
Der Autorin ist sicher herrlich egal, ob sie mit zwei oder 20 anderen Studentinnen im Raum sitzt. Das ist nicht der Punkt. Die Frage ist: warum? Und ich finde es ist ihr Recht und ihre Pflich auf Misszustände aufmerksam zu machen.
Der Mensch und seine Extreme
Nach 10 süßen Mahlzeiten hat man einen unbändigen Drang nach Salz.
An eiskalten stürmischen Wintertagen zählt man sehnsüchtig die Tage bis zum Sommer.
Der Philosoph nun bewegt sich den ganzen lieben langen Tag in den höheren Sphären der Weisheit. Und damit gänzlich im Abstrakten, nicht Körperlichen, nicht Dinglichen.
Wundert es da jemanden, dass die männlichen, körperlichen, animalischen, wilden, hirnlosen, meinetwegen auch niedrigen Seiten sich lautstark- auch unschön- zurückmelden?
Ein Bauarbeiter, der es den ganzen Tag mit stinkenden lärmenden Maschinen, kaltem Stahl und kantigen Betonklötzen zu tun hat, reagiert ja auch stärker auf die weichen Rundungen einer vorbeischlendernden Frau in einem flatternden Blumenröckchen als andere Männer.
Ich mache das den Männern nicht mal zum Vorwurf (wobei ein vor Geilheit sabbernder Philosophieprof. auch mich ekeln würde, dann ja lieber noch der Bauarbeiter…).
Man(n) ist doch spätetens seit der Industrialisierung dazu gezwungen, sich auf eine berufliche Tätigkeit festzulegen und einzugrenzen, und das womöglich lebenslang, obwohl das der universalen Natur des Menschen vollkommen zuwiderläuft.
Wie sagte Mevlana Rumi (so schön):
„Du bist nicht nur ein Tropfen im Ozean. Du bist der ganze Ozean in einem Tropfen.“
Diese widernatürliche Beschränkung provoziert anscheinend geradezu extreme Gegenreaktionen.
Die größten Massenmörder in der Geschichte waren oft ausgerechnet Ärzte. Die schlimmsten Exzesse spielen sich genau im heiligen Vatikan ab. Und Menschen, die ihren materiellen Überfluss schon bald herauskotzen, vermeditieren ihren Jahresurlaub in steinigen leeren Klöstern. Oder schleppen sich in Nomadenkarawanen durch die staubige Wüste.
So ist das mit dem Menschen.
Jedoch, ich kann die heutige Welt nicht ändern. Zur vorübergehenden Abhilfe mein Rat:
Regelmäßige Philosphiestunden auf der Baustelle.
Und drei Stunden täglich Holz hacken und Steine klopfen als Pflichtfach der Philosophie, Profs inklusive!!!
…
Gesellschaft im performativen Widerspruch:
Die Gesellschaft, als die kommunikative Einheit, der man als stellverretendes Gesamtbewusstsein alles als gewollte Handlung zurechnen kann, was in der Gesellschaft durch die Gesellschaft für die gesellschaft geschieht, diese Gesellschaft hat sich selber die größte denkbare performative Falle gebaut, die im sozialen Kontingenzraum überhaupt vorstellbar ist:
1) Vom Kopf bis zu den Füßen gibt es keine sexfreie Zone mehr. Mit einem einzigen gezielten Klick im Netz kannst du dir beweisen: es gibt auf dem Gebiet der Sexualität nichts, was es nicht nur nicht gibt, sondern was verboten wäre, (Ausnahme: nicht einvernehmliche Gewalt, besonders gegen Minderjährige). Darüber hinaus: freie Fahrt in jeder Richtung und ohne die geringste Geschwindigkeitsbeschränkung.
2) Wehe du entgleist gestisch, verbal oder performativ: Ein falscher Blick, ein falsches Wort, ein falscher Touch, wenn keine rechtlich abgesicherte Zustimmung des Adressaten oder der Adressatin vorliegt, heisst das präfabrizierte Urteil der political Correctness: sexuell harrassment, also: Kopf ab, Hand ab, Mund zu, Ende der freien Rede und wenn möglich: Schwanz ab in Form des sozialen Totschlags.
Nicht einmal Jean Clam ist es gelungen, den Widerspruch aufzulösen, der sich allein beim Lesen einschlägiger literarischer Zentralwerke ergibt: a) Houellebecq lässt seine Helden in Welten leben, die vollkommen frei sind von Sexualität, von allem Begehren, und lässt sie dennoch träumen von uneingeschränkt einlösbarem Begehren von allem, was überhaupt sexuell begehrbar sein könnte. Wird dem Helden das versagt, will er sich lieber umbringen. b) Madam, so sie Kate Millet heisst, träumt aber davon, es solle doch, bitte die soziale Lizenz soweit gelockert oder besser gleich ganz gestrichen sein, dass ein Paar, das einander begehrt, ungetadelt und ungestraft vom geringsten sozialen Wertungsblick in der Empfangshalle des Gare de L’est am hellichten Mittag Sex haben darf.
Solche hochgradigen Literaturerzeugnisse werden dann vom Philosophen als Soziologen und Psychoanalytiker hochgerechnet und damit für alle als angeblich verbindlich angerechnet unter dem Titel einer Postsexualität. Das Ganze wird mit Hilfe der extremen Menschwerdungstheorien französischer Strukturalisten hochgerechnet als die offensichtliche Ausdrucksform eines neuen Anthropos.
Der Normalbürger, durchaus im Bewusstsein des Wahnsinns aller Werbung für Autos, über Zahnpasta, Waschpulver bis hin zur untragbaren Mode, er oder sie, mensch stellt sich vor den Spiegel, belächelt die eigenen körperlichen Unvollkommenheiten und beschliesst ganz erwachsen, fest daran zu glauben, es habe sich doch noch immer für ein jedes Töpchen auch ein passendes Deckelchen gefunden. Im Klartext: Es wird allerseit unbefangen so weiter gevögelt wie bisher, nicht mehr, nicht weniger, nicht lustloser, aber auch nicht lustvoller wie zu Omas Zeiten, nur eben etwas unbefangener mit Hilfe der Pille und weil Beate Use schliesslich nur einen Klick entfernt residiert. Wenn da die medial geschürte Hysterie nicht wäre und die frechen Stellungnahmen der zur Selbstverteidigung angetretenen und entschlossenen schwulen Kleriker und einiger anderer seltsam aktiver Ausnahmeaktivisten.
Resumée: Nicht die Zeit ist aus den Fugen, und das Verhalten der überwiegenden Mehrheit der Menschen auch nicht, nur die Beschreibungen der Gesellschaft sind vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Nur weil Niklas Luhmann gesagt hat, alles Gesagte könne allemal auch vollkommen anders gesagt werden, machen einige Verrückte, (und es sind Edelfedern dabei), von dieser Lizenz der semantischen Kontingenz einen zum Verbieten anregenden exzessiven Gebrauch. Vorschlag zur Güte: Ohne Sexualität ist das Leben zwar öde, allein schon wegen der Gefahr baldigen Aussterbens der Gattung, aber das Sexualität nicht alles alles ist und auch gar nicht alles sein will, das merkt doch ein jeder beim Anblick einer kunstvoll angerichteten Mahlzeit, bei Zuschauen unbefangen spielender Kinder und beim Anhören des – nur ein schönes Beispiel – Zweiten Satzes des Klarinettenkonzerts von Wolfgang Amadeus Mozart. Schon dieser Name, oder der von Johann Sebastion Bach, lässt doch den verstocktesten Trottel zum Menschen werden. Und zwar – frei nach Schiller, der wusste wie eng Kopf und Schoß einander verbunden sind – bei Mozart ganz edel nicht ohne einen freien und klugen Anklang von Sexualität, und bei Bach – mensch fragt sich, wie er das macht, (bei so viel Kindern) – himmlich klar und absolut engelrein. So ist der Mensch eben: ein verrücktes, aber liebenswertes Tier.