Ich habe drei Designer-Kinder, die einmal Babys waren. DesignerBabys. Ganz im Ernst. Ich bekenne hier gerne, dass mir das bis zum heutigen Tag nicht recht bewusst war. Ich dachte immer, das wären Wunschkinder. Aber inzwischen bin ich fast sicher, dass ich sie, wenn auch ziemlich dilettantisch, designt habe. Die Gewissheit hat sich im Laufe der letzten beiden Tage eingestellt, als mir die Lektüre vom „Designer-Baby-Patent“ mit jedem neuen Stück darüber immer mehr unter die Haut ging. Ehrlich, mir war nie in den Sinn gekommen, die Erzeugung von Wunschkindern patentieren zu lassen. Man macht sich ja so seine Gedanken, wie die Kinder werden sollen und sucht sich – das war bei uns Tradition wie bei anderen Familien auch – danach auch seinen Partner aus. Es gibt tausend Parameter für die Auswahl. Patentwürdig ist wohl keiner. Einige sind einem wichtiger als andere, und manch wichtiges Kriterium verliert man fahrlässigerweise schnell aus dem Blick oder denkt einfach nicht genügend darüber nach. Der Rest der Wunschkindplanung ist eine Mischung aus Stochastik, Gottvertrauen und die alte Erfahrung, dass die Natur sowieso eigene Wege geht. Das ist meines Wissens mehrheitlich immer noch so. Wie gesagt, der Begriff Design war mir mit den unplanbaren Umständen der eigenen Reproduktion einfach zu hoch gegriffen, dass er einem eingefallen wäre. Ein kluger Design-Theoretiker mit biologischem Hintergrund hätte vielleicht darauf kommen können. Für mich war nur wichtig: Wunschkinder sind glückliche Kinder, und das selbe hofft man auch für Design-Kinder von heute.

Zu lernen allerdings, dass Designer-Babys patentiert werden sollen, wie es vorgestern in einer dpa-Meldung und in verschiedenen Blogs und Artikeln zu lesen war, hat mich doch überrascht. Noch verblüffender waren allerdings einige Hinweise auf die Gefahren einer aufkeimenden Eugenik-Praxis, die unmittelbar mit dem Patent zu tun haben sollen. Natürlich hatte ich schnell einen Verdacht: Wieder so eine biomedizinische Entwicklung aus der vermeintlich liberalen-Eugeniker-Ecke, die man Innovation nennt, und die dazu missbraucht werden soll, gezielt am Genom herum zu manipulieren. Mit so was kann man heute einen Kulturkrieg entfachen, wie wir seit den Stammzelldebatten wissen. Aber ich kann mir nicht helfen: Design hat für mich, der bei der Kinderplanung eher selektiv als gestaltend vorgegangen war, etwas mit Entwurf und Konstruktion zu tun. Es stimmt allerdings auch: Im biogenetischen Zeitalter (Hans Jonas hat das wie Erwin Chargaff nicht grundlos als die Ära der Biobastelei bezeichnet) ist schon der bloße Blick ins Erbgut für viele der halbe Weg zum Design.
Mir war der Blick ins Genom damals noch versperrt. Ich habe mich mit dem befasst, was man biologisch als „Phänotyp“ – die wahrnehmbare Erscheinung – bezeichnet. Das war die Basis für die Partnerwahl. Darwin hätte das ohne mit der Wimper zu zucken unter dem Begriff natürliche Selektion subsumiert, technisch gesehen ziemlich nah an der – freiwilligen – Zuchtwahl. Mich stört der Begriff Selektion nicht. Aber ich finde in ganzen Ausgabe der „Origin of Species“ von Darwin keinen einzigen Hinweis darauf, der Selektion mit dem Begriff Design in Verbindung bringt. Natürlich könnte man Fitness, den Begriff Darwins, der evolutionär gesehen das Ergebnis von fortgesetzter Selektion ist, als übergeordnetes Designziel bezeichnen. Das wäre dann eine sprachliche Annäherung an die Moderne.
Allerdings bleibe ich dabei: Selektion ist ein Vorgang, der mit dem heutigen, wenn auch zugegebenermaßen unscharfen Begriff des Designens, schwer unter einen Hut zu bringen ist. Der Schritt vom mehr oder weniger hoffnungsvollen Zusammenwürfeln von Erbmerkmalen aus dem Pott, der zur Verfügung steht, bis zu dessen Konstruktion durch gezieltes Umgestalten des genetischen Codes im Individuum ist für mich ein gewaltiger. Deshalb neige ich eher dazu, Design und Selektion säuberlich zu trennen, das eine Auswahl aus dem vorliegenden, das andere gezieltes Umkonstruieren. Betrachtet man allerdings die Praxis der Fortpflanzungsmedizin abseits des biologisch üblichen, das gebe ich gerne zu, muss man genauer hinsehen. Damit wären wir zurück beim Designer-Baby-Patent. Das Patent der kalifornischen Genomfirma „23andme“, das ein ausschließlich amerikanisches ist, weil es das Europäische Patentamt völlig zu Recht als banale Geschäftsidee und nicht als Erfindung eingestuft und verworfen hat, berührt das Gebiet der künstlichen Befruchtung mittels Samenspende: „Keimzellen-Spender-Selektion mit Hilfe genetischer Kalkulation“ heißt es, offiziell trägt es die Nummer US8.543.339.

Die Patentnehmer, allen voran die Mitbegründern von „23andme“ in Palo Alto, die berühmte Gattin eines der Google-Gründers, Anne Wojcizki, haben auf fünfzehn Seiten ein simples algorithmisches Optimierungsverfahren für die Samenauswahl beschrieben. Ein Blick in die Patentschrift lohnt sich, ein paar Brocken Englisch reichen dafür. Die Schemazeichnungen und Smileys sagen eigentlich alles: Da soll den amerikanischen Damen schlicht die eigene Zuchtwahl erleichtert werden.
Bisher haben sie sich je nach Service der Samenbank mit einer begrenzten Auskunft bescheiden müssen , mit Angaben zu Rasse, Gewicht, Blutgruppe, Familiengeschichte, Gesundheitszustand, Augenfarbe, Bildungshintergrund, Nobelpreisträger- und Prominentenstatus und einigen anderen mehr oder weniger aussagekräftigen Merkmalsparametern. Vieles davon hat schon, wenn auch indirekt, erstaunlich viel über genomische „Qualitätsunterschiede“ verraten. Die Wahl jedenfalls dürfte einigen Damen nach der Lektüre der Kandidatenlisten durchaus schwer gefallen sein. So gesehen, war das Wunschkind für sie noch viel mehr als für unsereiner ein langer theoretischer Ritt durch einen Katalog mit den unterschiedlichsten Phänotypen. Darf man ihnen da das Leben nicht etwas einfacher, sagen wir, den Ausgang des im Leben ja eher ausnahmsweise intellektuellen Abenteuers Kindermachen nicht wenigstens etwas berechenbarer machen?

Nur damit nicht der falsche Eindruck entsteht, bei der Samenspendersuche handele sich um ein ausschließlich amerikanisches Phänomen: Jedes Jahr werden schätzungsweise fünftausend Kinder nach Samenspende in Deutschland geboren. Die Qualifizierung des Samenspenders ist auch hierzulande ein durchaus ernstzunehmendes Selektionsverfahren, wie die Zeitschrift „Glamour“ in einem schönen Q&A (hier) aufgeschrieben hat – Zitat: „..Nicht jeder Mann kommt als Samenspender in Frage. Ähnlich wie in einem Bewerbungsverfahren muss sich der Spender erst verschiedenen körperlichen Untersuchungen stellen, bevor er seine Spermien spenden darf. Damit sollen genetische sowie infektiöse Krankheiten wie zum Beispiel HIV, Hepatitis und Syphilis ausgeschlossen werden. Neben den ärztlichen Untersuchungen muss ein Samenspender einen mehrseitigen Fragebogen mit Angaben zu seiner Person, wie etwa der Nationalität und Schulabschluss, ausfüllen. Aber die Mühe scheint sich zu lohnen: Im ‘Nebenjob’ als Samenspender verdient man rund 100 Euro pro Spende – steuerfrei. Wer sich als Spender qualifiziert hat, darf in der Regel alle zwei Wochen spenden. ..“
Zurück aber zur Patentfrage: „23andme“ hat nun also die leidige Wunschkindsuche, die großteils auf Selbstauskünften und gewiss auch allzu menschlichen Fehleinschätzungen beruht, auf ein mathematisches Fundament gestellt. Um es kurz zu machen: Die Genominformation von Samenspender und Empfängerin werden zugrunde gelegt und die daraus in einem Rechner gendiagnostisch ableitbaren Informationen verwertet. Und weil bekanntlich nach Galileo Galilei die Mathematik das Alphabet ist, in dem Gott die Welt geschrieben hat, ist es auch nicht weiter dramatisch, dass die Resultate der Genanalysen zu Wahrscheinlichkeitsaussagen führen, die sich von den früheren Herleitungen nur durch das Auftauchen von statistischen Angaben unterscheiden. Hauptsache Zahlen. Das patentierte Verfahren soll sogar so weit reichen, dass die Wunschkind-Treffergenauigkeit sich aus der Auswahl des Spenders sogar aus folgender Formel ergibt:

Dass das selbstverständlich ein Buch mit sieben Siegeln nicht nur für Samenspender, Empfängerin und Samenzellbankbetreiber ist, sondern auch für die amerikanischen Patentbeamten selbst, versteht sich von allein. Für die Frage der Patentwürdigkeit spielt es auch gar keine Rolle, ob die Mathematik stimmt, ob die Zahlen brauchbar und der Patentanmelder das in wissenschaftlichen Studien geprüft hat. Die Patentämter interessiert auch nicht, ob das Patent wirklich kommerziell genutzt werden darf oder wird (was es nach amerikanischer Gesetzeslage mutmaßlich darf, nach unserer sicher nicht dürfte), sie haben, jedenfalls in Amerika, vor allem den Erfindungs- und Neuigkeitswert zu beurteilen. „U-Boot-Patente“, also solche, die nur angemeldet werden, um zu verhindern, dass die Konkurrenten eine Technologie nutzen, sind jedenfalls im amerikanischen Biopatentgeschäft gängige Praxis.

Bleibt die Frage, wie die – Karl Kraus würde böse fluchen: die Journaille – dazu kommt, die genom-algorithmisch modernisierte (aber praktischerweise nur unwesentlich optimierte) Wunschkind-Selektion in Samenbanken mit dem kulturgeschichtlich hochwertigen Begriff Design in Verbindung zu bringen. Gut möglich dass alles biogenetische Tun heute nicht mehr denkbar ist, ohne Manipulation zu unterstellen – und Manipulation nach eigenen Wünschen ist halt Design. Könnte sein, dass einige so ticken. Moralisch gesehen ist das eine einigermaßen neutrale Haltung, wenn auch begrifflich falsche Verwendung, wenn es um Selektion und nicht um Gestaltung geht. Plausibler ist, dass man den Begriff mehrheitlich einfach abgeschrieben hat: Als bioethischer Kampfbegriff ist das Designer-Baby spätestens seit der Klondebatte und danach der Debatte um die Präimplantationsdiagnostik (PID) wieder in Mode gekommen. Für einige fortschrittskritische Institutionen ist die Verwendung des Begriffs Designer-Baby so etwas wie die Garantie für maximale öffentliche Aufmerksamkeit. Denn Designer-Babys sind des Teufels, sie dürfen nicht einmal heimlich geliebt werden. Wunschkinder haben es da um einiges besser. Sie verursachen selten einen kollektiven Aufschrei und werden demonstrativ verhätschelt. Für ihre Genese nutzt man allerdings auch keine Mathematik oder Patentbeschreibungen. Bisher jedenfalls. Lasst die persönlichen Genomausweise allerdings erst einmal in die privaten Profile und sozialen Netze einfließen. Wer dann alles zum Designer wird.
Unser Angebot
Wir die Vögel GmbH, also ich, wir bieten an:
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– exzellente genetische Anlagen
– Vorfahren männlicherseits alle über 90 Jahre alt
– am ewigen Leben arbeiten wir noch
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– Klugheit, wie man diesem klugen Angebot entnehmen kann
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Vorteile:
– keine Krankenkasse erforderlich
– kein Krankenhausaufenthalt oder Praxis erforderlich
– auf Wunsch Behandlung in häuslicher Atmosphäre
– Chefbehandlung, also durch mich persönlich
– Behandlung in angenehmer Atmosphäre bei Kerzenlicht und Rotwein
– unserer Technik garantiert, keine Mehrfachbefruchtung
– unser Service ist selbstverständlich kostenlos für
– je jünger sie sind, desto weiter rücken sie vor auf der Warteliste
Da fällt einem nur noch der Karlauer mit Bernard Shaw ein
Ein junge Dame die sich für besonders schön hielt, hat dem alternden Bernard Shaw ein eindeutiges Angebot gemacht:
Wie wäre es wenn wir beide ein Kind zusammen zeugten. Das würde dann so schön wie ich und so klug wie sie.
Darauf antwortete Bernard Shaw: Ich mache mir nur sorgen wenn es umgekehrt wird.