Über ein Drittel mehr Studenten in Brasilien lernen heute Deutsch. Nach dem 1:7, dem “dunkelsten Kapitel der Fußballgeschichte”, fühlt man sich plötzlich zum WM-Lehrmeister kulturell hingezogen. Wie kommt es? Fragen wir eine Kronzeugin.
Auch das ist Größe, oder sagen wir besser: seltener intellektueller Sportsgeist. Wenn man eine Tracht Prügel bezieht, anschließend vom „Charisma“ des Gegners schreibt und von dessen „Strukturiertheit“ schwärmt, und hinterher noch dessen Kultur studiert. Ja, dieses vermeintliche „Massaker“ im Mineirao, die „historische Schande“ des 7:1 der deutschen WM-Elf gegen die brasilianische Mannschaft im eigenen Land, dieses beispiellose sportliche Debakel hinterlässt beim Verlierer Spuren, die wohl kaum jemand für möglich gehalten hat. Brasilien lernt jetzt Deutsch. Das freut einerseits den deutschen Botschafter, Dirk Brengelmann, der gestern bei der Eröffnung eines Kolloquiums der Alexander von Humboldt-Stiftung in Sao Paulo gastierte und von seiner jüngsten Begegnung mit dem frisch gewählten brasilianischen Bildungsminister berichtete, es ist aber vor allem für die Botschafter an der Basis eine faszinierende, unerwartete Wendung. Kein Groll, keine Ressentiments, vielmehr, nun ja, kulturelles Lustwandeln bei den neuen Fußballgöttern.
Um ganze 36 Prozent ist – verglichen mit der letzten Erhebung vor vier Jahren – an den brasilianischen Hochschulen die Zahl der Studenten gewachsen, die Deutsch als Fremdsprache gewählt haben. Man surft, angetrieben von einer bisher einmaligen Begeisterung für Forschung und Stipendien, auf einer deutschen Welle, sagt Martina Schulze, Leiterin der Außenstelle des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Rio und Sprecherin des Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses in Sao Paulo, „Brasilien nutzt die Gunst der Stunde und baut dann etwas daraus. Typisch brasilianisch.“
Hat also tatsächlich die Lehrstunde auf dem Rasen den Deutsch-Boom ausgelöst?
Die Fußball-WM war auch für Deutschland eine großartige Imagewerbung. Deutsch zieht, obwohl das Land der Dichter und Denker traditionell eher kein Austauschland für Brasilien war. Doch das Blatt scheint sich zu wenden. „Deutschland ohne Grenzen“ ist ein Fremdsprachen-Programm, das die brasilianische Regierung im Zuge ihrer Initiative “Sprachen ohne Grenzen” als nächstes einzuführen versprach.
Welche praktischen Konsequenzen hat die neue germanische Liebe?
So ganz vom Fußballerhimmel gefallen ist die Deutsch-Begeisterung vieler Brasilianer allerdings nicht. Deutschland hat auch schon vor der WM einiges angefangen, um das Interesse an jenem Land zu wecken, dessen Sprache für die portugiesisch sprechenden Brasilianer eigentlich so fremd ist. “Alemao” lockt, zumindest in der gebildeten Schicht, und zumal in der zentralen Forschungs- und Bildungsregion Sao Paulo. Der DAAD bietet inzwischen verstärkt Online-Kurse an und hat Tausende Sprach-Zertifikate angeboten, will deren Zahl aber noch einmal verdoppeln. Brasilien stellt auch mehr Lehrer ein. Der Schwerpunkt freilich lag und liegt bisher auf den Hochschulen. Mit dem brasilianischen Studienförderprogramm „Capes“ etwa gibt es eine Vereinbarung, junge Lehramtsassistenten an die Hochschulen zu holen, die Deutsch unterrichten sollen, wo es das bisher nicht gab.
Gibt es denn genug Lehrer, um die Nachfrage zu decken?
Deutsche Schulen hatten schon immer ein hohes Ansehen in Brasilien, sagt Schulze, aber Deutsch zu lernen war immer schon extrem teuer. Die fehlenden Mittel, sie sind das Kernproblem der brasilianischen Gesellschaft und Politik. Das staatliche Schulsystem ist – komplett anders als die privaten Eliteschulen – eine ewige Baustelle, eine Ruine mithin. Neben den Skandalen und Koruptionsaffären der letzten Jahre ist es einer der Gründe für die sozialen Unruhen, die das 200-Millionen-Volk in den letzten Jahren immer wieder erfasst hat. 15-jährige Brasilianer landen bei OECD-Bildungsvergleichstests stets ganz hinten: 55. von 65 Ländern im Leseverständnis, 58. in der Mathematik, 59. in den Naturwissenschaften. Hauptursache: Schlecht bezahlte und wenig angesehene Lehrer.
Sollte Deutschland also die brasilianischen Bemühungen noch mehr unterstützen?
Seit 6 Jahren lehre ich Deutsch
in Patos de Minas, eine Stadt mit ca. 150.000 EW im inneren von Minas. Und ich kann aus eigener Erfahrung ihren Bericht bestaetigen. Allerdings setzte der Boom schon vor der WM im letzten Jahr ein und nach der WM im Fruehjahr 2014 gabs dann nochmals einen Schub. Ich unterrichte heute 400% mehr Studenten als noch vor 2 Jahren, Tendenz steigend. Mehrheitlich kommen meine Studenten aus den privaten Eliteschulen und den Universitaeten. Und die Gruende sind Schueleraustausch, oder Studium von Jura, Philosophie, Natur- und Ingenieurwissenschaften oder Medizin.
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Es gab auch wichtigere Gründe für diese Interesse, wirtschaftswachstum, enge historische Beziehungen mit grosse deutsche Einwanderungswelle nach Brasilien usw.
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Die deutschbrasilianische Beziehungen geht weit über den Fussball hinaus, es gibt eine grosse deutschstämmige Minderheit in Brasilien und die deutsche Sprache wurde bei vielen dieser Einwanderer weitgehend bis WKII benutzt. Man muss nur an dieser gemeinsamen Geschichte anknüpfen, Brasilien wäre nicht Brasilien ohne Deutschland, und Deutschland hat den Brasilienern viel zu bieten
So sind sie nun Mal
Lieber JOM,
so sind sie nun Mal die Brasilianer – und sie unterschätzen, wie schwierig die deutsche Sprache ist. Ich habe damals als Brasilianer diese Erfahrung mit 15 machen dürfen – und das zu einem Zeitpunkt, als die Seleção gerade zum zweiten Mal hintereinander Weltmeister geworden ist.
Aber bei allem Verständnis für Deutschland werden sie hoffentlich nicht ihre brasilianische Art ablegen, Auto zu fahren und Samba zu tanzen. Übrigens mpfehlenwert: João Ubaldo Ribeiro “Ein Brasilianer in Berlin”!
Gruß J.K.