Der Platz für Tiere

Der Platz für Tiere

Denn wir haben sie zum Fressen gern. Henrike Schirmacher schreibt über possierliche Tierchen und die Welt ringsherum.

Warum wir Stadttauben nicht lieben können

| 16 Lesermeinungen

Ein zartes Gurren ertönt von draußen. Ekel und Wut kochen in meiner Freundin hoch. Auf dem Sims vor dem kleinen Hinterhof-Fenster im vierten Stock ruckelt eine Stadttaube ihr Hinterteil auf einem frisch gelegten Ei zurecht. Meine Freundin verliert die Nerven.

Das noch unfertige Täubchen wird leider nie das Licht der Welt erblicken. Nächtliches Gurren plagt meine Freundin seit Kurzem bis zur Schlaflosigkeit. Die Gewissheit, dass sich vor der dünnen Glasscheibe eine kleine Taube im Ei entwickelt, treibt ihr kalten Schweiß auf die Haut. Sie schreitet zur Tat. Mit „spitzen Fingern“ greift sie sich einen Besenstiel. Energisch dreht sie den Fenstergriff nach links und öffnet behutsam das Tor zur Taubenhöhle. Geschickt bahnt sie sich mit dem Stiel den Weg in Richtung Taubenei und stupst es aus dem Nest. Mutter Taube bekommt davon nichts mit, sie verdingt sich kurzweilig andernorts. Ihr Vogelgeschrei wird später groß sein. Meine Freundin hingegen hat ihr Ziel erreicht. Das rohe Spiegelei glänzt glitschig auf dem Asphalt.

Die gemeine Stadttaube hat es richtig schwer, von uns Menschen geliebt zu werden. Während ich das Netz durchschweife, finde ich allerhand Gehässigkeiten:

„So’n Leben als Stadttaube vermittelt einem irgendwie den falschen Eindruck, dass man ohne Job und Geld immer etwas zu essen finden könnte.“

„Eine einsame Stadttaube hat versehentlich einen Schwarm eiliger Brieftauben gekreuzt. Nun fühlt sie sich nutzlos und unorganisiert.“

„Wenn man die jetzt füttert, nerven sie nicht, weil sie dann nicht zwischen den Menschen rumrennen müssen.“

Nicht einmal das Füttern scheint ein Akt der Nächstenliebe zu sein. Sonderlich aufregend ist es sicherlich nicht. Als ausgewildertes Haustier sind  Tauben, ohne dass wir einen Finger krumm machen müssten, sogleich zur Stelle. Gierig und bedürftig lassen sie, anders als im Tierpark oder gar in der freien Wildbahn, keinen Spannungsbogen zu. Dass wir unsere Essensreste loswerden würden, war absehbar. Füttern macht also keinen Spaß.

© H. SchirmacherÄtzend läuft der Kot nach unten. Hoch oben thronen die Täter.

Erst recht nicht, wenn wir die Folgen sehen. Kürzlich ist ein Review Artikel australischer Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „European Journal of Ecology“ erschienen, der jegliche Forschung zu Taubenkot zusammenfasst. Dies ist tatsächlich nicht nebensächlich, schließlich schädigt der Taubenkot Fassaden und Denkmäler. Außerdem tummeln sich in der feuchten Masse haufenweise Bakterien und Pilze. Es lauern verschiedene Erreger wie Chlamydien, darunter Chlamydia psittaci, auch Ornithose genannt. Sie verursacht eine grippeartige Erkrankung bei Menschen. Außerdem das Bakterium Chlamydia abortus. Es löst einen Abort des Fötus bei Säugetieren, inklusive des Menschen, aus. Auch der Fungus Cryptococcus neoformans, der die Lungen von Menschen befällt und bei immunschwachen Patienten sogar eine Meningitis oder Encephalitis auslösen kann, steckt im Kot. Und obendrein gibt es natürlich noch Salmonellen.

Die Zusammenfassung der Wissenschaftler zeigt folgendes: Es verhält sich leider so, dass die Größe der Vogelscheiße und deren chemische Zusammensetzung stark von der Vogeldiät abhängt. Ernährt sich die Taube schlecht, ist ihr Kot besonders ätzend. Je saurer der Kot, sprich je niedriger der pH-Wert, desto stärker der Schaden. Der pH-Wert kann um zwei Einheiten fallen, wenn die Stadttaube nur noch Brot und Kuchen futtert. Hinzu kommt, dass sich Cryptococcus neoformans, der leidliche Lungenpilz, im sauren Milieu wohler fühlt.

Während die wilde Felsentaube ein reiner Samenfresser ist, ist die domestizierte und anschließend ausgewilderte Stadttaube ein Allesfresser. Im Klartext heißt das: Je mehr labbriges Burgerbrot der Mensch konsumiert, desto miserabler ernährt sich die Taube. Somit sind wir Menschen mit unserer allzu bequemen Sorglosigkeit selbst daran schuld, dass der Kot immer saurer und damit schädigender wird.

© H. SchirmacherRiskanter Aufenthaltsort: Irgendwann trifft es jeden.
© H. SchirmacherFrisch geklekst: Der nächste feuchte Haufen lässt sicherlich nicht lange auf sich warten.

Laut dem Schweizer Biologen Daniel Haag-Wackernagel, der an der Universität Basel lehrt, geben Tauben alle halbe Stunde einen Kothaufen ab, unabhängig davon, wo sie sind. Wie wunderlich, dass es mich noch nie getroffen hat. Trotz der bisherigen Glückssträhne halte ich die Luft an, wenn die Ampel unter der Bahnbrücke der S-Bahnstation Galluswarte in Frankfurt rot aufleuchtet. Ein paar Meter über meinem Kopf hocken Tauben.

© H. SchirmacherAugen zu und durch!

Der Asphalt unter meinen Schuhen ist deswegen der verschissenste Untergrund, den ich je gesehen hab. Erst auf der anderen Straßenseite angekommen, fühle ich mich sicher.

Obwohl der Vogel mittlerweile derartig selbstsicher im Umgang mit Menschen, Autos und Fahrrädern ist – den meisten Exemplaren ist die Furcht komplett abhanden gekommen -, passt die Taube nicht ins Stadtbild. Liegt es daran, dass ihr Dasein für die Stadt nicht ästhetisch genug ist? Der New Yorker Forscher Colin Jerolmack beschreibt im Artikel „How pigeons became rats: The cultural-spatial logic of problem animals “, wie der Mensch Räume und deren Lebewesen wahrnimmt. Losgelöst von seiner Umgebung, ist der Vogel mit blaugrauem Federkleid und grünlich-lilafarben schimmerndem grazilem Hals nämlich ein hübsches Tier. Die rötlichen Augen blicken exotisch drein.

Tiere nimmt der Mensch solange als etwas Wunderbares wahr, wenn diese harmonisch im Einklang mit der Natur leben. Sobald das Tier allerdings Räume erobert, die für den Menschen gebaut wurden, erscheint das Tier „out of place“. Jerolmack geht gar so weit zu sagen, dass die Taube die Antithese zur idealen Metropole verkörpert. Das eigentliche Vergehen des Vogels sei nicht die Gesundheitsproblematik, die es auslöst, sondern dass er die Umgebung verschmutzt, die für den Menschen vorgesehen ist.

Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wenn wir die Taube wieder lieben wollen, müssen wir ihr einen eigenen Raum schenken. Wie könnte dieser aussehen? Ich habe mich in die tropische Gartenstadt „Gardens by the Bay“ in Singapur verliebt. Landschaftsarchitekten haben an den Ufern einer künstlichen Bucht, mitten im Zentrum der Stadt, unter Bankentürmen und Hotels, eine Parklandschaft geschaffen, die wie die Welt der Avatar anmutet. Leuchtende Supertrees erinnern an die biolumineszierende Weide im bildgewaltigen Kinofilm von James Cameron. Warum gönnen wir der Stadttaube nicht einige künstliche Felsformationen an stadtnahen Baggerseen mit Johannisbeerbüschen? Im Baggersee könnte auch ein neuer Fressfeind der Taube lauern. In der BBC-Dokumentation „Planet Earth II“ zeigt David Attenborough nämlich, wie Welse in der südfranzösischen Stadt Albi badende Stadttauben verschlingen. Hoffentlich brauchen die Tiere sehr lange, bis sie gelernt haben, den Fisch auszutricksen.


16 Lesermeinungen

  1. Syntaxa sagt:

    Kein Spiegel-eye...die Freundin...Sie...der Mensch?
    Hat die Taube sich selbst (free)dom-e(i)st-i(nfi)ziert?
    Desiderata: Strebe behutsam danach, glücklich zu sein.
    Zitat-Unbekannt(für mich): Bevor du etwas tust bedenke die Folgen.

    Der Mensch entscheidet: vorgesehene Plätze?

    Die Geschichte erinnert mich an die der Indianer….nachdem sie um ihren Lebensraum gebracht worden sind, weil der für andere vorgesehen war?…wurden sehr viele zu
    Alkoholikern (gemacht…Seelennot?)…dann Resevate…ein gnädiger
    Platz vom Vorgesehenen?
    Vorgesehen…Folgen gesehen?…und jetzt „scheißen“ sie den Menschen dicht…die Gleichgewichtwesenheit der Energien…kennen kein Pardon…
    das Argument „Antithese“ trifft ganz gut …je größer die Stadt desto Magnetwirkung…nicht nur die Tauben „verwahrlosen“ diese Orte.
    Der Mensch sorry…“scheißt“ die Erde dicht…mit genau der
    „Vernunft-Gleichgewichtbrille“ gesehen…und bei wesentlich mehr Geistkapazität?
    Zum Schluß ein Zitat:
    „Die EIGENE Unreife zu erkennen mag schmerzlich sein,
    k

    • Syntaxa sagt:

      ...k einesfalls jedoch unreif. Und "Warum wir Tauben...
      …nicht lieben können“.
      „L“eben
      „I“n
      „E“iner
      „B“esonderen
      „E“rdenergie…

      Der Mensch als letzte Schöpfung, Spitze und damit Qintessenz der Liebe…LOVE=EVOLution.
      Quintessenz bedeutet, das alles, was vor dem Mensch da war…
      notwendig war, um als Spitze die Quintessenz zu schöpfen.
      Ohne vorgesehene Vorschöpfung …kein Mensch.
      Alle Liebe also im spiegelfähigen Mensch.
      Liebe ist…emotionale Gravitation UND emotionale GEGEN-RÜCK-Gravitation…GEGENLIEBE…weil alles Blut und Schöpfungsleid „vorher
      gesehen“ und für die Existenz einer bewußten Gegenliebe geopfert wurde. Ich bin mir nicht sicher ob das jedem tief, tief, tief bewußt ist.
      Und wir finden Gründe um nicht zurück zu lieben…Kot.
      Eine Mutter/Quintessenz setzt ihr Baby/Vorgeschöpfe aus.
      Und mit welcher Arroganz wir somit die Erde im wahrsten Sinne des Wortes „ZERSTÖRUNGSWÜTIG-UNTERTAN“ machen…schreit zum Himmel…und die Vorschöpfung wartet immer noch…aber das Erwachen der Gleichgewichtenergie

  2. MrFunghi sagt:

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    Am Anfang des Artikels war ich tatsächlich noch der Meinung, etwas wie Verständnis für die Tauben und deren Situation herauslesen zu können. Doch die teils derben Ausdrücke („Es verhält sich leider so, dass die Größe der Vogelscheiße und deren chemische Zusammensetzung stark von der Vogeldiät abhängt“ ; „Der Asphalt unter meinen Schuhen ist deswegen der verschissenste Untergrund, den ich je gesehen hab.“) haben mich schnell eines Besseren belehrt; oder: „Obwohl der Vogel mittlerweile derartig selbstsicher im Umgang mit Menschen, Autos und Fahrrädern ist – den meisten Exemplaren ist die Furcht komplett abhanden gekommen – […]“ (Es bleibt ihnen ja wohl auch nichts anderes übrig, selbst als Mensch darf man heutzutage nicht sehr furchtsam sein, wenn man sich in Großstädten wie Frankfurt bewegt…)

    Um diesen Artikel aufs Wesentlichste herunterzubrechen, kann man zusammenfassend sagen, dass dieser wohl weniger Ausdruck fachlicher Kompetenz ist als vielmehr

  3. MrFunghi sagt:

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    angestauten Frust loszuwerden („Wie wunderlich, dass es mich noch nie getroffen hat. Trotz der bisherigen Glückssträhne halte ich die Luft an, wenn die Ampel unter der Bahnbrücke der S-Bahnstation Galluswarte in Frankfurt rot aufleuchtet“).
    Außerdem ist das eine ziemliche Respektlosigkeit einerseits gegenüber einer völlig zu Unrecht verhassten Tierart (der Mensch hat sie einst gezüchtet, als sie ihm noch von Nutzen war und nun ist sie ihm zur Plage geworden, weil sie ihm in seinem Lebensraum ständig begegnet. Ja, stellt euch vor, die Erde gehört nicht allein uns vermessenen Kreaturen) und auch den Tierfreunden gegenüber, die sich jeden Tag darum bemühen, verletzte und kranke Tiere aufzulesen, sowie den Tierärzten gegenüber, die diese Tiere anschließend umsonst behandeln.

    Wer Tauben nicht lieben kann, hatte noch nie näher mit einer zu tun.

  4. MrFunghi sagt:

    Titel eingeben
    In diesem Sinne, werte Frau Schirmacher, möchte ich Sie bitten, mal über Folgendes nachzudenken: Würde man die Erde fragen, ob sie lieber die Tauben oder den Mensch loswerden will …bin ich doch stark davon überzeugt, dass es sich nicht um Ersteres handeln würde.

    „Hoffentlich brauchen die Tiere sehr lange, bis sie gelernt haben, den Fisch auszutricksen.“ Hoffentlich dauert es nicht so lange, bis Hirn vorm Himmel regnet. Einige haben davon zu wenig abbekommen. Schade!

    • hschirmacher sagt:

      Ganz im Gegenteil, werter Leser! Tauben sind liebenswerte Wesen, die wir nicht vergessen dürfen. Außerdem lautet die Kernbotschaft zu Taubenkot:
      „Somit sind wir Menschen mit unserer allzu bequemen Sorglosigkeit selbst daran schuld, dass der Kot immer saurer und damit schädigender wird.“

  5. HRothe sagt:

    La Paloma, die ewig Anmutig-Sanftmütige,
    die uns selbst in unseren bizarren Städten gelegentlich auf dem Balkon besucht – sie hat gut gurren und herumtrippeln, weiss sie doch genau dass ihr Tauber notfalls 300km im non-stop Flug zu ihr zurückfindet, er kann gar nichts Heruntergekommenes an ihr entdecken trotz ihrer Stadtexistenz. War es Neid, der die „Freundin“ zum Besen greifen ließ?

  6. bonus_bonus sagt:


    Ich mag Tauben.

  7. RDMAEHLER1 sagt:

    Warum nennt man sie auch "Ratten mit Flügeln" Ihre Vielzahl lässt sie zur Plage werden
    Mit Emotionen wird man kaum zu einer Akzeptanz der durch Tauben verursachten Verschmutzungen kommen. Tierschützer haben auch in diesem Fall jedes vernünftige Maß verloren. In Wald und Feld wird die richtige Anzahl von Tieren je Art durch Forstwirtschaft und Jagd kontrolliert. Aber Tieren, die sich in der Stadt ausbreiten wird ein derartiges Regulativ abgelehnt – aber nicht von allen!

  8. freitase sagt:

    Ventil:
    Netzfalle, „Smacks“ als Köder, umgedrehte Hälse, nicht erwischen lassen. Hilft zwar nicht viel, lindert aber die Wut des hilflosen Mieters in der Stadt.

  9. joerg51 sagt:

    Tauben lieben ist ganz leicht.
    Es ist leicht, wie bei allen Tieren auch, diese Geschöpfe zu lieben. Der Betrachter muss sich nur einen Moment Zeit nehmen die Schönheit und Eleganz sowie die bemerkenswerten Flugfähigkeiten zu erkennen.
    Wir Menschen zwingen die Tauben in all dem Dreck zu leben, den wir Tag für Tag produzieren. Und dann beschweren wir uns über das Ergebnis? Ein erneuter Beweis der Realitätsverdrängung und des methodisch verdammenden Menschen, der vor allem Angst hat und den vermeintlichen Angstobjekten nur schlechtes nachredet.

    Wie beschrieben, Taubenkot hat die PH Werte und Eigenschaften, die die von uns verdorbene Umwelt impliziert.

    Ein wirklicher Homo Sapiens würde das erkennen und reflektieren.

    Ich übrigens habe in Sachen einer verletzten Taube Hilfe gesucht und in Frankfurt gefunden. Mich hat das ermutigt und veranlasst gleich mit einer Spende zu unterstützen. Ich kann das nur weiterempfehlen.

    Die freundlichen Menschen stecken hinter folgender Adresse:

    https://www.st

  10. Ka1980 sagt:

    Wir?
    Welch ein sinnfreier und komplett überflüssiger Artikel gegen eine Tierart, die unter Menschen wie der oben genannten Freundin schon genug zu leiden hat. Schade, dass sich dieser Beitrag in die sonst so seriöse FAZ verirrt hat. „Wir“ können Tauben also nicht lieben? Ich verbitte mir, in dieses „Wir“ miteinbezogen zu werden.

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