Der Platz für Tiere

Vom „bösen“ Wolf und treuherzigen Hündchen

© DPADie Freundschaft zu einem Wolf, wie im Film „Wild“ von Nicolette Krebitz, ist einzigartig.

Ich stehe vor der schweren Holztür eines Einfamilienhauses und drücke auf den Klingelknopf, um der Freundin meiner Mutter ein geliehenes Buch zurückzugeben. Sobald die Klingel ertönt, höre ich, wie im Haus ein Hund anfängt zu bellen. Als die Freundin die Tür öffnet, schwingt sich schwanzwedelnd ein vor Freude sabbernder Berner Sennenhund auf mich zu. Anders als es bei einer ersten Begegnung etwa mit Pferden üblich ist, haben wir uns gar nicht bekannt gemacht. Im nächsten Moment hängt jedoch schon sein Speichel an meiner nun frisch duftenden schwarzen Jeans. Berührungsängste hat das Tier keine.

© DPANichts für jedermann: Verschmust, verspielt und anhänglich.

Ob unsereins diese überschwängliche Begrüßung nun befremdlich oder liebenswert findet, wird wohl kaum etwas an dieser aufdringlichen Umgangsform des Hundes ändern. Die zuweilen „hypersoziale“ Art der  meisten Rassen ist genetisch festgelegt. Amerikanische Wissenschaftler haben ihre Forschungsergebnisse kürzlich im Fachmagazin „Science Advances“ veröffentlicht. Natürlicher Drang zur Nähe unterscheidet den domestizierten Hund von seiner Wildform, dem „bösen“ Wolf. Selbst wenn ein Mensch dem Hund mit größtem Desinteresse gegenübertritt, erzwingt dieser zumindest ein Tätscheln, weil er einem nicht von der Seite weicht oder ständig mit seiner feuchten Schnauze stupst. Irgendwie ist das natürlich herzallerliebst. Schließlich sind offene Umgangsformen etwas Schönes.

In ihrer Arbeit verglichen die Forscher das Erbgut von Hund und Wolf. Im Erbgut der untersuchten Hunde ist eine Genregion verändert, die offenbar eine entscheidende Rolle für das Sozialverhalten spielt: Die gleiche Genregion löst beim Menschen eines durch übertriebene Anhänglichkeit und kindliches Verhalten gekennzeichnetes Verhalten aus. Die Störung  ist bekannt als Williams-Beuren-Syndrom (WBS).

Die Hypothese der Wissenschaftler lautet: Unsere Vorfahren suchten gezielt Hunde, die dem Menschen gegenüber besonders hörig und freundlich waren. Das Verhalten von vorpubertären Kindern stand für Hundehalter also hoch im Kurs. Bis ins Erwachsenenalter steckt demnach das kleine Kind im Hund. Für den Prozess der Domestizierung vom wilden Wolf zum zahmen Hündchen war der Grundstein gelegt. Mit der Geburt des Schoßhündchens hat diese Entwicklung wohl ihren Zenit erreicht. Möpse  passen auch ganz gut ins Raster. Unglaublich anhänglich, entfernen sie sich nie weit von ihrem Herrchen oder Frauchen. Sogar im Antlitz mit verkürzter Schnauze und großen treuherzigen Augen blitzt das Kindchenschema eines pausbäckigen Menschenbabys durch.

© PrivatMopsgesichter: Niedlich, knautschig und teigig wie Babyspeck.

Schon frühere Studien zeigen, dass die soziale Ader der Hunde sich in einer Art Abhängigkeit gegenüber ihren Herrchen und Frauchen manifestiert. Verglichen Wissenschaftler das Verhalten von Haushunden und an den Menschen gewöhnter Wölfe, offenbarte sich folgendes: Wölfe sind ausdauernde und gute Problemlöser, während Hunde schon nach kurzer Zeit die Lust verlieren und sich hilfesuchend an den Menschen wenden. Sie suchen gezielt den Blick und die Gesellschaft  von Menschen, sogar von fremden Menschen.

© dpaBloß nicht zu weit von Frauchen entfernen: Der Mops wird niemals „flügge“.

Als Gelegenheitsjoggerin kann ich ein Lied davon singen. Gedankenversunken trabe ich durch den Wald, schon kommt ein leinenloser Hund mit wehendem Fell auf mich zugerannt und hängt mir an den Fersen. „Der will nur spielen“, ertönt es mir  beschwichtigend entgegen. Mir fehlen die Worte. Eine gewisse Portion Argwohn gegenüber Hunden wie auch  Menschen darf man sich ruhig bewahren, wie ich finde. Und sei es nur, um das Tier oder den Menschen, der einem unsympathisch ist, auf Abstand zu halten.

Menschen, die mit Williams-Beuren-Syndrom auf die Welt kommen, behandeln Fremde häufig wie Freunde. Der Grund dafür ist offenbar eine Entwicklungsverzögerung, die kindliches Verhalten bis ins Erwachsenenalter aufrecht hält. Die Entwicklung von Hunden ist  verglichen mit Wölfen ebenso verzögert.

Die Dinge, die das Leben eines Erwachsenen mit WBS in unserer Gesellschaft vermutlich erschweren, scheinen Hunde im Umgang mit uns Menschen erst so erfolgreich zu machen. Hunde werden selbst im Erwachsenenalter nicht „flügge“, oftmals wird die Bindung zu ihren Herrchen sogar intensiver. Für einen Wolf gilt dieser Trend jedenfalls nicht. Unvorstellbar, dass ein Wolf einen Frisbee fängt oder gar ein Stöckchen holt.

© PrivatVon Angesicht zu Angesicht: Ein „Fabelwesen“ taucht in deutschen Wäldern auf.

Wölfe sind mystische Wesen. Niemand weiß, wo sie sich gerade aufhalten. Lediglich Pfoten im Schnee oder ein gerissenes Weidetier zeigen die Wolfsfährte. Märchen wie „Rotkäppchen und der Wolf“ oder „Der Wolf und die sieben Geißlein“ haben unser Bild vom „bösen“ Wolf geprägt. Mein Opa hat es verstanden, diesen sich um den „bösen“ Wolf rankenden Mythos während endloser Spaziergänge um einen Moorsee in der niedersächsischen Heide geschickt einzusetzen, um uns Kinder bei Laune zu halten: „Schaut, dort im dichten Gehölz verstecken sich die Wölfe.“ Fortan war uns Kleinen immer ein wenig unheimlich, wenn wir an dichtem Nadelwald vorbei spazieren gingen. Ich glaube zwar, wir wussten, dass es dort gar keine Wölfe gab. Dennoch, die Phantasie war geweckt und machte Spaziergänge mit den Großeltern unvergesslich aufregend.

Ob mein Opa damals wohl ahnte, dass heutzutage im dichten Gehölz tatsächlich wieder ein Wolf umherstreifen könnte? Ich denke, er würde sich freuen, weil es zeigt, die Wildnis lässt sich nicht besiegen. Tatsächlich ist der Streit über die Wiederansiedlung von Wölfen in Mitteleuropa aber bereits voll entbrannt.

Noch breitet sich der Wolf überwiegend dort aus, wo der Mensch das Feld geräumt hat. Ich denke aber an australische Dingos, die in Rudeln kaum Scheu gegenüber Menschen haben. Sie plündern Zeltlager, greifen einzelne Personen an und töten sogar Kleinkinder. Würde der Wolf in unseren Wäldern in wenigen Jahren eine solche Rolle einnehmen, wäre es um sein geheimnisvolles Charisma geschehen. Er würde nur noch verfolgt, seine zurzeit noch gewünschte Ausbreitung gestoppt. In Niedersachsen ist es schon so weit, dass der Landwirt und Präsident der Landesjägerschaft, Helmut Dammann-Tamke, seine Stimme gegen den Wolf erhebt. Dammann-Tamke will die tierischen Einwanderer, der Tageszeitung „Osterholzer Kreisblatt“ zufolge, konditionieren. Gegen Rudel, die sich erwiesenermaßen verstärkt Siedlungen nähern oder durch wiederholte Nutztierrisse auffallen, will er äußerst streng vorgehen: Ein Jungtier soll aus dem Rudel entfernt und getötet werden. Wölfe sollen merken, dass Menschen nichts Gutes bedeuten. Dammann-Tamke schildert den ihm vorschwebenden Idealfall: „Wenn ein Wolf auf einen Menschen trifft, muss er die Rute einklemmen und Reißaus nehmen.“

Um die Wiederansiedlung von Wölfen zu einem Erfolg werden zu lassen, ist also „Wildtiermanagment“ gefragt. Die veränderten Verhältnisse in unseren Wäldern könnten also durchaus Arbeit und neue Stellen schaffen. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da bekamen Forststudenten schon in den ersten Vorlesungen, die sie besuchten, von ihren Professoren gesagt, sie fänden später wohl keinen Job. Forstämter könnten heutzutage sogar aufrüsten mit Anstellungen für Wildtiermanager. Warum soll es den in unsere Wälder zurückkehrenden Wölfen schlechter gehen als unseren Hunden, für die uns nichts zu teuer ist.

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