Der Platz für Tiere

Tierkämpfe: Von primitiver Schaulust bis hin zum kultivierten Sadismus

Der sensationsgeile Safari-Tourist giert nach einem spektakulären Aufeinandertreffen in freier Wildbahn. Wer dies selbst in Form von Hundekämpfen initiiert, kommt üblicherweise hinter Gitter. Wer hingegen ungeniert genießt, wie Stiere in der Kampfarena, vom Torero über lange Minuten traktiert, qualvoll verenden, darf dies sogar als „Kulturerbe“ rechtfertigen.

© AFPBlutrünstig lechzt der Zuschauer nach dem Showdown.

Über den Messenger-Dienst Whatsapp ist der Draht nach Tansania zu meinem lieben Safari-Guide Chap ein Leichtes. Noch Wochen nach meiner Abreise aus der Serengeti hält er mich auf dem Laufenden. Kürzlich schickte  mir Chap ein Video, in dem ein Gnu von einer Hyäne gerissen wird. Das Video macht erfahrbar und bringt auf den Punkt, was einem Tierfreund an solch einer abenteuerlichen Reise auf den Spuren des berühmten Zoodirektors und Tierfilmers Bernhard Grzimek sauer aufstößt: Sensationsgeilheit. Sicherlich gibt es dutzende Safari-Reisende, die stundenlang mit dem Fernglas ausharren, um bloß Löwen beim Schlafen zuzuschauen. Doch innerhalb dieser Gemeinschaft in geschützten Nationalparks offenbart sich hin und wieder abstoßendes menschliches Gebaren.

Im Video liegt ein Gnu mit erhobenem Haupt auf allen Vieren in der Savanne, während sich eine gierige Hyäne an dem Fleisch des noch lebenden Tieres labt. Der gehörnte Kopf des Gnus ist wachsam nach oben gereckt, als ob es die Hyäne beim Fleischverzehr am eigenen Körper duldet; ähnlich wie der Wal einen Putzerfisch gewähren lässt. Doch als die Hyäne ihre blutverschmierte Schnauze im aufgerissenen Bauchraum des Gnus versenkt, schwenkt das Gnu seinen Kopf ruckartig zur Seite, um den Fleischfresser zu verjagen. Vergeblich. Die Hyäne reißt am herausquellenden Magen vorbei den Darm heraus. Die Lebenszeit des Gnus zerrinnt vor den Augen des Betrachters. Und dieser kreischt vor Vergnügen. Im Video sind die englischen Stimmen einer  Frau und eines Mannes zu hören, zwischendurch klickt die Handykamera.

„What a painful death!” (klick) „I mean, he is all up in him.“ (klick) Die Hyäne bringt den Darm zum Vorschein: „Ohhh, Jesus! This is so nasty.“ (klick) “Oooohhh, God!”  “Ohhhhh”, kreischt Frau hysterisch. „He pulled out the intestine”, ruft der Mann “Oh lord! This is nasty!“  Mann und Frau lachen kehlig.

„Huhhh, I wanne not enjoy this as much as I am”, sagt die Frau, die mittlerweile die vokale Hochform freudiger Erregung erreicht hat. (klick) Ein letzter Schnappschuss zur Erinnerung. Das Video bricht ab.

© PrivatGefundenes Fressen. Nicht nur für die Hyäne.

Einen mitleidigen Ton sucht man in diesem Stimmengewirr aus „Ohhh’s“ und „Uhhh’s“ vergeblich. Liegt das daran, dass der Mensch in einem safarikonformen, abgebrühten Tierbeobachtungs-Modus ist oder am mitleidlosen Charakter des Menschen selbst? Vermutlich kommt beides zum Tragen. Zum einen ist das Gaffen auf der Rücksitzbank hübsch bequem und sicher, so  lässt sich das Geschehen beinahe wie vor einer Kinoleinwand genießen. Zum anderen gibt es von Natur aus sensationslüsterne Beobachter. Schließlich trifft man diese auch andernorts: als vorbeifahrende Schaulustige an Unfallstellen auf der Autobahn beispielsweise. Wer sich sehr ungeschickt bei der Schaulust anstellt und vor lauter Erregung gar Rettungsdienste behindert, wird in diesem Fall neuerdings sogar mit einem erhöhten Bußgeld bestraft. In der Serengeti hingegen wird niemand zur Rechenschaft für mangelndes Tiermitleid gezogen. Die Fesseln der Selbstbeherrschung hat das Pärchen vermutlich gerade deshalb gesprengt oder gar nicht erst angelegt.

Somit ist die Safari ein bisschen wie die Unterhaltungskultur im Römischen Reich. Weil das blutrünstige gefährliche Tier einem selbst nichts anhaben kann, fokussiert der Mensch intuitiv  auf den eigenen schaurig schönen Kick. Normalerweise müsste er um sein eigenes Leben fürchten, nun kann er sich gehen lassen. Er verliert an Haltung. Es wäre fast nötig, am Parkeingang zur Serengeti Benimmregeln aufzuhängen. Nächsten- wie Tierliebe, zumindest Achtung vor Lebewesen, ist augenscheinlich nicht jedem in die Wiege gelegt und sie scheint auch nicht zur Grundausstattung der menschlichen Natur zu gehören. Sonst dürften weder Stier-, Hahnen- noch Hundekämpfe in unserer Zeit als Geschäftsmodell funktionieren. Verglichen mit dem „unzivilisierten“ Ehepaar, das ungezügelt gafft, hörbar überwältigt ist, bei einem Naturspektakel dabei zu sein, ist die maßlose Brutalität in Form von Tierkämpfen die kultivierte Form von Tierquälerei. Im Fachjargon fällt solche Tradition bei Gegnern unter den Begriff „Green Criminology“. Das sind jegliche Vergehen an Umwelt und Tier, die häufig nicht einmal geahndet werden.

Bei einem solchen Spektakel bin ich als kleines Kind selbst „live“ dabei gewesen. Der Stierkampf fand mitten in den engen Gassen eines Dorfs in der französischen Camargue statt. Ich hatte panische Angst vor den Stieren. Als ich mit der Familie meines Kindergartenfreundes das halbwegs sichere Terrain hinter einer spärlichen Umzäunung verließ, um auf einen freien Platz zu treten, auf dem alsbald Matador und Stier toben würden, rettete ich mich notgedrungen mit meiner Schwester auf eine große Mülltonne. Alles andere war mir nicht geheuer. Im Jeep auf Safari ist das etwas ganz anderes. Aus dem Schutzraum der eigenen Sicherheit ist das Spektakel dort nicht nur entspannt zu verfolgen, für einige geradezu genießbar.

Ähnlich erlebbar scheinen „Boar Wars“, die auf der indonesischen Insel Java stattfinden. Wie „The Sun“ kürzlich bildreich (extra zugeschnitten auf sensationslüsterne Leser) berichtet hat, werden Wildschweine in eine von Bambus umzäunte Kampfarena geschickt. Vor den Augen der wettenden Zuschauer reißen sich Schwein und trainierter Kampfhund  gegenseitig in Stücke. Gewinnen Hund und Trainer, gibt’s eine saftige Belohnung, außerdem steigt der züchterische Wert des Hundes. Das Schicksal des Wildschweins endet in jedem Fall entsetzlich: Entweder es hält wacker stand, dann wird es wiederholt in die Manege gezwungen oder der Schlachter kommt vorbei. Obwohl in diesen Ländern so manch einer keine andere Wahl hat, ausgerechnet so sein Auskommen zu verdienen, ist es in diesem Kosmos kultiviert, vom Leid der Tiere zu profitieren.

© AFP„Autsch“, denkt der Stier. Der Mensch kreischt „Olé“.

Gleiches gilt für die westliche Zivilisation: Zwar sind Hundekämpfe illegal, doch der spanische Stierkampf gehört längst nicht der Vergangenheit an. Die sich am Leid des Tieres ergötzende Menge quittiert jeden einzelnen schmerzhaften Stoß mit der Lanze, die sich mit Widerhaken ins Fleisch bohrt, mit Olé-Rufen. Jahrhundertealtes Kulturerbe hin oder her, wer solch initiierte Brutalität genießt, kann doch außerhalb Spaniens nur als Sadist bezeichnet werden. Oder? Wissenschaftlich erforscht, gelten Hunde-, Hahnen- und Stierkämpfe als ein Ritual, um vor versammelter Mannschaft die eigene Männlichkeit unter Beweis zu stellen. Während der bewaffnete Matador im Stierkampf die körperliche Arbeit noch selbst auf sich nimmt, werden im Hunde- und Hahnenkampf stellvertretend männliche Tiere eingesetzt. Für die Mannwerdung kämpften auch die Massai aus Ostafrika ehemals mit einem Tier, allerdings ohne Publikum. Bevor ein Junge von seinem Stamm als Mann anerkannt wurde, zog er los, um einen Löwen zu töten. Als Beweis seiner Manneskraft trennte der Krieger das buschige Schwanzende vom toten Löwen. Mittlerweile sollte das Ritual vor allem wegen des Artenschutzes allerdings der Vergangenheit angehören, erklärte mir Safari-Guide Chap.

Eigentlich ist es ungerecht, dass Besucher der Stierkampfarenen noch frei herumlaufen dürfen. Immerhin wurde der US-amerikanische Football-Spieler Michael Vick im Jahr 2007 zu einer Freiheitstrafe verurteilt, weil er mehr als 50 Hunde hielt, die offenbar für Kämpfe abgerichtet worden waren. Bei solch illegal stattfindenden Auseinandersetzungen wird auf einen möglichen Gewinner viel Geld gesetzt. Hunde, die verlieren, werden erhängt, ertränkt, erschossen oder mit Elektroschocks getötet. Whoopi Goldberg nahm Michael Vick damals sogar in Schutz. Seine Verstrickung in Hundekämpfe sei die Folge seines kulturellen Umfelds im Süden des Landes, wo Hundekämpfe „Sport“ sind. Auch der Stier stirbt am Ende des Kampfes mit dem Dolch durch menschliche Hand. Und auch Spanien rechtfertigt den Stierkampf und sein meist für das Tier bittere Ende mit dem Begriff Kulturerbe.

Sogar der Safaritouristin im Video war bewusst, dass sie etwas genoss, das sie im gleichen Maße bekümmern könnte. Befremdet von den Stierqualen reagierten auch die Bewohner Kataloniens bereits vor Jahren. Schon 2010 verbot das Parlament der spanischen Autonomen Gemeinschaft Katalonien den Stierkampf. Es mangelte an Identifikation mit dem spanischen „Kulturerbe“.  Später erklärte das spanische Verfassungsgericht dieses Verbot allerdings für rechtswidrig. Dabei schlossen sich die Richter in ihrer Auslegung der Zentralregierung in Madrid an, für die der Stierkampf untrennbar ist vom nationalen Kulturerbe.

Nachdem ich das Video gesehen habe, antworte ich Chap über Whatsapp: „Armes Gnu.“ Chap sagt: „Ja, Gnus sind leichte Beute für Hyänen, Löwen und Leoparden. So brutal ist die Wildnis eben.“

 

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