Pop-Anthologie

Frau Subjektin singt sich auseinander

Das Liebeslied auf die eigene Person „Yellow Flicker Beat“ von Lorde ist ein zerbrochener Spiegel von schwindelerregender Tiefenperspektive. Entscheidend ist dabei der Rhythmus.

***

05-01© Screenshot vevoLorde

Yellow Flicker Beat

I’m a princess cut from marble, smoother than a storm
And the scars that mark my body, they’re silver and gold
My blood is a flood of rubies, precious stones
It keeps my veins hot, the fires find a home in me
I move through town, I’m quiet like a fight
And my necklace is of rope, I tie it and untie it
People talk to me, but nothing ever hits home
People talk to me, and all the voices just burn holes
I’m done with it
Ooh.

This is the start of how it all ever ends
They used to shout my name, now they whisper it
I’m speeding up and this is the
Red, orange, yellow flicker beat sparking up my heart
We’re at the start, the colors disappear
I never watch the stars, there’s so much down here
So I just try to keep up with them
Red, orange, yellow flicker beat sparking up my heart

I dream all year, but they’re not the sweet kinds
and the shivers move down my shoulder blades in double time

And now people talk to me I’m slipping out of reach now
People talk to me, and all their faces blur
But I got my fingers laced together and I made a little prison
And I’m locking up everyone who ever laid a finger on me
I’m done with it
Ooh.

This is the start of how it all ever ends
They used to shout my name, now they whisper it
I’m speeding up and this is the
Red, orange, yellow flicker beat sparking up my heart
We’re at the start, the colors disappear
I never watch the stars, there’s so much down here
So I just try to keep up with them
Red, orange, yellow flicker beat sparking up my heart

And this is the red, orange, yellow flicker beat
Sparking up my heart
And this is the red, orange, yellow flicker beat-beat-beat-beat

***

Das sogenannte „Subjekt“, in der akademischen Poetik auch als „episches oder lyrisches Ich“ geläufig, ist in unserer Grammatik ein Neutrum, im Genre der literarischen Selbstdarstellung aber quer durch die Jahrhunderte abendländischer Textüberlieferung meistens ein Kerl, ein Bub, ein Greis. Die aus dieser Erbfolge herausgefallenen Stimmen, die direkt oder indirekt aus unserer Tiefenzeit auf uns gekommen sind, etwa die Seufzer der Hildegard von Bingen oder der Vibia Perpetua, sprechen dagegen nicht von subjektiver Selbstbehauptung, sondern von deren transpersonalem Gegenteil, der Preisgabe ans Nichtidentische, vom Opfer der Kohärenz des Empfindens und Denkens im Außersichsein, von der Hingabe.

Mit dieser historisch sehr oft (und aus komplizierten, nicht immer nur „patriarchalischen“ Gründen) weiblich codierten Selbstentgrenzungsschriftspur hat die Sängerin und Dichterin, die ihren schon fast übertriebenen lyrischen bürgerlichen Namen Ella Marija Lani Yelich-O’Connor gegen das Pop-Siegel „Lorde“ eingetauscht hat, nicht viel gelernt; verwandt ist sie, wo sie von sich selbst singt, eher Leuten wie David Bowie oder Jochen Distelmeyer, die sich im Sprech- und Gesangsakt der Selbstbespiegelung nicht nur ausstellen, sondern sich dabei zugleich gern in möglichst viele Facetten zerbrechen – „ich“ ist das, was nicht lange mit sich zusammenpasst, es lässt sich nicht in Ruhe. Die kluge Regel von Karl Kraus, Selbstbespiegelung sei erlaubt, wo das Selbst schön sei, werde aber zur Pflicht, wo der Spiegel gut sei, gilt bei Bowie, Distelmeyer und eben Lorde gerade auch für Spiegel (= Songs) mit Sprüngen drin. „Yellow Flicker Beat“ von Lorde, ihr wohl bekanntestes Stück, das berühmt geworden ist als Abspannmusik zu einem Fantasyfilm aus der „Hunger Games“-Reihe, riskiert diese Spiegelsprünge vor allem als Sichhinwegsetzen über Zäsuren, Luftholpausen, Kommas eines Textes, der erst im Gesang zum Gedicht wird, weil sein Schriftbild nicht verrät, wo die gefährlichsten jener Risse und Unterbrechungen sitzen.

Der Spiegel zeigt seine Sprachbilder her – eine Prinzessin aus Marmor, glatter als ein Sturm, mit silbernen und goldenen Adern, einem Strick als Halsband, zugleich Krawatte und Geduldsspiel, das man knöpft und löst, dann wieder knöpft und löst, das Gefängnis aus ineinandergeflochtenen Fingern und schließlich die Farben der Elektrizität, die das Herz zünden, damit es sich selber lieben kann. Die Pointe dieser Bilder aber ist, dass man sie sich nicht bildlich vorstellen sollte, sondern als Atemrhythmen und Reim-Echos der Sängerin hören muss, wenn man verstehen will, wie sie gemeint sind.

Wo es heißt „My blood is a flood of rubies, precious stones“, dann setzt die Lektüre des Verses als Satz die Pause zwischen „rubies“ und die Erläuterung „precious stones“, aber im Gesang sind diese drei Wörter ein einziges Ausatmen, während das Einatmen nach „flood“ passiert, so dass der Reim „my blood / is a flood“ kompakt zusammensteht – fast überhört man ihn deshalb, denn Lorde gleitet unter ihm durch, taucht ab, „I move through town“, Beschleunigen und Abbremsen sind ihre Waffen : „But I got my fingers laced together and I made a little prison“ ist wie das Fingerspiel, das diese Zeile beschreibt, völlig dicht, ohne Lücke oder Fuge, aber schon die nächste Zeile hat wieder zwei Sprünge: „And I‘m locking up“ – winzige Pause – „everyone“ – noch winzigere Pause – „that ever laid a finger on me.“

Aus der Geschichte der gebundenen Rede, der lyrischen wie der dramatischen, weiß man, dass Bedeutung in diesem Idiom vor allem da entsteht, wo der Rhythmus eines Verses gegen die vom Metrum gesetzte Erwartung arbeitet.

Bei Lordes „Yellow Flicker Beat“ arbeitet der mündliche Text an den interessantesten Stellen, von denen hier nur ein paar gestreift werden konnten, die aber repräsentativ fürs graziöse Ganze sind, gegen den schriftlichen insgesamt, also sowohl gegen dessen metrisches Gesetz wie seine rhythmischen, etwa als Interpunktion realisierbaren Satzverständnisangebote. Der Widerspruch, der sich so im stroboskopartig blitzenden Selbstvollzug des Stückes immer wieder zwischen den beiden, zwischen Gesang und Schrift auftut und wieder schließt, ist zuletzt die mitgeteilte, gelebte, gefeierte, hyperagile, wortwache und feuertänzerische Subjektivität der Dichterin als Vier-Minuten-Kunstflackern ihres unwiderstehlich eitlen Herzens.