Sein und Zeit: Fiona Apple hat mit ihrem Song viel mehr als die Vorspann-Musik zu einer Fernsehserie geschaffen. Über ein Popkunstwerk von eineinhalb Minuten.
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„Container“
I was screaming into the canyon
At the moment of my death.
The echo I created
Outlasted my last breath.
My voice it made an avalanche
And buried a man I never knew.
And when he died his widowed bride
Met your daddy and they made you.
I’ve only one thing to do and that’s
Be the wave that I am and then
Sink back into the ocean.
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Nicht einmal 80 Sekunden benötigt dieser nur spärlich instrumentierte Song, um jedes künftige Bad im Meer zu einer Erfahrung von Sein und Zeit werden zu lassen. Dabei ist die Welle als Allegorie für das Leben nicht einmal besonders innovativ (die Bandbreite ihrer Variationen reicht vom Schlussmonolog in Goethes „Tasso“ bis zu den Kalendersprüchen unserer Tage). So eindringlich wie in diesem rhythmisch vertrackten, fast gerappt anmutenden Refrain, der allein Fiona Apples Ausnahmetalent als Songwriterin und Sängerin unter Beweis zu stellen vermag, wurde sie bislang aber nicht inszeniert:
I’ve only one thing to do and that’s
Be the wave that I am and then
Sink back into the ocean.
Man versteht die Suggestivkraft dieser Verse und ihrer gesanglichen Performance nur, wenn man sich den inneren Zusammenhang von Inhalt und Form vor Augen führt. Zunächst wird der Refrain dreimal mit nur wenigen Veränderungen wiederholt. Begleitet wird er durch eine vornehmlich perkussive Klangkulisse. Dann reduziert sich der Text auf den letzten Refrain-Vers: „Sink back into the ocean“. Dabei überlagern sich die Worte, sie gehen ineinander über, bleiben unvollständig, während die einsetzenden Streicher den klanglichen Hintergrund in die Breite ziehen:
Sink back into the o –
Sink back into the ocean
Sink back into the o –
Sink back into the ocean
Im gleitenden Wechsel von Wiederholung und Abbruch, Regelmäßigkeit und Auflösung setzt der Refrain auf formale Weise um, wovon in ihm selbst die Rede ist: das Leben im Bild einer scheinbar ewig dahingehenden Welle, die irgendwann bricht und daraufhin wieder einläuft in eine diffuse Materie. Der von Blake Mills mit Anklängen an die Neue Musik produzierte Song erweist sich damit als ein kleines Gesamtkunstwerk, in dem Gesang und Text, Stimme und Musik ein unzertrennliches Gefüge bilden – mit äußerst intensivem Wirkungspotenzial.
„Wirkung“ meint dabei nicht nur die Wahrnehmung durch einen vorgestellten Zuhörer. Vielmehr geht es hier auch um die kreative Aneignung durch andere Künstler, in diesem Fall durch die Macher der amerikanischen Serie „The Affair“ (2014–), die in dem Song ihren intellektuellen Maßstab gefunden haben: „If our show can approach one-tenth of the depth and complexity of her song, I’ll be very happy“, bekannte die verantwortliche Produzentin der Serie, Sarah Treem. Umgekehrt wird von Fiona Apple berichtet, sie habe ihren Song eigens für die Serie umgearbeitet, worin sich bereits zeigt, dass es hier um viel mehr als nur um die musikalische Begleitung der obligatorischen Vorspann-Informationen geht: Apples Song-Gedicht dient als Motto für die Serie im Ganzen.
„The Affair“ erzählt von der verwickelten Beziehung eines Familienvaters und Schriftstellers mit einer ebenso anziehenden wie tief verletzen jungen Frau, deren kleiner Sohn wenige Jahre zuvor infolge eines Badeunfalls umgekommen ist. Ausgehend von dieser persönlichen Konstellation, die beständig auf das Leitmotiv des Meeres bezogen wird, weitet sich das Panorama allerdings schon bald: Worum es in dieser multiperspektivisch erzählten Serie geht, ist die schwierige Affäre mit dem Leben an sich, dem Leben in seiner Unprognostizierbarkeit, Flüchtigkeit und Finalität – „be the wave“, „sink back“.
Eine Welt ohne jede Obhut
Im allegorischen Bildfeld von Welle und Leben geht „Container“ aber nicht vollends auf, im Gegenteil, nimmt man die Verse der Strophe hinzu, wird die Sache eher schwieriger. Das Ich, das in diesem Lied spricht, ist nämlich bereits verstorben und blickt nun zurück auf das eigene Sterben; es erinnert sich an seinen in die Berge hineingerufenen Todesschrei, dessen Echo seinen letzten Atemzug überdauert habe. Die Sängerin trägt diese Verse ohne musikalische Begleitung vor, nur ein gezielt eingesetzter Halleffekt unterstützt ihren Gesang:
I was screaming into the canyon
At the moment of my death.
The echo I created
Outlasted my last breath.
Von dieser mythisch anmutenden Szene geht es dann, zurückhaltend untermalt durch atmosphärische Flächenlaute, im Erzählmodus weiter. Berichtet wird von den weitreichenden Folgen jenes allerletzten Schreis und seines gewaltigen Widerhalls:
My voice it made an avalanche
And buried a man I never knew
And when he died his widowed bride
Met your daddy and they made you.
Die Ereignisse überschlagen sich, und zwar buchstäblich: Die Schallwellen lösen eine Lawine aus, unter ihr wird ein Unbekannter begraben; seine Witwe trifft einen Mann, mit dem sie ein Kind zeugt, an das sich das Ich nun mit seiner Rede wendet: „Met your daddy and they made you“ – der Song gibt sich hier textlich und gesanglich als ein Kinderlied aus, das mit gespielter Unschuld die Frage stellt, wie Leben und Tod, Werden und Vergehen eigentlich zusammenhängen. Die Antwort fällt mehr als ernüchternd aus: durch nichts als das schlichte Prinzip Zufall.
Die Gattung Kinderlied, auf die der Song anspielt, wird damit konterkariert. Keine verlässliche Ordnung der Dinge wird in „Container“ beschrieben, sondern die völlige Kontingenz des menschlichen Daseins. Damit erinnert der Song entfernt an das nihilistische Anti-Märchen in Büchners „Woyzeck“, das durch Tom Waits’ Adaption („Children’s Story“) auch in die amerikanische Popkultur eingespeist worden ist. In ihr kontrastiert die beängstigende Vision einer Welt ohne jede Obhut („the moon was a piece of rotten wood“) mit einem zynischen Gutenacht-Wunsch, den Märchenonkel Waits seiner Geschichte maliziös hinterherschickt: „Okay, there’s your story. Night, night“.
Derart pessimistisch-verdüstert ist die in „Container“ entfaltete Weltsicht nicht. Fiona Apple, deren Schaffen immer wieder gewisse Affinitäten für das Maritime aufweist (bereits ihr Debüt-Album von 1996 trägt den Titel „Tidal“), plädiert eher für eine Einwilligung ins schlechthin Gegebene: „Be the wave that I am“ – das bedeutet, den falschen Glauben an die autonome Gestaltbarkeit des eigenen Daseins endlich aufzugeben und sich in das wellenförmige, das unveränderliche und unabwendbare Auf und Nieder der Dinge zu fügen. „Container“ ist also nicht zuletzt dies, und zwar in hochverdichteter Form: die sirenenhafte Verführung zu einer befreienden Selbsthingabe.