Ganz schön rätselhaft, was Cat Power in diesem Song über die Sehnsucht nach einem Dasein als Champion singt. Ist Muhammad Ali für sie, wie für viele andere Musiker, eine Art Messias? Über Größe in der Popmusik.
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Sich selbst für den Größten zu halten, zumindest für einen Momentlang, fällt je nach Charakter nicht sehr schwer. Es öffentlich zu verkünden, mündet meist in Peinlichkeit. Diese zu vermeiden, ist mit einer Mischung aus Wortwitz, Ironie, aber wohl auch echter Überzeugung („Es ist schwer, bescheiden zu sein, wenn man so großartig ist wie ich“) in den letzten Jahrzehnten vielleicht nur dem Boxer Cassius Clay gelungen, der sich von 1964 an Muhammad Ali nannte. Wobei Alis Karriere mit ihren extremen Höhen und Tiefen aus der Distanz betrachtet vor allem eines zeigt: wie anstrengend es bei aller dargebotenen spielerischen Leichtigkeit gewesen sein muss, die Behauptung, der Größte zu sein, über ein Boxerleben hinweg aufrecht zu erhalten und in den Nachruhm zu retten.
Die Pop-Musik auf der anderen Seite hatte trotz der Bewunderung so herausragender Vertreter wie den Beatles und Bob Dylan für Muhammad Ali – Dylan schrieb zu Alis Tod im Jahr 2016 fast schon pathetisch: „If the measure of greatness is to gladden the heart of every human being on the face of the earth, then he truly was the greatest“ -, von Beginn an Berührungsängste mit der Größe. Obwohl Bezeichnungen wie King of Rock’n’Roll und King of Pop seit jeher leicht über die Lippen gingen, fallen einem nicht viele Songs ein, die sich mit „Größe“ auseinandersetzen. Wenn sie aber trotzdem einmal in Songtexte Eingang fand, wie vor allem im Rap oder Hip Hop, in denen die hemmungslose Selbststilisierung zum Repertoire gehört, war oft Muhammad Ali die Bezugsgröße. Mit seiner rhythmischen Sprachmelodie, seinen gereimten Freestyle-Performances und mit seiner Betonung schwarzer Identität kann man Ali als einen ihrer Vorläufer bezeichnen.
Alis immenser Einfluss auf Rap und Hip Hop war zuletzt etwa in Kendrick Lamars viel gelobtem Album „To Pimp a Butterfly“ (2015) spürbar, das schon im Titel auf Alis bekanntes Motto „Float like a butterfly, sting like a bee“ anspielt. Und vor allem der Song „I“, in dem das Titel-„Ich“ in einem Intro als „number one rapper in the world“ (hier schwingt auch der inszenierte Größenwahnsinn James Browns mit) bezeichnet wird, steht ebenso in Alis Geist wie das trotzig im Song wiederholte „I love myself“, das sämtlichen Widrigkeiten der Welt entgegengehalten wird.
Auch im R&B hat die Ali-Rezeption tiefe Spuren hinterlassen, am deutlichsten vielleicht in R. Kellys Song „The World’s Greatest“ (2001), gleichzeitig Soundtrack zu der verfilmten Biographie mit Will Smith. Das Video mit R. Kelly im roten Boxermantel stellt zwar eine Peinlichkeit sondergleichen dar, doch ist die erste Strophe ungemein poetisch – und eine Reihe weiterer Verse unbestreitbar klug.
Mit Bildern einfachster Natur-Gegenständlichkeit wird zunächst eine erhabene afrikanische Ebene geöffnet:
I am a mountain
I am a tall tree, oh
I am a swift wind
Sweepin‘ the country
I am a river
Down in the valley, oh
I am a vision
And I can see clearly
Die Vision, die aus dieser Erhabenheit entspringt, wird anschließend als einer Art Lebenshilfe für den Hörer aus der Hand des Boxers formuliert:
If anybody asks u who I am
Just stand up tall
Look em in the face and say
I’m that star up in the sky
I’m that mountain peak up high
Hey I made it
Mmm.
I’m the world’s greatest
And I’m that little bit of hope
When my backs against the ropes
I can feel it
Mmm.
I’m the world’s greatest
Fast im Stil von Goethes Genie-Hymnen kommt in dem Song ein umfassendes pantheistisches Lebensgefühl zum Ausdruck, das mit messianistischen Vorstellungen verwoben wird. Diese münden schließlich in die entscheidenden Verse:
When there is darkness I’ll shine a light
And you’ll use the success you’ll find in me
Über Muhammad Ali singen heißt offenbar, eine bestimmte Dramaturgie aufzurufen. Sie entspricht der Erfolgsgeschichte des sensiblen Siegers auf der Grundlage eines übermenschlichen, von Ali verkörperten Selbstbewusstseins. Bemerkenswert dabei, dass R. Kelly in „The World’s Greatest“ letztlich in Alis Rolle schlüpft, sich selbst klein macht und die Größe im Grunde nur als Bewunderer besingt.
R. Kellys „The World’s Greatest“ überzeugt mit Einfachheit und Klarheit in der Aussage. Umso erstaunlicher, dass dieser Songtext ganz offensichtlich einen anderen inspiriert hat, der an Rätselhaftigkeit kaum zu überbieten ist – „The Greatest“ (2006) von Chan Marshall alias Cat Power, der in seiner Bildlichkeit („mountain“, „river“/“waterfall“,„stars“ etc.) zunächst auffällige Parallelen zu dem Vorgänger aufweist:
Once I wanted to be the greatest
No wind or waterfall could stall me
And then came the rush of the flood
Stars at night turned deep to dust
Und während man sich an dieser Stelle noch fragt, ob die letzten beiden Verse etwas Positives oder Negatives ausdrücken sollen, macht der weitere Textverlauf deutlich, dass hier wohl die Schilderung einer Art von Knockout gemeint sein muss, der das naive Streben nach Größe, eigentlich ganz unboxerisch, in den Wunsch nach Rückzug und Erdung verwandelt.
Melt me down
Into big black armour
Soll diese große schwarze Rüstung für Ali stehen?
Leave no trace of grace
Just in your honor
Diese beiden Verse sind schwer zu verstehen. Einerseits darf vor allem der Boxer, um zu siegen, „keine Spur von Gnade“ zeigen, andererseits verwirrt die Aussage „Just in your honor“, „nur zu Deiner Ehre“, die Chan Marshall bei Live-Auftritten gelegentlich mit einem Soldatengruß untermalt. Zum Vietnam-Verweigerer Muhammad Ali will der so gar nicht passen. Und auch die folgenden beiden Verse verwirren.
Lower me down
Culprit south
Wie genau ist der „culprit south“ zu verstehen? Spielt die Formulierung auf die Sklavenvergangenheit der Südstaaten an, aus denen sowohl Muhammad Ali (Louisville, Kentucky) als auch Chan Marshall (Atlanta, Georgia) stammen? Und wenn dies so sein sollte, wie wäre zu verstehen, dass Chan Marshall in einem Video erklärt, sie habe in dem Song „The Greatest“, den sie in Atlanta komponierte, ihre Verbundenheit mit der alten Heimat und ihren Vorfahren, hart arbeitenden Menschen, die ums Überleben kämpften, ausdrücken wollen?
Wenn man das „culprit south“ als als ein „Du“ liest, das sämtliche Verse dieser Strophe beherrscht, kommt man jedenfalls erstaunlich weit. Es wird angesprochen, um dem Song-Ich dabei zu helfen, runter zu kommen. Der „culprit south“ soll unnachgiebig („no trace of grace“) eine zugleich reduzierende („melt me down“, „lower me down“) wie bewahrende („big black armour“, „secure the grounds“) Kraft ausüben.
Doch auch diese Fährte droht im Text verloren zu gehen, wird die Vorstellung einer plan verlaufenden Genesung des Ichs doch in den nächsten Versen schon wieder durch das Bild des bleiernen Betts gestört, das hier, in dieser Stadt im Süden, eine dauerhafte Bleibe finden soll. Wobei das Material „lead“ kaum eine andere Assoziation als den Sarg zulässt:
Make ‚em wash a space in town
For the lead
And the dregs of my bed
I’ve been sleeping
Lower me down
Ist dieser Sarg ein Anker, mit dem das Ich einfach nur seine Verbundenheit zur Heimaterde bekunden will; ist das „I’ve been sleeping“ eine eher freie Assoziation nach dem Motto „Ich habe geschlafen, jetzt bin ich erwacht“? Dazu passte dann wiederum nicht das unmittelbar nachgeschobene „lower me down“, das nach so reduzierten Zuständen wie Sarg und Schlaf doch eher deprimierende Assoziationen hervorruft. Und sie werden noch dadurch genährt, dass Marshall, wie bekannt ist, in der Entstehungszeit des Lieds mit Depressionen und Alkoholsucht zu kämpfen hatte. Sodass sich auch die Frage stellt, ob die „Parade“, die erwähnt wird, zu einer Beerdigung gehört oder zu einem Freudenfest der Rückkehr?
Pin me in
Secure the grounds
For the later parade
Dass Chan Marshall mit der Vieldeutigkeit und der Widersprüchlichkeit ihrer Verse spielt, ist unübersehbar. Im folgenden Songtext wird das Bisherige dann nur noch wiederholt, nur an einer Stelle leicht variiert:
Once I wanted to be the greatest
Two fists of solid rock
With brains that could explain any feeling
Lower me down
Pin me in
Secure the grounds
For the lead
And the dregs of my bed
I’ve been sleeping
For the later parade
Once I wanted to be the greatest
No wind or waterfall could stall me
And then came the rush of the flood
The stars at night turned deep to dust
In diesem Video zu „The Greatest“ wird überzeugend einer eher Mut machenden Interpretation der Vorzug gegeben.
Zugegeben, auch dieses Video, das – typisch für Marshall – mit aufreizender Ereignislosigkeit und Text-Bild-Scheren spielt, ist eher rätselhaft. Entscheidend aber scheint zu sein, dass die Figur des Jungen, bei der es sich offenbar um den frühen Jean-Pierre Léaud handelt, das Video ist möglicherweise insgesamt ein Zusammenschnitt aus Laufszenen in Truffauts „Sie küssten und sie schlugen ihn“, ganz am Schluss, als im Songtext zum zweiten Mal vom „Ansturm der Flut“ die Rede ist, nicht weiter als bis zu den Knöcheln in das Küstenwasser hineintrippelt. Er folgt gerade nicht einem fortgesetzten „Lower me down“, sondern entscheidet sich dafür, umzukehren – und wird dabei von der Kamera mit einem Gesichtsausdruck eingefroren, als wollte diese sagen: „So, und jetzt beginnt Dein eigentliches Leben“.
Wie verhält sich das Ganze nun zu Muhammad Ali und der „Größe“? Auch wenn Ali in „The Greatest“ nicht namentlich genannt wird, gibt es eine Vielzahl von Anspielungen auf ihn: das Albumcover mit den Boxhandschuhen, die im Text erwähnten „Fäuste wie Felsen“, das Sporttrikot mit der Aufschrift „Cassius Clay – The Greatest“, welches Marshall in einem anderen Video zum gleichen Album („Lived in Bars“) wie eine Devotionalie überwirft. Nicht zu vergessen die erhobene Faust und die Tänzelschritte, die sie während Livevorträgen von „The Greatest“ andeutet.
Da Marshall darüber hinaus seit einiger Zeit mit einer Band namens „Cassius“ zusammen arbeitet und im Video zu dem Song „King Rides By“ minutenlang einen Boxer beim Training zeigt, kann man in ihrem Fall schon fast von einer Clay-Besessenheit sprechen.
Bemerkenswert ist aber auch, dass Marshall in jenen Versen von „The Greatest“, in denen vom Boxen am explizitesten die Rede ist („Two fists of solid rock“), die eigentlich box-fremde Wunschvorstellung von einem „Geist, der alle Gefühle erklären könnte“ ins Spiel bringt. Für Marshall scheint weniger die Idee eines rein kämpferischen Siegens erstrebenswert, als vielmehr ein solcher, der die gesamte Bandbreite menschlichen Lebens (von den Sternen bis zum Grab) ausmisst. Unwillkürlich kommt dem Zuhörer dabei das Bild des späten, von der Parkinson-Krankheit gezeichneten Ali in den Sinn, eines Menschen, der selbst in extremer körperlicher Beeinträchtigung groß wirkte.
Am Ende war wohl dies die entscheidende Aussage Muhammad Alis zum Thema „Größe“: „To be a great champion you must believe you are the best. If you’re not, pretend you are.“ Auch Chan Marshall scheint in „The Greatest“ begreiflich machen zu wollen, dass sich in dieser geborgten Größe, in diesem Als-ob-Modus, Kunst und Leben derart verbinden, dass den Sieg nur das Überleben davon tragen kann.
Verblüffend, welch große Wirkung Muhammad Ali noch vierzig Jahre nach seinen letzten großen Kämpfen auf die Popmusik ausübt. Warum eigentlich sehnt sie sich in so vielen unterschiedlichen Ausformungen nach einem großen, starken Bruder?