Pop-Anthologie

Leonard Cohen: „Hallelujah“

Dieses Lied, das meistgecoverte der Welt, ist zu Leonard Cohens Vermächtnis geworden. Über drei Jahrzehnte hat er immer wieder die Verse verändert, der gebrochene Jubel blieb. Was verbirgt sich hinter „Hallelujah“?

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© ZDF/State Cinematography, zu der Arte-Sendung "Bird on a Wire"Leonard Cohen

Am 7. November 2016 ist Leonard Cohen in Los Angeles gestorben, im Alter von 82 Jahren. Für ein paar Sekunden schien die Welt da stillzustehen, über alle Kanäle verbreitete sich die Nachricht – alle hielten inne, deren Begleiter er mit seinen Liedern war, die doch Gedichte sind, weit über seine Generation hinaus, hin zu den Kindern und Kindeskindern.

Es gibt nicht das eine „Hallelujah“ von Leonard Cohen.

Der „Godfather of Song“ hat selbst immer wieder neue Worte gefunden für seinen frivolen, seinen heiligen, seinen unheilig zerbrochenen Jubel. Vielleicht liegt darin überhaupt die Botschaft des Gesangs, der seit mehr als drei Jahrzehnten in der Welt ist und klingt, als sei er von allem Anfang an da: dass dieser Psalm, diese Ode mehrere Gewänder trägt, durch die Zeit hindurch, und sich doch gleich blieb. So ist das „Hallelujah“ zu Leonard Cohens Vermächtnis geworden.

Doch mit dem „Hallelujah“ ist kein leichtes Zurechtkommen. Cohen hat das Lied zuerst 1984 auf dem Album „Various Positions“ veröffentlicht. Es brauchte eine ganze Weile, wie zur Inkubation. Nicht nur für ihn selbst war das so. Fünf Jahre, heißt es in der Biographie, die Sylvie Simmons 2012 noch zu seinen Lebzeiten veröffentlichte, hat er am „Hallelujah“ geschrieben, immer wieder Verse verworfen, neue gefunden. Es muss ihm ums Ganze gegangen sein.

Nehmen wir hier die Urfassung von 1984, wie sie Cohen 1985 zuerst in Montreal vorgetragen hat. Bevor er beginnt, sagt er im Mitschnitt „This is a song about a broken Hallelujah“.

Now, I’ve heard there was a secret chord
That David played, and it pleased the Lord
But you don’t really care for music, do you?
It goes like this, the fourth, the fifth
The minor fall, the major lift
The baffled king composing „Hallelujah“
Hallelujah …

Your faith was strong but you needed proof
You saw her bathing on the roof
Her beauty and the moonlight overthrew you
She tied you to a kitchen chair
She broke your throne, and she cut your hair
And from your lips she drew the Hallelujah

You say I took the name in vain
I don’t even know the name
But if I did, well really, what’s it to you?
There’s a blaze of light in every word
It doesn’t matter which you heard
The holy … or the broken Hallelujah

I did my best, it wasn’t much
I couldn’t feel, so I tried to touch
I’ve told the truth, I did not come to fool you
And even though it all went wrong
I’ll stand before the Lord of Song
With nothing on my tongue but Hallelujah
Hallelujah …

Wie ist das überhaupt zu verstehen? Es ist wie eine enorme Verdichtung. Zwischen jedem Vers, immer vier Mal, erklingt ein emphatisches „Hallelujah“, als müsse das Wort bekräftigt werden, gegen alle grade geäußerten Zweifel. Oder um dieses Hadern zu verstärken, als eine Herausforderung? Versuchen wir es hier schlicht mit Cohens Worten.

Da war zuerst a secret chord, ein geheimer Akkord, den David, der alttestamentliche König von Juda, erfand. Um the Lord, seinem Herrn, seinem Gott zu gefallen. Der aber scheint nicht wirklich an Musik interessiert zu sein. Und David ist nicht gut im Komponieren, er greift ein paar simple Akkorde, nehmen wir an, auf seiner Harfe. Entsprechend erstaunt, baffled, war er dann über das Ergebnis. Im Englischen heißt „minor“ die Tonart Moll, „major“ ist Dur; das war’s schon. Und Leonard Cohen amüsiert sich da wie beiläufig gewiss über sich selbst: Viel mehr als die Grundgriffe hat er auf seiner Gitarre nie gebraucht. Wie überhaupt das ganze „Hallelujah“ von tieferem Witz durchsetzt ist; auf die böse Idee mit dem Küchenstuhl musste schließlich erst einmal jemand kommen.

Den König David bewegt offenbar noch eine andere Lust, als die des Herrn. Hat er doch her gesehen, bathing on the roof, gemeint ist Bathseba, die später den Salomon gebären wird. Doch Cohen springt im „Hallelujah“ an dieser Stelle schnell weg – gewissermaßen direkt zu den möglichen Folgen einer solchen Amour fou: She tied you to a kitchen chair / She broke your throne, and she cut your hair.

Der Honeymoon fällt aus, der Küchenstuhl steht schon dort bereit für die häusliche Knechtung, wo früher der Thron war. Der vollzogene Haarschnitt verheißt nichts Gutes, zumal er auf jene biblische Delila hindeutet, die dem Samson die Haare abschneiden ließ, was ihn um seine Kraft brachte. Mit seinem alttestamentlichen Medley lässt Cohen nicht den Eindruck entstehen, als führe die fleischliche Liebe zur Vollendung des Glücks.

Dennoch, oder deswegen, hält er, gleichsam in der Maske Davids, am Ende fest am Jubellied. Der „Lord of Song“ – so lässt sich das jedenfalls deuten – möge auch ihm, Cohen, gnädig sein: Weiß er selbst doch durchaus um seine Stimme, die (nach verbreiteter Ansicht) zwar jede Menge Sex hat, aber so gut wie keine Modulation: I’ll stand before the Lord of Song / With nothing on my tongue but Hallelujah. Immerhin, der Wille insistiert.

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Mit Cohen bemalte Hochhausfassade in Montreal, seiner Geburtsstadt

Will man Zusammenhänge begrifflicher Art verstehen, ist es stets hilfreich, im „Grimmschen Wörterbuch“ nachzuschauen; dort steht für „HALLELUJAH, halleluja, der hebr. jubelruf preiset gott, der aus den psalmen (als alleluia) in die lateinischen hymnen der christlichen kirche … übergieng“.

Es folgen Beispiele für den Gebrauch, und das schönste kommt, unter dem Stichwort „Hallelujahlied“, von Friedrich Gottlieb Klopstock:

will ich mein volles herz
in heiszern hallelujaliedern,
ewiger vater, vor dir ergieszen!

Geht man diesen drei Zeilen nach, staunt man doch ein bisschen. Sie stehen in Klopstocks „Ode an Gott“, allerdings sind sie in der Zitierweise der Grimms wahrhaftig – nur die halbe Wahrheit. Denn es fehlen die ersten eineinhalb Zeilen der Strophe:

Von ihr geliebet, will ich Dir feuriger
entgegen jauchzen! …

Warum auch immer die Brüder ausgerechnet auf ihre, so sichtbar aus dem Zusammenhang genommenen Zeilen gekommen sind – es sieht aus wie eine Fügung. Denn in Klopstocks „Hallelujahlied“ geht es, naturgemäß, zunächst um den Jubel an Gott: Allerdings genauso interferiert bei ihm „die Liebe“, nun ja, recht geschlechtlich, für die Eine eben, von ihr geliebet, will ich Dir feuriger / entgegen jauchzen! Im menschlichen Begehren will Klopstock deshalb den Gott regelrecht inkarniert sehen. Warum sollte es Klopstock vor gut 250 Jahren anders gegangen sein als Cohen? Seiner Ode verleiht die Exaltiertheit des Barocks die nötigen Flügel.

Doch, es war beiden ernst mit dem Sexus, dem alten (damals noch jungen) Klopstock und dem schon reiferen Cohen (dem übrigens zuzutrauen wäre, dass er Klopstock kannte). Und das Psalmodieren war Cohen auch nicht fremd. Als er in der ersten Hälfte der achtziger Jahre am „Hallelujah“ laborierte, schrieb er zudem sein sehr persönliches Bekenntnisbuch zwischen Hymnus und Zweifel, „The Book of Mercy“ („Wem sonst als Dir“).

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Es gibt dann eine zweite Version des „Hallelujah“, wie sie etwa 1994 auf dem Album „Cohen Live“ zu hören ist. Sie unterscheidet sich fast völlig vom ursprünglichen Text; geblieben ist nur der vierte, der letzte Vers:

Baby, I’ve been here before
I know this room, I’ve walked this floor
I used to live alone before I knew you
I’ve seen your flag on the marble arch
But love is not a victory march
It’s a cold and it’s a broken Hallelujah

There was a time you let me know
What’s really going on below
But now you never show it to me, do you?
I remember when I moved in you
And the holy dove was moving too
And every breath we drew was Hallelujah

Now maybe there’s a God above
But all I ever learned from love
Is how to shoot at someone who outdrew you
And it’s no complaint you hear tonight
And it’s not some pilgrim who’s seen the light –
It’s a cold and it’s a lonely Hallelujah

I did my best, it wasn’t much
I couldn’t feel, so I learned to touch
I’ve told the truth, I didn’t come to fool you
And even though it all went wrong
I’ll stand before the Lord of Song
With nothing on my lips but Hallelujah

Ja, Baby, denkt man unwillkürlich, da ist wohl einiges anders gelaufen als geplant. Dieses zweite „Hallelujah“ ist härter, der Marmorbogen als eine Metapher dafür, die Flagge oben wie die Trophäe aus einem unheiligen Krieg. Das angesprochene Du ist nicht länger der Gott. Cohen ergeht sich in Rätseln, in Anspielungen: auf Maria, vielleicht, auf the holy dove, den Heiligen Geist, auf die Verkündigung, sehr möglich ist das. Doch der, der spricht, erfährt nicht länger, was vor sich geht.

Der Sänger wird, gleichnishaft, zum Krieger, die Liebe zum Schlachtfeld, auf dem es darum geht, wer seine Waffe schneller zieht. Nein, Baby, das ist keine Klage, und nicht ein Pilger spricht, der Erleuchtung fand – it’s a cold and it’s a lonely Hallelujah. In diesen Evokationen und gleichnishaften Bildern enthüllt sich die dunkle Seite des Leonard Cohen. Es klingen die Abgründe an, die in manchen seiner anderen Lieder hart aufgerissen bleiben, in dem frühen „Diamonds in the Mine“ etwa. Doch gegen alle Widerstände hält er daran fest, am Ende vor dem Lord of Song mit seinem „Hallelujah“ zu bestehen.

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Es waren wirklich immer nur ein paar Akkorde, mit denen Cohen die Anwesenheit einer Frau und die Abwesenheit eines Gottes – und umgekehrt – beschwören konnte. Dabei ist er sein Leben lang geblieben; das hat ihn beinah unsterblich gemacht (neben seiner Wortgewalt natürlich). Das „Hallelujah“ beider Fassungen ist der intensive Gesang über diese ewige Suche nach jener Gottgefälligkeit, die nicht den Sexus verdammen muss. Und über das Hadern mit dem Schicksal, von dem nicht die Treue in Stein gemeißelt wurde, sondern das Vagabundieren – I didn’t come to fool you. Das ist nicht lästerlich, nicht zynisch und schon gar nicht sarkastisch. Es ist die ungestillte Sehnsucht nach dem Frieden der Seele.

Der späte Cohen baut die Verse in seinen Konzerten dann noch einmal anders zusammen, er nimmt ihnen den schwersten Ernst in seinen kleinen freundlichen Abwandlungen: People, I didn’t come to Lörrach(!) to fool you. Das strenge „Hallelujah“ wird zum Manifest der Versöhnung, die Gegensätze scheinen zu schmelzen – der ewige Traum, Friede auf Erden.

Kurz vor seinem Tod hat Cohen, schon moribund, sein letztes Studioalbum „You Want It Darker“ eingespielt. „Hineni“ heißt das Schlüsselwort. Die ersten Zeilen des Lieds, das den Titel gibt, lauten:

If you are the dealer
I’m out of the game
If you are the healer
I’m broken and lame
If thine is the glory
Then mine must be the shame
You want it darker
We kill the flame

In dem Vers kehrt das frühere „Hallelujah“ gespiegelt zurück. Wo einst the blaze of light in every word loderte, wird die Flamme nun gelöscht. „Hineni“ bedeutet „Hier bin ich“; Abraham sprach das zu Gott, als Gott verlangte, dass er seinen Sohn Isaak opfere. Er musste es nicht tun, doch er war bereit. Alles Hadern, aller scharfe Witz, aller sanfte Spott ist der Demut gewichen – I am ready my Lord.

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Leonard Cohens „Hallelujah“, so heißt es, sei der am meisten von anderen Künstlern gecoverte Song der Welt, in beiden Versionen.

Bob Dylan, mit dem Cohen früh Freundschaft verband, hat das Lied schon 1988 – ja, es stimmt, ausgespuckt. Als lägen ihm die Worte auf der Zunge wie modrige Pilze, faucht er sein „Hallelujah“, voller Auflehnung.

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John Cale, der 1964 „The Velvet Underground“ mitbegründete, die Band aber bereits 1968 verließ, hat die unheilige Ode 1991 in sein Soloalbum „Fragments of a Rainy Season“ aufgenommen, eiskalt intellektuell, auf Augenhöhe mit Cohen und seiner Zerstörungslust.

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Der früh vollendete Jeff Buckley (1966 bis 1997) macht daraus die unheilbare Wunde des zerbrochenen Liebhabers. Manche finden Buckleys Wehklage die beste Interpretation. Cohen selbst allerdings hat sein „Hallelujah“ immer erhobenen Hauptes vorgetragen, nicht maliziös wie Dylan, aber stolz stehend vor dem „Lord of Song“.

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Die phantastische K.D. Lang transformiert das Lied in einen himmelhohen Schrei. Als wär’s der Appell eines suchenden Engels an die Gnade von oben.

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Wer noch nicht genug hat, kann sich auch Rufus Wainwright anhören.

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Oder Willie Nelson, den würdigen alten Mann des amerikanischen Folk, der das Recht hat, überwältigt zu sein.