Pop-Anthologie

Hothouse Flowers: „Don’t Go“

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Ein Song wie ein Frühlingstag, den man gern in die Länge ziehen würde. Die Geschichte dahinter ist aber durchaus dramatisch – was man hören kann, aber nicht muss.

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© dpaLiam Ó Maonlaí von den Hot Flowers

Don’t Go
(Albumversion, 1988)

There’s smell of fresh cut grass and it’s filling up my senses.
And the sun is shining down on the blossoms in the avenue.
There’s a buzzing fly hanging around the bluebells and the daisies
There’s a lot more loving left in this world.

Don’t go!
Don’t leave me now, now, now!
While the sun smiles!
Stick around and laugh a while.

And I’m lying warm on the soft sandy beaches.
And my toes are submerged in the water and it feels good.
Children playing building castles on the shoreline.
Like a painting that we loved. And lord, it feels so fine.

Don’t Go!
Don’t leave me now, now, now!
While the sun smiles.
Stick around and laugh a while.

There’s white horses and they’re coming at me at a pace now.
And there’s a blue sirocco blowin warm into my face
There sun is shining on the underside of the bridges
And there’s cars going by with smiles in the windows.

And there’s a black cat lying in the shadow of a gatepost.
And the black cat keeps telling me that love is on its way.
And there’s a black cat lying in the shadow of a gatepost.
And the black cat tells me that love is on its way.

Don’t go
Don’t leave me now, now, now
While the sun smiles
Stick around and laugh a while, yeah.
Stick around and laugh a while.

Don’t go …

***

Wenn einer im Sterben liegt, viel zu jung, viel zu früh: Ist dann ein Frühlingstag für alle, die ihn lieben und das Unbegreifliche zu begreifen oder zumindest auszuhalten versuchen, nicht eine ungeheuerliche Provokation?

Im Oktober des Jahres 1987 – ein halbes Jahr später auch andernorts – erscheint in Irland eine Single, die manche Radiosender noch heute auflegen, sobald die ersten warmen Sonnenstrahlen durchbrechen, der Saft in die Bäume schießt, alles aufblüht und die Menschen erst recht. Sie hieß „Don’t Go“, stammte von einer jungen Band namens „Hothouse Flowers“, die Soul, Rock’n Roll und Folk verrührten. Das zugehörige Album hieß „People“. Und man kann sich absolut damit begnügen, das zügig, aber entspannt dahingeschrammelte Stück als schlichten Lovesong einzusortieren: als federleichte Aufforderung an wen auch immer, die Schönheit des Moments zu genießen und noch ein bisschen länger (zusammen) zu bleiben.

Das frisch geschnittene Gras duftet, murmelt Sänger Liam Ó Maonlaí, wobei es bei ihm mehr klingt wie: Riech mal, wie es duftet! Die Blüten entlang der Straße werden von der Sonne beschienen. Eine Fliege summt zwischen Blauglöckchen und Gänseblümchen. Das sind fast so anmutige Zeilen, wie sie Eduard Mörike 1828 in seinem Gedicht „Er ist’s“ geschrieben hat: „Süße, wohlbekannte Düfte, streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon. Wollen balde kommen.“ Ähnlich war auch der junge Ire mit allen Sinnen auf Empfang.

Er sieht, spürt und hört noch viel mehr: Er fühlt die Wärme des weichen Strandsandes, wenn er sich auf ihn legt, taucht die Zehen ins Meer, „and it feels good“ raunt er; das kann man sich vorstellen. Dazu ein heißer Wind im Gesicht, schäumende Wellen (das sind die „White Horses“), spielende Kinder. Selbst die Menschen in den Autos lächeln, und „Lord, it feels so fine“; wie Soulsänger eben so singen. Im Schatten des Torpfostens lümmelt eine schwarze Katze herum, die in Irland oft keine Warnung ist, sondern ein Glücksbringer.

Deren Botschaft, nicht erst umständlich verpackt: „that love is on its way“. Wobei diese sechs Worte betont werden und in den Refrain übergleiten, den an dieser Stelle, nach drei Strophen, sowieso alle mitgrölen können, als stünde man gemeinsam auf der Grafton Street:

Don’t Go.
Don’t leave me now, now, now.
While the sun smiles.
Stick around and laugh a while.

Eine Ode ans Leben, den Augenblick. In dem Videoclip, das der irische Sender RTE damals gedreht hat, spielt die Band irgendwann auf der Straße, die Zuhörer wippen, Alt und Jung schwingen das Tanzbein. In einem anderen Video, das am 30. April 1988 in der Pause des „Eurovision Song Contests“ aus Dublin gezeigt wurde, hüpfen die Bandmitglieder als jungspundige Energiebündel von einer Kulisse in die andere. Und selbst Liam Ó Maonlaí sagte an jenem Abend, mit dem der Name „Hothouse Flowers“ um die Welt ging: „Don’t Go“ huldige dem Frühling und den Menschen und der einigende Kraft der Musik.

 

Aber die Idylle, die Ó Maonlaí im Text beschreibt, ist eben auch eine unglaubwürdige: eine Überidylle gewissermaßen. Die Backing Vocals unterstreichen das mit ihrem gospelhaften „Uuuuh“ im Intro, ihrem „Na-Na-Na“ bei Erwähnung der Kinder und ihrem mitgeflüsterten „Black Cat“. Das laue Lüftlein ist ein „Scirocco“. Das Piano-Geklimper ist auch etwas zu viel, wenn man einmal drauf achtet. Und spätestens ab der gedoppelten Katzenstelle klingt die Stimme des Sängers verzweifelter und wunder, als es bei einem gewöhnlichen Abschied der Fall wäre.

Es ist kein gewöhnlicher Abschied. Der 23-Jährige sagte an diesem Abend im Fernsehen – mit wallendem Haupthaar am Flügel sitzend, erst leise Irisch redend, dann sanftes Englisch – nämlich auch folgenden Satz: „Ich schrieb diesen Song für einen Freund namens Eamon, der im Krankenhaus lag, als der Frühling begann.“ Er sagte es sogar ganz am Anfang, also noch bevor er vom Frühling und der einigenden Kraft der Musik sprach. Und wie leise der Song in der Videofassung dieses Abends ausklang: das Geschrammel wehte weg, bis der Sänger den schier endlos wiederholbaren Refrain nur noch zu verhaltenen Basstönen und schließlich ganz allein sang.

Das verändert alles. Man spürt die ganze Widersprüchlichkeit jenes Tages im Frühsommer 1987, an dem Liam Ó Maonlaí ins Probestudio der „Factory“ in Dublin kam und für die beiden Dur-Akkorde, die sein Bandkollege Peter O’Toole unentwegt aufeinanderfolgen ließ, eine Melodie und einen Text zu erspüren versuchte; so entstanden die Lieder bei ihnen oft, aus der Improvisation.

„Es war wirklicher ein sehr schöner Tag“, sagt Liam Ó Maonlaí, wenn man ihn anruft und ihn bittet, jenen Tat noch einmal zu schildern. „Und diese ganzen Worte … ich musste, ehrlich gesagt, nicht all zu hart darüber nachdenken.“

Er war damals gerade bei Eamon gewesen, einer dieser Freunde, die man nicht so oft sieht, mit denen man aber seit Kindheitstagen vertraut ist, und sowohl Eamon wie Ó Maonlaí, deren Eltern bereits befreundet waren, malten und zeichneten gern: „Das hat uns verbunden.“ Der Freund kam auch zu manchen Gigs, als sich der Straßen- und Kneipenmusiker Ó Maonlaí einen Namen zu machen begann. Sie hatten viele gemeinsame Bekannte.

Nun lag er im Koma. Er war Motorrad gefahren, als ihn ein Auto erwischte, und die Verletzungen waren sehr schwer. Ó Maonlaí besuchte ihn und lief danach zu Fuß vom Krankenhaus zum Probestudio rüber. Er genoss die Sonne, die in Irland nun weißgott nicht garantiert ist und sofort Erinnerungen an andere Sonnentage triggert. „Als ich dann zu Peters Akkorden zu singen begann, flossen die Worte einfach aus mir heraus. Ich glaube, dass ich sie mir noch nicht einmal aufschrieb.“ Don’t Go! Don’t Leave me now, now now.

Es dauerte nicht lange, und der Song stand. Und nur ein ganz bisschen länger, bis daraus auch eine Single geworden war: eine Erinnerung an die Kostbarkeit des Lebens.

Der meint man nun, wenn man diese Entstehungsgeschichte wahrnimmt (was man nicht muss, versteht sich; das hat auch Ó Maonlaí schon 1988 gesagt), die ganze Verwirrung und Fassungslosigkeit über den Kontrast zwischen dem im Krankenhaus Erlebten und der Lebensfreude draußen heraushören zu können. Ob die Sandburgen in Strophe zwei beim schnellen Songschmieden vom Autor bewusst so gemeint waren oder nicht: Sie erscheinen uns nun natürlich wie ein Hinweis auf die Vergänglichkeit.

Gleichwohl bleibt „Don’t Go“ ein dem Leben zugewandter Song. Bei einem zweiten, der ebenfalls von Eamon handelt, der aus dem Koma nicht mehr erwachen und sterben sollte, ist das anders. „If you go“ setzt sich mit dem Tod auseinander. Man merkt’s am Titel.

Eine Wahnsinnsnummer. Sie beginnt ganz ruhig, mit einigen Stahlsaitenschlägen und einem langgezogenen Saxophonjaulen, fast meditativ. Die an den regungslos Daliegenden gerichteten Anfangsworte lauten: „Wenn du gehst, hoffe ich, dass du dahinkommst. Wenn du dahinkommst, hoffe ich, dass du es magst“ („If You Go, I hope you get there. If You Get there, I hope you like it“). Wobei sich das Ganze zu einem Saxophongebrüll steigert: „You can’t go! You can’t leave now, brother!“. Um am Ende einen Trost zu versuchen: „Aber wenn du gehst, hoffe ich, dass du dahinkommst. Und wenn du dahinkommst, weiß ich, dass du es magst“.

Da bricht dann das Spirituelle durch, das in vielen Songs der „Hothouse Flowers“ mitschwingt und später umso überzeugender wirkte, je tiefer Ó Maonlaís Gesicht hinter einem langen Rauschebart verschwand.

***

Für die „Hothouse Flowers“, die 1988 aus Sänger Liam Ó Maonlaí, seinem Fiachna Ó Braonáín an der Gitarre, Peter O´Toole am Bass, Leo Barnes am Saxophon und Jerry Fehily am Schlagzeug bestanden, bedeutete „Don’t Go“ der Durchbruch. Oder zumindest die wichtige zweite Stufe auf der Karriereleiter. Auf die erste geholfen hatte ihnen Bono von U2. Er hatte im Frühjahr 1987 die Produktion der Single „Love Don’t Work That Way“ auf „Mother Records“ ermöglicht.

Vieles deutete damals auf den ganz großen Ruhm. Die internationale Begeisterung für Rockmusik aus Irland zum Beispiel, das einen Künstler nach dem anderen auszuspucken schien. Das Debütalbum „People“ erwies sich als das erfolgreichste in Irland überhaupt. Mit „Home“ (1990) und „Songs from the Rain“ (1993) folgten zwei weitere vorzügliche Platten mit einem dunkleren, fast beschwörerischen Sound. Die Flowers waren ein begehrter Live-Act. Die Straßenmusiker steckten noch immer in ihnen, und bei den Konzerten gaben sie sich auch stark ihrer Leidenschaft für die traditionelle irische Musik hin – die verdankt Ó Maonlaí, der wie sein Schulfreund Braonáín das Irisch-sprachige „Coláiste Eoin“ in Dublin besuchte, vor allem seinem Vater, einem Ingenieur.

Dann wurde es still um die Truppe. Liam Ó Maonlaí nahm nach dem unerwarteten Tod des Vaters eines Auszeit. Und erschöpft von der Musikmaschinerie war man wohl auch. Von den nachfolgenden Alben der „Hothouse Flowers“ (2000, 2004, 2016) oder Ó Maonlaís Soloalben „Rian“ (2005) und „To Be Touched“ (2007) hörten selbst Fans manchmal erst Jahre, nachdem die Produktionen herausgebracht worden waren.

Aber was sind das für Glücksmomente, wenn man unerwartet auf sie stößt. Oder zu einem der intimen Konzerte gebracht wird, bei denen Liam Ó Maonlaí mehr oder weniger alleine am Flügel sitzt und Balladen singt. Er schien schon auf „People“ zu besitzen, was man eine alte Seele nennt. Und eine warmweiche, gutmütige, ganz auf die musikalische Instinkte vertrauende Stimme, die so ziemlich jedem imponiert, der sie gehört hat.


3 Lesermeinungen

  1. Manni sagt:

    Unglaublich dicht und gut
    Es gibt immer wieder Zeiten, da muss es bei mir diese Band sein. Speziell das Album Home hat irre viele Facetten und es lohnt sich, das einmal ganz intensiv zu hören. Ein Sänger wie es nur wenige gibt!

  2. Hothouse sagt:

    Grandiose band
    Danke für den tollen Artikel. Ich hatte in den frühen 90er öfters die Gelegenheit die band zu sehen.
    Liams Stimme ist so aussergewöhnlich.

  3. bestpilot sagt:

    Hothouse
    Diese Gruppe kannte ich nicht. Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel.

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