Ich geh kaputt und denk an dich: John Hartfords „Gentle On My Mind“ ist ein Gegenentwurf zu Bob Dylans trotzigem Trennungslied „Don’t Think Twice“ – und Erinnerung an eine Zeit, als man noch in einer Hitparadensendung mit Banjo auftreten konnte.
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Gentle On My Mind
It’s knowin‘ that your door is always open
And your path is free to walk
That makes me tend to leave my sleepin‘ bag
Rolled up and stashed behind your couch
And it’s knowin‘ I’m not shackled
By forgotten words and bonds
And the ink stains that have dried upon some line
That keeps you in the back roads
By the rivers of my memory
That keeps you ever gentle on my mind
It’s not clingin‘ to the rocks and ivy
Planted on their columns now that binds me
Or something that somebody said because
They thought we fit together walkin‘
It’s just knowing that the world
Will not be cursing or forgiving
When I walk along some railroad track and find
That you’re movin‘ on the back roads
By the rivers of my memory
And for hours you’re just gentle on my mind
Though the wheat fields and the clotheslines
And the junkyards and the highways come between us
And some other woman’s cryin‘ to her mother
Cause she turned and I was gone
I still might run in silence
Tears of joy might stain my face
And the summer sun might burn me till I’m blind
But not to where I cannot see
You walkin‘ on the back roads
By the rivers flowin‘ gentle on my mind
I dip my cup of soup back from a gurglin‘ cracklin‘ cauldron
In some train yard
My beard a roughning coal pile
And a dirty hat pulled low across my face
Through cupped hands round a tin can
I pretend to hold you to my breast and find
That you’re wavin‘ from the back roads
By the rivers of my memory
Ever smilin‘, ever gentle on my mind
Bevor es zu schön wird, muss der Wandersmann weiter – das ist eines der zentralen Motive der Folk-Musik, verwurzelt schon im alten Volkslied, wiederaufgegriffen im großen „Folk Revival“ Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, bis heute variiert im Neo-Folk in allen seinen Spielarten. Als ikonischer Aufbruch im Morgengrauen fällt einem sofort Bob Dylans „Don’t Think Twice, it’s Allright“ ein: „When your rooster crows at the break of dawn / Look out your window and I’ll be gone“. Das klingt erstmal lustig, aber nur, bis man genauer hinhört: „You’re the reason I’m travelin‘ on“.
Es ist ein sehr bitteres, unversöhnliches Lied, da bleibt nichts Gutes zurück: „You just kinda wasted my precious time“. Und dass dem, der es singt, das alles so egal ist, wie er behauptet, glaubt man mit jeder Strophe weniger.
Der hier besprochene Song von John Hartford ist ein Gegenentwurf zu dieser Unversöhnlichkeit. Er handelt auch von der Wanderschaft, aber die Tür wird dabei nicht zugeworfen, im Gegenteil. „It’s knowin‘ that your door is always open“, beginnt das Lied: Weil ich weiß, dass ich immer wiederkommen darf, habe ich meinen Schlafsack hinter deiner Couch versteckt. Auch sonst ist das Lied ein Gegenstück zu Dylans Lied. „Gentle on My Mind“ lautet der Titel, und die angenehme, weiche, schwelgerische Erinnerung an jemanden prägt die Sprachbilder darin.
Es ist einer der meistgecoverten Countryfolksongs, doch nicht jeder erinnert sich daran, wer ihn geschrieben und auch am schönsten aufgenommen hat. Wenn man „Gentle on My Mind“ googelt, erscheint als erster Treffer ein Verweis auf Glen Campbell. Nun, nichts gegen diesen 2017 verstorbenen Country-Altstar an sich, aber seine Version ist dann doch etwas zu nashvilleglatt.
John Hartford heißt der tatsächliche Verfasser, der leider schon 2001 verstarb, und seiner Version hört man an, dass es ein für Banjo geschriebenes Lied ist, das darin beschriebene Outdoor-Abenteuer also etwas leicht Hüpfendes hat, es fährt nicht Cadillac. Vor allem singt John Hartford dieses Lied lakonischer als die meisten der späteren Interpreten – und das passt zum Text.
„I’m not shackled by forgotten words and bonds and the ink stains that have dried upon some line“ – ich bin nicht gefesselt an das, was vor langer Zeit zwischen zwei Leuten gesagt und (fest)geschrieben wurde, was heute aber nur noch vertrocknete Tinte ist, singt das lyrische Ich. Das klingt einerseits hart, andererseits aber auch befreit, und darum dreht sich ja das ganze Lied: um das Weiterziehenmüssen, das sich nicht erklären lässt und um das gleichzeitige Erinnern der guten Zeiten.
Die zweite Strophe ist schwieriger zu deuten, aber auch hier geht es um Verhältnisse, die nicht in Stein gemeißelt sind. Und nur, weil jemand einmal gesagt hat, zwei Leute passten gut zusammen („they thought we fit together walkin'“, lautet die wiederum lakonische Formulierung), müsse das nicht für die Ewigkeit gelten. Dann kommt eine seltsame Stelle: „It’s just knowing that the world will not be cursing or forgiving“; der Geflüchtete wird weder verflucht, noch wird ihm von der Welt vergeben, und genau aus dieser Gewissheit zieht er offenbar seine Gemütsruhe und den Grund dafür, unterwegs zu sein. Und trotzdem ist da immer die Erinnerung an die eine, im Lied angesprochene Person, sei sie auch noch so fern, „in the back roads by the rivers of my memory“. So klang eine offene Fernbeziehung 1967.
Eine Metapher ist besonders schön an diesem Text: „The wheat fields and the clotheslines and the junkyards and the highways come between us“. Hier wird durch die einfache Aufzählung die Entfernung und Distanzierung ganz greifbar realistisch, man sieht das lyrische Ich fahren, vielleicht auf der Ladefläche eines alten Trucks, vielleicht noch zünftiger in einem Güterzug – vielleicht aber ist es auch ein ganz heutiges Ich. Man muss kein Hobo sein, um diese Melancholie nachzuvollziehen. Es geht auch im ICE, der die Felder, Wäscheleinen, Schrottplätze und Autobahnen noch viel schneller zwischen die Menschen bringt, als ihnen manchmal lieb ist. Und mag die Entfernung noch so groß sein: Du wirst mich immer begleiten, versichert der Sänger.
Damit ist man bei dem unauflösbaren Widerspruch, den das Lied hinterlässt: Wenn die Erinnerung doch so schön ist, mag man fragen, warum musste der, der da singt, denn eigentlich abhauen?
Warum muss er in der letzten Strophe sogar zum Obdachlosen werden, der mit kohlrabenschwarzem Bart und tief ins Gesicht gezogenem Hut sich an einer Tasse Suppe festhält, und fast schon halluzinierend an die alte Liebe denkt („I pretend to hold you to my breast“) und warum fährt er nicht einfach zurück zu ihr? Darauf gibt es nach der Folk-Logik leider keine Antwort – der rastlose Wanderer ist einfach eine Gegebenheit.
Kritisieren könnte man am Text, dass er diesen Wanderer als typische Männerolle festschreibt. Nebenbei werden weitere Herzen gebrochen („Some other woman crying to her mother cause she turned and I was gone“). Aber zum Glück haben längst auch Frauen den Song interpretiert, von Tammy Wynette bis zu Lucinda Williams, und sich dabei die Rolle zu eigen gemacht.
So viele Versionen man von diesem Lied hört, seien sie von Elvis, von Tom Jones, von Alison Krauss oder The Band Perry, seien es Duette – man kommt doch immer wieder zurück zu John Hartford. Und dann findet man vielleicht auch ein besonderes Zeugnis, das zugleich ein Stück Fernsehgeschichte ist: Da steht nämlich Hartford auf der Bühne einer Hitparadensendung des ZDF 1977, ganz allein mit einem Banjo, über ihm in großen Lettern das Wort „Disco“, ein fast absurdes Bild. Und dann spielt er in seinem alten Bluegrass-Stil und macht mit klickernden Schuhsohlen Tapdance dazu, als wäre er Mr. Bojangles.