Pop-Anthologie

The Ramones: „Merry Christmas (I Don’t Want To Fight Tonight)“

Auch ein Punk braucht mal Ruhe. Diese Weihnachtsgrüße von den „Ramones“ benötigen nur zwei Minuten. Aber können sich die Kämpen anschließend sicher sein, den familiären Frieden gestärkt zu haben?

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Punk und Weihnachten? Das klingt in etwa so passgenau wie Hip-Hop und Ostern oder Heavy Metal und Fronleichnam. Obwohl die konsumorientierte Festkultur moderner Gesellschaften auf der Kritikliste des Punk recht weit oben steht, haben doch immer wieder Punk-Bands versucht, musikalisch am Weihnachtsmarkt teilzunehmen. Die Strategien der Sinnvermeidung des eigenen Tuns reichen dabei von einer heiteren „Everybody’s having fun“-Schunkel-Stimmung bei Slade („Merry Xmas Everybody“, 1973) bis zu einem harmlosen Cover-Potpourri beliebter Weihnachtslieder bei Thin Lizzy und den Sex Pistols (mit dem gemeinsamen Projektsong „A Merry Jingle“, 1979). Beide Stücke sind eher bewusst markierte Distanzen zum eigenen Musikstil denn ernstgemeinte Festbeiträge zu Weihnachten.

Bei den Ramones, die 1987 erstmals ihren Weihnachtssong „Merry Christmas (I don’t want to fight tonight)“ veröffentlichen, ist das anders. Nicht nur, weil der Titel den Weihnachtsgruß mit der ungewöhnlichen Aussage „I don’t want to fight tonight“ verklammert. Sondern auch, weil der 1989 abermals auf dem Album „Brain Drain“ veröffentlichte und mit einem aufwändigen Video ergänzte Song sich überhaupt zu Weihnachten verhält. Dies freilich in aller gebotenen Knappheit. Denn immerhin soll Marky Ramone, der Schlagzeuger, einmal gesagt haben: „Wenn du was zu sagen hast, sag es schnell, und bring es auf den Punkt, der Song sollte nicht länger sein als zweieinhalb Minuten“. Mit den Ramones ist Weihnachten noch schneller gefeiert, die Musik endet nach zwei Minuten, fünf Sekunden.

Die Ramones, die sich 1996 auflösten, waren nur dem Namen nach Brüder, Kunstbrüder sozusagen. Der Sänger Joey Ramone hieß eigentlich Jeffrey Hyman, der Gitarrist Johnny Ramone trug den bürgerlichen Namen John Cummings, die Bassisten Dee Dee Ramone (der die Albumversion spielte) und C. J. Ramone (der auf dem Video zu sehen ist) hießen Douglas Glen Colvin beziehungsweise Christopher Ward, der Schlagzeug Marc Bell. Das brüderliche Kunstprodukt ist mehr als nur eine ironische Distanzierung von echten Popfamilien wie den Jackson Five oder Fernsehfamilien wie den Waltons, deren Künstlichkeit man verachtete. Gepaart mit der uniformen James Dean-Optik einer abgewetzten Biker-Lederjacke, zerrissenen Jeans, dunkler Sonnenbrille und wirrem Langhaarschnitt verweist es zugleich in die Identitätstiefen des Punk: aus Gruppenidentität wird Familienidentität, aus Wir-Gefühl ein Familien-Gefühl. Ob dies besonders authentisch gemeint oder auch wieder ironisch gebrochen ist, sei dahingestellt. Das Wir steht jedenfalls klar vor dem Ich; die Musik kommt konsequent ohne solistische Einlagen aus.

Wieder alles nur ironisch gemeint?

Die Ramones stammten aus New York, genauer dem Stadtteil Queens, und stellten entsprechend das Vorstadtleben in das Zentrum ihrer sozialdiagnostischen Realitätskritik: Die modernen Lebensmythen junger Erwachsener im New York der 1970er- und 1980er-Jahre, die vor allem in Hollywood-Filmen dominierten, wurden als gebrochen entlarvt. In „Rockaway Beach“ von 1977 etwa, ein Song über einen East Coast-Strand, den es in Queens tatsächlich gibt, und der mit der U-Bahn erreichbar ist, ist der gut gelaunte Sommer-Sonne-Strand-Tonfall, der nicht zufällig an die Beach Boys erinnert, nur die Fassade eines Textes, der über die großstädtische Klaustrophobie klagt und die ersehnten Weiten eines Kalifornischen Strandes nur musikalisch herbeiwünschen kann. Auch diese Gebrochenheit vermittelt sich in kaum mehr als zwei Minuten. Die Ramones wurden mit ihrer Simplizität und Knappheit eine Art Prototyp der gemäßigten Punk-Band: gesellschaftskritisch, ja, aber in Maßen, ohne jene stachelige Aggressivität der Sex Pistols.

Weihnachten bei den Ramones klingt zu Beginn nach glöckchen-seligem Schlittenfahrt-Kitsch, das Video spielt im Hintergrund „Jingle Bells“ ein. Wir sehen eine häusliche Dialogszene eines jungen Paares, in Erwartung seiner Freunde (statt ihrer Eltern, die sie lieber besucht hätte) zur Weihnachtsfeier. Im knallbunten 1980er-Panorama einer winzigen Ein-Zimmer-Wohnung mit zu vielen Haaren und Plastik-Deko hängt der Haussegen schief, genauer: Er hängt rum, sie regt sich auf. Erst dann schwebt die Musik zaghaft hinein, das Bild wechselt zur Live-Band. Joey Ramones’ viel zu schöne Stimme intoniert zitternd, sehnsüchtig, beinahe weltflüchtig „Merry Christmas, I don’t want to fight tonight with“. Erst dann steigt scheppernd, in ratternden Achteln die schnelle Rhythmusgitarre ein: was für ein Beginn – anstatt des üblich gebrüllten „one-chew-free-far“ (die legendäre Ramones-Variante von „one-two-three-four“) auf den Konzerten.

Was lässt Joeys Stimme so zittern, welcher „fight“ ist gemeint? Ist der Song eine Bitte an die seit Jahren zerstrittene Band, ein nie enden wollender Streit über Politik, Frauen und die Musik, der sich bis zum Tod der Bandmitglieder nicht legte? Ist es eine Erinnerung an eine persönlich, derart eskalierte Weihnachtsfeier mit einer Ex-Freundin, wie im Video zu sehen? Ist es das Wir-Gefühl, das hier angesprochen ist, denn immerhin gehört das Streiten wohl zu den bekanntesten weihnachtlichen Cantus firmi von Familienfeiern, auch und gerade im urbanen Vorstadt-Milieu? Oder ist doch wieder alles nur ironisch gemeint?

Merry Christmas, I don’t want to fight tonight with
Merry Christmas, I don’t want to fight tonight
Merry Christmas, I don’t want to fight tonight
Merry Christmas, I don’t want to fight tonight with you

Where is Santa at his sleigh?
Tell me why is it always this way?
Where is Rudolph? Where is Blitzen, baby?
Merry Christmas, merry merry merry Christmas

All the children are tucked in their beds
Sugar-plum fairies dancing in their heads
Snowball fighting, it’s so exciting baby

I love you and you love me
And that’s the way it’s got to be
I loved you from the start
’Cause Christmas ain’t the time for breaking each other’s heart

Where is Santa at his sleigh?
Tell me why is it always this way?
Where is Rudolph? Where is Blitzen, baby?
Merry Christmas, merry merry merry Christmas

All the children are tucked in their beds
Sugar-plum fairies dancing in their heads
Snowball fighting, it’s so exciting baby

Ay yeah yeah yeah

I love you and you love me
And that’s the way it’s got to be
I knew it from the start
’Cause Christmas ain’t the time for breaking each other’s heart

Merry Christmas, I don’t want to fight tonight with
Merry Christmas, I don’t want to fight tonight with
Merry Christmas, I don’t want to fight tonight with you

Der Song ist zyklisch gerundet und gehört damit zu jenen Formen, die theoretisch endlos laufen könnten. Er fängt mit dem Refrain an, der immer wieder die Zeile „Merry Christmas, I don’t want to fight tonight“ wiederholt und um den Adressaten „with you“ ergänzt. Und er endet auch damit. Auf den Refrain folgen zwei Strophen, in denen die (amerikanischen) Weihnachts-Figuren Santa Claus, Rudolph und Blitzen (zwei der Schlitten-ziehenden Rentiere) auftreten und Weihnachtsrituale von Kindern – Früh-ins-Bett-müssen, Süßigkeiten-Orgien und Schneeballschlachten – thematisiert werden. Spätestens an dieser Stelle mag man sich die vier distanziert coolen Lederjacken-Boys trotz ihrer Beschwörung „it’s so exciting baby“ kaum als Beteiligte einer Schneeballschlacht à la „Last Christmas“ vorstellen, nicht einmal mit hinzugedachter Wollmütze und Schal.

© dpaThe Ramones

Der Text funktioniert bis hierher vielmehr als gezieltes Ablenkungsmanöver für eine wutschäumende, feier-frustrierte Partnerin. Doch hilft auch das nichts, in der nächsten Strophe muss beschworen werden: „I love you and you love me“. Hier wird die Musik erstmals melodisch, hymnisch geradezu, ein Keyboard-Teppich liegt zum Hineinkuscheln bereit. Doch darf man dem glauben? Zumal noch dicker aufgetragen wird, angeblich gilt die Liebe nicht nur für alle Zeiten („And that’s the way it’s got to be“), sondern war schon immer da („I loved you from the start“). Na klar. Wer soll das bitte glauben? Die Begründung folgt auf den Fuß: heute, zu Weihnachten, sei einfach nicht die richtige Zeit, einander das Herz zu brechen: „Cause Christmas ain’t the time for breaking each other’s heart“. Aha. Auch der Punker möchte wenigstens zum Fest seine Ruhe haben. Herzenbrechen kann man dann ja morgen wieder angehen. Die drei Textabschnitte werden anschließend wiederholt, aus „I loved you from the start“ wird „I knew it from the start“. Man glaubte sich wohl selbst nicht so recht.

Was sagt der kurze Weihnachts-Song? Haben wir es hier mit den Ermüdungserscheinungen einer Protestkultur zu tun? Einem Signum des Erwachsenwerdens einer 1987 schon dreizehn Jahre gemeinsam musizierenden Band? Oder handelt es sich um den ehrlichen Wunsch – nicht nur unter falschen, zerstrittenen Brüdern – nach Ruhe und Besinnlichkeit an dem einen Heiligen Abend im Jahr, der außer fiktiven Figuren und etwas Kitsch keine Gefahren für die jungen Rebellen birgt? Im Video ein klassischer Weihnachtsbaum ebenso aufgestellt wie der treuherzige Versuch gemacht worden, mit Chips und Popcorn ein jugendlich-hilfloses Buffet aufzubieten, das zum Schluss komplett demoliert ist. Doch was soll der Plastik-Fisch an der Wand? Reality-Art, oder doch Karikatur des christlichen Symbols? Nicht umsonst schaut der erste, ein jüdischer Besucher etwas zu lang auf das Meerestier, das während der Fest-Rauferei unversehrt hängen bleiben wird. Das ganze Feier-Chaos im Video endet schließlich nach einer kurzen Etappen-Versöhnung mit einem Geschenk in der falschen Farbe („Oh you pig, this is red, red, red …“) und einem sich beinahe übergebenden Santa Claus („Ho ho ho“). Hier steckt der Punk über Kopf wieder in der Klischee-Schüssel. Allerdings nur filmisch – die Musik ist längst verklungen und hat uns mit keinem eindeutigen, aber aller Knappheit, Einfachheit und Gebrochenheit zum Trotz doch mit einem nachdenklichen und auch irgendwie sehnsüchtigen Bild von Weihnachten zurückgelassen. Das muss man in zwei Minuten erst einmal schaffen. Chapeau!