Nur die Zarten kommen in den Garten
Das Woodstock-Festival 1969 erschien Joni Mitchell als geradezu biblisches Ereignis. Deswegen schrieb sie das passende Lied darüber: die Hymne einer Ära und doch von zeitloser Schönheit. Streiten freilich kann man, wer die beste Version aufgenommen hat.
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Manchmal kann man etwas am besten künstlerisch verarbeiten, wenn man nicht dabei war, es jedoch gern gewesen wäre. Joni Mitchell war nicht beim Woodstock-Festival 1969, doch „aufgeputscht von der Atmosphäre“, so einst Dieter Bartetzko in dieser Zeitung, schrieb sie kurz darauf mit dem Lied „Woodstock“ die „Hymne jener Ära“. Um genau zu sein, schrieb Mitchell diese Hymne basierend auf dem, was sie von Woodstock im Fernsehen sah – welche Ironie der Hippie-Geschichte.
Die kanadische Sängerin hat einmal selbst ironisch und humorvoll beschrieben, warum sie den geplanten Auftritt an der Seite von Crosby, Stills, Nash und Young auf dem Festival nicht absolvieren konnte: Sie war am Folgetag für einen anderen Auftritt in einer Fernsehshow in New York City gebucht, und wegen des heute legendären Verkehrsaufkommens rund um die Farm von Max Yasgur und noch weit entfernt davon („New York State Thruway’s closed, man!“) habe ihr Manager David Geffen dazu geraten, lieber gleich in der Stadt zu bleiben.
Was es im Nachhinein an Reue bei ihr ausgelöst haben muss, das für ihre Weltanschauung und Musik wichtigste Konzert der Epoche versäumt zu haben, also auch nicht in dem legendären Film aufzutauchen, kann man nur erahnen. Viel später hat sie sich einmal darüber geäußert, dass die Verlusterfahrung sie in die Rolle eines Fans versetzt habe: „The deprivation of not being able to go provided me with an intense angle on Woodstock. I was one of the fans. I was put in the position of being a kid who couldn’t make it.” Alle Sehnsucht danach, mit den „Kindern Gottes“ zur Farm herunterzugehen, um dort den Weg zurück in den himmlischen Garten zu finden, hat sie dafür in den Liedtext gesteckt.
I came upon a child of God
He was walking along the road
And I asked him, where are you going
This he told me
I’m going on down to Yasgur’s farm
I’m going to join in a rock ’n‘ roll band
I’m going to camp out on the land
I’m going to try and get my soul free
Die ersten Zeilen lassen vage eine Stelle aus dem Matthäus-Evangelium anklingen, an der es heißt, die Menschen müssten wie Kinder werden, um ins Reich Gottes zu gelangen. Dann wendet der Text sich den irdischen Freuden zu: Rock ’n‘ Roll und Camping. Für den Aufenthalt auf dem Land bei Bethel, Upstate New York, erwartete man anfangs etwa 40.000 Camper, dann wurden es mehr als 400.000. Dass so viele Menschen auf so engem Raum friedlich beieinander waren und so gut kooperierten, habe sie an ein biblisches Wunder erinnert, sagte Joni Mitchell in einem späteren Interview. Da sie damals zudem auf einem „kind of born again Christian trip“ gewesen sei, habe sie in allen weltlichen Dingen nach Gott gesucht und ihn gerade in Woodstock verkörpert gesehen, was dann wohl den eingängigen Refrain inspiriert hat:
We are stardust
We are golden
And we’ve got to get ourselves
Back to the garden
Der direkte christliche Bezug zum Garten Eden war ziemlich ungewöhnlich in der Bewegung, die mit der amerikanischen Staatsreligion oder den evangelikalen Christen nichts zu tun haben wollte. (Dass später gerade aus manchem enttäuschten Hippie ein Jesus-Freak geworden ist, steht auf einem anderen Blatt, hier kam Joni Mitchell also womöglich gar eine avantgardistische Rolle zu.) Die zweite Strophe enthält dafür typische Elemente der Folkmusik jener Zeit: Flucht aus der Großstadt und explizit auch vor dem Smog, das kannte man von Liedern wie „Going Up the Country“ von Canned Heat, das ja tatsächlich in Woodstock aufgeführt wurde, bis zum politischen Folksong von Tom Lehrer („Pollution“).
Die dritte Strophe schließlich kommt mit dem Bezug auf „bombers riding shotgun in the sky“ zum zentralen Woodstock-Thema, dem Protest gegen den Vietnamkrieg. Aber anders als Country Joe McDonald mit seinem zynischen Fixing-to-die-Rag („Be the first one on your block / To have your son come home in a box“), den er beim Festival unter frenetischem Beifall spielte, kommt Mitchells Song – die optimistische Grundstimmung und große gesellschaftliche Hoffnung in Woodstock aufgreifend (wie vage auch immer sie war, für sie ja außerdem nur kolportiert durchs Fernshen sowie die Erzählungen ihres damligen Lebenspartners Graham Nash am Telefon) – zu einem träumerisch-utopischen Schluss. Nämlich dem, dass die Kampfflugzeuge sich in Schmetterlinge verwandeln – und dies immerhin aber „above our nation“, eine hier wohl auf die Vereinigten Staaten zu beziehende Formulierung, die auch nicht selbstverständlich in ihrer Musikszene war.
By the time we got to Woodstock
We were half a million strong
And everywhere there was song and celebration
And I dreamed I saw the bombers
Riding shotgun in the sky
And they were turning into butterflies
Above our nation
Die Zuschauerangabe „half a million strong“ ist wohl angesichts oben erwähnter Schätzung etwas übertrieben, aber sie singt sich halt schöner. Damit ist man aber noch bei einer anderen Frage angekommen: Nämlich der, wie man die Hymne der Ära eigentlich zu singen hat. Es gibt drei maßgebliche Versionen aus der damaligen Zeit, und, das mag nun grenzenlose Mitchell-Verehrer enttäuschen, ihre eigene ist womöglich nicht die, die den Text am überzeugendsten zum Klingen bringt.
Aber der Reihe nach: Zuerst aufgeführt hat Joni Mitchell das in einem New Yorker Hotelzimmer geschriebene Lied wahrscheinlich beim Big Sur Folk Festival im September 1969. Veröffentlicht hat sie es als B-Seite ihres Hits „Big Yellow Taxi“ im April 1970 und dann auf ihrem Album „Ladies of the Canyon“. Aber noch davor, im März 1970, wurde bereits von Crosby, Stills, Nash und Young veröffentlicht – als Hauptsingle für das später sehr erfolgreiche Album „Déjà vu“. Im Sommer 1970 kam dann auch noch die britische Band Matthews Southern Comfort und nahm ihre Version des Liedes auf, die ihrerseits besonders in England sehr erfolgreich wurde.
Die Versionen des Liedes könnten unterschiedlicher nicht sein. Joni Mitchell singt es, begleitet nur von einem elektrischen Klavier, wild und frei, sowohl vom Metrum her als auch in ihrer typischen, exaltierten Phrasierung auf einer Tonskala über mehrere Oktaven, die manchmal einen fast grotesken Inbegriff von „hippiehaftem“ Singen darstellt.
Ganz anders dagegen die Bandversion von CSN&Y: Die sonst für ihre ausgefeilten Folk-Harmonien bekannte Supergroup macht aus dem Song einen Blues-Boogie, der zu Anfang eher an John Fogertys Sumpf-Rock erinnert, inklusive Gniedel-Gitarrensolo. Diese, sozusagen die Creedence-Variante, hätte mit Sicherheit der „Big Lebowski“ aus dem Film der Coen-Brüder bevorzugt. Immerhin im Refrain gibt es dann den erwarteten Harmonie-Gesang.
Wenn man dann noch Matthews Southern Comfort bei „Woodstock“ zuhört, mag man zunächst gar nicht glauben, dass es sich um dasselbe Lied handelt. Schwelgerisch langsam, vorsichtig tastend gesungen über halligen Psychedelik-Sounds, getragen von einer Melancholie, die den Sündenfall des Menschen akzeptiert zu haben scheint, schraubt man sich hier immer tiefer in einen Drehschwindel, der spätestens bei dem einlullenden chromatischen Pedal-Steel-Solo dann doch noch in den siebten Himmel führt. Der Refrain „We are stardust…“ kommt, wenn man ehrlich ist, eigentlich nur in dieser Variante wirklich zu sich selbst – aber das ist natürlich auch die Frage: Was ist nun der Geist von Woodstock, wie kommt man also in den Garten? Durch entrücktes Trällern auf solipsistischem Trip ums Lagerfeuer, durch triebhaften Rock ’n‘ Roll im Schlamm des Lebens oder händchenhaltend auf dem fliegenden Teppich?
Welche Antwort, welche Version man auch bevorzugt – der wunderbare Song von Joni Mitchell vermittelt allen, die nicht dabei waren, also auch den Nachgeborenen, das Gefühl, wie es war in Woodstock. Oder gewesen sein könnte.
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I came upon a child of God
He was walking along the road
And I asked him, where are you going
And this he told me
I’m going on down to Yasgur’s farm
I’m going to join in a rock ’n‘ roll band
I’m going to camp out on the land
I’m going to try and get my soul free
We are stardust
We are golden
And we’ve got to get ourselves
Back to the garden
Then can I walk beside you
I have come here to lose the smog
And I feel to be a cog in something turning
Well maybe it is just the time of year
Or maybe it’s the time of man
I don’t know who I am
But you know life is for learning
We are stardust
We are golden
And we’ve got to get ourselves
Back to the garden
By the time we got to Woodstock
We were half a million strong
And everywhere there was song and celebration
And I dreamed I saw the bombers
Riding shotgun in the sky
And they were turning into butterflies
Above our nation
We are stardust
Billion year old carbon
We are golden
Caught in the devil’s bargain
And we’ve got to get ourselves
Back to the garden