Otis Reddings größter Hit klingt, als wäre er im Meeresschaukeln zwischen Morgenkaffee und Fish & Chips zur Welt gekommen. Doch die Geschichte des Lieds ist auch von Kalkül geprägt – und von Tragik.
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Das Meer mit seinen Wellen. Eine Gitarre und ein Bass, ein paar Akkorde, dann der Sänger mit den ersten Worten: schon entfaltet sich das Panorama. Wir sehen, was das Ich des Songs sieht, aber wir sehen auch den Mann, der am Hafen in der Sonne sitzt und auf den glitzernden Pazifik schaut. Schiffe und Fähren laufen ein und wieder aus, ein buntes Hin und Her, während die Sonne höher steigt. Überall herrscht Bewegung, reglos bleibt nur der Betrachter, der die Wanderung schon hinter sich hat: aus Georgia im Südosten ist er in den Westen nach San Francisco gekommen, voller Hoffnungen, die enttäuscht wurden. Sitzen, Nichtstun, Einsamkeit, damit beginnt sein Tag und endet wieder.
So lapidar und wahr ist diese Geschichte, die kaum eine ist und doch zu jedem Hörer „Auch du!“ sagt. Repetition ist ja das halbe Leben, und der Pendler im morgendlichen Stau, der das Lied auf dem Weg zur Arbeit hört, sähe vielleicht lieber den weiten Ozean vor sich als die Autoschlange. Das Gefühl, seine Zeit zu verschwenden, kennt auch der, der einen Job hat, und in den Fächern Einsamkeit und Einerlei promovieren könnten die meisten. Immerhin schimmert San Francisco im Licht, und vielleicht sind die Menschen dort freundlicher und großherziger als in Macon, Georgia, wo Otis Redding aufwuchs und wo einem 1941 geborenen Schwarzen kaum mehr als zwei Wege nach oben offen standen: Sport oder Musik.
Auf einem Hausboot in Sausalito
Musik war lukrativ, aber auch sie folgte der Segregation in Schwarz und Weiß. Es gab zwei Charts, eine für Rhythm & Blues, die andere für Pop. Auf den für R&B war Otis Redding schon einige Jahre zuhause und reich geworden. Auf einer Europa-Tournee, organisiert von seinem Label Stax, erfuhr er erstmals, wie auch ein weißes Publikum außer sich geriet, wenn er und seine schwarzen Kollegen Soul spielten. Im Juni 1967 trat er in Monterey auf, der „Mutter aller Pop-Festivals“. Auch dort versetzte er ein weißes Publikum geradewegs in den Rausch.
Kurz zuvor war das „Sergeant Pepper’s“-Album der Beatles erschienen, ein Evangelium der Postmoderne voller Anspielungen und Zitate, realisiert mit artistischer Aufnahmetechnik. Meilenweit entfernt schien diese Musik von der emotionalen, dem Moment entspringenden Improvisationskunst des Soul. Otis Redding war dennoch fasziniert, spürte den Zukunftswind. Keineswegs wollte er imitieren, aber er wollte auch nicht zurückbleiben. „Nothing’s gonna change“ galt nicht für ihn.
Als er im August einen Auftritt in San Francisco hatte, bot ihm Bill Graham, Besitzer des berühmten Filmore-Clubs, sein Hausboot in Sausalito an. Was für ein wunderbarer Ort! Schlafen, Relaxen, Stille und Ausblick genießen, über ein neues Album nachdenken und Ideen auf der Gitarre ausprobieren – alles war möglich dort. Und wirkt der Song, der Redding in die Hall of Fame katapultieren würde, nicht, als wäre er im Meeresschaukeln zwischen Morgenkaffee und Fish & Chips zur Welt gekommen?
Der tödliche Unfall drei Tage später
In Wirklichkeit entstanden dort nur die ersten beiden Zeilen und ein paar chords. Die eigentliche Geburt fand im Herbst im Stax-Studio in Memphis, Tennessee statt, in Zusammenarbeit mit seinem Freund, dem weißen Gitarristen und Songwriter Steve Cropper. In einem Interview erzählt Cropper, dass er es war, der den autobiographischen Hinweis auf Georgia in die Lyrics einfügte und ebenso den genialen Doppelvers: „I’m sittin’ here restin’ my bone/ And this loneliness won’t leave me alone“.
Wie auch immer: das Lied sollte „something big“ werden, ein Markstein, und das wurde es. „Sittin’ on the Dock of the Bay“ erreichte Platz 1 der amerikanischen Billboard-Charts und hielt sich über Wochen in den Hitparaden der Welt. Die Version, die wir hören, entstand am 7. Dezember 1967, für Otis war sie wohl noch nicht die endgültige, was vor allem den Ausklang betraf: das Pfeifen war improvisiert und sollte vielleicht durch ein weiteres Textstück oder ein instrumentales Solo ersetzt werden. Pfeifen klingt fidel und harmlos, zu harmlos für den stummen Mann auf den Docks, den niemand will.
Drei Tage nach dieser Aufnahme, am 10. Dezember, stieg Redding mit seiner Band in seine Privatmaschine, um zu einem Konzert nach Madison, Wisconsin zu fliegen. Sie gerieten in ein Unwetter, das leichte Propellerflugzeug trieb durch Regen und Wind und stürzte wenige Kilometer vor dem Ziel in den Lake Monona. Einzig der Trompeter Ben Cauley konnte sich aus dem eisigen Wasser retten.
Otis Redding starb mit 26 Jahren. „Sittin’ on the Dock of the Bay“ wurde im Januar 1968 veröffentlicht, Lied und Autor posthum mit Preisen und Ehrungen überhäuft. Sein Zustandekommen war Zeichen der Hoffnung: ein schwarzer, aus der christlichen Tradition der Gospels kommender Sänger und Komponist, ein weißer Texter, Producer und Gitarrist, ein jüdischer, in Berlin geborener und vor den Nazis geflohener Impresario, der für Jazz und Soul brannte, ein Plattenlabel, das von einem Weißen gegründet und von einem Schwarzen geleitet wurde – different people, working together successfully. Ihre Lebenslinien kreuzten sich im richtigen Moment. Dass sie einander verstanden, war Glück. Auf der dunklen Seite bleiben die Toten und ihre Angehörigen, und der einsame Mann in den Docks.
„Sittin’ on the Dock of the Bay“
Sittin’ in the mornin’ sun
I’ll be sittin’ when the evening comes
Watchin’ the ships roll in
Then I watch ’em roll away again
I’m sittin’ on the dock of the bay
Watchin’ the tide, roll away
I’m sittin’ on the dock of the bay
Wastin’ time
I left my home in Georgia
Headed for the Frisco Bay
’Cause I have got nothin‘ to live for
Looks like nothin’s gonna come my way, so
I’m just come sittin’ on the dock of the bay
Watchin’ the tide roll away
I’m sittin’ on the dock of the bay, wastin’ time
Looks like nothin’s gonna changin’
Everything seems to stay the same
I can’t do what ten people tell me to do
So I guess I’ll remain the same
I’m sittin’ here restin’ my bones
And this loneliness won’t leave me alone
This two thousand miles I roamed
Just to make this dock my home
Now I’m just sittin’ on the dock of the bay
Watchin’ the tide roll away
Sittin’ on the dock of the bay
Wastin’ time
(Steve Cropper / Otis Redding)