Wie sang dereinst schon Udo Lindenberg: „Große Ereignisse werfen ihre Schatten unter die Augen“.
Am kommenden Montag tritt in meiner schönen, von Zirbelschnurrbartträgern nur noch minimal verschandelten Heimatstadt Köln der Songschreiber Lloyd Cole auf. Cole und vor allem seiner ersten Platte „Rattlesnakes“ habe ich es zu verdanken, dass ich in den Achtzigern überhaupt erst damit angefangen habe, Popmusik als Möglichkeit zum Weltbegreifen aufzufassen. Ohne Lloyd Cole wäre ich womöglich Deutschrockfan, Breakdancer oder etwas Schlimmeres geworden.
Als ich ihm dies vor Jahren bei einem Interview sagte, antwortete er ohne eine Miene zu verziehen nur: „And – do you still listen to music?“. „Yes of course“, gab ich zur Antwort. Daraufhin er nur knapp: „Good“.
Derselbe Lloyd Cole sorgte in demselben Gespräch bei mir für ungezügelt empor schwappende Begeisterung, weil er etwas äußerst Rares tat: Er pries lautstark den Beruf des Musikkritikers. Cole sagte sinngemäß, es gebe zuviel Musik, durch die er sich allein gar nicht durchhören könne. Also bedürfe er der Vorauswahl durch vertrauensvolle Musikkritiker, die ihm auch schon mal klarmachten, warum er sich irgendetwas gar nicht erst anhören müsse. Solche Bestätigung tut gut in einem Gewerbe, das ja so schlecht beleumundet ist wie sonst nur das des GEZ-Prüfers, des chemiedüngenden Old-School-Bauers oder des Mietkillers.
Das Leben von Musikkritikern ist im Gegensatz zu den oben genannten Professionen jedoch vergleichsweise öde. Entgegen anderslauten Gerüchten liegt man nicht den halben Tag betrunken in den Tourbussen oder Umkleideräumen irgendwelcher Rockbands herum, deren Konzert man dann am Abend verreißt oder bejubelt. Ich glaube auch nicht, dass dies in jener Zeit, die gemeinhin als die Siebziger Jahre bezeichnet wird, so gewesen ist. Kritikerlegenden wie Cameron Crowe und Lester Bangs mögen sich mit etlichen langhaarigen Jeanswestenträgern den Bekanntenkreis und auf- und abpeitschende Rauschmittel geteilt haben. Die meisten Musikkritiker saßen aber wohl auch damals schon bei schlechtem Licht einsam am Schreibtisch.
Doch auch wenn mein Werk so schmal ist wie die Hüfte eines durchschnittlichen britischen Neo-Wave-Musikers und ich nur wenige Rockstar-Handynummern besitze, fühle ich mich geehrt, dass ausgerechnet mein Leben nun als welterste Verfilmung einer Musikkritiker-Biografie auf die Leinwand gebracht werden soll. Pünktlich zur nächsten Popkomm wird „Die Tastatur der Töne“, so der Titel, in die Kinos kommen.
Dargestellt werde ich, so der jetzige Stand, von sieben verschiedenen Hauptdarstellern, die alle eine andere Facette meiner schillernden Persönlichkeit abbilden sollen. Eine dieser Facetten wird verkörpert von der Pop-Sängerin Lady Gaga, was allerorts für einen ziemlichen Coup gehalten wird. Eine andere Facette wird durch den Komiker Markus Maria Profitlich auf die Leinwand gebracht. Ob ich gegen Letzteres denn nichts unternehmen könne, fragen mich nun seit Tagen schon besorgte Freunde und Kollegen, aber auf die Besetzung habe ich natürlich keinerlei Einfluss. Jede andere Annahme zeugt nur von Kenntnislosigkeit des Filmgeschäfts.
Allerdings arbeite ich beratend am Soundtrack mit. Täglich treffe ich mich mit den Musikverantwortlichen des Films. Sehr nette Leute. Gar nicht so, wie man sich Filmmenschen vorstellt. Ich spiele ihnen viele Sachen vor, die mir relevant erscheinen; meistens schütteln die Musikverantwortlichen den Kopf, dafür bringen sie jedes Mal Teilchen und Milchschaumplörre mit. Aber die Rechte für die Verwendung der Songs „Santa Maria“ und „Das Lied von Manuel“, so sagen sie, hätten sie schon.
So ein guter Austausch zwischen Popmusik und Kino ist nicht üblich. Es ist ja sonst immer etwas schwierig, wenn sich Filmgeschäft und Musikgeschäft begegnen. Das wurde mir schon klar, als ich vor Jahren mal als Buchautor für die Eröffnungsgala der Berlinale zuständig war. Die Rolling Stones samt Martin Scorsese hatten sich angekündigt, um den öden Konzertfilm „Shine A Line“ einer langsam wegdösenden Öffentlichkeit vorzustellen.
„Scorsese + Stones = Wahnsinn! Besser noch als Lady Gaga und Markus Maria Profitlich in einem Film! „, dachte man sich bei der Berlinale wohl und veranstaltete nicht unverständlicherweise ein tüchtiges Bohei nebst anschließendem Tamtam um das Ganze.
Mein Auftrag lautete, so etwas wie „Rock’n’Roll“ in das Buch zu bringen. Ein Vorhaben, das in etwa so gut gelang wie die Verteidigung des soeben verdonnerten schießfreudigen Superproduzenten Phil Spector. Irgendwann wurden Vorschläge laut, denen zufolge Berlinale-Intendant Dieter Kosslick doch im Chuck Berry-esken Duckwalk samt E-Gitarre auf die Bühne kommen sollte. Auch bat man mich, möglichst oft dem Rolling Stones-Werk entrissene Phrasen wie „It’s only Rock’n’Roll“ oder „Let’s spend the night together“ in den Moderationstexten zu verwenden. Ich fragte, ob das nicht ein bisschen albern sei, aber da war man anderer Meinung.
Als die Rolling Stones (die man – so lernte ich von ihrem englischen „Publisher“ – niemals und unter gar keinen Umständen in ihrer Gegenwart kumpelig als „Stones“ bezeichnen darf, sofern man nicht ihre sofortige Abreise riskieren möchte) dann einmarschierten taten sie das, was sie immer tun: Sie trugen enge Kinderanzüge, benahmen sich angestrengt agil und zeigten für die Kameras in allerhand Richtungen, wo es überhaupt nichts zu zeigen gab – ähnlich wie es auch amerikanische Präsidenten gerne tun. Mancher fand das wohl „sehr professionell“. Auch lehnten sie unentwegt lässig beieinander auf der Schulter und taten so, als würden sie sich Sachen ins Ohr raunen. Ich bezweifle, dass da wirklich etwas gesagt wurde.
Ich möchte hier keineswegs pauschal über die Rolling Stones lästern. Ich mag viele ihrer Stücke – vor allem einige Seltsamkeiten ihrer mittleren Jahre, speziell die Disco- und Reggae-Versuche. Aber ich finde es schade, dass sie – im Gegensatz etwa zu Dylan – nie das Altern zum Teil ihres Schaffens gemacht haben. Das hätte sie für mich retten können.
Ich erzähle das auch, weil diese Episode in der Verfilmung meines Musikkritikerlebens nicht vorkommen wird. „Zu teuer!“, wie der Regisseur mir heute am Telefon entgegen blaffte. Und wer denn bitte überhaupt die Rolling Stones spielen solle? Da hat er wohl recht.
Ich glaube, ich sage die Sache mit dem Film ab. Es gibt Wichtigeres. Lloyd Cole-Platten zum Beispiel. Der sang mal über zuviel Rock’n’Roll am falschen Ort und im falschen Leben die folgenden schönen Zeilen:
I tried to rock
I did not try to fail
I did not fail to see
That what it takes to rock
Is that which I have not