„Off with head/dance til you’re dead“
(Yeah Yeah Yeahs, Heads Will Roll)
Der Samstag des ersten Mai-Wochenendes gegen 0 Uhr.
Ich stehe im Tsunami-Club, einem charmanten roten Kellerraum in der Kölner Südstadt. Einer jener Läden, dessen Wände von einem Klebefilm aus Alkohol, Teer, Schweiß und Schlimmerem überzogen zu sein scheinen.
Es ist relativ leer, was vor allem daran liegen dürfte, daß die vorangegangenen zwei Abende selbst bei den Feierwilligsten Spuren hinterlassen haben. Doch die, die da sind, zelebrieren tapfer ihren akuten Gesichtsherbst und tanzen oder bewegen sich doch zumindest. Auf der kleinen Bühne des Tsunami steht der Hamburger Musiker Knarf Rellöm mit seiner famosen Band, der Knarf Rellöm Trinity. „Kommt nach vorne“, sprechsingt er mit freundlicher Suggestivität, „sonst wird das Konzert scheiße. Diejenigen, die hinten stehen, müssen schubsen“.
Ich trinke meinen zweiten Cubra Libre, gebe mich wie immer etwas bewegungsunwillig und denke mal wieder darüber nach, daß ich einen seltsamen Beruf habe. Meine Mutter sieht das, glaube ich, genau so. Vor mir steht ein baumlanger, plauderfreudiger Typ, auf dessen T-Shirt „Der deutsche Fernsehpreis“ steht. Komische Welt.
Dann hat mich Knarf Rellöm, der vermutlich einen deutlich seltsameren Beruf hat als ich, wieder ganz in seinem Bann. Der Mann, der seit Anfang der Neunziger mit verschiedenen Bands Platten von verlässlicher kommerzieller Erfolglosigkeit herstellt, ist auf seinen letzten Veröffentlichungen mit seiner Trinity bei hochgradig wortvirtuoser Körpermusik angekommen. Es elektrokracht, pumpt, bratzt und stampft auf goldenen Stelzen. Rellöm, in einen Kaftan gekleidet und mit Dame Edna-esker Sonnenbrille im Gesicht, spielt eine herrlich rüde Bo Diddley-trifft-Kralle-Krawinkel-Gitarre dazu und singt über den so nachgebastelten wie tief empfundenen Elektro-P-Funk seiner Band referenzpralle Texte, die man in einer Welt, in der das Tragen bedruckter T-Shirts nicht kompletten Idioten vorbehalten wäre, auf T-Shirts drucken müsste. Allein die ersten Zeilen, die Rellöm singt, bringen wunderbar die gewollte Unzulänglichkeit, Attitüde, Albernheit und Pose seines Werks auf den Punkt:
„Ihr meint, wir sind aus Hamburg/Nein, das sind wir nicht/Wir sind auch nicht aus Deutschland/Nein, wir sind vom Mars“.
Man lernt: Wenn man bekloppt genug ist, kann man durchaus von sich behaupten, ein Nachfahre Sun Ras oder George Clintons zu sein – selbst wenn man ein linker Ex-Indie-Typ aus Hamburg ist, der im Tsunami spielt. Es geht viel um Deutschtölpelei in Rellöms Texten, aber auch um die stinkende Leiche Indie-Rock, und alles ist durchdrungen von der so irritierten wie selbstverständlichen linken Attitüde, die vielen Hamburger Bands eigen ist. Rellöm singt weiter:
„Ich hatte Drogen genommen/Amerikanische Chemie/Dann sah ich den Kopf/den Kopf meiner Mutter/im Aquarium“. Der Refrain dazu: „Move your ass and your mind will follow“. Ich stehe still, aber mein Kopf tanzt. Nach noch einem Getränk reise ich ab. Das Herz tanzt nämlich auch.
Tags zuvor weilte ich anlässlich eines Geburtstages in einem persischen Restaurant, wo zur Authentisierung des Geschehens auch Bauchtanz geboten wurde. In freundlicher Runde saßlag ich also ohne Schuhe an einem flachen rückenunfreundlichen Tischchen, als gegen 23 Uhr die Bauchtänzerin aus den tuchverhangenen Kulissen gesprungen kam und mit dem begann, was Bauchtänzerinnen eben so tun, wenn sie nicht gerade frei haben. Die Begleitautomatik der Hausmusikanten des Restaurants ballerte so ohrenbetäubend laut, daß mir kaum etwas übrig blieb, als mich in die Darbietung zu versenken. Ich hätte alles andere auch als unhöflich und kulturell verkrampft empfunden. Es wirkt doch etwas albern, wenn man eine Bauchtänzerin vor der Nase herumspringen hat, aber weiter trotzig in seinem Essen herumstochert oder den Anstrich der Wand studiert. Doch welch ungeahnter Schrecken durchfuhr mich, als ich zur Kenntnis nehmen musste, daß die Bauchtänzerin an den um uns gelegenen Tischen damit begann, Herren zum Aufstehen und Mittanzen zu bewegen. „Free your WHAT and WHAT will follow???“. Ich rutschte so tief unter den Tisch, wie es das flache Möbel zuließ, zückte mein Handy, begann hektisch darauf einzutippen, mit der anderen Hand hielt ich mir gleichzeitig die Speisekarte vors Gesicht und eröffnete gleichzeitig ein tiefes Gespräch mit meiner Sitznachbarin. Ich sah wohl aus wie der von mir sehr geschätzte 80er-Jahre-Ehemann-Darsteller Herbert Bötticher in einer seiner zahlreichen Ich-sitze-mit-der-jungen-Freundin-im-Restaurant-und-die-Ehefrau-kommt-vorbei-
da-halte-ich-mir-wohl-besser-mal-die-Speisekarte-vors-Gesicht-Szenen.
Oder wie ein besonders verkrampfter Westeuropäer, der nicht von einer Bauchtänzerin angesprochen werden will.
Die Bauchtänzerin dachte sich wohl: „Aha, mal wieder einer von denen, vermutlich Musikjournalist“, und sah generös davon ab, mich zu sich zu bitten. Der Abend endete glimpflich, zugleich hat sich in meinem Freundeskreis mein Nichttänzer-Image deutlich verfestigt: „Ja, ja, über Musik schreiben, das kann er, der feine Herr, aber zum Tanzen ist er sich zu fein“.
Ich weiß nicht, ob es das ist. Ich tanze ja durchaus, nur nicht mit dem Körper. Ich glaube durchaus nicht, daß ich nicht des üblichen Tanzens befähigt bin. Es gibt mir nur einfach nichts. Ich verstehe, daß man solches bei einem mit Musik befassten Menschen seltsam finden kann. Womöglich sogar unnatürlich. Aber wie sagte doch schon der wunderbare Knarf Rellöm: „Natürlich interessiert mich nicht“.
Ich glaube im Übrigen auch nicht, daß Tanzen uns aus der Krise befreien wird (weder aus der popmusikalischen, noch aus sonst irgendeiner), eine These, die nicht nur die eher öden Yeah Yeah Yeahs zu vertreten scheinen. Auch Maximo Park, Franz Fififant, Bloc Party usw. werden es nicht richten. Eher schon Jarvis Cocker, über dessen tolle neue Platte ich diesmal wieder nicht geschrieben habe.
Ps: Die neue Platte des Para-Bukowina-Elektronikers Shantel heißt „Planet Paprika“ – ich sag’s nur.