Wir befinden uns im Kölner King Georg, als uns die Nachricht vom Tod Michael Jacksons erreicht.
Einige von uns kommen gerade vom Kings Of Leon-Konzert in der Kölnarena, andere halten sich schon länger in unserem Lieblings-Etablisement auf, weil hier heute Abend der Musiker Jens Friebe aus seinem Buch „52 Wochenenden“ gelesen hat.
Gegen halb eins hat es der Erste gehört – über Twitter. Noch ist es ein Gerücht, und es hört sich an, wie das albernste Gerücht der Welt. Ich muss an den hiesigen Zetungs-Verkäufer denken, der allabendlich mit seiner frischen Druckware durch die Kneipen zieht und die Kundschaft stets mit der Begrüßung „Bruce Willis ist tot“ zu ködern versucht.
Und jetzt twittert uns diese seltsame Information in den Abend. Eben noch hatte mir eine Freundin von ihrer ersten Twitter-Erfahrung erzählt: Bei einem Weltrekordversuch im Dauerpianospielen seien dem Musiker Gonzales die Stücke ausgegangen, und sie habe begeistert ihre Lieblingsstücke getwittert – die tatsächlich prompt gespielt wurden. Ich bin gerade dabei, meine kulturpessimistischen Reflexe zucken zu lassen, als die Information an unseren Stehtisch gelangt.
Sofort werden alle verfügbaren iPhones gezückt. Noch ist von Herzstillstand, Krankenhaus und Wiederbelebung die Rede. Der findige DJ spielt bereits „Beat It“ – wo hat er diesen Song jetzt her? Wahrscheinlich hat man das „Thriller“-Album als im Auflegegewerbe tätiger Mensch ohnehin immer in der Tasche. Dann ist es Gewissheit: Michael Jackson ist tot, meldet die Los Angeles Times. Es ist eine monströse Nachricht, egal, wie man zu dem Mann stand. Es fühlt sich komisch an.
Michael Jackson war immer präsent für uns Pop-verdorbene Spätdreißiger. Im Guten wie im Schlechten. Er war der größte Star der schwarzen Pop-Musik, und er ist vor unseren Augen zu einer tragischen Gestalt geworden, gegen die Elvis wie der freundliche Herr aus der Nachbarwohnung wirkt. Inzwischen spielt der DJ „Thriller“.
Einer aus der Runde erzählt, er sei nur wegen Eddie van Halens Solo in „Beat It“ Van Halen-Fan geworden, ein anderer guckt mehr als bedröppelt und sagt, er habe jetzt wohl seinen ganz persönlichen Kurt Cobain-Moment, ein Dritter bemerkt abwesend, er sei immer davon ausgegangen, vor Michael Jackson zu sterben.
Ich will gar nicht so tun, als wäre ich je ein wahnsinnig großer Michael Jackson-Fan gewesen. Als Jarvis Cocker vor Jahren einen Auftritt Jacksons störte, da klatschte ich dem zwangsironischen Milchbart Cocker innerlich Beifall für seine Unverfrorenheit, einer so von sich selbst besoffenen Figur die aufgeblähte Show vermasselt zu haben.
Trotzdem: Wie kann einem Michael Jackson egal sein, wenn man in den Untiefen seiner Pubertät mit den „Thriller“-Hits konfrontiert wurde: mit „Beat It“, mit dem Titelsong des Albums – und natürlich vor allem mit seinem schönsten Achtziger-Song überhaupt, „Billie Jean“. Ich hege eine höchst komplizierte Hassliebe zu diesen Songs, die zu Beginn der Achtziger immer liefen, wenn ich gerne etwas anderes gehört hätte und die ich erst nach Jahren zu mögen gelernt habe. „Off The Wall“, eins der besten Party-Alben aller Zeiten, habe ich auch erst spät zu schätzen gelernt – es steht jetzt gerade ganz vorne im Plattenstapel.
Dennoch war der, der da so kurz vor einem seltsam inszenierten Comeback gestorben ist – ich unterstelle mal ganz einfältig: aus Angst vor dem Weiterleben – auch für die meisten von uns vermeintliche Pop-Auskennern, denen blöder Tratsch und Celebrity-Geschwafel doch angeblich so egal ist, schon lange tot. Weil keine Musik mehr kam – und weil er den Schmerz, den er als Kind aushalten musste, in die wohl bizarrste menschliche Hybris umzuleiten versucht hat: in den zum Scheitern verurteilten Versuch, ewig jung zu bleiben, für immer Kind zu bleiben – und das in einem Gefängnis namens Showgeschäft.
Ich will hier ansonsten nicht heucheln. Den Rest zum Thema werden bessere, fachkundigere Nachrufe und die Biographen klären. Wer aber in diesen Tagen Michael Jackson auf seinem Zenit hören will – und als fröhlich klingenden Menschen -, der greife zu „Off The Wall“.
Einen „persönlichen Michael Jackson-Moment“ habe ich nicht.
Ich kann mich nur erinnern, daß es zur Zeit meiner Pubertät einmal ein Mädchen gab, das mir amourös zugetan war, und das ich abweisen musste, da es sich stilistisch stark an Michael Jackson orientierte. Ich war damals vermutlich Rockist und hielt Pop für eine Krankheit. Vielleicht war die Ablehnung ein Fehler. Es könnte auch sein, daß sich besagtes Mädchen an Boy George orientierte, das konnte man zu jener Zeit, um 1984, nicht so genau sagen.
Das restliche Gerede rund um Pop verliert, da ein Großer abgetreten ist, an Dringlichkeit. Trotzdem noch mal für alle, die es nicht mitbekommen haben sollten:
Dieter Gorny hat die Popkomm abgesagt.
Oliver Kahn hat die Fußballweltmeisterschaft abgesagt.
Dirk Bach hat den CSD abgesagt.
Klaus Lage hat die Rockmusik abgesagt,
und ich lösche heute Abend das Internet, damit endlich Ruhe ist.