Das Pop-Tagebuch

Das Pop-Tagebuch

Popmusik, so ist verstärkt zu hören, ist ein von der totalen Entwertung bedrohtes Kulturgut. Und wie fast alles, was keinen Wert mehr hat, ist auch

Kampf der Giganten: James Last vs Kings Of Leon

Diesmal: Ein Ausritt in die Wüste der musikjournalistischen Serviceleistungen. Eric Pfeils Pop-Tagebuch begibt sich auf das dünne Eis des direkten Konzertvergleichs: Beim Arenakonzert welcher Musikgiganten schwappen die Wellen der Freude höher – bei den Kings Of Leon oder bei James Last? Erleben Sie zotige Ansagen, gewagte Bühnenmonturen und Hits, Hits, Hits!

Als ich unlängst auf dem Kölner Konzert der Frisuren-Metal-Band Mötley Crüe weilte, wurde ich im Foyer der Halle von einem tätowierten jungen Mann gezielt angerülpst. Ich war hierüber allenfalls mild empört, denn schließlich befand ich mich sichtlich auf der falschen Party: Weder trug ich die erforderlichen Metal-Folklore-Trachten, noch war ich mit irgendwelchen anderen Insignien der Härte ausgestattet. Ich habe aber, das muss ich zugeben, vor allem deshalb von einer Maßregelung des Mannes abgesehen, weil man mich sonst womöglich kollektiv verhauen hätte. Ich schreibe das nur, um ein wenig den Eindruck zu erwecken, mein Beruf sei nicht ganz ungefährlich.

Ansonsten soll es heute um etwas ganz Anderes gehen. Ich möchte nämlich einen ambitionierten musikberichterstatterischen Versuch wagen. Hintergrund ist der Umstand, daß ich vor einer Woche die Konsens-Rockband Kings Of Leon in der Kölner Lanxess-Arena zu besichtigen die Freude hatte. In derselben von enormer Weitläufigkeit und akustischer Rappeligkeit geprägten Halle sah ich vor Wochen auch den 80jährigen Orchesterleiter James Last. Daher erfolgt heute exklusiv an dieser Stelle

„DER GROSSE KINGS OF LEON/JAMES LAST-KONZERTVERGLEICH“!

Zunächst ist zu sagen, daß die Kings Of Leon momentan ja überall sind. So scheint es Fernsehschaffenden derzeit schlichtweg unmöglich zu sein, einen Magazin-Beitrag über Wasserski, Baggerseen, Eisessen, Jugendsexualität, Alterssexualität, Kanalreinigungsarbeiten, Zebras oder antike Streichelkeramik herzustellen, ohne dafür die Musik der Kings Of Leon zu verwenden. Lediglich in Michael Jackson-Berichten läuft nur selten etwas von den Kings Of Leon. Auch im Radio dudelt dauernd „Sex On Fire“ oder irgendein anderes Werk der amerikanischen Band. Und jetzt sind sie auch noch die erste Band des Post-2000er-Indie-Booms, die es in Deutschlands größte Konzertarena schafft. Das hätte den ehedem zauselhaarigen Burschen vor Jahren, als sie noch klangen, als seien Velvet Underground mit Schmackes in den Heuschober von Creedence Clearwater Revival gebrettert, niemand zugetraut.
Wenn man sagt, die Kings Of Leon sind überall, muss man der Fairness halber auch sogleich anführen, daß James Last nun wirklich schon überall war: Als Käpt’n James beschipperte der ehemalige Bassist mit seinem fröhlichen Orchester sämtliche seichten Musikgewässer und ließ dabei keine billige Hafenrundfahrt aus. Auch die Partykellergelage meiner Eltern wurden von Lasts Platten regelmäßig in obere Entrücktheitskategorien geschossen.

Erstes Vergleichskriterium sollte der Konzertanfang (immer das Wichtigste bei einem Auftritt, egal von wem) sein.
Hier liegen die Kings Of Leon klar vorne. Im lediglich von flackerndem Geblitze durchzuckten Dunkel zu Boxkampf-tauglicher klassischer Musik auf die Bühne zu kommen, ist zwar ein häufig genutztes Einstiegsbrimborium, funktioniert aber auch verlässlich gut.
Bei James Last habe ich den Anfang leider verpasst, aber ich glaube kaum, daß der rüstige Orchesterleiter an dieser Front punkten konnte. Wenn mich allerdings mehr als vier Leserbriefe erreichen, in denen glaubhaft (und unter Verwendung von Bildmaterial) dargelegt wird, daß James Last zu Beginn seiner Shows stets auf einer aus dem Hallenhinteren abgeschossenen Kanonenkugel einreitet, bin ich bereit, meine Punktevergabe hier zu korrigieren.

Vergleichskriterium Nummer 2: Humor
Ein ganz klarer Sieg für James Last. Das liegt erstens daran, daß die Kings Of Leon in etwa so humorvoll sind wie ein müder Deutscher im Stau  (ein Punkt, der sie als Rockband eben gerade so toll macht).
Zweitens ist James Last einfach extrem lustig. Was er zwischen den Stücken da abzieht, lässt an einen alten Playboy an der Hotelbartheke denken. „Die können blasen!“, ruft er bei der Musikervorstellung seinen Trompetern hinterher, auch die „Po-Ebene“ einer seiner Sängerinnen wird vom Meister gerühmt. Last demonstriert auch popkulturelle Kenntnis: „Kennt Ihr Amy Winehouse?“, ruft er irgendwann ins Publikum, nachdem er seinem Gitarristen argen Brandy-Konsum unterstellt hat. „Die muss auch nach jeder Produktion einen einschenken“. Dann spielt er „Rehab“.

Vergleichskriterium 3: Kleidung
Auch hier ein großes Plus für James Last, da die Kings Of Leon in ihren Rockröhrenhosen inzwischen aussehen wie leidlich modisch gekleidete Handyverkäufer. So etwas darf im großen Rockgeschäft nicht sein. Auch Vince Neil, der Mötley Crüe-Sänger, sagte mir vor zwei Wochen kopfschüttelnd im Interview, er habe Grunge vor allem deshalb so blöd gefunden, weil die Bands alle aussahen wie ihre eigenen Fans.
James Last dagegen trägt einen feinen Anzug. In der Pause zieht er sich sogar rum und kommt in einem Jacket zurück, dessen Muster mich an ein altes Sofa meiner Oma erinnert. Trotzdem flott!

Vergleichskriterium 4: die Hits
Hier siegen Leon, die Profis! „Sex On Fire“ ist tatsächlich genau der seltene Fall von einem Konsens-Hit, den ich gerne und ohne falsche Scham mit 14.000 anderen Menschen teilen mag.
James Last spielt zwar auch „Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung“ (Szenenapplaus), aber auch Murks wie eine endlose Fassung von Green Days „When September Comes“.

Vergleichskriterium 4: Stimmung
Hier hat wiederum der Easy Listening-Hansdampf die Nase vorn. Bei den Kings Of Leon wird stumpf mitgeklatscht – die unterste Schublade menschlicher Rhythmus-Regung. Bei LL Cool James formiert sich beim nachgespielten Pink-Hit „So What“ tatsächlich eine Polonäse, die munter durch die Arena zieht. Angeführt wird diese von einem Mann, der einen gelben Regenschirm mit einem Entengesicht darauf rhythmisch auf und ab führt! Man muss es wohl gesehen haben. Auch Paartanz ist zu bestaunen.

Ich halte fest: James Last siegt gegen die Kings Of Leon mit einem verdienten 3:2. Hätte ich allerdings das Kriterium „Solistenleistungen“ herangezogen, hätten die Rockmusikanten gleichgezogen, da sie auf unnötiges Gitarrengenüddel fast komplett verzichten. Lasts Gitarrist hingegen bot unter antiquiert wirkenden Körperkrümmungen ein paar angeberische Instrumentenfachhandelmitarbeiter-Soli dar, für deren effekthascherische Aufdringlichkeit jeder Nachwuchsgitarrist zur Strafe sein Instrument hätte aufessen müssen. Kategorien wie „Merchandise“, „klangliche Brillanz“ oder „Sexualität“ mussten leider aus Platzgründen geopfert werden.

Lesen Sie beim nächsten Mal:
Die soeben wiedervereinten Blur gegen Hansi Hinterseer im großen Eric Pfeil-Klamottencheck mit anschließendem Mötley Crüe-Bespucken.