Das Pop-Tagebuch

Ein Fan der Stille – zu Besuch auf der c/o pop

Ich habe etwas Bedauerliches festgestellt.
Niemand möchte mehr Fan sein.

„Also, ich finde Barclay James Harvest wirklich sehr gut, aber als „Fan“ würde ich mich nicht bezeichnen, überhaupt bin ich kein „Fan“ von irgend etwas“.

So oder ähnlich tönt es dieser Tage häufig aus dem Munde junger wie älterer Popmusikhörer. Längst hat die Selbst-Stigmatisierung „Fan“ einen ähnlich schlechten Stellenwert erlangt wie die Bezeichnung „Hirni“, „Leuteschinder“ oder „Tierquäler“. Das ist umso erstaunlicher, als die pseudo-aufklärerische Fan-Feindlichkeit mir nicht so recht in diese doch sonst so emotionslüsterne Zeit zu passen scheint, in der Politik zunehmend mit Gefühlen gemacht wird und im Fernsehen stets jemand weint  – meistens weil er oder sie wahlweise gewonnen oder verloren hat, irgendwo ausgeschieden oder irgendwo weitergekommen ist. Möglicherweise ist das Wort „Fan“ aber für viele zum Unwort geworden, seit jeder vorzeitig rausgeflogene DSDS-Kandaidat von „meinen Fans“ faselt.

Ich glaube, die meisten Menschen haben vor der Bezeichnung „Fan“ aus ähnlichen Gründen Angst, die viele Zeitgenossen auch vor dem Wort „Liebe“ zurückschrecken lässt: Die Sorge, der Absolutheit und Größe des Wortes nicht gerecht werden zu können, lässt manchen ängstlich kneifen und lieber von ödem „Gutfinden“ oder „Mögen“ sprechen. Dabei leben doch beide Bezeichnungen nicht von Sicherheit, sondern von der beherzten Behauptung.
Worin die Skepsis, die der Fan-Kultur entgegengebracht wird, auch fußen mag – sie ist hochgradig bedauerlich, da so eine gewisse Kultur der Besessenheit kaputt geht. Und Besessenheit ist es, die wir in diesen grimmigen Zeiten brauchen: Wir brauchen augenrollende Hingabe, lallende Ekstase und Begierde, bis es blutet! Vielleicht nicht in der Atomphysik, aber doch zumindest im Pop.

Ich jedenfalls bin schon seit Teenager-Zeiten Fan. Fan beispielsweise von Italo-Western, King Tubby, Thomas Mann, Al Green und Ofenkartoffeln. Alle haben sie mich schon mehr als einmal enttäuscht (außer Italo-Western und Ofenkartoffeln), aber ich bleibe dabei. Ich bleibe Fan und bin so regelmäßiger Glücksüberschwappungen sicher. Ich finde, es kann nicht schaden, hin und wieder seinen Verstand am Altar der Bedingungslosigkeit zu opfern.

Doch nun mitten hinein ins Geschehen. Genau gesagt: mitten hinein ins Getümmel der c/o pop, jener kleinen, überaus feinen Musikmesse, die seit 2004 alljährlich in Köln veranstaltet wird. In meinen hautengen und mit meinen Initialen bestickten Ausgeh-Overall geschnürt, habe ich mich unter selbstloser Inkaufnahme von Hämatomen und hohem Schweißverlust in den letzten Tagen und Nächten ebendort herumgetrieben und hatte viel Freude. Die Messe ist von jener angenehmen Kölner Ernsthaftigkeit, die hier fast jedes Gespräch über Musik durchflutet, und es ist ihren Machern hoch anzurechnen, daß sie nach Dieter Gornys Popkomm-Absage nicht auf Größenwahn und Aufplusterung gesetzt haben.
Nachdem ich der eigentlichen Messe verwiesen worden war, nachdem ich in einem Panel der unpopulären These Ausdruck verliehen hatte, daß früher alles besser war und Jugendliche mit Internetverbot und Stubenarrest zu belegen seien, habe ich mich allein auf die abendlichen Konzerte konzentriert – und die waren durch die Bank grandios.

Ein erster Höhepunkt war erwartungsgemäß das Konzert des sanften Melancholikers, ehemaligen Lo-Fi-Pioniers und genialen Songschreibers Bill Callahan im Stadgarten. Eigentlich ist es Unfug, den Mann, der mit „I Wish We Were An Eagle“ mein bisheriges Lieblingsalbum des Jahres zu produzieren die gütige Größe hatte, mit dem Begriff Singer/Songwriter zu belegen: Das ist im Grunde so, als bezeichnete man Helge Schneider als Comedien oder John Coltrane als Saxophonisten oder Pete Doherty und Veronika Ferres als achteckige Radprofis mit Schwerpunkt Pilates.
Bill Callahan ist ein emotionaler Verspröder und Gefühlsnapfaustrockner. „I started out in search of ordinary things/How much of a tree bends in the wind?/I started telling the story without knowing the end“, sprechsingt er mit seiner knäckebrottrockenen tiefen Stimme in „Jim Cain“ und geht dabei doch mehr ans Herz, als all die liedschreibenden Deppen, die, wenn es um Gefühlswelten geht, auch immer gleich reflexartig das Wort „Gefühle“ oder öde Trivialmetaphern („Kälte“, „ice“, „hunger“ o.ä.) benutzen müssen. In der nächsten Zeile desselben Stücks lässt Callahan dann diesen unglaublich lakonischen Satz vom Stapel: „I used to be darker, then I got lighter, then I got dark again“. Seine Gitarre spielt er in etwa so trocken wie er singt (dem Stil des jungen Lou Reed nicht unähnlich), doch seine famose Band veredelt die strukturell abstrakten Lieder oft zu schönstem Off-Country-Soul.

Am nächsten Tag spielten The Notwist in der Philharmonie. Ich war nie der weltgrößte Fan dieser verschlufften Hemd-aus-der-Hose-Band, aber die am Freitag in Köln aufgeführte Zusammenarbeit mit dem großartigen Andromeda Mega Express Orchestra war schlichtweg „atemberaubend“, wie es auf Buchrücken von skandinavischen Krimis oder in Rezensionen von Pedro Almodovar-Filmen gerne heißt. Die Flaming Lips und „Song Cycle“, Knarz-Elektronik und Krautrock, Shoegazer-Pop und Neue Klassik, französische Filmsoundtracks der Siebziger, Jazz, Psychedelia, Exotica und die Pet Shop Boys haken sich beieinander unter und springen durch unentdeckte Klang-Auen. Mit Hemd aus der Hose. Voraussichtlich mehr dazu in der FAZ am Dienstag.

Samstags konzertierte dann der kanadische Piano-Schnösel, egomane Vielkönner und hochmusikalische Rollenschlüpfer Gonzales im Herr von Eden-Laden. Dort, wo sonst edles Geschmeide und teure Indie-Couture veräußert werden, stand an jenem Abend ein weißer Flügel, um den sich eine strahlende, unterhaltungsbegierige Schar aus Musikfreunden, Bändchenträgern, lokalen Gecken und erstaunlich vielen Kindern versammelte. Schon während der Wartephase vor dem Auftritt floss der Schweiß den Herumstehenden in Sturzbächen die Körper herab, so daß bald – in Überwindung aller Gegensätze – Gecken und Bändchenträger einander Luft zufächerten und im Zustand des Zerfließens rasch nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren.
Der Auftritt geriet zu einer grandiosen, nun ja, Performance, in der sich musikalische Lehrstunde, eitles Maestro-Gehabe, charmanter Größenwahn, zotige Erzählungen und virtuoses Tastenspiel zu selten komplexem Entertainment verbanden. Der Künstler, der kürzlich in Paris mit 300 Stücken in 27 Stunden den Weltrekord im Dauerklavierspielen aufgestellt hat, kam im weißen Frack und klimperte sich mit ein wenig Satie in den Abend. Bald schon folgten donnernder Piano-Techno, äußerst unpeinliche Mitmach-Aktionen, ein Auszug aus einer Mini-Oper über des Künstlers Leben (die ihm u.a. Gelegenheit gab, Wagner in ein Jazz-Arrangement zu überführen), Lektionen über die Schönheit der Stille und vieles mehr. Wenn man Gonzales eins vorwerfen kann, dann ist es vielleicht sein Ehrgeiz, den auch keine Selbstironie aufzubrechen vermag – aber ohne ein riesiges Ego könnte man eine derartige Ein-Mann-Schau kaum stemmen.

Danach taumelte ich auf die Straße. Musik möchte ich in den nächsten Tagen bitte keine hören. Ich werde jetzt erstmal Fan der Stille.

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