Wer schon immer wissen wollte, worin genau der Unterschied zwischen der prächtigen Band Teenage Fanclub und dem mitunter etwas prachtarmen Land Deutschland besteht, dem kann ich als Einstieg in diesen Text eine Antwort bieten: Der Unterschied zwischen Teenage Fanclub und Deutschland besteht darin, daß sich Teenage Fanclub nun schon seit Jahren an den drei großen B – den Beatles, den Byrds und Big Star – orientieren, wohingegen sich Deutschland an den drei kleinen B – Barth, Bohlen und Bushido – orientiert.
Im März, so heißt es, soll es eine neue Teenage Fanclub-Platte geben, eine Nachricht, die viele meiner Freunde schon jetzt in ekstasenahe Zustände versetzt. Von Deutschland gibt es eigentlich dauernd Neues, da brauche ich also nichts drüber zu schreiben. Zu Bushido schreibe ich auch nichts. Menschen, die permanent erzählen, daß sie „sich selbst treu geblieben“ sind und solches auch noch als Wert zu verkaufen versuchen, lassen allzu rasch Ödnis in mir emporsteigen. Sich selbst treu zu bleiben, wird überschätzt. Jeder kann sich selbst treu bleiben, da ist es ja schwieriger, sich ein Brot zu schmieren.
Jetzt habe ich doch über Bushido geschrieben. Schnell weiter. Und zwar zu David Byrne und Fatboy Slim. Die sind sich nicht einfach nur treu geblieben oder haben gemeinsam Brote geschmiert. Sie haben stattdessen gemeinsam einen Liederzyklus komponiert. „Und wovon handelt dieser Liederzyklus?“, mag mancher nun so naseweis wie berechtigt fragen. Das ist es ja: Während sich Liederzyklen zumeist um solch niederen Mumpitz wie Liebe, Schwäne, Mauern, Menschen mit dem Namen Tommy oder um Haare ranken, widmen sich David Byrne und Fatboy Slim einem weitaus originelleren Thema. Ihr Liederzyklus handelt nämlich von Imelda Marcos, der philippinischen Politikerin und Machthaber-Gattin. Ich finde es einigermaßen faszinierend, was Künstler, die nachts an irgendeiner New Yorker VIP-Theke oder im Backstage-Bereich eines Arcade Fire-Konzertes ins Schwatzen kommen, sich so für gemeinsame Projekte ausdenken. Man kann es reichlich prätentiös und verquast finden, einen Liederzyklus über Imelda Marcos zu komponieren. Man kann aber auch in Anerkennung der Tatsache, daß die meisten Menschen, die zum Zwecke gemeinsamer kreativer Arbeit die Köpfe zusammenstecken, kaum über die Gestaltung von Briefpapier hinauskommen, begeistert ausrufen: „Hurra! Endlich mal was anderes!“.
Kleinliche Menschen werden bemerkt haben, daß ich bei meiner Aufzählung eben Liederzyklen, Rockopern, Musicals und Konzepalben fahrlässigerweise in einen Topf geworfen habe. Doch das passt schon, denn es ist dies ein Topf, aus dem ich mich nicht eben mit großen Schöpfkellen bediene. Gleiches gilt für den blubbernden Topf mit der Aufschrift „britischer Folkrock/keltisches Liedgut/Akustik-Prog/Leierkasten-Psychedelia“. Und doch führte mich mein Weg in der letzten Woche zwecks Berichterstattung für die FAZ ins ausverkaufte Kölner Luxor, wo die derzeit vielbemurmelte Band Midlake ein Konzert gab. Für Nichteingeweihte: Midlake sind fünf studierte Musiker aus Denton/Texas, die mit ihrer letzten Platte – einer forscherartigen Aneignung von Westcoast-Rock-Spielarten – in Musikliebhaberkreisen für mehr Verzückung sorgten als gemeinsam gestaltetes Briefpapier von Fatboy Byrne und David Slim. Die neue Platte befasst sich mit einem anderen Genre. Sie werden es ahnen: „britischer Folkrock/keltisches Liedgut/Akustik-Prog/Leierkasten-Psychedelia“.
Ich möchte zu dem Konzert hier nur noch soviel sagen: Es war wohl das erste und letzte Konzert meines Lebens, bei dem gleich zwei (!) Querflöten zum Einsatz kamen. Als sensibler Zeitgenosse konnte man geradezu dem Eindruck erliegen, in Gestalt von Midlake-Chef Tim Smith sei ein sadistischer Jethro Tull-Fan am Werke – fest entschlossen, sich mittels doppelten Flöteneinsatzes für jahrelanges musikgeschmackbedingtes Hänseln zu rächen.
Nun ist der doppelte Einsatz eines Instruments ja nicht von vornherein grotesk. Ich war beispielsweise schon auf Konzerten mit zwei Schlagzeugern. Auch auf Konzerten mit zwei Sackpfeifenspielern konnte man mich schon umherstehen sehen, was unmittelbar damit zu tun hat, daß ich vor Zeiten beruflich ein Konzert der Gruppe In Extremo besuchen durfte. Die Band eines guten Freundes bot sogar dereinst zwei Bassisten die Möglichkeit zur musikalischen Selbstverwirklichung. Aber zwei (!) Querflöten? Ich vermute, ich werde mir eher das Konzert einer Band ansehen, in der drei Didgeridoo-Spieler und fünf Sopransaxophonisten unter wüsten Körperkrümmungen ihre Arbeit verrichten als ein weiteres Mal zu einer Band mit zwei (!) Querflöten zu gehen. Es ist ja schlechterdings noch nicht einmal möglich „zwei (!) Querflöten“ zu schreiben, ohne nach dem Wort „zwei“ ein Ausrufungszeichen zu machen. Hier der Beweis: zwei (!) Querflöten.
Dabei könnte der eine – meines Erachtens überzählige – Querflötenspieler doch etwas Sinnvolles tun: zum Beispiel Facebook-Aussteiger betreuen. Er könnte Menschen, die der Online-Schnatterei von der Schippe gesprungen sind, bei der Hand nehmen und wieder zurück ins Leben führen. Oder der überzählige Querflötenspieler komponiert gemeinsam mit einem überzähligen sechsten Sopransaxophonisten irgendeiner Jazzfunk-Band zusammen einen Liederzyklus über Margot Honecker.
Gibt es eigentlich Musiker, die sich in ihrem gegenwärtigen Wirken auf Ostrock berufen? Wahrscheinlich nicht. Dabei existieren hier echte Perlen. „Wenn ein Mensch lebt“ von den Puhdys etwa. Ein Stück, das mir noch heute die Tränen in die Augen treiben kann. Der singende Schauspieler Jan-Josef Liefers hat es kürzlich gecovert, das Ergebnis war leider nicht so gut. Singende Schauspieler sind ja eigentlich nur dann singende Schauspieler, wenn sie beim Schauspielern singen. Jan-Josef Liefers tat genau das neulich in der ARD-Komödie „Die Spätzünder“, die ich mit zunehmend ungläubigen Blick in der letzten Woche bestaunen durfte. Liefers spielt darin einen Freizeit-Rockmusiker, der vom Gericht zu Sozialstunden in einem Altenheim verknackt wird und dort mit Unterstützung von Blacky Fuchsberger (!) als trinkfreudigem Opa (!!) eine Rockband (!!!) zusammenstellt. Was sich diese Fernsehleute so alles ausdenken, wenn sie nüchtern sind! 8,11 Millionen Zuschauer sahen angeblich das seltsame Schauspiel. Ich frage mich seitdem, ob in den Altenheimen seither eine gewisse Angst unter den alten Leuten grassiert, daß sie von singenden Schauspielern dazu gezwungen werden, in Rockbands mitzuspielen. Auch dürften seit jenem Fernsehabend etwa 8,11 Millionen Deutsche eine seltsame Vorstellung von der Rockmusik bekommen haben.
Blacky Fuchsberger ist übrigens ein wirklich großes B. Seiner Mitwirkung hatte die ARD-Produktion definitiv ihre besten Momente zu verdanken. Hat der große B. je eine Schallplatte eingesungen (wie es ja viele Siebziger-Showmaster taten)? Ich werde recherchieren. Bis dahin summen Sie bitte täglich zweimal den fiktiven Tocotronic-Song „Ich bin mir immer untreu geblieben“.