24.08.2010
In einem Antiquariat entdecke ich eine Ausgabe des Musik Express vom Februar 1981. 1981 – mon Dieu! Da war ich zehn Jahre alt! Ich war verliebt in Natascha aus meiner Klasse. Die wiederum verliebt war in Frank aus meiner Klasse.
In der Zeitschrift befindet sich zwischen Artikeln über „Das Phänomen Peter Maffay“ und die Boomtown Rats unter der Überschrift „Die große Rockwahl 1980″ ein sogenannter Jahres-Poll: eine in allerhand Kategorien aufgefächerte Abstimmung der Leser über ihre musikalischen Vorlieben und sonstigen Präferenzen. Hier nun ist zu erfahren, dass die Leser des Musik Express jener Tage The Police zur besten Band kürten. Zum besten deutschen Act wählte man die Scorpions, „Single des Jahres“ war Bowies „Ashes To Ashes“, in der Kategorie „Album“ siegten abermals The Police mit „Zenyattà Mondatta“, und zum beliebtesten Buch erkor man das „Ottobuch“.
Es gab auch die Kategorie „Betrug des Jahres“. Ähnliche Rubriken findet man ja bis heute in derlei Polls. Manchmal heißen sie „Enttäuschung“ oder „Flop des Jahres“. Hier wählen die Leser meistens Polit-Prominenz der Abteilung „Kohlschrödermerkelbushsarrazin“: Es ist die Kategorie der schlichten Feindbilder und einfachen Aufreger. Es tanzt der popkulturelle Stammtisch, es brennt der Boulevard des Hasses, und das ist zumeist so langweilig wie gerecht.
Interessanterweise siegte im 1981er-Musik Express in der Kategorie „Betrug“ noch vor „Bundestagswahl“ (Platz 2) und „Konzertpreise“ (Platz 3) die „Nina Hagen-Tournee“. Ich würde ja zu gerne wissen, was Frau Hagen da auf ihrer Tournee 1980 getrieben (oder womöglich: nicht getrieben) hat, dass abertausende anständige Musik Express-Leser sich befleißigt fühlten, mit vor Zorn bebender Feder „Nina Hagen-Tournee“ auf ihre Ausfüllbögen zu kritzeln. Vielleicht war sie ja auch einfach nur nicht gut, ich halte das für recht wahrscheinlich.
Die schönste Kategorie der „Rockwahl“ aber war „Bester Spruch“, ein Komplex, der heute in derlei Magazinen leider nicht mehr abgefragt wird. Doch damals war Sprücheklopfen noch ein ganz großes Ding, es war die Glanzzeit der Blödelsynchronisationen und Thomas Gottschalk galt als jung und frech. Bevor ich nun die Plätze eins bis drei der Kategorie „Bester Spruch“ hier reproduziere, muss ich darauf hinweisen, dass ich mir das keinesfalls ausgedacht habe.
Auf Platz 3 in der Kategorie „Bester Spruch 1980″ landete: „Rock is a drug“. Zweifelsohne eine ziemliche Granate von einem Spruch. Wer solches seinerzeit über die Lippen gleiten ließ, der durfte sich wohl selbst in fortgeschritten distinktionslüsternen Kreisen an Götzenkult grenzender Verehrung sicher sein. Auf Platz 2 dann: „Legalize Erdbeereis“. Auch dies eine Flapse, die bis heute nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt hat und auch heute noch bei zahlreichen hinter Spielkonsolen verschanzten Jugendlichen für respektvolles Schnalzen sorgen dürfte. Nun wird es aber wirklich grandios: Auf Platz 1 der besten Sprüche 1980 landete ein Reim, der gekonnt Schnodderigkeit mit einem Hauch von Schlägermentalität verband und damals sicher jedem Oberlippenflaumträger, der ihn äußerte, die Wogen der Begeisterung entgegenschwappen ließ. Der beste Spruch 1980 lautet: „Haut die Popper platt wie Whopper“. Was mich zu Hurts bringt.
27.08.2010
Stammleser der„Men’s Health“ und des Schwäbischen Anzeigers werden es längst wissen: The Drums sind tot, die Band der Stunde heißt Hurts. Ich habe eben versucht, mir ihre in einer beispiellosen Kampagne ins musikhörende Kollektivbewusstsein gedrückte Musik mal anzuhören. Beim Schmieren eines Brotes. Es hat nicht funktioniert. Ich finde, Musik, die man beim Schmieren eines Brotes nicht hören kann, ist Quatsch. Ich habe mir schon sagenhaft gute Brote zur Musik solch unterschiedlicher Künstler wie Toto, Status Quo oder Gianna Nannini geschmiert. Keinen der Genannten würde ich als Lieblingskünstler bezeichnen, aber ein Brot – das ging immer! Bei den Hurts aber ging nicht mal ein Brot.
Wollte ich die Band einfach nur leichtfertig schmähen (was legitim wäre), so würde ich nur schreiben: Das Duo, auf das sich alle Langweiler vom „Wetten, dass..?“-Neue-Musik-Scout über das Klamottengeschäftsdoofilein bis hin zu La Roux-Fans (solls ja geben!) einigen können, verkörpert alles, was ich an den Achtzigern eklig fand. Alles, wogegen eine Band wie The Smiths mal angetreten ist.
Es geht aber auch unpolemischer. Der Fehler, den Hurts machen, ist ein Standard im retrospektiv angelegten Pop: Anstatt eine während einer bestimmten Epoche waltende Idee aufzugreifen und weiterzudenken, greift die Band die Epoche selbst auf. Der Lenny Kravitz-Fehler, wenn man so will. Und da das ganze langweilige Retro-Synthiepop-Genre ja noch keine Lenny Kravitze hatte, können Hurts den Posten gerne haben. Sie sind die Lenny Kravitz des Achtziger-Pop. Ich schmiere mir jetzt ein Brot zu Tony Bennett.
01.09.2010
Hurts und die Folgen. In einem abendlichen Plausch vertreten alte Freunde die häufig gehörte These, der zufolge es in der Popmusik nichts wirklich Neues mehr gäbe. Nur noch postmodernen Reaktivierungsquatsch.
Das ist nicht nur Unsinn, es ist mir auch wurscht. Neues interessiert mich nicht, ich will Besonderes. „I just want something special / I don’t want something new“ singt der New Yorker Songschreiber Turner Cody auf seiner aktuellen musikalisch strunzkonservativen, aber lyrisch einzigartigen Single „Land Of The Living“. Wenn die Leute nach Neuem in der Kunst rufen, muss ich immer an „Die Muppets in Manhattan“ denken. In diesem schönen Film versuchen Kermit und seine Freunde ein Musical am Broadway zu platzieren. Doch keiner der namhaften Produzenten mag sich auf singende Frösche und tanzende Bären einlassen. Lediglich der progressiv gestimmte Sohn eines besonders namhaften Produzenten zeigt Interesse. In einer Szene bittet er seinen Vater – Typ: grauhaariger Zigarreraucher im Anzug – dem Frosch-Musical doch eine Chance zu geben. Die Szene enthält den folgenden hübschen Dialog, der meines Erachtens alles zum oben angerissenen Thema sagt:
Sohn: „Ich hab dir immer gesagt: Ich will mal was völlig Neues machen!“
Vater: „Dann tu‘ dir Gelatine in die Bermudas.“
05.09.2010
Die letzte Nacht war aufreibend. Man mag vermuten, ich wäre womöglich auf den Wogen des Nachtlebens gesurft und hätte mir die Laune zusätzlich mit magischen Wunderpulvern aromatisiert. Dabei lag ich nur im Bett und träumte schwer. Ich träumte, ich wäre mit Morrissey in Urlaub gefahren. Es war natürlich grauenhaft.
Gleich am ersten Tag gab es Stress, weil wir erst auf der Hinfahrt (ich fuhr, Morrissey saß auf dem Beifahrersitz und moserte) darüber entschieden, ob wir nun ans Meer oder in die Stadt fahren wollten. Ich war für’s Meer, aber Morrissey sagte, am Meer, da sei Pasolini erschlagen worden, das komme ja wohl nicht in Frage. Ich sagte daraufhin den tollen Satz „Das Meer ist groß“, und Morrissey sagte, solche Sätze seien ja wohl das Allerletzte. Für den Rest der Fahrt herrschte dicke Luft, im Endeffekt fuhren wir – natürlich – nach Rom.
Eine zeitlang war Morrissey übrigens in diesem Traum auch der Nachrichtensprecher Marc Bator. Fragen Sie mich nicht, was das bedeuten soll, so ist das nun mal in Träumen. Als wir in Rom ankamen, war er aber ganz klar wieder Morrissey, der Nachrichtensprecher Marc Bator hat ja auch eine ganz andere Stimme.
Im Hotel gab’s dann wieder Ärger, weil Morrissey an der Badewannengröße Anstoß nahm. Mir war das egal, ich guckte aus dem Fenster unseres römischen Hotels und sah Athen.
Abends dann gingen wir in eine Rimini-Disco (obwohl wir ja in Rom/Athen waren). Dort legte DJ Sarrazin provokanten Kopftuchpunk auf. Morrissey fand das super, ich hingegen nur so mittel. Viel schlimmer fand ich aber, dass es mich so ärgerte, dass Morrissey auf so billigen Quatsch abfuhr. Er schrieb dann auf einer ihm mit einem Drink gereichten Serviette einen neuen Songtext, das Stück hieß: „Medienverwahrloste Integrationsmuffel haben mir den Parkplatz weggenommen“.
Den Rest habe ich vergessen. Nein, ich bin auch nicht stolz darauf, dass sich meine Träume lesen, als hätten Monty Python und Michel Gondry gemeinsam auf einem Bierdeckel eine alberne popmusikalische Phantasie mit angestrengt tagesaktuellen Bezügen hingekrakelt, aber so ist es nun mal.
06.09.2010
Natürlich hat es Gründe, dass ich von Morrissey träumte.
Am Vortag nämlich hatte mir ein guter Freund ein im Guardian veröffentlichtes Interview mit dem Edel-Grantler zukommen lassen. Das Interview wird recht haarsträubend, als Morrissey plötzlich ungefragt über Chinesen dahersarrazinisiert und diese als „Sub-Spezies“ bezeichnet: „Did you see the thing on the news about their treatment of animals and animal welfare?“ fragt er den Interviewer. „Absolutely horrific. You can’t help but feel the Chinese are subspecies“. Im Grunde gelingt es Morrissey mit dem Zitat ja äußerst smart, die zwei derzeitigen Erfolgsbücher in Deutschland – Sarrazins Gequirle und Jonathan Safran Foers „Tiere Essen“ – in eine einzige Schmähung zu packen. Ist er deswegen der Sarrazin des Pop?
Udo Jürgens kommt mir in den Sinn. Der hat sich kürzlich in einem Interview in der Zeit mittelkompetent aber amüsant über HipHop geäußert. „Heute kehrt man Schritt für Schritt zur Infantilität zurück“ weiß Jürgens. „Die Lieder haben immer weniger Harmonien. Rap-Songs haben zum großen Teil nur noch eine Harmonie. Nur noch einen Groove, der wird aus der Maschine geholt, dann lege ich einen Jazz-Akkord drüber, und dazu redet einer. Und ein Mädchen macht uuuuuh.“ Ich kenne viele Menschen, die dieser Äußerung ähnlich begegnen werden, wie manch angstgetriebener Zeitgenosse den Äußerungen des rhetorisch ungewandten Bestseller-Autors S.: „Kann man so echt nicht sagen, aber in manchen Punkten hat er ja Recht! Wird man ja wohl noch sagen dürfen“. Ich sehe das zwar völig anders als Jürgens, hübsch gesagt ist’s aber trotzdem. Haut die Hopper platt wie Popper!
07.09.2010
Kaum eine Platte hat mir dieses Jahr soviel Freude, Herz- und Kopfzerbrechen bereitet wie das neue Erdmöbel-Abum „Krokus“. Zu hören, wie diese Band die feinen, elegant gereimten Texte ihres Sängers Markus Berges, die voller schöner, bislang nie gesungener Wörter stecken, mit Bossa-Rhythmen, Bläsern, Perl-Pianos und federnden Bassläufen zum Klingen bringt, ist ein seltenes Vergnügen. Es ist, obwohl diese Texte an sich schon hochmelodisch sind, einigermaßen sinnlos, sie zu zitieren. Sie können nicht ohne die Musik und ohne Berges‘ angekratzte Stimme. Das heißt: Sie können schon, aber so richtig anders können sie erst mit Musik. Seien Sie gut zu sich und kaufen Sie sich dieses Album. Verschenken Sie es zudem an alle Menschen, die Sie lieben. Man wird es Ihnen danken.
Obwohl die Band und ich in derselben Stadt leben, kennen wir uns nicht. Vor ein paar Monaten jedoch saß ich beim Frühstücken mit einer Dame in einem Café und am Nebentisch saß Erdmöbel-Sänger Berges. Ich halte Berges für einen sehr intelligenten Menschen, und so ertappte ich mich bald dabei, wie ich versuchte, im Gespräch mit der Dame am Tisch nur hochinteressante und intelligent klingende Dinge zu sagen, was mir ziemlich misslang. Berges fand mich sicher komisch, die Dame vermutlich erst recht.
Ach, ich und die Liebe: Erst 1981 Natascha aus meiner Klasse, dann die Geschichte mit Morrissey und jetzt das!
PLAYLIST
Erdmöbel – Krokus
Elvis Costello & The Attractions – Blood & Chocolate (Ich finde den Typen ja schrecklich gestreckt, aber er kriegt mich immer wieder; habe gerade erst diese scheppernde schwer Beatles-beeinflusste 1986er-Platte entdeckt)
Forest Fire – „Fortune Teller“ (Killer-Bass. Für Fans von The Walkmen: „So why not kill someone you hate?“)
Lucio Battitsi – Il nostro caro angelo (Eine der schönsten Platten des großen freien Cantautore)
Lloyd Cole – Broken Record (Unschlagbar! Der beste singende short story-Erzähler mit seiner schönsten Platte seit „Love Story“)
Josh Ritter – So Runs The World Away (sehr gravitätisches Album; es braucht etwas bis man auf den Humor in diesen Liedern stößt)