Das Pop-Tagebuch

Das Pop-Tagebuch

Popmusik, so ist verstärkt zu hören, ist ein von der totalen Entwertung bedrohtes Kulturgut. Und wie fast alles, was keinen Wert mehr hat, ist auch

Die Unseltsamkeit des Einzelnen in einer seltsamen Welt oder SERVICE (und zwar großgeschrieben)

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Die Platten im Januar 2012 mit Laura Gibson, Guided By Voices, The Little Willies, Cosmo Jarvis, Mando Diao und Isaaks Chris.

Eben hat mir der Bundespräsident die Mailbox vollgequatscht: Ob ich nicht ein paar Plattenempfehlungen für ihn parat hätte. Aber bitte nichts von 2011 und auch bitte kein Oldiekram. Und ich möge das mit dem Anruf bitte nicht an die große Glocke hängen. Nun, dem Mann kann geholfen werden, zumindest in dieser Angelegenheit. Um mal so richtig die Servicemaschine anzuschmeißen, gibt es heute an dieser Stelle eine Übersicht der wichtigsten neuen Veröffentlichungen im Januar 2012. Nein, Unfug: Es gibt vermutlich weitaus wichtigere Veröffentlichungen, so zum Beispiel das Buch „Lambada – Tanzen am Rande der Zurechnungsfähigkeit“ oder den Fun-Reader „Die schönsten Mailboxsprüche von Christian Wulff“, aber die Menschen haben es eben so gerne wichtig. Wie auch immer: Es finden sich unter den unten genannten Veröffentlichungen ein paar echte Prunkstücke, aber auch verdrießlich stimmender Mumpitz. Ansonsten wünsche ich mir für 2012 ganz dringend ein neues Album von Robert Forster! Zu den Platten …

Laura Gibson – La Grande (Cityslang, 13.01.2012)
Spielt man jemandem, der mit Laura Gibsons bisherigem Werk nicht vertraut ist, ihr neues Album „La Grande“ vor und lässt jenen Uneingeweihten währenddessen beiläufig wissen, Laura Gibson sei bis zu dieser Platte eine Freak-Fee gewesen, die ihre verschlafenen Lieder aus dem Zaubertann einer seltsamen Americana-Landschaft herauszusäuseln pflegte, wird sich der Novize wundern, wie man denn bitte schön noch Freakfeen-hafter und säuselnder klingen kann, als auf dieser Platte. Tatsächlich aber geht Laura Gibson auf „La Grande“ für ihre Verhältnisse ungewohnt zupackend zu Werke. Und es tut ihrer Musik ausgesprochen gut: So rumpelnd wie beim Twang-versetzten Titelstück, das beinahe nach „Love & Theft“ klingt, wird es freilich für den Rest des Albums nicht mehr. Aber derart mit ihrer Schönheit ins Haus fallende Lieder wie das ausnehmend einnehmend betitelte „Milk-Heavy, Pollen-Eyed“ oder der Holzhütten-Bossanova „Lion/Lamb“ sind ihr bislang nicht gelungen. Produziert hat die Platte abermals der verdiente Tucker Martine  – mit dem Ergebnis, dass Gibson hier ein Album abliefert, das die letzten Veröffentlichungen von Laura Veirs (= Martines Gattin) doch stark nach Stagnation klingen lässt. „La Grande“ ist eine Veröffentlichung, an der sich weitere Songwriter-Platten dieses Jahres messen lassen müssen. Dringend empfohlen.

Cosmo Jarvis – Is The World Strange Or Am I Strange (Rough Trade, 13.01.2012)
Die titelstiftende Frage ist rasch beantwortet: Keine Bange, Junge, Du bist nicht seltsam. Warum Brian Eno in diesem Burschen „a new kind of artist“ zu entdecken meint, wie das Begleitschreiben posaunt, ist mir einigermaßen schleierhaft. Für mich klingt dieser jovial und gefällig rumpelnde Mix aus Kneipen-Folkrock und Bier-HipHop eher nach einem arg spekulativen Versuch, den ungleich unterhaltsameren Jamie T abzuklatschen und gleich noch ein wenig Mumford & Sons-Dartspielermusik mitzuverwursten. Unnötig.

Mando Diao – Greatest Hits Vol. 1 (EMI, bereits erschienen)
Die Frisurenbuben aus Schweden mit einem so überflüssigen wie karriereumspannenden Überblick über ihren Resterampen-Indierock. Beim Durchhören des Albums kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, hier beispielhaft den Niedergang der Indie-Kultur in den letzten zehn Jahren vorgeführt zu bekommen. Man kann sich aber auch zehn Kannen Bier in den Kopf stellen und die Labsale solch ungelenker Bremsbirnen-Zeilen wie „I’m falling in love with your favorite song / I’m gonna sing it all night long“ genießen. Oder erneut feststellen, dass der just zitierte Song klingt wie Tom Jones‘ in Flammen stehender Toilettenvorleger. Für alle, die nach „Schlag den Raab“ noch die Ikeamöbel beiseite schieben wollen, um zuhause ein bisschen zu schwofen. Faszinierend banal.

Guided By Voices – Let’s Go Eat The Factory (Fire Records/Cargo, 20.01.2012)
Wie schön: Robert Pollard lässt wieder das Mikrofonlasso kreisen und surrealisiert sich einen Wolf. Zugegeben: Einige Alben, die Guided By Voices vor ihrer vorläufigen Trennung eingespielt haben, waren nicht besonders toll. Dieses schon. Was nicht zuletzt daran liegt, dass hier die glorreiche Früh-Neunziger-Besetzung nach über zehn Jahren wieder beisammen ist. Insofern erübrigt sich die Frage, ob die Welt noch weitere Alben der genialischen Lo Fi-Bierdosen benötigt. Hier donnert, wummst und poltert es fast wieder wie zu besten Zeiten und so schön verkantete Zweieinhalbminüter wie Robert Pollard schreibt nach wie vor niemand. Auf youtube findet sich ein Auftritt der nunmehr ergrauten (und teilweise kahlenden) Band bei Letterman. Die Musiker sehen immer noch aus wie ihre eigenen Roadies, und Bassist Jimmy Pollard posiert gar so ambitioniert, dass er sich mitten im Song auf die Fresse legt! Are you amplified to rock?

Chris Isaak – Beyond The Sun (Warner, 20.01.2012)
Chris Isaak ist einer der unterhaltsamsten Menschen, die ich je zum Interview treffen durfte und seine frühen Alben aus den Achtzigern sind mir lieb und teuer. Das hier aber ist grauenhaft: Isaak singt sich durch den Singles-Katalog von Sun Records. „Can’t Help Falling In Love“ ist dabei, „It’s Now Or Never“, auch „Great Balls Of Fire“. Auch „Pretty Woman“, das meines Wissens kein Sun-Song ist. Isaak verdirbt kaum einen Stück so richtig, aber meistens tönt es bloß, als spielte Dick Braves Schwager zum Tanztee im Pfarrgemeindesaal Odenthal auf – mit dem kleinen Unterschied, dass der Gesang bei Issak besser ist. Niemand, wirklich niemand benötigt diese Fassungen. Ein paar gute Chris Isaak-Songs aber könnte die Welt dringend brauchen.

Howler – America Give Up (Rough Trade/Beggars/Indigo, 13.01.2012)
Das Übliche: The Strokes, die Ramones, die späten Siebziger, die frühen Achtziger, dazu etwas Handclap-Rock’n’Roll. Howler aus Minneapolis werden mit ihrem Konsens-Indierock 2012 überall sein, wo ich nicht bin. Vor allem in den Rockmusikfachabteilungen Ihrer Lieblingsmusikzeitschriften wird man Sie mit diesem Album belämmern. Die etwas eierköpfig wirkende, sehr junge Band ist vor allem eins: energetisch. Alleinstellungsmerkmal ist indes der alberne Gesangsstil. Leider haben Howler keine wirklich großartigen Songs, allenfalls Hooks. Für die Vaccines-Nachfolge reicht es also nicht. Mittelklasse-Indierock für langweilige Jugendliche.

The Little Willies – For The Good Times (EMI, bereits erschienen)
Man sollte meinen, dass ein Country-Cover-Album einer Band, die sich The Little Willies nennt, nicht eben dazu angetan ist, der Welt eine weitere Schüppe Schönheit hinzuzufügen. Doch weit gefehlt! Es ist deutlich zu spüren, dass sich jeder der hier beteiligten Musiker in dem beackerten Genre zuhause fühlt. Zu besagten Musikern zählt auch eine Sängerin namens Norah Jones, deren steile Karriere in den letzten Jahren dafür gesorgt haben dürfte, dass dies erst das zweite Werk der Feierbabend-Band nach dem 2006 erschienenen Debüt ist. Alles hier atmet Könnerschaft und Spielfreude. Man höre etwa Kris Kristoffersons Titelsong, den die Willies hier als Barroom-Nummer mit perlendem Piano und zweistimmigem Refrain-Gesang vortragen. Oder Dolly Partons Erkennungsnummer „Jolene“, die als düster dräuende Ballade inszeniert wird. Die flehende Zeile „Please don’t take him even though you can“ klingt hier beinahe wie eine Drohung. Es gehört schon einiges dazu, diese vielgehörten und oft nachexerzierten Nashville-Standards so zu spielen, dass sie so traditionsprall und doch abenteuerlich klingen. Chris Isaak sollte hier aufhorchen und Notizen machen.

Das war’s für heute; mehr Platten gehen gerade nicht. Ich wünsche weiterhin viel Spaß mit den neuen tollkühnen Streichen von Mando Diao und dem Bundespräsidenten. Nächste Woche gibt es dann hier den ersten Teil des großen Lana Del Rey-Starschnitts.

 


1 Lesermeinung

  1. Bambi sagt:

    Greg Demos heißt der...
    Greg Demos heißt der GBV-Bassist

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