Das Pop-Tagebuch

Das Pop-Tagebuch

Popmusik, so ist verstärkt zu hören, ist ein von der totalen Entwertung bedrohtes Kulturgut. Und wie fast alles, was keinen Wert mehr hat, ist auch

Stimmung! oder Die Rückkehr der guten Laune mit Klaus & Klaus und den Fehlfarben

| 15 Lesermeinungen

Thema diesmal: Innere Aufbauhilfe in maroden Zeiten. Mit Musik.

Wir leben in schlimmen Zeiten: Politiker sagen Halbwahrheiten, die Wirtschaft ist marode, der Krisenclown tanzt im Achteck. Da helfen nur Stimmung, Spaß und gute Laune! Denn mit umgeschnallter Pappnase oder im hinteren Teil eines Zebrakostüms steckend sieht die Welt schon ganz anders aus.

Gottlob eilt allen in Karnevalsangelegenheiten noch motivationsbedürftigen Zeitgenossen die beliebte Traditionsfirma Warner Records hilfreich zur Seite und bringt dieser Tage eine Compilation heraus,  nach deren Veröffentlichung die Geschichte der Stimmungsmusik umgeschrieben werden muss. Vor allem darum, weil dieser Sampler, der den distinktionsträchtigen Titel „Karneval Kult Hits“ trägt, mit dem kleingeistigen Lagerdenken in der Popmusik endlich Schluss macht!

Lassen Sie also schon mal ein paar Flaschen Stimmungsbrause kaltstellen und schlüpfen Sie in Ihr Flickenclownkostüm! Warner Records ist es nämlich zu verdanken, dass endlich – ENDLICH! – ein Sampler vorliegt, auf dem sowohl die Düsseldorfer Post-Punks Fehlfarben als auch die norddeutschen Stimmungs-Großwesire Klaus und Klaus vertreten sind! Natürlich: Die inhaltliche Klammer dieses Doppel-CD-gewordenen Befreiungsschlags lautet „Stimmungsmucke“, doch wie schal muten rückblickend alle anderen Versuche an, heiter stimmendes Liedgut auf einem Tonträger zu bündeln! Und nicht nur dort: Was eine große Samstagabend-Integratorin wie Carmen Nebel in all den Jahren ihres selbstlosen Wirkens im Dienste des angstlosen musikalischen Aufeinanderzugehens nicht geschafft hat, leistet Warner Records mit einem einzigen Sampler: Musik kann also doch eine Brücke sein. Manchmal sogar eine Krücke.
Jahrelang hat einem solchen ideologisch unverkrampften Zusammendenken von Musikspielarten ein grimmiges, ideologisch getöntes Lagerdenken im Weg gestanden. DOCH DAMIT IST JETZT SCHLUSS! ENDLICH – pardon, ich kann ja eigentlich wieder klein schreiben – endlich also kann Musik ohne geistige Verspannung genossen werden. Und zwar mit eben jenem Album, „Karneval Kult Hits“ geheißen, das uns ungebeten „mit 42 euphorischen Stimmungssongs durch die tollen Tage“ führt. Es ist dies meines Erachtens ein Werk, das bedenkenlos mindestens sieben Mal pro Haushalt eingekauft werden sollte, denn die Auswahl der Stücke ist von beispielloser Raffinesse und kündet von der reichhaltigen Skihüttenerfahrung der Kompilatoren. Es steht gar zu vermuten, dass dem Tracklisting eine Umfrage unter Deutschlands wichtigsten Ballermann-DJs zugrunde liegt. Die Plattenfirma selbst erklärt die Zusammenstellung übrigens in gebotener Eloquenz wie folgt: „Es sind alle gekommen, die in Sachen Gute Stimmung was zu sagen haben“. Das stimmt wohl.

Ich liste hier einfach mal einige der Teilnehmer auf. Nicht aber ohne zu betonen, dass ich mir das keineswegs aus den Finger sauge: De Höhner (Viva Colonia), Mickie Krause (Schatzi, schenk mir ein Foto), Boney M (Daddy Cool), Techno Buben feat. Andreas Lebbing (Jessica), Extrabreit (Flieger, grüß mir die Sonne), Frida Gold (Wovon sollen wir träumen), Christian Anders (Es fährt ein Zug nach nirgendwo), Modern Talking (Cherie, Cherie Lady), Laura Branigan (Self Control), Dschingis Khan (Dschingis Khan), Markus Becker (Das rote Pferd), Joachim Witt (Goldener Reiter), Nick Straker Band (A Walk In The Park), Rex Gildo (Fiesta Mexicana), Michael Holm (Tränen lügen nicht), Foreigner (Urgent), Rheingold (Dreiklangsdimensionen), Fehlfarben (Ein Jahr – Es geht voran) und Klaus & Klaus (An der Nordseeküste).
Fehlen eigentlich nur Jochen Distelmeyer, Dead Can Dance und Leonard Cohen.  Die Phrase, der zufolge endlich zusammenwächst, was zusammengehört – hier ist sie mal nicht übertrieben. Kenner schnalzen mit der Zunge und Neulinge erfahren eine Einführung in die unüberschaubare Welt der Stimmungsmusik, wie sie keine dreiundvierzig Experten-Blogs zum Thema Karnevalshits leisten können.

Ich habe, nachdem ich von diesem Gesamtkunstwerk deutschen Partyschaffens gehört habe, mal wieder beschlossen, dass Pop-Tagebuch sausen zu lassen. „ENDLICH!“, werden Freunde großgeschriebener Begeisterungsausrufe vielleicht denken. Stattdessen plane ich auf dem Sektor der Karnevalslied-Textdichtung zu reüssieren. Da ich ja jetzt am Kölner Eigelstein (= Milljöh!) lebe, wo noch die gute alte Backpfeife den gesellschaftlichen Umgangston dominiert, werde ich – der Kölner Tradition gemäß – ebenso herzliche wie raue Texte ersinnen, die dann von wechselnden Stimmungskanonen mit ekligen Namen und emporgerecktem Regenschirm hinter närrisch geschmückten Rednerpulten dargeboten werden. Hier schon mal eine Kostprobe:

Am Eigelstein ist Schlägerei
Da maache mer jern met
Mer haue uns de Köpp entzwei
Dat ess der jrößte Hit

Zugegeben: Weiter weiß ich noch nicht. Wahrscheinlich habe ich auch in falschem Kölsch getextet, aber derlei Engstirnigkeiten sollen mir nicht länger im Wege stehen. Meine Lieder werden die Stimmungscharts der Welt verstopfen und alle Plattenläden mit karnevalistischen Fachabteilungen können schon mal anbauen.
Da fällt mir ein Gespräch ein, das ich kürzlich mit einer guten Freundin führte, die gerade aus einem bekannten Mediamarkt kam. Dort, so berichtete sie atemlos, seien die CDs der Künstler James Last und André Rieu neuerdings unter „Wellness“ einsortiert. Der Skepsis, die meine Begeisterung wie ein rotes Leibchen in einer Waschmaschine voller weißer Ware schlagartig einfärbte, wusste sie mit einem in ihrem Mobiltelefon gespeicherten Beweisfoto zu begegnen. Tatsächlich: Last und Rieu gelten den Produkteinsortierern des Medienmarktes als Künstler, die das Genre „Wellness“ zu bedienen belieben. Ob Townes Van Zandt dann „Unwellness“ ist? Tatsächlich bieten die großen Kaufläden ja noch schönere Einsortierungsmöglichkeiten als der eigene Plattenschrank (vgl. hierzu den vorletzten „Pop-Tagebuch“-Text). Folgender Dialog wäre somit denkbar:

Verkäuferin: „Sie suchen Leonard Cohen? Der steht hinten bei „Niederschmetterndes“, gleich neben „Naheliegendes“.
Kunde: „Ach, das ist gut, ich wollte nämlich auch noch die neue Xavier Naidoo mitnehmen.“
Verkäuferin: „Der steht aber nicht unter „Naheliegendes“, der steht unter „Unfug“.
Kunde: „Ah, danke. Hat Ihnen eigentlich schon mal jemand gesagt, dass Sie wunderschöne Ohren haben?“
Verkäuferin: „Durchaus. Schon viele Männer haben mir dieses Kompliment gemacht. Wären Sie Musiker, könnte ich Sie somit auch unter „Naheliegendes“ einsortieren.“
Kunde: „Auch wenn Sie mich mit dieser Äußerung sicher in abweisender Absicht zu treffen gedenken, freue ich mich doch zu hören, dass Sie mich, wäre ich Musiker, zumindest nicht unter „Niederschmetterndes“ oder „Unfug“ einsortieren würden.“
Verkäuferin: „Ich will für einen Moment Ihr anhaltendes Bemühen, mich in Ausübung meines Dienstes ebenso unverhohlen wie ungelenk anzucircen, ignorieren. Zum einen, weil mir dies ohnehin angemessen erscheint, zum anderen, weil ich den Eindruck habe, dass Sie „Niederschmetterndes“ allzu negativ deuten, bezieht sich diese Segmentüberschrift doch nicht auf die Qualität einer Musik, sondern auf ihre Wirkung.“
Ein Mann – Typ „älterer Neil Young-Fan“ – tritt hinzu.
Mann: „Entschuldigen Sie, ich habe Ihr Gespräch belauscht und möchte anfügen, dass ich etwa die Musik Leonard Cohens oder Townes Van Zandts keineswegs als niederschmetternd erlebe, sondern vielmehr als aufbauend. Dies ist wohl einem Denken geschuldet, demzufolge Musik einen Zustand nicht einfach bloß zu verstärken, sondern vielmehr zu transzendieren in der Lage ist. Da man also mit derlei Sortierungen nicht weiter kommt, schlage ich vor, wieder auf liebgewonnene Überbegriffe wie „Rock“, „Pop“, Alternative“ oder HipHop“  zurückzugreifen. Können Sie mir im Übrigen einen guten Sampler mit Stimmungshits empfehlen? Er kann gerne das Wort „Kult“ im Titel führen und über ein unorthodoxes Tracklisting verfügen, das – bei oberflächlicher Betrachtung – so gegensätzliche Künstler wie Klaus & Klaus oder Fehlfarben Platz aufweist.“

 


15 Lesermeinungen

  1. Klaus sagt:

    Genau das wollt' ich als...
    Genau das wollt‘ ich als Kommentar schreiben, doch da les‘ ich’s schon im Artikel:
    „…endlich zusammenwächst, was zusammengehört“

  2. Karsten sagt:

    Köstlicher Blog - ich habe...
    Köstlicher Blog – ich habe viel gelacht! Danke!

  3. waren das fehlfarben...
    waren das fehlfarben mit:
    „Immer nur trinken um das alles zu ertragen
    und irgendwann fliegen endlich Steine“

  4. Spitzenmäßiger Dialog. Ich...
    Spitzenmäßiger Dialog. Ich wünsche mir alle künftigen Einträge im Pop-Tagebuch in Hörspielform.

  5. Nein, das waren Trio in "Ja Ja...
    Nein, das waren Trio in „Ja Ja Ja“ und lautet korrekt: „Immer nur besoffen um das alles zu ertragen und da fliegen endlich Steine und da fragst du immer noch wieso“.

  6. Gereon sagt:

    also zusammengewachsen ist das...
    also zusammengewachsen ist das schon fast 1985!!!
    beweis? kein problem!
    https://www.youtube.com/watch?v=zEiKwN8zUNA
    muss man natürlich komplett gucken, aber ab minute 7:39 sollte man GENAUER hingucken, wer das denn ist.

  7. sven sagt:

    Bei der Kategorisierung von...
    Bei der Kategorisierung von Musik und dem sortieren der eigenen Platten kann man viel von Meister Borges lernen:
    a) Tiere, die dem Kaiser gehören
    b) einbalsamierte Tiere
    c) gezähmte
    d) Milchschweine
    e) Sirenen
    f) Fabeltiere
    g) herrenlose Hunde
    h) in diese Gruppierung gehörige
    i) die sich wie Tolle gebärden
    k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind
    l) und so weiter
    m) die den Wasserkrug zerbrochen haben
    n) die von weitem wie Fliegen aussehen

  8. Hermes Jöh sagt:

    Nö. Trio. Ja Ja Ja.

    immer...
    Nö. Trio. Ja Ja Ja.
    immer nur besoffen um das alles zu ertragen
    und jetzt fliegen endlich Steine
    und da fragst du immer noch wieso
    Ja Ja Ja

  9. Stefan sagt:

    "... reichhaltigen...
    „… reichhaltigen Skihüttenerfahrung der Kompilatoren.“
    Die einzige (oder müsste ich mich in diesem Kontext zu „einzigste“ versteigen?) Erklärungsmöglichkeit der zwangsweisen Zusammenrottung von „Geschichte wird gemacht“ und „Dschingis Khan“ – auch wenn beides historisch erscheinen mag.
    Gibt es gar eine vertraglich festgeschriebene untere Promillegrenze für bestimmte Tätigkeitsbeschreibungen in der Musikindustrie?

  10. Chapeau, Hr.Pfeil. Sie haben...
    Chapeau, Hr.Pfeil. Sie haben sich wirklich diesen ganzen Sampler angehört, ohne den finalen Blutsturz zu erleiden? Schon die Tracklist erweckt in mir den Wunsch, mich zu übergeben.

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