Beobachtern der amerikanischen Präsidentschaftsvorwahlen, die sich eine kindliche Freude am Nebensächlichen bewahrt haben, könnte zweierlei aufgefallen sein. Erstens: Die republikanischen Kandidaten haben alle ziemlich grandiose Namen. Mitt Romney, Rick Santorum, Newt Gingrich. Mit solchen Namen kann man tatsächlich nur Witzfigur bei den Simpsons, erfolgloser Countrysänger oder republikanischer Präsidentschaftskandidat werden. Wobei: Rick Santorum könnte mit seinem Namen durchaus auch christlichen Metal machen. Tut er vermutlich auch. Eines Künstlernamens – um das Thema des letzten Eintrags abermals aufzugreifen – bedarf jedenfalls keiner der drei Herren. Ganz anders als Ivan Rebroff, dem es unter seinem wahren Namen Hans Rolf Rippert wohl kaum gelungen wäre, einem begeisterten Publikum den Klischee-Russen vorzuspielen.
Doch zurück zu den Präsidentschaftsbewerbern. Denn noch etwas fällt auf: Ob nun in der amerikanischen Politik oder in der Popmusik – im Showgeschäft kommt es offenbar darauf an, dass man gut zeigen kann. Aus unerfindlichen Gründen nämlich zeigen amerikanische Politiker und ältere Popmusiker bei ihren öffentlichen Auftritten unentwegt in der Gegend umher. Das heißt: Ich vermute einfach mal, dass sie das nur in der Öffentlichkeit tun und hoffe inständig, dass Mitt Romney noch dazu in der Lage ist, abends sein Schlafzimmer zu betreten, ohne sinnlos in der Gegend herumzuzeigen. Das Zeigen soll vermutlich gestisch einem Satz Ausdruck verleihen wie: „Ach, guck mal da, Sie auch hier!“. Vielleicht aber auch: „Tolles Plakat mit meinem Namen darauf haben Sie da gemalt, ich habe es begeistert zur Kenntnis genommen.“ Vielleicht bedeutet es aber auch nur soviel wie: „Hey!“
Wie bereits angedeutet, ist dieses Herumgezeige auch unter Popmusikern verbreitet. Vor allem bei dauerjovialen Veteranen wie Paul McCartney oder den Rolling Stones. Das letzte Mal, dass ich eine solche Zeigerei persönlich beobachten durfte, war bei einem Auftritt der Rolling Stones auf der Berlinale vor ein paar Jahren. Was aufgeklärte Zeitgenossen irritieren muss: Tatsächlich gibt es ja gar nichts zu zeigen. Es herrscht jedoch offenbar der Irrglaube, dass es sich auf Fotos enorm gut macht, den Zeigefinger auszufahren. Das Ergebnis sind tausende identisch aussehende Fotos von zeigefreudigen Rockstars. Nun, Paul McCartney variiert das Ganze immerhin noch gelegentlich, indem er ab und an seinen Daumen in die Höhe reckt. Ringo Starr wiederum hat die knifflige Frage, ob es nun gescheiter ist, zu zeigen oder den Daumen emporzurecken, kreativ gelöst: Er zeigt nicht, er erigiert auch nicht seinen Daumen, er formt einfach nur das Peace-Zeichen.
Das Zeichen der Mächtigen, Potenten und Durchsetzungsfähigen bleibt jedoch der ausgestreckte Zeigefinger: Wenn Sie es also in unserer sich zunehmend auf eitlen Showgeschäfts-Tand reduzierenden Gesellschaft zu etwas bringen wollen, empfehle ich daher, das Zeigen zu üben. Stellen Sie sich gelegentlich auf Plätze oder in Menschenmengen und zeigen Sie, immer wieder die Augenbrauen emporreißend, irgendwohin. Geld, Ehrerbietung und Respekt werden der Dank sein.
Welche Zeichen der eben allzu beiläufig erwähnte Ivan Rebroff im Laufe seiner Karriere so alles gemacht hat, weiß ich nicht. Was ich jedoch weiß, ist, dass jener sich im Laufe seines Lebens neunundvierzig (!) goldene Schallplatten an die Wand hängen durfte und seit seinem sechzigsten Geburtstag Ehrenbürger der griechischen Sporaden-Insel Skópelos war. Welcher andere Musikus kann solches schon von sich behaupten? Taio Cruz jedenfalls nicht! Zuletzt war der vermeintliche Russe (also Rebroff, nicht Cruz) sogar griechischer Staatsbürger. Diesen Umstand zum Anlass für ein Loblied auf die griechische Popmusik zu nehmen – was in diesen Tagen widerlichen Griechen-Bashings womöglich angezeigt wäre – scheint mir jedoch unangebracht, kenne ich doch zugegebenermaßen gar keine griechischen Popmusiker (außer Nana Mouskouri, Vicky Leandros, den beiden Aphrodite’s-Child-Gründern Vangelis und Demis Roussos und dem nur mit viel bösem Willen als solchen zu bezeichnenden Mikis Theodorakis), was mich zu einem denkbar inkompetenten Anwalt dieser Angelegenheit machen würde.
Roussos habe ich ja immer sehr dafür geschätzt, dass er während seiner Schlager-Glanzzeit in den Siebzigern stets in spektakulären Gewändern auftrat, die aussahen, als hätte sie vorher oder nachher der Zauberer Rumburak getragen. Roussos hat auch einmal mit dem leider verstorbenen Drafi Deutscher zusammengearbeitet. Da ich gerade vom Thema „schillernde Künstlernamen“ besessen bin, seien hier rasch einige der schönsten Tarnnamen Deutschers aufgelistet, die er im Laufe seiner wendungsreichen Karriere zu tragen beliebte: Baby Champ, Big Wigwam, Dave Bolan, Erus Tsebehtmi (rückwärts gelesen: Sure, I’m the best), Fingernails, Ironic Remark, Jack Goldbird, Kurt Gebegern, Lars Funkel, Mr. Walkie Talkie, Piña Colada, Renate Vaplus und Randy Rodgers. Da wäre für einen Newt Gingrich oder einen Demis Rumburak durchaus noch Platz gewesen!
Liz Green hingegen heißt tatsächlich Liz Green.
Bereits im Januar erschien „O, Devotion!“, das Debütalbum der achtundzwanzigjährigen Britin, dem einige Singles vorangegangen waren. Ein lieber Brieffreund machte mich auf die Platte aufmerksam, die mir im Jahresanfangstumult durch die Lappen gegangen war. Und wie froh war ich über die Entdeckung, denn die Dame aus Manchester schreibt nicht nur schöne Lieder makabren Inhalts, sie singt diese Stücke auch noch mit unvergleichbarem Ausdruck: Leicht angeknödelt, dunkel und lakonisch klingt ihre Stimme, was wunderbar zu dem schwarzhumorigen Material passt.
In ihren Liedern haken sich Folk und Blues beieinander unter und spielen zusammen Hängmännchen: Diese auf Klimperklavier, Standbass und akustischer Gitarre dargebotenen und mit betörendem Mit-der-Tuba-durch-die-Straßen-Getröte verzierten Songs sind so blutig und böse, dass sich mein großer Held Robyn Hitchcock dringend mal mit der Dame unterhalten sollte. Aufgenommen hat Sound-Purist Liam Watson; das schöne Rauschen gehört also dazu.
Im März ist Liz Green auf Deutschlandtour, und wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was man sich über ihre Auftritte erzählt, sollte man die betreffenden Abende besser nicht schon wieder daheim mit dem Sortieren seiner Ivan-Rebroff-Gedächtnisfellmützen verbringen.
In zahlreichen Artikeln zu seinem Tod vor einigen Jahren heißt es, die Fellmütze sei Rebroffs „Markenzeichen“ gewesen. Früher waren Markenzeichen ja gang und gäbe bei den Größen des Showgeschäfts. Man denke an Elton Johns Brille, Angus Youngs Schuluniform, Udo Lindenbergs Hut, Flavor Flavs Umhängeuhr oder Gottlieb Wendehals‘ Aktentasche mit Plastikhuhn drin. Heute machen sich die meisten Musiker diese Mühe nicht mehr und das ist nur zu verständlich, kann doch das permanente Herumschleppen eines solchen Markenzeichens allzu lästig werden. Gut, eine Brille – zumal eine exzentrisch geformte – vergisst man nicht so schnell. Aber wie groß war vermutlich oft der Ärger, wenn man einen wichtigen Fernsehauftritt hatte und fünf Minuten vor Showbeginn feststellen musste: „Verdammt! Schon wieder die blöde Aktentasche mit dem Plastikhuhn vergessen!“.
Nein, man braucht kein Markenzeichen. Ein guter Name, egal ob echt oder nicht, reicht vollkommen aus. Dann noch ein wenig Umherzeigen und der Showkarriere steht nichts mehr im Wege. Zum Abschluss möchte ich meinen geneigten Leserinnen noch einen Forumseintrag präsentieren, der mir bei meinen gestrigen Recherchen zum Thema „Künstlernamen“ begegnete. Unter der Überschrift „Künstlernamen für mich (Rapper)“ schreibt dort ein junger Herr:
„Also das ist meine erste frage ! ich weis jetzt werden alle sagen du bist Rapper lass dir selber was einfallen , aber das ist ja das Problem ! Es muss ja ein name sein der jeden anspricht ! und nicht nur mich selbst den ich ken mich ja……Also meine richtung ist eher ruhig,viel gefühl,sinnvoll (kein agro scheiss) also natürlich hab ich diss tracks aber ich such was , was meine teifsinnige seite raus bringt ! dabei solltet ihr alle paar fakten beachten ! Wie Kurz wie möglich , nicht kompliziert , schnell zu merken ! hatte viele namen aber keiner der alle kretieren erfüllt ! wär nett wen mir einer nur ein tipp geben könnte !“.
Die erste Antwort, die der in Namensangelegenheiten etwas unpässliche Mann erhielt, sei ebenfalls hier mitgeteilt:
„Der Name, den Du hier (…) hast, passt doch dann ganz gut. „Easy“. Vielleicht kannst Du noch den Anfangsbuchstaben von Deinem Vornamen oder Nachnamen dran hängen zum Beispiel Easy B oder Easy D.
Nachtrag: Die Wörter habe ich noch gefunden, die sowas ähnliches ausdrücken wie Easy, vielleicht ist da ja was dabei, das Dir zusagt:
Simple
Plain
Basic
Laid-back
Calm
Blank
Clear
Casual
Mir gefällt casual ganz gut“.
Liz Green, einfach genial....
Liz Green, einfach genial.
Ihre Coverversion von dem Beatles Song Back in The USSR habe ich oben verlinkt.
Achwas, der Rebroff ist tot?...
Achwas, der Rebroff ist tot?
Lieber Herr Pfeil,
ich werde...
Lieber Herr Pfeil,
ich werde mir Liz Green mal anhören, ich hoffe aber sie haben Shelby Lynne gestern Abend nicht versäumt. Wenn es stimmt was der Perlentaucher schreibt, dann sitzen Sie ja noch in der Kulturkirche und trauern Lambchop hinterher…beste Grüße
Lieber Herr Pfeil,
die...
Lieber Herr Pfeil,
die eingeschränkte (Band-)Namenwahl, die es beim Blues gibt, s. Regel (20-)23 https://www.outliermusic.com/jokes_rulesoftheblues.htm, hielt ich ja für etwas übertrieben, dann fiel mir aber eine Platte von Seasick Steve in die Hände.
Mit bestem Gruß,
Phorkyas
Von der Zeigehand zum...
Von der Zeigehand zum Zeigepfeil – noch vor hundert Jahren oder so waren Hinweise auf Straßen oder Drucksorten meistens durch eine hinweisende Hand symbolisiert.
Aber weil selbst große Meister der Malerei sichtbar ihre liebe Not dem Malen von Händen hatten, konnte sich der heutzutage allgegenwärtige martialische Pfeil praktisch Widerstandslos durchsetzen.
In Botanik gibt es das Fingerkraut und das Pfeilkraut und bezeichnenderweise sieht das immer beliebter werdende Cannabiskraut mit seinen fünf Fingern wie eine Hanf äh Hand aus.
Man muss sich die Hand also immer als ein eigenes Lebewesen vorstellen, so wie „The Thing“ in der Adams Family oder wie Dürers „Betende Hände“, wo sich durch Berührung der Fingerspitzen nebenbei alle Akupunkturstellen öffnen – „Fingerspitzengefühl“ gibt’s scheinbar nur in der deutschen Sprache, sowie nur die Deutschsprachigen „Handy“ sagen, und dies vielleicht desewegen, weil man, obwohl es niemand sehen kann, die fehlende sprachliche Präzision mit umso mehr Gestikulieren auszugleichen versucht.
In der Musik ist die Orgel, später das Klavier die Königin der Instrumente, weil mit beiden Händen, ohne unsittliche Bewegungen ausführen zu müssen, über den ganzen Tonumfang eines Orchesters geherrscht werden kann. So gesehen ist das Umhängekeyboard von Nik Kershaw das Ei des Kolumbus.
In der Frühzeit der abendländischen, vor allem der vokalen Musik mussten die Sänger ganz artig in langen Gewändern den sakralen Text darbieten. Erst die Italiener, z.B. Claudio Monteverdi, mit ihrer bekannt starken Neigung zu Handzeichen legten es auf extreme Ausdruckssteigerung an. Die Verständlichkeit des Textes wurde dabei jedoch zugunsten der musikalischen Darstellung vernachlässigt. Und so entstand Oper, wo die Sänger die weltlichen Texte auch mit allerhand gestischen Effekten gestalterisch zu sich kommen lassen mussten und müssen.
Die heutigen Pop-Sänger haben mit ihren meist unverständlichen Allerweltstexten selbstverständlich große Mühe Ausdruck wenigstens zu simulieren, halten sich am liebsten am Mikroständer fest oder fordern das Publikum zum – genau – Mitklatschen auf, sicher immer wieder ein peinlicher Höhepunkt auf allen Popbühnen dieser Welt.
Hands up, Baby hands up war ein Hit in den frühen 80ern von Wreckless Eric, der sich dann Rapless Eric nannte und schließlich Helpless Eric, als er endgültig mit seinem Popschreibtisch und dem Keyboard seines PCs festgewachsen war und Horst Tappert für einen Künstlernamen von Hildergard Knef hielt, was sich allerdings nunmehr als richtig herausgestellt hat.