Gespenstisch, wie schnell eine Nachricht im Internet herumgeht und von zuvor völlig gleichgültigen – oder sagen wir: nicht erweckten – Menschen die merkwürdigsten Kommentare herauskitzelt. Als hätte ihr Alltag darauf gewartet, dass mal irgendetwas passiert. Früher haben diese Leute vielleicht nur vor sich hingemurmelt, so dass es die Frau oder die Kinder ertragen mussten. Jetzt dagegen klicken sie es in die Tastatur (verschonen allerdings Frau und Kinder) und warten gespannt darauf, dass andere es ihnen gleichtun. For the record: Während ich diese Zeilen schreibe, um 0:30 Uhr, hat die fragliche Nachricht im Internet schon 137 Kommentare hervorgerufen.
Der Fall: Lluís Colet aus Perpignan hat einen neuen Rekord im Dauersprechen aufgestellt. 124 Stunden. In einem Restaurant, vor Zeugen. Auf katalanisch. Perpignan ist zwar seit mehr als dreihundert Jahren französisch, wird aber von Katalanen als „Nordkatalonien“ betrachtet. Für die Identität und Kultur der rund 400 000 Katalanischsprechenden hat sich der französische Staat allerdings nie interessiert. Nicht in der Schule, nicht in Behörden oder auf der Straße. Colet hat nun seine Leistung all jenen Menschen und Vereinen gewidmet, „welche die katalanische Kultur in Nordkatalonien verteidigen und befördern“. So weit, so gut. Eine sprachnationalistische Tat. Eine Geste, die Aufmerksamkeit fordert und auch bekommen wird, und sei es als Kuriosum von Asterix-Zuschnitt.
Die Kommentare zu dieser Nachricht der Zeitung „La Vanguardia“ aus Barcelona reichen vom Jubel bis zur Beschimpfung, wie es gerade kommt. Aber schon nach ein paar Minuten wenden sich die Kommentatoren einander zu und beschimpfen sich gegenseitig, auf spanisch, katalanisch oder französisch. Einer sagt, hinter dem Rekord stecke bestimmt die Propaganda der katalanischen Regionalregierung. Kommt einer hinzu und schreibt, demnächst werde ein Galicier die Marke übertreffen. Mault ein Dritter, Colet sei doch Franzose, und wenn er dreimal Katalanisch gesprochen habe. Jemand anders befindet: „So ein Quatsch.“ Ein Herr aus Málaga wiederum meint, Katalonien biete einfach ein trauriges Bild. Jetzt müsste der andere eigentlich wiederholen, Colet sei nicht Katalane, sondern Franzose, weshalb nicht Katalonien, sondern Frankreich das traurige Bild biete, doch er tut es nicht. Einer der Übernächsten schreibt, sein Papagei könne das mit dem Dauersprechen genauso gut und werde dabei nicht einmal müde. Zu diesem Zeitpunkt scheint ein gutes Dutzend Leute am Computer zu hocken und gierig auf die Nachrichten der anderen zu warten, um sofort zurückzuschlagen. Ein gewisser Trost liegt darin, dass es nur mit Worten geschieht.
Ich habe übrigens aufgehört, die Kommentare zu zählen. Nur die Nacht und die Müdigkeit werden die Leute von der Tastatur wegbekommen. Sich vorzustellen, dass der gute Lluís Colet fünf ganze Nächte nicht geschlafen, sondern geredet hat… Auf katalanisch, meinetwegen. Aber worüber? Wovon?