Sanchos Esel

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Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Auch dieser Markt verändert sich

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Vor einigen Monaten wollte sich ein Deutscher aus Mallorca mit mir über Prostitution unterhalten. Ich hätte doch einmal in der Zeitung darüber berichtet, schrieb er, und ob ich die neuesten spanischen Entwicklungen auf diesem Gebiet verfolgt hätte?

Vor einigen Monaten wollte sich ein Deutscher aus Mallorca mit mir über Prostitution unterhalten. Ich hätte doch einmal in der Zeitung darüber berichtet, schrieb er, und ob ich die neuesten spanischen Entwicklungen auf diesem Gebiet verfolgt hätte? Der Deutsche war Journalist, wenn meine Erinnerung nicht trügt, und als wir ein paar Tage später miteinander telefonierten, stellte sich heraus, dass die neuesten Entwicklungen an mir vorübergegangen waren.  

In der Zeitung stand nämlich zu lesen, neuerdings begäben sich auch wieder Spanierinnen auf den Prostitutionsmarkt, der Trend sei unübersehbar. Dass es in den Kontaktanzeigen auffallend oft heiße: „spanische Damen“, sei ein Zeichen, dass die Wirtschaftskrise in der Gesellschaft angekommen sei. Früher, als es fast nur aufwärts ging, seien die Spanierinnen aus der Prostitution geflohen und hätten das Feld den Ausländerinnen überlassen.

Die polizeiliche Erfassung der Landstraßenbordelle deutete bisher auf eines hin: Neunzig Prozent der Frauen in diesem Gewerbe sind Ausländerinnen. Drei große Herkunftszonen lassen sich unterscheiden: Lateinamerika, Osteuropa, Afrika. Die Afrikanerinnen verdienen am wenigsten, viele haben keine Papiere. Was man sich nur aus vereinzelten Pressemeldungen zusammenreimen kann, ist, wie viele dieser Frauen durch Menschenhandel, Erpressung, Nötigung und körperliche Gewalt zur Prostitution gezwungen werden.

Warum ich jetzt wieder daran denken muss, liegt auf der Hand. Spanien, durch die giergesteuerte Aufblähung des Bausektors zu Wohlstand gekommen, wird von der Wirtschaftskrise innerhalb der EU am stärksten getroffen. Allein in den letzten zwei Monaten des Jahren 2008 kamen 600 000 Arbeitslose hinzu. Die Quote liegt noch bei 14 Prozent, doch die Prognosen für die nächsten zwölf Monate zielen in Richtung 20 Prozent.

Anders als im einigen nördlichen Ländern der Europäischen Union zeigt sich die Prostitution in Spanien öffentlich und mit einer gewissen Selbstverständlichkeit. Von Sperrbezirken redet kaum jemand. Mitten in Madrid, auf der Gran Vía, stehen junge Frauen und locken Passanten. Dasselbe geschieht in den Seitenstraßen. Alle Tageszeitungen, auch die seriösesten unter ihnen, drucken täglich mehrere Seiten Anzeigen, deren Sprache sich allein an Erwachsene richtet.

Nur eine einzige Zeitung wird sich in der Krise, die auch diesen Arbeitsmarkt durcheinanderwirbelt, nicht umstellen müssen. Das junge spanische Blatt „Público“ hat es von Anfang an abgelehnt, Anzeigen von Bordellen zu drucken. Hoffentlich bekommt es noch genügend andere, um die schlechten Zeiten zu überstehen.


4 Lesermeinungen

  1. t.nause sagt:

    Milliardengewinne
    Interessant,...

    Milliardengewinne
    Interessant, dass Sie sagen, Spanien sei das Land, das von der Wirtschaftskrise innerhalb der EU am stärksten getroffen wird. So müsste es zumindest sein, wenn man sich anschaut, wie es im spanischen Baugeschäft gerade kracht. Aber irgendwie scheint das im normalen Leben hier (noch?) nicht angekommen zu sein. Ja, die Arbeitslosenzahlen steigen. Ja, die Kontaktanzeigen sind bestimmt ein Zeichen. Aber gerade heute habe ich auch gelesen, dass sie spanische Banco Santander letztes Jahr Milliardengewinne eingefahren hat; 2008 einen Nettogewinn von fast 10%. Krise? Daran ist im schlimmsten Fall die Regierung Zapatero Schuld. Immobilienfirmen und Bauträger gehen reihenweise in Konkurs, trotzdem scheint kaum Panik zu herrschen. Wieso? Liegt das jetzt einfach an der spanischen Mentalität, einer Art freundlich gelassener Ignoranz? Wohl nicht, denn laut einer Umfrage der Deutschen Handelskammer für Spanien und der IESE Business School beurteilten auch die deutschen Unternehmen in Spanien ihre Geschäftslage im Herbst 2008 mehrheitlich als positiv (55% zufriedenstellend; 28% gut). Sieht man die Krise einfach nicht, wenn man im reichen Madrid wohnt? Oder liegt es daran, dass derzeit vor allem die Armen, die Immigranten, die einfachen Bauarbeiter und Anstreicher betroffen sind und die Afrikanerinnen, die aus dem Geschäft gedrängt werden?

  2. Stefanus sagt:

    Hier im Südosten Spaniens...
    Hier im Südosten Spaniens spürt man die Änderungen schon deutlich, vielleicht, weil es eben in den beiden einzigen Wirtschaftszweigen, die hier eine echte Rolle spielen, kriselt: Bauen und Tourismus.
    Äußerlich erkennbar an den eingestellten Bauten, aber im Detail sieht man es noch besser. Da steht jetzt nur ein Cafe con leche, wo früher auch noch Tapas waren, mein Rechtsanwalt schreibt mich aus heiterem Himmel an, ob man denn immer mit seinen Diensten zufrieden gewesen wäre, meine Nachbarn (Bauträger) gestehen mir, dass sie schon über ein Jahr kein Haus mehr verkauft haben und nun versuchen werden, in einem ihrer Leerstände ein Restaurant zu eröffnen. Sehr ungewisse Aussicht angesichts des zweiten Problems:
    Die Engländer, größte Einwandererpopulation und bisher Hauptzielgruppe solcher Restaurants, sind absolut knapp bei Kasse. Wer sich vor Jahren ausgerechnet hat, das er sich eine 450TEU Immobilie leisten kann, und dann noch so und so viel Geld zum Leben hat, der sieht sich inzwischen währungsbedingt mit weniger als zwei Dritteln seines Einkommens konfrontiert.
    Alleine in meinem Bekanntenkreis ist das so gravierend,dass man schon von einer ersten Rückzugswelle sprechen könnte, wenn die Engländer ihre Häuser los bekämen! Aber da sie ihre Immobilien nicht los werden, sitzen sie darin und frieren (auch hier war es diesen Winter schon sehr kalt).

  3. Montagnola sagt:

    Ob das immer wieder prickelnde...
    Ob das immer wieder prickelnde Phänomen der Prostitution wirklich geeignet ist, das Thema der Wirtschaftskrise aufzurollen? t.nause sieht es nüchterner. Offenbar gibt es gerade in Spanien Branchen oder Berufsgruppen, die nicht so sehr an dem Boom teilgenommen haben und jetzt auch nicht so sehr betroffen sind. Ein bißchen Hysterie ist schon im Spiel, die Krise als Flächenbrand zu betrachten

  4. Madrid sagt:

    An Stefanus und...
    An Stefanus und Montagnola:
    Bin unterwegs und konnte nicht ins Internet, daher die Verzögerung beim Veröffentlichen Ihrer Kommentare. Ich bitte um Entschuldigung.

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