Esperanza Aguirre, die frühere spanische Kulturministerin, ehemalige Senatorin und gegenwärtige Ministerpräsidentin der Region Madrid, hat schon wieder meine Aufmerksamkeit gefesselt, und zwar durch einen Satz von sechs Wörtern: „Die PP ist eine rechtschaffene Partei.“ Nun sind solche pathosgeschwellten Verallgemeinerungen in Zeiten, die selbst die solidesten Institutionen wanken sehen, ohnehin etwas problematisch. Besonders heikel ist der Satz jedoch in diesen Tagen, da der in der Region Madrid regierende Partido Popular (PP) von einem schweren Korruptionsskandal erschüttert wird. Was da Stück für Stück ans Licht kommt, ohne dass sich ein Ende absehen ließe, ist überhaupt nicht schön. Esperanza Aguirre hat ihren Satz also nicht geäußert, um ihre Partei zu loben oder zu motivieren oder einfach mal so nett zu sein, wie es ihr eigentlich wenige zutrauen, sondern um die Reihen der Getreuen zu schließen und die Wähler auf eine heiße Schlacht einzustellen.
Diese Wagenburg-Mentalität erkennt natürlich nur befreundete Informationen an. Einsicht, Ursachenforschung oder gar Reform werden so dauerhaft verhindert. Leider ist das in der spanischen Politik die Regel. Selbstreflexion gilt als Schwäche; Respekt gewinnt, wer mit dem Rücken zur Wand weiterkämpft und sich lieber schlachten lässt, als eine Verfehlung einzugestehen. Dahinter steht eine Auffassung von Treue und Standhaftigkeit, die nichts für Weicheier ist. Vielleicht hat sie mit dem gusseisernen Ehrbegriff zu tun, von dem die Dramen Lope de Vegas handeln. Oder mit dem Stierkampf. Oder einer heimlichen Bewunderung für den Märtyrertod. Vielleicht sogar mit allem zusammen.
Zugegeben, es kommt nicht immer soweit. Esperanza Aguirre selbst hat viele theaterreife Szenen verhindert, indem sie in den letzten Wochen auf den ersten Verdacht hin eine Handvoll Leute feuerte. Die Ministerpräsidentin will nicht den entferntesten Eindruck erwecken, mit den mutmaßlichen Geschmierten unter einer Decke zu stecken. Manche in der eigenen Partei finden nun, sie sei ein bisschen sehr eifrig dabei, Köpfe rollen zu lassen. Aber man muss das verstehen, die Dame ist um ihre eigene Sicherheit besorgt. Und nur in diesem Zusammenhang – während die Köpfe gewissermaßen noch rollen – ist der bemerkenswerte Satz zu sehen: „Die PP ist eine rechtschaffene Partei.“
Ich verfolge den Fall übrigens mit einem gewissen linguistischen Amüsement, wenn das richtig ausgedrückt ist, das ganze korrupte System nennt sich nämlich „Operación Gürtel“. Das geht auf den Nachnamen des Drahtziehers zurück, Correa, der im Deutschen wörtlich Gurt, Riemen, auch Hundeleine bedeutet. ‚Gürtel‘ wäre im Spanischen eigentlich „cinturón“. Aber gut, was soll man die sprachschöpferische Phantasie der Gauner bekritteln, seien wir froh, dass die Gauner von heute überhaupt welche haben.
Hier noch schnell ein Überblick über die „Operación Gürtel“. Zur Zeit gibt es 37 Verdächtige, von denen sich 34 nach der Vernehmung wieder auf freiem Fuß befinden. Drei sitzen in Haft. Bisher sind in der Region Madrid drei Bürgermeister zurückgetreten, ein halbes Dutzend weiterer Männer in der Kommunal- oder Regionalpolitik wurden entlassen oder haben selbst den Rücktritt eingereicht. Von einem der zurückgetretenen Bürgermeister sagen manche, er sei ein „armer Kerl“, er „stecke jetzt ganz schön in der Klemme“, er sei eigentlich ein anständiger Mann und so weiter. Dem armen Kerl wird zur Last gelegt, für diverse Gefälligkeiten von Correa (den ich jetzt doch lieber „Hundeleine“ nennen möchte) in den letzten Jahren einen Range Rover, einen Plasma-Fernseher und insgesamt 420.000 Euro angenommen zu haben. Ich sollte hinzufügen, dass viele in der rechtschaffenen PP der Meinung sind, es handele sich hier um nichts weiter als eine Verschwörung des linken Kampfblatts El País. Tatsächlich sind die Informationen in den anderen Zeitungen erstaunlich dünn. Wie wäre es, wenn wir die Sache ein wenig beobachten? Und dann, wenn es sein soll, schwingen wir Gürtel oder Hundeleine, aber kräftig.
<p>Lieber Herr Paul, das sind...
Lieber Herr Paul, das sind ja empörende Zustände in Spanien. Wir wenden uns mit Grausen ab (in Deutschland haben die Leute keine Zeit für solche Skandale: die müssen werktags zwischen 8 und 18.00 Uhr ihren Müll leise entsorgen, und nach Feierabend bestechen wir nicht mehr). Wenden wir uns lieber einer heiteren Idee der FAS vom vergangenen Wochenende zu: Ihre Kollegen, lieber Herr Paul, haben den Verriss geschrieben, den sie schon immer schreiben wollten. Mutig: Bahners ekelt sich vor Schlink, Frau Büning schämt sich ihrer jugendlichen Zuneigung zu Henri Quattre und Gumbrecht ist ungerecht zu Lessing. Hier wird so richtig auf den Kanon der deutschen Gutmenschen eingeschlagen – da ist Krach im Glascontainer, da werden die Bücher des common sense entsorgt (natürlich auch der „Steppenwolf“ – wie gut, jetzt muss ich den nicht mehr lesen). Vermisst habe ich allerdings Ihr Hass-Buch, lieber Herr Paul: Proust wird es wohl nicht sein, Marías ebenso wenig. Aber vielleicht ist der Don Quijote in Wahrheit sterbenslangweilig (ich weiß es nicht) und keiner traut sich, es zu sagen. Also, raus mit der Sprache – enttäusche Sanchos Esel nicht und sag uns, vor welchem (womöglich spanischem) Buch Du uns schon immer warnen wolltest. Komm jetzt nicht mit Ruiz Zafón, das ist zu leicht, darüber besteht Einigkeit!
Ja, sie war lustig, diese...
Ja, sie war lustig, diese Hass-Seite, Don Martín. Da sich unter den Kollegen aber offenbar genügend bereitwillige Hasser fanden, wurde ich nicht um meine Meinung gebeten. Früher habe ich übrigens stärker gehasst, auch literarisch. Heute ziehe ich es vor, mich mit den Büchern zu beschäftigen, die ich mag. „Hass“ wäre also in jedem Fall zuviel gesagt. Aber: Auch ich habe meinen Kanon der überschätzten Autoren. Sehr weit vorn steht Günter Grass. Ich weiß, das ist wenig originell, es hat auch keinerlei politischen Hintergrund, sondern begründet sich rein ästhetisch. Seine Prosa ist so matt, beschaulich und glanzlos, dass ich ihn einfach nicht mehr lesen kann. Im Spanischen gilt Ähnliches für seinen Freund Juan Goytisolo, dessen frühe Romane mich sehr beeindruckt haben. Ich finde das nicht tragisch, jeder hat seine kreativen Verlaufskurven. Im Film könnte man dasselbe von Carlos Saura sagen, früher ein großartiger Regisseur, heute eher unwichtig, dafür aber immer noch ein interessanter Fotograf. War das genug gehasst?
Leider kann ich auf den Don Quijote nichts kommen lassen, er bleibt ein Quell des Vergnügens. Wie passend, dass das größte literarische Werk Spaniens ein Kneipen- und Thekenroman mit sehr vielen unreputierlichen Figuren ist! Bald lesen, Don Martín! Gibt’s in einer neuen Übersetzung bei Hanser. Stellt man Cervantes und Goethe nebeneinander, hat man schon viel über den Unterschied zwischen Spanien und Deutschland begriffen. Im Guten wie im Bösen. Bei Goethe wird nirgendwo soviel gerauft und geprügelt wie im Don Quijote. Dafür aber eben auch weniger geliebt, gelacht und gesoffen.
Don Martín! Obwohl ich nur...
Don Martín! Obwohl ich nur ein armes, pökelndes Bauernmädchen aus El Toboso bin, sage ich: Nein, der Don Quijote ist WIRKLICH nicht sterbenslangweilig, ja, nicht einmal ein kleines bißchen langweilig! Schließlich komme ich darin vor! Wir sind sogar in den älteren Übersetzungen höchst komisch! Und die Illustrationen von Gustave Doré! Ich wüßte nicht, wer dieses Buch hassen könnte, wenn er es einmal gelesen hat.