„So folgte ein Unsinn auf den anderen und alle nach der Art, wie seine Bücher es ihm vorgemacht hatten, deren Sprache er nach Kräften nacheiferte. Und so langsam trottete er voran, und so donnernd und sengend knallte die Sonne herunter, dass ihm das Hirn zerflossen wäre, hätte er noch eins besessen.“
So steht es in der schönen neuen Don-Quijote-Übersetzung von Susanne Lange, der dafür soeben der Johann-Heinrich-Voß-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zugesprochen wurde. Eine Laudatio anhören, einen Scheck über 15.000 Euro entgegennehmen darf sie dann am 24. Mai in Berlin.
Und hier die obige Passage in der Übertragung von Ludwig Braunfels (1848):
„An diese Ungereimtheiten reihte er noch vielfach andre an, alle in der Art jener, die seine Bücher ihn gelehrt, indem er ihre Sprache, soviel es ihm möglich war, nachahmte; und dabei ritt er so langsam fürbaß, und die Sonne stieg so eilig und mit solcher Glut herauf, daß es hingereicht hätte, ihm das Hirn breiweich zu schmelzen, wenn er welches gehabt hätte.“
Klingt ziemlich anders, nicht wahr? „Breiweich schmelzen“, das ist natürlich hübsch; aber das Übrige gehört nicht mehr ganz in unsere Sprachwelt. Übrigens hat die Version von Susanne Lange 299 Zeichen, Leerzeichen eingerechnet. Die von Braunfels 360 Zeichen. Hier folgt nun die modernere Version von Anton M. Rothbauer (1964), die 373 Zeichen benötigt, aber den letzten Witz („hätte er noch [Hirn] besessen“) kurzerhand streicht. Außerdem merkt man, dass Rothbauer die Braunfels-Fassung wohl aufgeschlagen neben sich hatte, als er übersetzte:
„An diese Ungereimtheiten reihte er nach und nach noch viele andere, alle aber in der Art jenes Unsinns, den seine Bücher ihn gelehrt hatten, wobei er sich bemühte, so gut er es eben vermochte, ihre Sprache nachzuahmen. Dabei ritt er gemächlich dahin, und die Sonne stieg so rasch und brennend empor, dass die Hitze allein schon genügt hätte, ihm das Gehirn zu zerschmelzen.“
Wirklich, ich kann nicht verstehen, wie einer den letzten Witz verschenken kann. Freiwillig.
Was sich in Semantik, Stil und Register in der deutschen Sprache getan hat, sieht man schon am Romantitel.
– Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha (1848)
– Der scharfsinnige edle Herr Don Quijote de la Mancha (1964)
– Der geistvolle Hidalgo Don Quijote von der Mancha (2008)
Susanne Lange begründet in ihrem Nachwort genau, warum wir es jetzt mit einem „Hidalgo“ zu tun haben. Dass er kein preußischer Junker war, unser Don Quijote, wussten wir zwar; aber ansonsten sind die Standeskonnotationen der europäischen Titel wohl etwas in Vergessenheit geraten, zumal in Zeiten wie diesen, wo von innerem Adel nur noch selten die Rede ist. Ein weiterer Grund, dieses rasend komische Buch wieder und wieder zu lesen. Es ist randvoll mit innerem Adel, wenn denn etwas Inneres sich am oberen Rand befinden kann.
Letzten Sommer habe ich Susanne Lange mal in Sabadell bei Barcelona besucht, und obwohl ich ja einiges über das Leben von Übersetzern weiß, kommt mir diese Arbeit immer wieder einsam und entsagungsvoll vor. Nicht heldenhaft, so weit würde ich nicht gehen. Aber es braucht zum Übersetzen – neben den offensichtlichen Tugenden Scharfsinn, Bildung, Stilempfinden, literarische Musikalität – außerordentlich viel Geduld und Demut. Erst nach Monaten weiß man ja, wie sich so ein langfristiges Projekt auf die Dauer anfühlt. Wie es einem das Hirn breiweich schmelzt! Erst, wenn man es selbst einmal gemacht hat, weiß man, wo man überall danebenhauen kann. Und dass man die peinlicheren Fehler (keiner ist vor ihnen sicher) nicht mehr vergisst, wirklich niemals.
Um auch das noch zu sagen, Dulcinea von Toboso, Don Quijotes aus der Ferne angehimmeltes Bauernmädchen, das gar nichts von seiner Liebe weiß, heißt eigentlich Aldonza Lorenzo. Und Sanchos Esel wird in Susanne Langes Übertragung erstmals auf Seite 74 erwähnt. Als er dann einige Zeilen später leibhaftig auftritt, klingt es so:
„Sancho Panza thronte wie ein Patriarch auf seinem Esel, gerüstet mit Knappsack und Weinschlauch und einem unbändigen Verlangen, sich als Gubernator des Eilands zu sehen, das sein Herr ihm versprochen hatte.“
Was Sanchos Motive betrifft, herrscht also kein Zweifel. Der Mann ist ein kleiner Bauer, der endlich aufsteigen will. In gewissem Sinn gehört Sancho zu den frühen europäischen Wirtschaftsmigranten, denn er verlässt Weib und Kinder, um seinem Nachbarn, einem weithin bekannten Büchernarren, als Knappe zu dienen.
<p>Ach - und die Tiecksche...
Ach – und die Tiecksche Übersetzung gibt es nicht mehr, … die Walter Widmer 1961 noch mal auf Trab brachte?
Und von den vielen Stellen, wo die Sonne brütet, herzt, brüllt, dörrt, Schabernack mit allem Feuchten und Lebendigen und vernünftig und absichtsvoll Durchdachten treibt – da will ich nur dieses Sätzchen nach dieser Ausgbe zitieren:
„… und so kam es vom wenigen Schlafen und vielen Lesen, daß sein [ja, wessen…?] Gehirn ganz ausgetrocknet wurde, wodurch er den Verstand verlor.“
( Buch I. Goldmann TB 377/8. Mchn. 1961. S. 15; erstanden als Pflichtlektüre der Klasse OIII; auf dem Coll. Aug. – unter der Rigide (nicht: Aegide) von St. Cornelius Flaß, den der Schüler P. I. nicht mehr kennenlernte, wenn ich das Faktum richtig erinnere…).
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Ja, ich weiß, jede Generation hat ihr Recht auf eine Neuübersetzung der wichtigsten Werke der Weltliteratur..! Vivat et prosit!
anton@reyntjes.de
Mir gefällt Semantik, Stil...
Mir gefällt Semantik, Stil und Register der Übersetzung des Titels aus dem Jahr 1648: Don Kichote de la Mantzscha, Das ist: Juncker Harnisch auß Fleckenland.
Die von Herrn Paul angeführte Textstelle kommt bei Pahsch Basteln von der Sohle (mit diesem Pseudonym kann man gar nicht anders, man muss den Don Quijote übersetzen) mit rekordverdächtigen 520 Zeichen, Leerzeichen eingerechnet, daher:
„In solchen Reden reisete er fort vnd sprengete viel derogleichen andere Thorheiten mit ein / alles auff maß vnd weise / wie jhn hierin die Erlesung seiner Bucher vnterrichtet hatte: Derer Sprach vnd Art er / so viel jhm müglich wahr / in allem nach ahnete. Er ritte nur Fuß vor Fuß gar langsamb fort / vnd die Sonne begunte starck gegen jhn zuscheinen vnd so heiß auff jhn loß zustechen / daß nicht wunder gewesen / jhme davon alle sein Gehirn zerschmoltzen wehre / wo er einiges im Kopff anders noch vbrig gehabt hette.“
Und dennoch: Der Witz am Ende geht für heutige Leser doch fast in die Hose, oder? Allein das „hette“ deutet darauf hin, dass auch Pahsch Basteln von der Sohle annimmt, Don Quijote habe kein Hirn mehr, das schmelzen kann.
Dem Namen des Blogs zu Ehren hier auch noch die Sancho-Stelle: „Santscho Panssa zoh vff seinem Thierlin mit eim BrodCarnier vnd einer Flaschen einher als ein Patriarch / mit grosser Begierde den Tag zusehen / daß er ein Regent vnnd Statthalter der Inseln seyn möchte / so jhm sein Herr zugesagt hatte.“
In einem Vorwort rechtfertigt der Übersetzer die Schreibweise der beiden Protagonisten einleuchtend: „Worbey ich noch dieses zuerinnern / daß ich die vornembsten Nahmen dieses Buchs nicht vff Spanisch: Quixote, Mancha, Sancho, Pansa: schreiben vnd drucken lassen / sondern / wie im gantzen Werck zubefinden: Kichote, Mantzscha, Santzscho, Panssa: Hiermit der Teutsche Leser die Spanischen Wort recht außspreche / wie sie der Spanier außspricht / ob is schon nicht ebenmässig vff des Spaniers Art geschrieben seynd. Dann ausserdem würd er von einem Spanier oder andern frembden nit verstanden werden / wann er diese wort: Quixote, Mancha, Sancho etc. also auß dieser Geschicht gegen jhn anziehen würde.“
Hamete, welche schönen...
Hamete, welche schönen Zitate! Nicht viele Blogs haben die Ehre so einen… auffälligen Stil zu beherbergen. Dennoch war die Neuübersetzung natürlich fällig, nein? Und macht ihren Weg, was eine Ermutigung für alle ist, deren literarisches Gedächtnis weiter als fünfzehn Jahre zurückreicht.
Vielleicht sollten wir auch noch erwähnen, dass der gute Pahsch Basteln von der Sohle uns leider keine vollständige Übertragung des Quijote hinterlassen hat.
Ja, Tieck ist natürlich...
Ja, Tieck ist natürlich schön und Pahsch Basteln von der Sohle herrlich (Kauff mich: Vnd liß mich / Rewts dich: So friß mich. / Odr ich Bezahl dich). Trotzdem muß man Susanne Lange danken und gratulieren, genau, Don Paul! Hoffentlich bekommt sie auch noch den Preis der Leipziger Buchmesse für Übersetzung. In nur fünf Jahren — eine unglaublich kurze Zeit, aber das findet sie wahrscheinlich nicht — hat sie eine tolle Übersetzung geliefert. Und dazwischen hat sie sogar mal eben zwei kleinere Romane übersetzt! Ich selbst bin ja mit dem Braunfels aufgewachsen, aber ich konvertiere! Jetzt sofort!
Das Citierte macht mir eher...
Das Citierte macht mir eher Lust auf den Braunfels. Das hab ich mir gleich mal bei ZVAB bestellt.
Gute Wahl, friedrich_leipzig,...
Gute Wahl, friedrich_leipzig, von den älteren Übersetzern ist Braunfels der genaueste. Der wahre Test wären allerdings fünfzig Seiten, nicht fünf Zeilen.
Nicht fünfzig Seiten, aber...
Nicht fünfzig Seiten, aber immerhin das gesamte erste Kapitel bietet der „Blick ins Buch“ bei Amazon.de. Fünf Zeilen hätten mich in der Tat auch nicht überzeugt! Aber spätestens bei der Herstellung des Turnierhelms, und wie wunderbar Susanne Lange diese Passage übersetzt hat, war es dann doch um mich geschehen. Unentschlossene sollten unbedingt diese sechs Seiten studieren!
<p>"...Wie es einem das Hirn...
„…Wie es einem das Hirn breiweich schmelzt! Erst, wenn man es selbst einmal gemacht hat, weiß man, wo man überall danebenhauen kann. Und dass man die peinlicheren Fehler (keiner ist vor ihnen sicher) nicht mehr vergisst, wirklich niemals.“
Auch, wenn ich hier lieber „..breiweich SCHMILZT..“ gelesen hätte 😉 – Ihre exzellente
Ausführung, lieber Paul I., macht schon Freude…; aber fast noch mehr die, wie rege
-man erwartet das HIER -leider- kaum noch- und garnicht „breiweich“ über derartige Literatur „geblogt“ (anstelle ck) werden kann. – Zum Thema: auch ich bevorzuge die braunfelssche Übersetzung.
Sie haben recht, WK-Lux,...
Sie haben recht, WK-Lux, „schmilzt“ wäre nach heutigen Regeln korrekt gewesen. Ich glaubte Braunfels zu zitieren und wollte verfahren wie er. Erst gerade habe ich gelernt, dass es das Wort meiner Kindheit „schmilzen“ nicht gibt, wohl aber „du schmilzt“, „er, sie, es schmilzt“, während die Unterscheidung zwischen „schmilzen“ (intransitiv) und „schmelzen“ (transitiv) wohl mein eigener Wunderglaube war. Merkwürdiges Verb, bei dem sich die starken Formen (schmolz, geschmolzen) gegen den Trend zur schwachen Bildung (schmelzte, geschmelzt) durchgesetzt haben, eher die Ausnahme in der deutschen Sprache. Denken Sie an die schöne Vergangenheitsform „buk“, die dem profanen „backte“ weichen musste. Von „frug“ (fragte) gar nicht zu reden. Während es wiederum „sug“ (sagte) wohl nie gegeben hat. Mysterien!
Zu Übersetzungen allgemein. Wenn es um Dulcinea geschehen ist (wenn sie dahinschmilzt), muss man das immer ernstnehmen. Das vorweg. Darüber hinaus ist es erstaunlich, wie viel Übersetzungen bei manchen und wie wenig sie bei anderen Gelegenheiten ausmachen. Dostojewskijs „Dämonen“ etwa (heute sagt man „Böse Geister“) habe ich zweimal in einer stilistisch holperigen Übersetzung gelesen, doch es hat das Vergnügen nicht wesentlich getrübt. Bei neueren Übersetzungen aus dem Englischen, die etwas Vergleichbares machen, laufe ich davon. Man zieht sich gewissermaßen die Übersetzungsjacke an, die man angeboten bekommt, und jede sitzt anders. Warum wir die eine tragen und die andere ablehnen, wissen wir oft nicht einmal selbst. Es scheint Menschen zu geben, die ein fehlender Knopf oder das Kratzen am Kragen stört, während sie gegen ein paar Läuse in der alten Jacke nichts einzuwenden haben. Abermals: Mysterien! Bei unserem Don Quijote genügen einige Stichproben und der Vergleich mit dem Original, um einem zu zeigen, wie viele Sprachnuancen, semantische Schattierungen und scharfsinnige Deutungen mit Susanne Langes Übertragung hinzugekommen sind.
Ich fand "breiweich schmelzt"...
Ich fand „breiweich schmelzt“ schon ganz richtig, Don Paul, schließlich schmelze ich ja auch, also „sie dahinschmelzt“, bitte. Eine privilegierte Situation ist es ja schon, daß wir überhaupt auf mehrere gute Übersetzungen zurückgreifen können. Denken Sie an den Estebanillo González oder den Amadís von Gallien, die meines Wissens derzeit nur in der Übertragung des von mir übrigens sehr verehrten FR Fries vorliegen (aber ich täusche mich gewiß). Da haben wir auch Glück gehabt mit dem Übersetzer.