Es wird immer schwerer zu unterscheiden, was Lüge, was Wahrheit ist, aber vielleicht macht das die Sache so interessant. Die Rede ist von der „Operación Gürtel“, dem spanischen Korruptionsskandal, der in der Madrider PP bisher ein paar Opfer gekostet hat. Am Sonntag brachte El País ein langes Interview mit dem Schneider José Tomás, der dem Ministerpräsidenten der Comunidad Valenciana, Francisco Camps, angeblich Anzüge im Wert von fast 13.000 Euro verkauft hat. Diese und zahlreiche weitere Anzüge, so der Schneider, seien von der Firma Orange Market mit Fünfhundert-Euro-Scheinen bezahlt worden. Alle sechs Monate sei jemand in den Laden gekommen und habe 30.000 oder 35.000 Euro hingeblättert, um die aufgelaufenen Rechnungen zu begleichen – Gefälligkeiten für Francisco Camps und andere mächtige Männer, die der Firma Orange Market dafür einträgliche Kontakte und lukrative Aufträge verschafft haben sollen. Dann, während das tapfere Schneiderlein vor dem Untersuchungsrichter Garzón aussagte, soll ein halbes Dutzend Mal sein (des Schneiderleins) Mobiltelefon geklingelt haben. Es sei Camps gewesen, der es (das Schneiderlein) verzweifelt zu erreichen versuchte.
Natürlich gibt es längst eine Reihe von gegenteiligen Behauptungen. Der Schneider sei gar kein Schneider, er können nicht einmal nähen. Er sei nicht gefeuert worden, weil er vor Garzón ausgesagt, sondern weil er schlecht gearbeitet habe. Wahrscheinlich habe er sogar doppelte Buchführung betrieben, also einmal privat kassiert, dann offiziell abgerechnet. Außerdem hinterlasse er ein großes Loch in der Firmenkasse, das nicht zu erklären sei. Auch unser alter Bekannter Federico Trillo ist bei diesen Angriffen wieder mit von der Partie. Als juristischer Sprecher seiner Partei hat er die Aussagen des Schneiders ziemlich zerpflückt. Warum es denn keine Kreditkartenabrechnung für Camps‘ Anzüge gebe, wenn sie ordnungsgemäß bezahlt worden seien, wurde Trillo gefragt. Er kenne Paco Camps schon lange, antwortete Trillo, das sei ein Mann, der keine Kreditkarten benutze, der zahle immer bar. Schön, denken wir. Vielleicht gewöhnt man sich mit Dienstwagen und Leibwächtern automatisch an, die nötigen Tausender bei sich zu haben.
All dieses Für und Wider ist schwer zu durchschauen und kann erst verständlicher werden, wenn sich mal jemand entschließt, die Wahrheit zu sagen. Da ich darauf aber nicht warten will, versenke ich mich einige Augenblicke in die atmosphärischen Details. Ich meine den charmanten Umstand, dass ein Skandal, der sich „Operation Gürtel“ nennt, wesentlich mit Anzügen, Westen, Hosen und Schuhen zu tun hat. Maßanzügen, damit wir uns richtig verstehen: Francisco Camps, ein schlanker Mann, ist anspruchsvoll und gibt sich nicht mit Ware von der Stange zufrieden.
Um das Ganze angemessen zu zelebrieren, lege ich festliche Musik von Lully auf, die Suite „Le Bourgeois Gentilhomme“ von 1670. Und denke wieder an das, was ich durch diesen Skandal über die herrschende Klasse gelernt habe. Dass man sich durchaus den Schneider ins Ritz bestellt, damit er einem dort Maß nimmt, wenn man aus Valencia angereist ankommt. Dass man ein paar Anzüge zurückgehen lässt, wenn ein Detail einem nicht gefällt. Oder dass man laut Kleiderordnung des Vatikans zum Frack keine weiße, sondern eine schwarze Weste trägt. Dass aber andererseits auch die Mächtigen den Winterschlussverkauf nutzen. So viele Einzelheiten, die in Spanien, einem Land, in dem Frauen und Männer sich noch zu pflegen wissen, sehr ernstgenommen werden. Schön, dass selbst Korruptionsfälle uns daran erinnern.
Ich habe ein interessantes...
Ich habe ein interessantes Foto gefunden: zwei Spanier, die sich noch zu pflegen wissen! Der schlanke, anspruchsvolle Camps im Maßanzug mit seiner PP-Kollegin Esperanza Aguirre, dieser „ehrgeizigen, wohlhabenden und fast immer geschmackvoll und teuer gekleideten Frau“, der wir hier auch schon öfter begegnet sind:
https://www.elpais.com/recorte/20080422elpepinac_1/LCO340/Ies/Francisco_Camps_Esperanza_Aguirre.jpg
Ach, was gruselt mir! Nein, mehr noch, mir wird richtig übel.
Ist das nicht immer wieder...
Ist das nicht immer wieder schönes, großes Theater? Dieses taktische Schnäbeln, Befummeln und Begrabbeln unter spanischen Politiker(inne)n? Besonders natürlich unter den verfeindeten Parteifreund(inn)en Esperanza Aguirre und Alberto Ruiz-Gallardón… Ein abendfüllendes Thema, man sollte einmal einen Dokumentarfilm darüber drehen.
"Es wird immer schwerer zu...
„Es wird immer schwerer zu unterscheiden, was Lüge, was Wahrheit ist, aber vielleicht macht das die Sache so interessant. All dieses Für und Wider ist schwer zu durchschauen und kann erst verständlicher werden, wenn sich mal jemand entschließt, die Wahrheit zu sagen.“ (Don Quijote in einem Traumgespräch mit Dulcinea )
Spanien ist im Gegensatz zu Deutschland so voller unglaublicher Skandale, da braucht es mehr als die Legion Condor, um das endlich in den Griff zu bekommen. Endlich mal ein Blog, der mir das nachdrücklich klar macht. Ab dem ersten Tag seiner Entstehung. Ich danke von ganzem Herzen.
Aufgewacht, Spanier, das deutsche Feuilleton wacht über euch. Sattelt eure Esel und flüchtet beizeiten, bevor es endgültig zu spät ist. Am besten immer Richtung Alemania, da seid ihr sicher gut aufgehoben.
Weiter so, ich warte schon ganz begierig darauf, die nächsten Blogeinträge zu lesen. Einstweilen wandere ich jetzt hinüber zu den Sülzwiesen, mir etwas frischen Klee holen. Das soll bei Blogphobien aller Art und linguistischer Verstopfung helfen. Ein altes Hausmittel, dass mir ein Schweinezüchter aus Toboso schickte. Danach kann ich sicher noch viel mehr vertragen.
Und eines gäbe es doch noch zu vermelden:
Die Spanier lassen zumindest schneidern. Hunzinger hatte da eine andere Strategie, als Rudi Ratlos in Frankfurter Boutiquen stöbern ging. Und egal wie sie sonst gestrickt sind, die schöneren Politikerinnen gibts wirklich nur in Spanien. Das sollte man sich gut merkeln.
Saludos,
Don Federico, Thor de Azahar
È aperto a tutti quanti. Viva...
È aperto a tutti quanti. Viva la libertà!
<p>Ich hätte noch eine...
Ich hätte noch eine linguistische Frage: Warum um alles in der Welt heißt diese Affäre „Operación Gürtel“? Zunächst glaubte ich an eine freundliche Übersetzungshilfe, wie das Leo Wieland oder Josef Oehrlein für die Nicht-Hispanohablantes zu machen pflegen. Aber hier wird ja offenbar tatsächlich das deutsche Wort verwendet. Warum heißt es nicht „operación belt“ oder „operación pás“? Dafür muss es doch eine Erklärung geben, oder?
Ja, Hamete, das wüsste ich...
Ja, Hamete, das wüsste ich auch gern. Ich müsste mich in die Frühgeschichte des Skandals versenken und möglicherweise germanophile Neigungen der kriminellen Beteiligten aufdecken. An anderer Stelle habe ich ja erläutert, dass „correa“, der Nachname des mutmaßlichen Drahtziehers, eher „Hundeleine“ bedeutet, manche Wörterbücher verzeichnen den „Gürtel“ gar nicht. Aus anderem Blickwinkel betrachtet, bin ich eigentlich ganz zufrieden damit, dass sich hier ein paar Spanier (egal welche!) der grassierenden Neigung zum Vulgär-, Angeber- und Dummenglisch widersetzen (vermutlich aus Unkenntnis) und auf schöne alte deutsche Wörter zurückgreifen. Mein ausdrückliches Lob dafür!
Der Hintergrund meiner Freude dürfte, sprachkritisch gesprochen, einigermaßen klar sein. Man ist dergleichen Vokabularpflege in einem Land, das die Namen berühmter deutscher Persönlichkeiten hartnäckig „Khol“, „Khan“ und „Schaüble“ buchstabierte, einfach nicht gewohnt. Vielleicht wäre also eine kleine Anerkennung durch die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung fällig.
Sehr geehrter Don...
Sehr geehrter Don Pablo,
herzlichen Dank für Ihren intelligenten und unterhaltsamen Blog! (Sagt man „der“ Blog oder „das“ Blog?). In den spanischen Zeitungen kann man nichts Ähnliches lesen, da sie den Gebrauch der Intelligenz ausschliessen.
Zur Frage, woher der Name „Operación Gürtel“ stammt, möchte ich Sie bloss darauf hinweisen, dass er nicht von den untersuchten, sondern von der sie untersuchenden Personen gewählt wurde. Ich denke, in Madrid (nicht aber in anderen Teilen Spaniens) nennt man den Hosengürtel „correa“, der doch eigentlich „cinturón“ heisst. Deshalb der Übersetzungsfehler.
Ich habe übrigens Ihren Roman gelesen, der mir nicht ganz gefallen hat. Der Protagonist ist eine sehr interessante Figur, aber sie wird zu wenig entwickelt (für meinen auch unterentwickelten Geschmack).
Ich habe auch Ihr Buch zur Orientierung deutscher Auswanderer in Spanien gelesen. Mein Eindruck war, wenn ich mich nicht falsch erinnere, dass es mehr von einem Deutschen als von Spanien handelt. Aber mein Gedächtnis ist nicht sehr gut.
Danke, Don Jorge. Die Mehrheit...
Danke, Don Jorge. Die Mehrheit sagt wohl „das“ Blog. Aber ich sage von nun an „der Blog“, als wäre es ein Notizblock. Es ist ja leider ein dummes, unelegantes Wort, wie so viele dieser Neuschöpfungen, die uns in der Sache die Kommunikation erleichtern und im Sprechen so viele Zumutungen bereiten. Was Romane betrifft, will ich mich anstrengen, demnächst einen besseren zu schreiben. Eine gute Idee, den Protagonisten mehr zu entwickeln.
JorgeValencia, ich vermute,...
JorgeValencia, ich vermute, daß sich der Name „Gürtel“ für diese Affäre doch von einem Decknamen herleitet, den sich die PPler (Correa?) bei diesen Transaktionen selbst gegeben haben. Wer weiß. Ich möchte fast nicht glauben, daß Garzón auf so eine Idee kommt. Und ja, nicht direkt in Madrid, wohl aber in den umliegenden Dörfern (bei uns in der Mancha) kann man zum Gürtel auch „correa“ sagen. Man benutzt es vor allem, wenn man jemanden oder etwas damit schlagen will. Das stimmt übrigens wirklich. Tja.
Danke, Don Pablo, dass Sie...
Danke, Don Pablo, dass Sie demnächst einen besseren Roman schreiben. Da ich unfähig bin, einen Roman zu schreiben, schätze ich es sehr, wenn jemand einen guten Roman (wie „Warum du mich verlassen hast“) schreibt.
Doña Dulcinea, glauben Sie doch! Der absurde Name „Operación Gürtel“ stammt entweder von Garzón selbst oder von jemand aus seinem Kreis: der Name der Operationen wird immer von der Polizei oder vom Richter gewählt. In diesem Fall ist „Gürtel“ die angebliche Übersetzung des Familiennamen des Hauptangeklagten, Francisco Correa. Übrigens: mit der „correa“ wurde auch in von meinem Vater geschlagen… umsonst.