Sanchos Esel

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Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Arbeitslose in Aktion: Nachtgespräch mit den beiden Belagerern des Moncloa-Palasts

| 10 Lesermeinungen

Es ist keine Kleinigkeit, elf Nächte im Freien zu schlafen, wie die beiden Belagerer des Moncloa-Palasts das jetzt hinter sich haben. Oder sind es schon zwölf? Bevor es jedenfalls dreizehn werden, habe ich sie nochmal gefragt, wie es ihnen mit dem harten Leben so geht.

Es ist keine Kleinigkeit, elf Nächte im Freien zu schlafen, wie die beiden Belagerer des Moncloa-Palasts das jetzt hinter sich haben. Oder sind es schon zwölf? Bevor es jedenfalls dreizehn werden, habe ich sie nochmal gefragt, wie es ihnen mit dem harten Leben so geht. Überhaupt fragt man bei der ersten Begegnung ja nie alles.

Die wesentlichen Details der Geschichte konnte man in der Zeitung lesen: 23 Tage waren die beiden zu Fuß unterwegs, von Katalonien nach Madrid, um Regierungschef Rodríguez Zapatero höflich zu fragen, wie es denn so stehe mit seiner vollmundigen Aussage, er werde niemanden in diesem krisengeschüttelten Spanien „im Straßengraben lassen“. Niemanden. Und da sind sie jetzt also, Antonio García und José Sánchez, ein Paar spanischer Jedermänner, arbeitslos seit dem letzten Herbst, und warten darauf, dass Don José Luis Rodríguez Zapatero sich irgendwann zeigt und das Wort an sie richtet. Um was mitzuteilen? Wer weiß das schon! Hauptsache erstmal, sich zeigen, dar la cara, wie es im Spanischen heißt: sein Gesicht hinhalten, sich nicht verstecken. Was das Mindeste ist, was ein Spanier unter couragiertem Verhalten versteht.

Bild zu: Arbeitslose in Aktion: Nachtgespräch mit den beiden Belagerern des Moncloa-Palasts

Gerade erzählte mir der andere José (er hat dem Regierungschef in seinem Audienzgesuch tatsächlich zum Namenstag gratuliert, das nenne ich Formen), er schlafe schlecht, schon vor ein paar Tagen seien ihm die Antidepressiva ausgegangen. Man muss sich auch vorstellen, wie die beiden da liegen: praktisch unter der Autobahn A-6, die selten richtig Ruhe gibt, aber in den frühen Morgenstunden mörderisch ist, ganz abgesehen von den Autos, die ständig die kleinere Straße passieren, an der die beiden sich zusammenrollen, und gar nicht zu reden vom Dröhnen der Motoren im Tunnel – habe ich schon erwähnt, dass Antonio und José direkt vor einem Tunnel liegen?

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Am Sonntag, als mich mit ihnen etwas unterhalten hatte und die ersten Fotos machte, kam ein Polizist aus seinem Auto und fragte mich, ob das dort drüben mein Wagen sei? Ob ich Journalist sei? Und ob ich mich ausweisen könne?

Meine Antworten:
1) Ja.
2) Ja.
3) Ich kann.

Und ich tat es es. Der Polizist telefonierte meine persönlichen Daten durch und ließ sich dann den Namen der Zeitung schriftlich geben. Es gehört schon seit langem zu meinen ungetrübten Freuden, einem Spanier beim Aussprechen der Wortfolge „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zuzuhören, allein aus diesem Grund möchte ich nie woanders leben und nie für eine andere Zeitung arbeiten, und wenn doch, dann nur für die „Niederrheinischen Neuesten Nachrichten“ oder etwas ähnlich Unaussprechliches. Als die protokollarischen Pflichten erfüllt waren, blieb der Polizist noch eine Minute bei uns und zeigte das, was man wohl die menschliche Seite nennt. Er war nett, unser Polizist, fast dachte ich, gleich erklärt er sich mit Antonio und José solidarisch, aber das hätte ihn womöglich in Konflikte mit seinem allerhöchsten Dienstherrn gebracht, Don José Luis, der nur dreißig Meter weiter in seinem Palast hockt und hartnäckig das Gesicht verbirgt. Dann machte unser Polizist kehrt und ging zu seinem Auto zurück. (Unten sieht man, wie er sich nähert, am linken Bildrand. So ein junger Mann, und soviel Verantwortung!)

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Wann sie denn so einschliefen, fragte ich die beiden vorhin.
Schlafenszeit sei vor Mitternacht, sagte Antonio, man lege sich halt hin, aber ob es dann klappe, sei eine ganz andere Frage. Morgens jedenfalls stünden sie um kurz nach sieben auf. (Fast so, dachte ich, als müssten sie zur Arbeit gehen.)
Er habe seit Tagen kaum ein Auge zugemacht, sagte José, nicht nur wegen der fehlenden Medikamente, er spüre auch noch die Nachwirkungen einer Tuberkulose.

Ach ja, heute war wieder jemand vom Radio da, um die Geschichte der beiden aus erster Hand zu kriegen, und am Mittwoch kommt einer vom katalanischen Fernsehen. Auch zu essen haben die Leute reichlich gebracht. Also, verhungern könnten die beiden nicht, selbst wenn sie es wollten. Gut, dass sie es nicht wollen! Der Kampf ist noch nicht zu Ende. Und irgendwann muss Don José Luis doch sein Gesicht zeigen!


10 Lesermeinungen

  1. Dulcinea sagt:

    Also, Don Paul, wenn das kein...
    Also, Don Paul, wenn das kein gelungener Blog-Eintrag ist! Mit Fotos und allem! Und Klassenkampf! Schon ganz wie bei Don Alphonso! Nein, NOCH besser, weil es um unsere Wahlheimat, Spanien, geht! Vielen Dank.
    Nur eine Frage stellt sich mir doch: Natürlich wünsche ich mir auch, daß Zapatero herauskommt und mit Antonio und José spricht. Das ist das mindeste. Aber dann? Was soll Don José Luis dann machen? Noch mehr vollmundige Aussagen? Sich entschuldigen? Ich meine, KONSEQUENZEN seines gesprochenen Worts. Welche sollten das denn sein? Antonio und José sind ja nicht die ersten, die in solchen Absichten nach Madrid wandern. Hier zeigt sich doch wieder wunderbar der Hang des spanischen Menschen, die Schuld immer so weit von sich weg zu schieben, wie irgend möglich, und schön hoch aufzuhängen, am besten gleich bei „ZP“. Vermutlich hat die spanische Führung die Augen tatsächlich zu lange verschlossen. Nur, den Niedergang des Baugewerbes verhindern, das hat wohl keiner können.

  2. Madrid sagt:

    Ja, Dulcinea, ein bisschen...
    Ja, Dulcinea, ein bisschen Klassenkampf tut gelegentlich gut, das reinigt so von innen. Ich frage mich gerade, wann ich zum letztenmal Marx gelesen habe, er ist ja nach 1989 wieder richtig aktuell geworden.
    Darf ich – auf Ihre Frage, was ZP denn tun solle – mich ausnahmsweise selbst zitieren? „Wer weiß das schon! Hauptsache erstmal, sich zeigen, dar la cara, wie es im Spanischen heißt: sein Gesicht hinhalten, sich nicht verstecken.“
    So, wie Sie völlig richtig den spanischen Reflex angesichts fremder Schuld beschreiben, genauso gilt umgekehrt, dass die Geste in Spanien oft mehr wiegt als die Sache selbst (oder die Form mehr als der Inhalt). Die beiden Belagerer werfen Zapatero ja nicht vor, dass er sie nicht vor der Arbeitslosigkeit bewahrt hat. Sondern, dass er optimistische Sprüche klopft, die ihn nichts kosten, auf die eigentlichen Adressaten aber zynisch wirken. Im Grunde sagen sie ihm mit ihrem 800-Kilometer-Marsch: Wipe that smile off your face! Und haben sie nicht recht? Das gewinnende Lächeln und die flotten Trostformeln gehören wirklich in eine andere Zeit.
    Angela Merkel hat sich da am Sonntagabend im deutschen Fernsehen deutlich ernsthafter verhalten. Es gibt Leute, die das anders sehen, ich weiß. Aber bei Politikern wirkt auf mich in diesen Monaten nichts so erfrischend wie müde Augen, herabhängende Mundwinkel, zusammengepresste Lippen und eine ordentliche Ladung Missmut. Unseren ZP müsste man auf den Kopf stellen, damit er Steinbrücks säuerlich-verbissenen Mund hinbekommt. Und was ist das denn für ein Regierungschef, den man auf den Kopf stellen muss, damit sein Gesicht zur aktuellen Lage passt?

  3. Dulcinea sagt:

    1) Zitate sind immer gut, vor...
    1) Zitate sind immer gut, vor allem Selbstzitate.
    2) Die Geste („dar la cara“) ist vielleicht schön und medienwirksam und zählt in Spanien sicher mehr als in Deutschland, aber „soluciones“ (wie auf einem Transparent gefordert) liefert sie ja nicht. Und ich fürchte, Antonio und José wird sie auf Dauer nicht zufriedenstellen (können).
    3) Ich finde es eine lustige Idee, Zapatero auf den Kopf zu stellen — und immer noch besser, als sich, beispielsweise, den traurigen Rajoy als Ministerpräsidenten vorzustellen. Es stimmt natürlich, Don Paul, daß „zerknirscht dreinblicken“ im Moment besser paßt. Trotzdem: lieber im Kopfstand, als daß wir es mit einer weiteren leeren Geste zu tun bekommen.
    (Dies drei Anmerkungen, die aber keinen dialektischen Dreischritt darstellen.)
    Ob er wohl rauskommt?

  4. Madrid sagt:

    Erinnern wir uns nur daran,...
    Erinnern wir uns nur daran, dass Aznar damals einen ganzen Monat zögerte, bevor er nach Galicien reiste, um die Schäden der Öltankerkatastrophe zu begutachten: Die Folgen für sein Renommee waren verheerend. Jeder wusste ja, dass er den havarierten Tanker nicht persönlich wegschleppen konnte, und niemand erwartete es von ihm. Er sollte nur da sein und sich zeigen (was er am Ende vor allem im Helikopter tat). Manchmal sind Gesten eben alles. An ihnen erkennt man die Mächtigen. „Lösungen“, Dulcinea, die hat wohl niemand.
    Und wie geht es weiter? Wenn ich mich erheitern will, dann stelle ich mir Steinbrück vor und stelle ihn auf den Kopf! Ein strahlenderes Lächeln gibt es nicht.

  5. rocinante sagt:

    <p>Da scheint sich eine...
    Da scheint sich eine Gemeinsamkeit der Politiker aufzutun:
    Das Problem so lange ignorieren bis es nicht mehr geht.
    Aznar und Prestige und 11M.
    Zapatero und die Krise, lange behauptete er es gäbe sie nicht.
    Espe und die „listas de espera“ in Sanidad. In diesem Fall hält sie die Augen noch fest geschlossen.

  6. haadee sagt:

    Das kommt mir doch alles sehr...
    Das kommt mir doch alles sehr bekannt vor…
    https://www.faz.net/s/RubFC06D389EE76479E9E76425072B196C3/Doc~EBFC36CF68BC54B0BBF210D6974B7FB83~ATpl~Ecommon~Scontent.html.
    Wäre Don José Luis Rodríguez Zapatero der deutsche Regierungschef, die deutschen Medien würden den Fall begierig aufgreifen und ausquetschen wie eine Zitrone. Von „Bild“ bis „Stern TV“ würden wir alles erfahren über die Farbe der Schlafsäcke der „Belagerer“, den Namen der Antidepressiva bis hin zu Interviews mit ehemaligen Schulfreunden und Nachbarn.
    Woher kommt diese Zurückhaltung? Sind spanische Medien so anders?
    Don Paul, berichten Sie uns weiter.

  7. Meinetwegen könnten die...
    Meinetwegen könnten die Politiker ein paar Jahre lang streiken. Dann würden wir uns ihre abstossenden Gesten ersparen.
    Übrigens: der Bericht von Ingendaay und seine Beschreibung der Rhetorik Schuhmachers („dass er optimistische Sprüche klopft, die ihn nichts kosten, auf die eigentlichen Adressaten aber zynisch wirken“) ist ausgezeichnet.

  8. quemasda sagt:

    rocinante: Was meinen Sie mit...
    rocinante: Was meinen Sie mit Aznar und Prestige und 11M?
    Wie gerichtlich bestätigt wurde, war die Entfernung des Prestige die einzige wirkungsvolle Möglichkeit um grösseres Unheil zu vermeiden – ich weiss, dass ZP und seine Anhänger da anderer Meinung sind. Und was den 11M angeht, da sind hier in Spanien sehr viele Menschen der Ansicht, dass wir absolut nichts wissen.
    Was ZP oder Cejas angeht, er ist ein Musterbeispiel für angewandte Demagogie und die sogenannte Oposition in der Schlummerecke um nicht anzuecken

  9. Madrid sagt:

    Sie haben recht, Haadee, das...
    Sie haben recht, Haadee, das ist merkwürdig, die spanischen Medien setzen kaum nach. Eine überregionale Zeitung allerdings hat die beiden Belagerer auf die Titelseite gebracht. Andere Medien ignorieren sie vollständig. Wie die beiden letzten Kommentare nahelegen, geht es hier auch um Fragen der politischen Überzeugung. Anders als in Deutschland ließen sich in Spanien einige Ereignisse finden, über die in der Gesellschaft, je nach politischem Lager, völlig gegensätzliche Ansichten verbreitet sind. Es geht nicht nur um politische Deutungen (War Schröder entscheidungsfreudiger als Merkel? Hat Merkels Kanzlerschaft mehr Format?), sondern um die schlichte Frage, was überhaupt passiert ist. Ein Feuchtbiotop für Legenden und Verschwörungstheorien.

  10. rocinante sagt:

    "Las dos Españas"
    Es gibt...

    „Las dos Españas“
    Es gibt auch kein spanisches Geschichtsbuch dass nicht politisch gefärbt ist. Kein Radiosender, keine TV Kanal …
    Deshalb redet man mit Bekannten oder Kollegen doch lieber über das Wetter, Krankheiten, die lieben Kleinen und den aktuellen Euribor.

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