Mein Freund José hat mir erzählt, er habe im Real Club de la Puerta de Hierro zu Mittag gegessen, einer seiner Geschäftspartner sei dort Mitglied und habe ihn eingeladen. Sofort fiel mir die Gelegenheit ein, zu der auch ich einmal das Vergnügen hatte, im Real Club de la Puerta de Hierro zu essen, allerdings zu Abend, in einer warmen Sommernacht, und das Essen war bestenfalls mittelmäßig, was José übrigens auch über das seine sagte, aber darauf kommt es in diesem Club wohl am allerwenigsten an. Mein Freund hat dann noch erzählt, wie fein es in diesem feinsten aller Clubs von Madrid und wahrscheinlich ganz Spanien zugeht – zum Beispiel, dass seit dem Jahr 1960 oder so (jedenfalls vor unserer Geburt) keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen werden und dass, wer in eine Familie mit Clubmitgliedern einheiratet, dadurch automatisch die Möglichkeit erhält, ebenfalls Mitglied (oder sollte ich sagen „Mitgliedin“?) im Real Club de la Puerta de Hierro zu werden, allerdings nur gegen Zahlung der Kleinigkeit von 54.000 Euro, man ist sich etwas schuldig, wenn man schon 1904 gegründet wurde, denken Sie nur: erst König Alfons XIII., dann die Zweite Spanische Republik, der Bürgerkrieg, Francos Diktatur, was waren das bewegte Zeiten! Glücklicherweise war der Club irgendwie immer auf der richtigen Seite.
Wir damals wurden auf etwas mitgenommen, was ich nachträglich die „große Besichtigungstour“ des Real Club de la Puerta de Hierro nennen möchte. Im letzten Abendlicht eines Sommertages, der Henry James zu mehreren Seiten konfektartiger Prosa inspiriert hätte, führten uns unsere spanischen Bekannten zu den Pferdeställen, den Tennisplätzen, zum Golfplatz, zu Spazierwegen, über denen sich die Vögel schon Gutenachtlieder sangen, dazu wiegten sich sanft die mächtigen Bäume, als liefen wir Hand in Hand durch die Zeilen eines Eichendorff-Gedichts, und später, als es vorbei war, fragten wir uns wirklich, warum wir das alles sehen durften.
Damit wir wissen, was es in diesen Kreisen alles gibt.
Damit wir neidisch werden.
Damit wir unglücklich werden und es in unserem eigenen Leben nicht mehr aushalten.
Unsere Bekannten, ein Paar in unserem Alter, hatten auch eine wunderschöne Altbauwohnung im besten Viertel von Madrid, natürlich gekauft, nicht gemietet, wir waren mal bei ihnen zum Osterfrühstück. Und einmal waren wir dort (ich weiß nicht mehr, ob ich wirklich dabei war oder meine Anwesenheit später geträumt habe), da zogen sich die Frauen in die Küche zurück und tauschten sich über Frauendinge aus, wie es Spanierinnen gern tun, und eines dieser Dinge war die an diesem Tag ungewöhnliche Oberweite der Gastgeberin, unserer Bekannten, die eigens zu dieser Gelegenheit (nein, ich war nicht dabei, ich habe es mir berichten lassen und danach zu Ende geträumt) ein dirndlartiges Kleid angezogen hatte, damit man auch gut sah, was sie an diesem Tag vorzuführen gedachte.
Sie hatte doch nicht etwa…
Ungläubiges Staunen. Vielleicht traute sich eine Freundin, einmal anzufassen.
War es die Möglichkeit…?
So täuschend echt…!
Was für eine schlaue Gaunerin!
Und unsere Bekannte erzählte ihren Freundinnen, sie habe sich jetzt endlich „die Brüste machen lassen“, das habe sie ja schon länger gewollt, ein Geburtstagsgeschenk ihres Mannes, und das habe sie ihren Freundinnen nicht vorenthalten wollen, eine Privatvorführung des kosmetischen Operationserfolgs gewissermaßen, daher die Einladung…
Damit wir wissen, was es in diesen Kreisen alles gibt.
Damit wir neidisch werden.
Damit wir unglücklich werden und es in unserem eigenen Leben nicht mehr aushalten.
Was den Real Club de la Puerta de Hierro betrifft, in dem unsere Bekannten jedes Wochenende verbrachten, weil sie es in ihrer traumhaften Altbauwohnung mit Blick auf den Retiro-Park nicht mehr aushielten, er liegt im Nordwesten von Madrid, ein sorgsam eingefriedetes Idyll, Sperrgebiet für alle außer für die happy few, und wenn man auf der A-6 in die Stadt hineinfährt, sieht man schon von weitem die sanft geschwungenen, bewaldeten Hänge, die inmitten der Stadtlandschaft wie eine Fata Morgana wirken. Manchmal denkt man: Erstaunlich, wie grün Madrid doch ist! Dann erinnert man sich daran, dass das ganze Areal nur für die Privilegierten da ist, und man kann sich sogar ihre Blicke ausmalen, wie sie am Sonntagabend von ihren Drinks hochschauen und von ihren grünen Hügeln herab die vielen tausend armen Idioten auf der fernen A-6 im Rückreisestau betrachten.
Der Real Club de la Puerta de Hierro hat auch eine Homepage. Es ist die lustigste Homepage, die ich je gesehen habe. Man trifft auf die Wörter Golf, Tennis, Reiten, Polo und so weiter, dazu gibt’s das prunkvolle rote Wappen und sechs alte Schwarzweißfotos, und wenn man auf „Eintritt“ klickt, geht die Schranke runter. Ohne Mitgliedsnummer und Personalausweisnummer kommt man nicht auf die Seite. Ohne Mitgliedsnummer und Personalausweisnummer läuft gar nichts. Es gibt solche Orte, will die Homepage uns sagen, da erkennt man einander an den Dingen, die man nicht mehr fragen muss.
Mein Freund José übrigens hat noch erzählt, es sei bei seinem Mittagessen im Club alles mächtig gestelzt zugegangen, Don Pedro hier, Don Pedro dort, Sie wissen schon. Nur am Ende, beim Abräumen, ließ der Kellner den versifften Teller mit dem ganzen Besteck fallen, es muss ziemlich peinlich gewesen sein, und José sagt, er könnte sich denken, dass die Sache ein Nachspiel hat.
Noch etwas. Die beiden arbeitslosen Belagerer des Moncloa-Palasts, von denen ich neulich erzählt habe, Sie erinnern sich? Also, der Moncloa-Palast, wo die beiden seit drei Wochen kampieren, um den Ministerpräsidenten Rodríguez Zapatero zu sprechen, liegt ganz in der Nähe des Real Club de la Puerta de Hierro. Symbol! höre ich Sie jetzt rufen. Er spielt die Arbeitslosen gegen die Reichen aus!
Aber es ist ganz anders. Ich wollte nur berichten, dass es den beiden, Antonio und José, gutgeht. Letzten Samstag gab es ja einen hässlichen Temperatursturz, innerhalb von einer Stunde war es 15 Grad kälter, irgendwo fiel sogar wieder Schnee, und da fragt man sich natürlich, wie unsere beiden squatter so klarkommen. Demnächst besuche ich sie wieder, heute nur soviel: Sie haben sich ein Dach gebastelt, erzählte Antonio am Telefon. Das staatliche Frühstücksfernsehen will davon berichten. Gestern wurde ihnen Linseneintopf gebracht, und ihren Vorrat an Konservenbüchsen können sie kaum noch überschauen. Sie haben auch neue Stühle gefunden, und ich könnte mir denken, wenn ich sie besuche, haben sie schon ein Sofa.
Gut, sie reiten nicht, sie spielen nicht Golf, sie lassen sich nicht die Brüste machen, alles zugestanden! Aber sie sind 23 Tage zu Fuß durch Spanien marschiert, um nach Madrid zu kommen und den Regierungschef zu fragen, was er zu tun gedenkt, um ihnen zu helfen, und so leicht lassen sie sich nicht abwimmeln. Sie bleiben dran. Vielleicht gründen sie mal einen Club.
<p>Sehen Sie, Goethe62, ich...
Sehen Sie, Goethe62, ich glaube gar nicht, daß José und Antonio oder deren Frauen dieses, was Sie andeuten, irgendwie benötigen,
damit sie wissen, was es in diesen Kreisen alles gibt.
Damit sie neidisch werden.
Damit sie unglücklich werden und es in ihrem eigenen Leben nicht mehr aushalten.
Ich glaube, die Kalamität der beiden ist bereits groß genug.
***
Und, rocinante, Sie verfügen wirklich über detaillierte Kenntnisse des spanischen Lebens! Zuerst das Sfericación Set (ich hatte keine Ahnung)! Und nun diese beiden einträchtigen Toilettenschüsseln. Das ist wirklich ein schönes, gleichsam poetisches Bild! Es geht mir gar nicht aus dem Kopf. Diese Bar sollte ich einmal besuchen. Wo ist sie? Allerdings sind weder die Einnahme von Rauschmitteln noch Klatsch und Tratsch auf die spanische Frauenwelt beschränkt, oder?
<p>na, vom puerta de hierro...
na, vom puerta de hierro hoert man allgemein nichts gutes… es wird sogar von mitgliederschwund und finaziellen schwierigkeiten gemunkelt… beurteilen kann ich das nicht.
buerteilen kann ich allerdings den ganz atemberaubenden reiz einer offenzugaenglichen oase. wer von aravaca das mountain-bike nimmt und in den casa de campo – die ehemals koeniglichen jagdgruende – vom ausserst nordwestlichen zipfel schneidet, hat eine gut halbstuendige schussfahrt vor sich, die einen mitten ins herz von madrid, direkt zum konigspalast fuehrt, ohne dass man jemals – bis auf die letzen paar meter – ein auto zu gesicht bekaeme oder eine strasse ueberqueren muesste. es geht durch das gruene meer eines wilden naturparks, der nahe des schlosses dann zu einem gutfrequentierten stadtpark wird, aber bis dort hin hat man schon soviel schwung und energie, das man leichtmuetig durch die menschengruppen schiesst. wer bei aravaca in dieses gruene meer sticht, der steigt auf wellenkaemme, sieht im osten die silhouette des alten madrids mit seinen palaesten und kirchen, schiesst geradewegs drauf zu, taucht ein in das naechste tal kuehler waelder, schiesst hoch auf den naechsten kamm, ist nun der stadt wieder etwas naeher und ueber einem in den bauemen zanken sich die gruenen papageien, die irgendwann einmal aus lateinamerika gekommen sind und sich seitdem hier eingerichtet haben.
das ist schon ganz grossartig. ganz einzigartig und erhebend ist es auch.
wer sich so in die spanische hauptstadt begibt, fuer den wird madrid – oh wunder – ploetzlich sogar zur fahrradstadt. denn einmal auf gruener route am koeniglichen palast angekommen oeffnet sich einem die stadt direkt in ihrem zentrum ueber ein system mittelalterlicher straesschen, die man problemlos mit dem rad befahren kann. mehr noch: man ist in diesem einbahnstrassensystem aus engen gassen jedem autofahrer weit ueberlegen – (und sicher ist man vor ihnen auch, da hier fuer autos kaum mehr als schrittgeschwindigkeit moeglich ist) – und schnell ist man am prado, in la latina, chueca oder sonst ueberall dort, wo es nett ist. – und das in einer stadt, in der sonst nur lebensmuede oder besonders hartnaeckige nordeuropaerer auch nur auf die idee kommen wuerden, sich einem verkehrssystem auszusetzen, das ueber sonst mehrspurige strassen vollstaendig auf automobile ausgerichtet ist.
wer von aravaca oder pozuelo mit dem fahrrad durch den casa de campo – den groessten stadtpark europas – die spanische haupstadt betritt, erlebt ein vollkommen anderes madrid: eine luxuriöse, offene fahrradstadt, in der man als radfahrer sogar noch so etwas wie ein pionier – so etwas wie avantgarde – ist.
Ja, abfeldmann, das ist...
Ja, abfeldmann, das ist zweifellos eine schöne Fahrt. Natürlich nicht ganz so idyllisch, wie Sie gerade schildern, denn in der Casa de Campo fahren ein paar Autos. Aber ungewöhnlich grün und wenig genutzt, wie überhaupt „der“ Madrilene innerstädtisch kaum ein Fahrrad anrührt – einerseits, weil er (und sie) das nie gemacht hat, andererseits, weil er (und leider auch sie) sofort totgefahren würde. Nur in den neueren Außenbezirken sind Fahrradwege angelegt worden. Leider auch die nicht systematisch, sondern eher mit dem befremdlichen Ehrgeiz, einen vollständigen Fahrradring um ganz Madrid zu legen, wie ein Rekordversuch, rund 70 Kilometer – während in dem riesigen Areal in der Mitte kaum ein sicherer Fahrradweg existiert. Bei Gelegenheit, abfeldmann, nennen Sie mir eine gute Madrider Fahrradkarte?
bei fahrradkarten wird man...
bei fahrradkarten wird man googlend im netz ganz gut fuendig – da gibt es einiges an user generiertem content auf basis google earth – wie zb hier https://www.bikely.com/listpaths/country/226/region/3908/city/3818
zum thema ‚casa de campo und autmobile‘ moechte ich widersprechen. – wenn sie vom aeussersten zipfel bei aravaca rein fahren, dann gibt es dort auf er ganzen route keine blechkiste zu sehen – bis auf das letzte stueck vorm palast. stattdessen eine unglaubliche sicht auf die skyline des alten madrids ueber den baumwipfeln…. – gerade gestern wieder gemacht. durch den park, rein ins museum, durch den park zurueck. wunderbar.
ich zeige ihnen diese autofreie strecke mit unglaublicher sicht auf madrid gerne einmal, wenn sie moechten. schreiben sie mir an abfeldmann beim gmail komm.
Vielen Dank, abfeldmann, das...
Vielen Dank, abfeldmann, das hilft mir weiter.