In Cuenca, Kastilien-La Mancha, gibt es ein Restaurant mit großem Schankraum, das heißt „La Taberna de Pepe“. Keine Ahnung, wer dieser Pepe ist oder war, aber was immer man sich unter ihm charakterlich vorzustellen hat, seinen Laden hat er im Griff. Als ich nach einem Händel-Konzert gegen Mitternacht dort einlief, drängelten sich sehr viele Leute am Tresen, die Stehtische waren besetzt, Servietten und Zahnstocher flogen zu Boden, Zigaretten wurden ausgetreten, und natürlich herrschte ein Geräuschpegel, dass man gleich wusste: Ah, wir sind in Spanien. Cuenca, ein Ort mit sehr steilen Gassen und großer Kälte, bringt hungrige Leute hervor.
Als ich mich bis zum Tresen durchgekämpft hatte, entdeckte mich ein Kellner mit klinischem Auge, nahm meine Bestellung auf und bediente mich überaus zuvorkommend. Das war schon mal schön, bei dem Gedränge. Rechts von mir tranken zwei ältere Damen ein alkoholisches Mischgetränk und lächelten mütterlich, als sie mich so gut versorgt sahen. Ich lächelte zurück. Der Kellner (er und seine Kollegen trugen weiße Jacken mit schwarzer Fliege, und auf ihren Schultern saßen Epauletten) schlug mir zum Nachtisch torrijas vor, was zu Ostern hier obligatorisch ist, und zum Abrunden einen Likör aus Orujo, Kaffee und Zimt, der süß und ungefährlich schmeckte. Als es ans Zahlen ging, berechnete er mir viel zu wenig.
Solche Nettigkeit verwirrt mich manchmal, und ich sagte so etwas wie: „Das müsste aber mehr sein.“
Darauf er, ohne eine Miene zu verziehen: „Wenn Sie mehr zahlen wollen, berechne ich Ihnen gern mehr.“
Ich habe nicht darauf bestanden.
Viermal war ich in den letzten Tagen in der „Taberna de Pepe“ , und immer war mein Kellner im Einsatz. Auch am zweiten Tag berechnete er mir zu wenig. Und am dritten. Bei meinem letzten Essen, in der Nacht zum Samstag, stellte er mir den Kaffee hin, als wüsste er, dass ich noch eine längere Autofahrt vor mir hatte und mich zwanzig Kilometer weiter Schnee erwarten würde. Ich trank meinen Kaffee, zahlte, wir schüttelten uns die Hand. Er hatte bei unseren Wortwechseln in den letzten Tagen nicht ein einzigesmal gelächelt.
Ich weiß nicht genau, warum ich das jetzt erzähle, außer vielleicht, um den spanischen Kellnern ein mittelgroßes Denkmal zu setzen. Für Fürsorglichkeit, Fleiß, Genauigkeit und Stolz, für Stil sowieso, außerdem für Großzügigkeit, Formen, Takt und Würde. Manchmal denkt man, sie seien mürrisch, aber das sind sie nicht. Sie glauben nur nicht, Lachen gehöre zu ihrer Arbeit. Was es ja auch nicht tut. Man kommt sehr gut ohne Lachen aus. Und wer weiß, vielleicht gibt es ja Gelegenheiten, wenn wir hungrigen Esser nicht ans Essen denken und auch nicht ans Trinken, da lacht der spanische Kellner, dass es kein Halten mehr gibt.
<p>Ich gratuliere Ihnen,...
Ich gratuliere Ihnen, Kellner wie Sie sie beschreiben gibt es in Madrid immer weniger.
Sie legen sehr hohe Maßstäbe...
Sie legen sehr hohe Maßstäbe an, Don Paul! Für Fürsorglichkeit, Fleiß, Genauigkeit, Stolz — Stil sowieso — Großzügigkeit, Formen, Takt und Würde sowie für vorausschauende Kaffeeversorgung gibt es bei Ihnen nur ein mittelgroßes Denkmal? Armer Pepe! Oder sind die spanischen Kellner zu klein für… Großes?
Vielen Dank für den schönen...
Vielen Dank für den schönen Artikel! In Gedanken widme ich Ihr „Denkmal“ Juan aus der Bar Sagasta II in Las Palmas.
Es freut mich, Stefanus, dass...
Es freut mich, Stefanus, dass Sie auch solche Kellner kennen. Und jetzt frage ich mich, ob Dulcinea viele oder wenige von ihnen kennt – ein mittelgroßes Denkmal ist doch nicht so schlecht? Wer kriegt denn überhaupt noch eins heutzutage?
Ich kenne nicht viele Kellner!...
Ich kenne nicht viele Kellner! Woher denn? Ich komme ja kaum hinaus. Und da mir Rocinante auch nicht verrät, wo es diese schöne Bar mit den einträchtigen Toiletten gibt, wird sich daran so schnell nichts ändern. Pepes Eigenschaftskatalog, Don Paul, er erschien mir fast vollkommen. Aber Sie haben natürlich recht: mittelgroß ist in jedem Fall besser als mittelklein.
Don Pablo, ich gratuliere...
Don Pablo, ich gratuliere Ihnen, weil Sie die Woche Geistlicher Musik in Cuenca besucht haben.
ja, sone kellner kennt man. -...
ja, sone kellner kennt man. – und schoen beschrieben haben sie das. – tatsaechlich verbindet sich machohafte maulfaulheit und inszenierung kargdistanzierter ueberlegenheit mit einer beinahe muetterlichen fuersorglichkeit. – das ist schon ganz besonders – ein ganz besonders feiner kontrast. und den haben sie hier schoen herausgearbeitet, herr ingendaay, – ich hatte das so deutlich nicht gesehen, umso klarer ist es mir jetzt.
als anschliessende frage an die runde hier: kann sich jemand einen reim drauf machen, warum der klassische spanische kellner wie hier beschrieben in der regel wortkarg distanziert und fuersorglich zugleich ist … – fast ein widerspruch in sich, und ein wunderschoener kontrast…. woher komt diese spezielle mischung aus naehe und distanz? – hat jemand eine ahnung oder einen erklaerungsansatz?
Erst einmal wollen wir...
Erst einmal wollen wir Dulcinea ein wenig bedauern, weil sie so wenig hinauskommt. Das meine ich ernst. Dann sollte rocinante uns unbedingt die Madrider Bar verraten, Sie wissen schon, rocinante, die mit den beiden Toiletten in einer Kabine, das ist uns doch allen unvergesslich geblieben. Und dann, abfeldmann, kann ich mir nur soviel erklären: Ein stolzer Geist mit dem notwendigen Unabhängigkeitssinn, mit Würde, einem Gefühl für Stil und so weiter — wenn dieser Geist also auf die Aufgabe trifft, andere zu bedienen und dabei dennoch er selbst zu bleiben, dann ist das Ergebnis vielleicht ein spanischer Kellner. Irgendwie glaube ich ja auch, dass die Leute stolz auf die Produkte sind, die sie uns da servieren, dass sie den Schankraum mögen, die Erde respektieren, aus der all das kommt, kein anderer sein wollen als der, der sie sind, dass sie einen gewissen Gemeinschaftssinn besitzen und schliesslich… dass sie eben Spanier sind. Da haben Sie es. Etwas tautologisch, das gebe ich zu, aber besser weiss ich es jetzt nicht.
Wenn ich die Kommentare mal nicht gleich freischalte in diesen Tagen: Ich laufe gerade in London herum. Ich will mich über die Kellner dort nicht beklagen, aber es ist doch nicht dasselbe. Obwohl ich über die Inder im besonderen nur das Beste sagen kann. Oder über den guten Tee in Chinatown.
@abfeldmann
Irgendwo ist die...
@abfeldmann
Irgendwo ist die Antwort auf solche Frage evt. darin zu suchen, dass der Kellner im Sinne von P.Ingendaays Blogeintrag in Deutschland eigentlich nicht mehr existiert. Dort gibt es ab einer gewissen Kategorie von Restaurant wohl auch noch den „Berufskellner“, aber in der Bistrogastronomie, nichts anderes ist in Spanien der Alltag, würde in Deutschland immer eine Studentin „jobben“.
Mein Juan aus Las Palmas ist ein ca. 50 jähriger Mann, dessen Beruf es ist, anderen Menschen cafe con leche und bocadillos zu bringen, unter anderem. Damit ernährt er die Hälfte seiner Familie mit 3 Kindern, einer Hypothek und was weiß ich noch. Seine Frau geht bestimmt auch noch arbeiten, ich habe ihn nie gefragt.
Ich denke, dass die Arbeit mit den verschiedenen Typen von Gästen auch den Kellner prägt. Mein Juan mochte mich, daran besteht kein Zweifel, und ich mochte ihn, aber er mochte nicht jeden.
So ist er derjenige, der sich seine sozialen Kontakte kaum aussuchen kann, und es trotzdem schafft, seine Würde in all dieser Situation zu wahren, wie, wenn nicht mit Distanz, einerseits, aber auch mit fürsorglicher Nächstenliebe andererseits.
Soweit meine 2Cent, gute Nacht!
herzlichen dank, herr...
herzlichen dank, herr ingendaay und señor stephanus. – die zwei cent nehm ich gerne – und leg nochmmal was drauf. – ‚berufskellner‘ ist ein wichtiger punkt. – gerade im unterschied zu deutschland. – und wenn man jetzt mit dem gleichen fokus nach frankreich und italien schaut, dann kann man auch erkennen, dass der spanische kellner doch nochmal etwas ganz eigenes hat. – der franzoesische garcon ist immer wie das mitglied einer familie, er stellt das bindeglied zwischen patron und gast dar, er ist integrationsvehikel, und hat – altersunabhaengig – immer etwas jungenhaftes, etwas vom ’sohn‘ des hauses. – der italienische berufskellner nun…. – was soll man ueber ihn sagen, was wir nicht alle laengst wuesten… – er ist das beste, was die welt der gastlichkeit uns zu bieten hat. zurueckhaltung, charme, einfuehlungsvermoegen, aufmerksamkeit… und augen, die einen – wo immer man ist – immer in harry’s bar, immer in venedig sein lassen – und immer hoert man sinatra musik und immer weiss man, dass gleich eine der schoenste frauen der erde dieses fuerstliche etablissement betreten wird. … italienische kellner. – auf der ganzen welt gibt es nichts besseres…
und der hier zu recht gewuerdigte spanische camarero in seiner kargheit und fuersorge – ja, er hat etwas von der spanischen erde und von ihrer urspruenglichkeit, und seine schroffheit hat auch etwas defensives, etwas sehr menschliches, etwas, dass einen denken laesst, hier waltet ein jahrhundertealter schutzmechanismus, der sich laengst zu etwas wie einem rollenbild und rollenverhalten verselbstaendigt hat. – das mittelgrosse denkmal, es ist – da wir alle gerne von menschlichkeit beruehrt werden, gerade wenn sie in kontrasten und widerspruechen kommt – in jeder hinsicht verdient.