Sanchos Esel

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Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Kleine Gemeinheiten aus dem Betrieb (6): Wie geht es dir, du alter Sack?

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Hans Magnus Enzensberger hat in einem Interview über Spitzengehälter in der Industrie und den Neid auf Besserverdienende einmal gesagt: „Man soll von einem Manager nicht verlangen, dass er ein guter Mensch sei. Er soll nur möglichst wenig Schaden anrichten."

Hans Magnus Enzensberger hat in einem Interview über Spitzengehälter in der Industrie und den Neid auf Besserverdienende einmal gesagt: „Man soll von einem Manager nicht verlangen, dass er ein guter Mensch sei. Er soll nur möglichst wenig Schaden anrichten.“

Die beiden schlichten Sätze gehen mir nicht mehr aus dem Kopf, ich wende sie nämlich ständig auf spanische Politiker an. Etwa auf unseren alten Bekannten Francisco Camps, den Ministerpräsidenten der Comunidad Valenciana, der unter dringendem Verdacht steht, der Firma eines sehr korrupten Mannes im Namen der Region Valencia jede Menge Aufträge zugeschustert zu haben und dafür mit feinen Anzügen eingekleidet worden zu sein. Ich habe von dem Korruptionsfall „Gürtel“ (der Name erheitert mich noch immer) an dieser Stelle schon einmal erzählt.

Je mehr wir von diesen sonderbaren Vorgängen erfahren, desto stärker zieht sich das Netz um den PP-Politiker zusammen, so dass es hier und da schon heißt, Camps sei politisch „verbrannt“, und seine möglichen Nachfolger lockerten schon die Muskeln. Ich weiß nicht, ob das stimmt, in Spanien tritt bekanntlich nicht einmal Gott zurück, und aus der Volkspartei (PP) heißt es abwiegelnd, es lasse sich doch niemand „mit ein paar Anzügen“ bestechen. Der Subtext lautet: „So blöd ist doch keiner.“ Was sie nicht dazusagen, ist, wie viele Anzüge es dafür denn sein müssten. Camps wird übrigens noch vor dem Untersuchungsrichter aussagen, und dort, wie er grummelnd angekündigt hat, wolle er das Gespinst aus Verdrehungen und Lügen zerreißen, das andere gewoben hätten, um ihm zu schaden. Lassen wir das.

Interessant ist aber, was die abgehörten Telefonate zwischen Camps und seinem korrupten Freund Álvaro Pérez (genannt Bigotes, weil er so einen riesigen, überaus pflegebedürftigen Schnurrbart trägt) über den Charakter einer echten spanischen Männerfreundschaft sagen. Ich gestehe, ich habe diese Gespräche in El País mit atemloser Spannung gelesen. Dann kam die Benommenheit. Dann ein leichter Ekel. Manche Formulierungen lassen sich kaum übersetzen, so idiomatisch sind sie. Doch alles weist hin auf eine ausgewachsene, langerprobte Gaunerei zwischen zwei Männern, die sich blendend verstehen.

„Du kannst viele Jahre auf meine Freundschaft zählen,“, sagt da Pérez zum Ministerpräsidenten am Telefon, „okay?“
„Entschuldige. Viele Jahre? Nein, hijo de puta, dein ganzes Leben lang. Ha, ha…“
„Deshalb, alter Junge, zähle ich darauf, dass es viele sind.“
„Gut, okay, aber du brauchst nicht von vielen Jahren zu reden, weil das eine Grenze setzt, ein Verfallsdatum. Dein ganzes Leben…“
„Nein, du hast recht, du mußt mich immer… siehst du? Da sieht man, was es bringt, jeden Tag in ein Mikrofon zu sprechen.“
„Genau.“

In diesen Telefonaten ist auch davon die Rede, was Bigotes der Frau und der Tochter von Camps geschenkt hat (der Frau ist es ein bisschen viel, sie findet, Bigotes übertreibe maßlos, diesmal waren es ein Kleid und ein Schmuckstück). Das erstaunliche hijo de  puta, mit dem Camps seinen Freund anredet, könnte man vielleicht mit einem kumpelhaft-groben „alter Sack“ wiedergeben, so ungefähr. Das Spanische hat ja eine sehr derbe Umgangssprache, die auch von gebildeten Menschen sowie von Politikern gesprochen wird, sobald die Mikrofone ausgeschaltet sind.

Übersetzt man das alles ins Deutsche und stellt es sich in unseren Zeitungen vor, fällt man natürlich vom Stuhl. Aber gut, man wird in Spanien auch in Briefen von wildfremden Leuten als „Lieber Freund“ angeredet, es hat nichts weiter zu bedeuten. Beziehungsweise nur dann, wenn man es ernster nimmt, als es gemeint ist. Und das ist für uns Deutsche manchmal ein Problem. Wir finden nämlich, es habe etwas zu sagen, wenn man jemanden „Freund“ nennt. Die Frage ist jetzt, was geschieht, wenn Francisco Camps sich seines alten Freundes Bigotes zu schämen beginnt, wenn der ihn reinreißt, dieser alte Sack und hijo de puta, der ihm für viele Jahre, aber eben nicht sein ganzes Leben lang Loyalität geschworen hat.

Übrigens macht unsere hochanständige Software diese Sternchen für mich, eine Art freundliche Zensur im Interesse aller, Sie erinnern sich vielleicht an damals? Als ich hier nicht „Na*i“ schreiben durfte? Eben. Und ich finde, die Software hat recht. Da sieht man mal, wie grob diese Politiker in ihren feinen Anzügen wirklich sind.


12 Lesermeinungen

  1. Benutzt man in Deutschland...
    Benutzt man in Deutschland noch das spanische Wort „amigo“ (dt. „Freund“), um die Unternehmer zu bezeichnen, die die Politiker bestechen?

  2. rocinante sagt:

    <p>PP sagt, es wäre...
    PP sagt, es wäre lächerlich dass ein Politiker sich mit ein paar Anzügen bestechen liesse. Tja, wenn man hört, dass der arme Camps nur 50% einer Wohnung und ein Auto Baujahr 95 besitzt (laut eigener Angaben), erscheint mir das nicht mehr so lächerlich. Aber nur dann, wenn man diesen Angaben glauben will.
    Jemanden h*d*p* zu nennen, ohne dass der sich angegriffen fühlt, ist wirklich ein Zeichen tiefster Vertrautheit.

  3. Madrid sagt:

    Ja, Don Jorge, ich glaube, man...
    Ja, Don Jorge, ich glaube, man spricht seit Max Streibl und der Bavarian Connection von „amigos“. Ein schillerndes Wort. Das von Dulcinea beigesteuerte Foto finde ich sehr lustig. Man liest ja soviel von Camps‘ Anzügen, dass man sich auch bei solchen traditionellen Kostümierungen fragt, wer das jetzt wieder bezahlt hat…

  4. abfeldmann sagt:

    <p>sehr treffende bemerkung...
    sehr treffende bemerkung von jorgevalencia.
    darueber hinaus hatten wir ja auch schon einen in der bundespolitik, der ueber zuwendungen in form von anzuegen gestolpert ist. von ihm sind mir allerdings keine geheimen telefonmitschnitte bekannt. er hat alles kompromitierende in aller oeffentlichkeit immer selbst unvergleichlich in szene gesetzt. als er zum bundeskanzler kandidierte, erinnere ich mich an die anhaltend schlechte stimmung im elternhaus einer lahnsteiner freundin. die dame des hauses hatte vor jahren den antrag des ungelenken jungpolitikers stolz abgewiesen, was ihr zu dieser zeit als womoeglich groesster fehler ihrers lebens erschien.
    die stimmung wendete sich allerdings dann wieder in der familie meiner freundin, als rudolf scharping – so hiess der mittlerweile laengstvergessene – frisch geschieden und vater von zwei erwachsenen toechtern – tapsig und tom-cruise-esque im fernsehen die „erste wirkliche liebe seines lebens“ pries, seine neue, eine geborene paul, die sich jetzt darin gefiel, den adelstitel und suedlaendischen glamournamen ihrer ersten und lang geschiedenen ehe zu paradieren.
    all das hatte etwas von provinzposse. – ganz so, wie man sich in lahnstein die grosse welt vorstellt – mit whirlpoolschmusereien auf mallorca (die presse fuers familienalbum vorsorglich dazubestellt).
    von scharping liesst man heute – ich habe gerade bei wikipedia nachgeschaut: „Am 19. März 2005 wurde Rudolf Scharping zum Präsidenten des Bundes Deutscher Radfahrer gewählt und am 21. März 2009 nach heftiger verbandsinterner Kritik in einer Kampfabstimmung auf der Jahreshauptversammlung in Leipzig wiedergewählt.“ …immerhin.
    ganz ehrlich, da ist mir camps schon irgendwie lieber. er macht auch eben noch ne richtig gute figur in seinen zwirnen. ganz anders als rudolf s. und auch ganz anders als dessen beguenstigender moritz h.
    camps ist schon nen echter teufelskerl. – nen echter ‚hijo de p***‘ halt… – findet man so auch nicht ueberall.

  5. Madrid sagt:

    Ich sollte Ihnen nicht...
    Ich sollte Ihnen nicht verschweigen, abfeldmann, dass ich seinerzeit, 2001, eine Reise zu Scharpings Pool unternommen habe. „Pilgerreise“ wäre zuviel gesagt, doch das Ambiente dieser jungen Liebe mit feiner Mallorquiner Landküche wollte ich schon an Ort und Stelle nachschmecken. Entdeckt habe ich dabei Scharpings poetischen Eintrag ins Gästebuch, den die Hausherrin leider nicht lesen konnte und mir zum Übersetzen überließ:
    „Gesegelt wie Blätter im Wind
    empfangen von klassischer Musik
    aufgenommen mit herzlicher
    Gastfreundschaft
    Kompliment!
    Gut, an einem so klaren
    und stillen Ort zu sein!
    12. 8. 2001“
    Beachten Sie bitte die fein austarierte Mischung aus Schäferidylle und Gewerkschaftslyrik. Und obwohl ich Ihre Beobachtungen zu Francisco Camps teile und ebenfalls finde, dass die Anzüge diesem schlanken Mann ausgezeichnet stehen (sie waren ja auch teuer genug, und manche hat er bekanntlich zurückgehen lassen!), bleibt doch die Frage, ob Paco so innig dichten würde wie unser Rudolf. Ist das nicht die Frage, um die es sensiblen Gemütern gehen sollte?

  6. abfeldmann sagt:

    <p>fuerwahr. um nichts anderes...
    fuerwahr. um nichts anderes als die feine ballance von schaeferidyll und gewerkschaftslyrik sollte es einem gehen.
    herzlichen dank fuer ihre wunderbare ergaenzung.
    (spuere fast so etwas wie heimweh.)

  7. Dulcinea sagt:

    Meine Herren, auch Francisco...
    Meine Herren, auch Francisco Camps in seinen feinen Zwirnen hat… poetische Bildung! Findet man so auch nicht überall. „Hoy recuerdo alcaldes, que ya no lo son, por falsas imputaciones, que hoy han quedado en nada. Como Bertolt Brecht, ayer un concejal, hoy un alcalde. Mañana el presidente de una Comunidad Autónoma.“ (Rede am 19.2.2009) — „Wie Bertolt Brecht!“ Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. Was meinte er wohl damit? „Denn die Besiegten von heute sind die Sieger von morgen“? abfeldmann, Sie können hier bleiben.

  8. abfeldmann sagt:

    <p>ja, dulcinea, das war...
    ja, dulcinea, das war tatsaechlich das erste, was ich wohltuend in spanien erkannte, das so ganz anders ist als in deutschland. widerspruechliches schliesst sich nicht aus, sondern vereint sich zu charakter, persoenlichkeit und groesse (wir sprechen ganz im allgemeinen). hier kann man tatsaechlich beides sein: armeegeneral und autor, kunstkritiker und kaufmann, ‚poet und politiker’…
    haette das mal beizeiten jemand thomas mann gesagt, der sein ganzes leid (und seine ganze schaffenskraft) aus der deutschbefohlenen unvereinbarkeit von boheme und buergertum gezogen hat.
    du musst dich entscheiden! – er konnte es nie. – sei fleisch oder fisch! – er war weder das eine noch das andere ganz.
    ernsthaft kann man sich nur einer sache widmen im leben, ernsthaft kann man nur ‚einer‘ sein, sagt das deutsche gewissen. im klassischen spanien hat man mit solch engstirniger selbstgeisselung wenig am hut.
    ein grund, spanien zu lieben, durchaus.

  9. abfeldmann sagt:

    <p>und das ist - philosophisch...
    und das ist – philosophisch gesprochen – auch ein grund, weshalb die spanische kultur – durchaus im positiven sinne – so masslos, so ‚ohne mass‘ ist.
    aus kontrasten fuegt sich alles zu ganz originaerer kreation, die ganz sie selbst ist und sich jedem vergleich a priori und per definitionem verwehrt.

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