Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Die Beine von Carles Puyol oder: Der schönste Fußball der Welt ist auch der beste

| 26 Lesermeinungen

Wir sollten nicht alles glauben, was in der Zeitung steht. Zum Beispiel, dass Manchester United ein knallhartes, oberprofessionelles, mit allen Wassern gewaschenes Team sei, einen ausgekochten Trainer habe und diesen feingliedrigen Schönwetterfußballern aus Barcelona todsicher zeigen werde, wo es langgeht.

Wir sollten nicht alles glauben, was in der Zeitung steht. Zum Beispiel, dass Manchester United ein knallhartes, oberprofessionelles, mit allen Wassern gewaschenes Team sei, einen ausgekochten Trainer habe und diesen feingliedrigen Schönwetterfußballern aus Barcelona todsicher zeigen werde, wo es langgeht. Nun, Sir Alex Ferguson hat in 23 Jahren zweimal den wichtigsten europäischen Pokal geholt, das ist nicht gerade berauschend. Und dieses Jahr ist es wieder nichts geworden. Seine Leute leisteten den Katalanen deutlich weniger Widerstand als der FC Chelsea. Cristiano Ronaldo hat wieder einmal in einem großen Finale versagt und ist auf dem Weg, ein zweiter Michael Ballack zu werden. Und was ich schon seit langem unter Freunden und in der Familie erzähle, hat sich abermals bestätigt: Ein Mann mit Ohrknopf, theatralischen Gesten und konstant tränenfeuchten Augen… Es liegt einfach kein Segen darauf.

Erinnern Sie sich, wie viel wir hier von den Beinen von Iniesta, Messi und Xavi geredet haben? Nun, es hatte doch alles seinen Sinn. Diese Beine… haben die meistgefürchtete Mannschaft weit und breit schwindelig gespielt.

Den Tag des Finales habe ich in Córdoba verbracht, bei den Stieren. Doch um 20:30 Uhr musste ich schnell eine Bar mit großem Bildschirm finden, um mich warmzumachen, wie es im Fußballjargon heißt, und ich fand sie gleich gegenüber der Stierkampfarena. Den ganzen Abend hindurch waren wir sieben Leute, davon zwei Alkoholiker, von denen wiederum einer sein altes Ronaldinho-Trikot mit der Rückennummer 10 trug. Das hat mich so gerührt, dass ich ein Bier auf die Vergangenheit trinken musste. Er auch.

Nach Barcelonas Führungstreffer sagte Nummer 10 zu mir:
„Wissen Sie, was jetzt gut wäre?“
„Nein“, sagte ich.
„Wenn Barça ganz schnell das 2:0 machen würden.“
„Wirklich?“
„Ja“, sagte Nummer 10. „Das würde dem Spiel eine Richtung geben.“
Wir prosteten uns zu und warteten auf das 2:0.

Was mir auffiel: Der schönste Fußball der Welt war auch der beste. Als hätte mir jemand beweisen wollen, dass die Welt, allem Anschein zum Trotz, sinnvoll geordnet ist. Ich kann gar nicht sagen, wie beruhigend das ist. Fast so beruhigend, wie Silvio Berlusconi auf der Tribüne beim Nickerchen zu beobachten. Ich bin sicher, die Bilder des fest schlafenden italienischen Ministerpräsidenten gehen um die Welt. Was muss auf dem Rasen denn noch passieren, um den Mann wachzuhalten? Und alles nur, weil sein eigener Verein nicht mitgespielt hat?

Nach dem Schlusspfiff musste ich mich schütteln, um die Gesichtsstarre zu lösen. Ich hatte die ganze Zeit gelächelt, weil Barcelona so unbeeindruckt und mutig gespielt hat. Messi hatte vielleicht die schwierigste Aufgabe. Wie er immer wieder durch die Mitte ging und diese einen Kopf größeren Leute stehenließ, war ein ästhetischer Genuss. Und dann sein Kopfballtor. Gut, das sollen die Sportkommentatoren analysieren.

Einen anderen muss man noch hervorheben, und das ist der Kapitän Carles Puyol, der nicht gerade für seine feine Technik berühmt ist. Ausgerechnet im Finale als Flügelstürmer aufzutreten und sich in jeden Kampf zu werfen war eine Heldentat. Ich habe mich sogar an seinen Haarschnitt gewöhnt. Puyol ist ein echter Rocker, einer der wenigen, die uns geblieben sind. In Gedanken führte ich darüber ein Gespräch mit Nummer 10. Es ging ungefähr so:
„Wissen Sie“, sagt Nummer 10, „was ich an diesem Puyol so toll finde?“
„Nein.“
„Diesen irren Schnitt, den er trägt. Wie ihm die Haare an der Nase kleben, wenn er schwitzt.“
„Wirklich?“
„Ja. Echt irre.“
„Und warum?“
„Er erinnert mich an meine eigene Jugend. Puyol ist ein echter Rocker.“
„Einer der wenigen, die uns geblieben sind?“
„Ja, Mann“, sagt Nummer 10. „Woher wussten Sie das?“

In der Nacht, als ich durch die Altstadt von Córdoba lief, kam plötzlich ein Auto mit einer katalanischen Fahne vorbei, und von irgendwoher hörte ich zaghaftes Hupen. Nun ja, Spanien ist groß, und hier ist Andalusien.

Ich höre jetzt auf, möchte nur noch zweierlei sagen: Einerseits, dass ich verspreche, in nächster Zeit weniger vom Fußball zu reden, denn die Saison ist vorbei, und neue Schrecken sind nicht in Sicht, wenn ich mal von Real Madrid absehe. Und andererseits, dass Don Quijote und Sancho Panza bis nach Barcelona gekommen sind. Sanchos Esel also auch.


26 Lesermeinungen

  1. derherold sagt:

    Überraschend vor allem, wie...
    Überraschend vor allem, wie überlegen Barca war. Während des Spiels mußten die Fans der Mannschaft nur befürchten, daß irgendein launischer Fußballgott das sträfliche Umgehen mit Chancen ahndet und Manchester irgendein „dummes“ Tor schenkt. (So ein klitzekleinwenig dürften auch die Bayern-Fans Verständnis für das Debakel ihres Teams gefunden haben).

  2. Madrid sagt:

    So sind wir, derherold, wir...
    So sind wir, derherold, wir denken nur an uns. Auch ich fühlte mich getröstet, dass Manchester chancenlos war – wie Bayern und leider kürzlich auch Real Madrid.

  3. Nur zwei Anmerkungen:
    1) Ich...

    Nur zwei Anmerkungen:
    1) Ich stimme völlig dem ersten Satz zu. Ich hätte es nur drastischer gesagt.
    2) Ich sympathisiere völlig (in diesem Fall) mit Berlusconi. Ich hoffe nur, er schnarcht nicht.

  4. anjoh sagt:

    Schade, dass wir nun weniger...
    Schade, dass wir nun weniger von Ihren Fußballberichten zu lesen bekommen. Ich lese sie mit größerem Genuß als die Ihrer Fachkollegen, obwohl die auch nicht schlecht schreiben.
    Doch noch ein Gedanke zum Spiel: Ich verstehe nicht, warum diese fantastische technische Beherrschung des Balles, welche fast alle Spieler von Barca in meinen Augen auszeichnet, nicht nachgeahmt wird. Wenn es der Jugendabteilung von Barca gelingt, Spielern diese Fertigkeit zu vermitteln, warum schafft es beispielsweise die Jugendabteilung vom FC Bayern nicht? Hat es etwas mit genetischer Vorbestimmung zu tun? Oder vielleicht doch eher mit Gedankenfaulheit?

  5. Dulcinea sagt:

    Ein Freudentag reiht sich an...
    Ein Freudentag reiht sich an den nächsten! Im wunderschönen Monat Mai! Den Stieren ist das egal, würde abfeldmann jetzt vielleicht sagen — dennoch, ich bin ergriffen. Da wir nicht alles glauben sollen, was in der Zeitung steht, anjoh, sollen wir natürlich auch nicht alles glauben, was Don Paul in diesem Blog erzählt. Er wird bestimmt bald einmal wieder über den Fußballsport schreiben, ich bin sicher. Seine Partei, Real Madrid, wählt ja am 14. Juni einen neuen Präsidenten. Und dann kommen neue (und alte?) Parteimitglieder nach Madrid. Das alles kann einen fühlenden Mann ja nicht kalt lassen.

  6. Madrid sagt:

    Vielen Dank, anjoh. Ich bin...
    Vielen Dank, anjoh. Ich bin kein Experte für diese Dinge, aber ein paar Sätze lassen sich sagen. Jugendarbeit erfordert Geld, sehr viel Zeit und auf allen Vereinsebenen ein genaues Wissen darum, was man erreichen will – hohe Hürden, wenn man den Erfolgsdruck der Manager und Präsidenten und Trainer bedenkt. Das hat seit den frühen siebziger Jahren immer wieder bei Ajax Amsterdam funktioniert, wobei die Ajax-Spieler nach der Ära Cruyff kaum noch dem Mutterverein, sondern eher finanzstarken Klubs aus dem Ausland nützlich sind – als Spieler, meine ich, denn als Geldbringer war dieses Modell ja immer wieder erfolgreich, sogar die Grundlage für die wirtschaftliche Existenz.
    Beim FC Barcelona hat – nicht ganz zufällig mit Johan Cruyff – eine Spielphilosophie Einzug gehalten, die so sehr als Teil der katalanischen Identität begriffen wird, dass auf viele Jahre hinaus keine Vereinsführung dagegen verstoßen wird. Nachwuchsspieler werden schon als Kinder damit vertraut gemacht – Xavi, Messi, Iniesta, Piqué, Bojan und viele andere. Wenn sich diese Systematik mit guten Talentspähern, weitsichtiger Planung, dem richtigen Trainer, einem zumindest nicht im Wege stehenen Präsidenten, grandiosem individuelem Talent und sehr harter Arbeit und etwas Glück verbindet – ein paar Kleinigkeiten, wie Sie sehen -, dann kann manchmal – manchmal! – so etwas dabei herauskommen wie Barcelonas Erfolg im Jahr 2008. Wenn wir nach Madrid schauen, läuft die Sache oft umgekehrt. Talente wie Raúl und Casillas haben wir aus dem Nachwuchs schon lange nicht mehr gesehen; Jahr für Jahr werden viele Millionen für angebliche Stars investiert, die nach zehn Monaten wieder abgestoßen werden müssen; und der neue Präsident Florentino Pérez wird auch nichts anderes wollen als sehr schnellen Erfolg: Das Finale der Champions League 2010 fndet in Madrid statt.

  7. Mutwil sagt:

    an anjoh: mit verlaub, sie...
    an anjoh: mit verlaub, sie gehen für mein empfinden von einer falschen grundannahme aus. spieler wie xavi, iniesta oder messi sind nicht in erster linie das ergebnis einer sicherlich wunderbaren jugendarbeit bei barca. diese spieler sind künstler, genies, die nicht beliebig zu „produzieren“ sind. dies wäre auch eine ganz fürchterliche vorstellung. diese spieler haben so unglaubliches talent, das extrem selten vorkommt, in der regel schon im kindesalter nicht zu übersehen ist und durch entsprechende ausbildung zur blüte gebracht werrden muss. dafür bietet barca offensichtlich einen hervorragenden nährboden. herr ingendaay hat dazu weiter oben richtiges geschrieben.
    es ist ja nicht zufällig so, dass spaniens nationalmannschaft zum ersten mal seit menschengedenken einen titel gewonnen hat. sie haben mit xavi und iniesta nun einmal zwei der aktuell besten mittelfeldspieler der welt in ihrer mannschaft – großartige fußballkünstler, die aber in den vergangenen jahren in barcas jugendabteilung auch nicht auf den bäumen wuchsen. und zum fc bayern: die haben mit philip lahm immerhin auch einen spieler aus der eigenen jugend hervorgebracht, der das zeug hat, bei barca mitzukicken. und hätten die münchner eben drei oder vier spieler dieser qualität, hätten sie auch international vielleicht wieder ein wörtchen mitzureden. eher aber sehen sie im nächsten jahr philip lahm im barca-trikot in madrid im champions-league finale spielen. aber nur vor dem fernseher. und, lieber herr indendaay, ich wage trotz aller einkäufe, die da noch kommen mögen, die nicht so gewagte prognose, dass der gegner nicht real heißen wird.

  8. Madrid sagt:

    Sie haben recht, Dulcinea, es...
    Sie haben recht, Dulcinea, es werden interessante Zeiten auf uns zukommen. Wenn es so bleibt, wie es jetzt steht, wird Florentino Pérez schon am 1. Juni Präsident sein. Die Scheckbuch-Gerüchte jagen sich ja schon seit längerem, der Name Kaká erklingt dabei oft. Immerhin ein Spieler, der mir wirklich gefällt.
    Das Geniale von Messi und Xavi und Iniesta… ja, Mutwil, das sehe ich auch so. Aber bedenken Sie, dass Xavi viele Jahre lang sehr gut gespielt hat und außerhalb Barcelonas nicht als großer Star galt. Er braucht ein Umfeld, das ihm Platz verschafft. Und Iniesta ist ebensfalls sehr behutsam aufgebaut worden. Man erkennt solche Fälle erst nachträglich, wenn der Erfolg ihnen rechtgegeben hat. Auffällig ist ja, dass selbst ein Künstler wie Messi ein Mannschaftsspieler ist, der seinen Platz im System Guardiola genau beachtet.

  9. Fanila sagt:

    Also, ich bin auch keine...
    Also, ich bin auch keine Expertin für Fußballtraining, aber ich glaube ja, dass die von anjoh erwähnte fantastische technische Beherrschung des Balls unnachahmlich ist. Das ist im Grunde wie Schreiben – man kann es, oder man kann es eben nicht. Klar spielen die von Herrn Ingendaay angesprochenen Aspekte ebenfalls eine wichtige Rolle, aber eigentlich sind die Barça-Spieler in erster Linie große Künstler. Bei Toren, wie bei Zwerg Messis Kopfballkunststück fällt mir jedenfalls nur die Kinnlade herunter vor ehrfurchtsvollem Staunen.
    Mit Pujols Haaren geht es mir, wie der Nummer 10 aus Córdoba – sie passen zu ihrem Träger, den ich außerdem dafür bewundere, dass er trotz seiner vor den Augen und auf der Nase klebenden Haarsträhnen nie den Durchblick und noch weniger den Kampfgeist verliert. Das soll ihm erstmal einer nachmachen!

  10. abfeldmann sagt:

    im fall des heute hier...
    im fall des heute hier gefeierten ereignisses, liebe dulcinea, ist es sogar schwer zu sagen, wem das egaler ist: den stieren oder a.b.f.

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