Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Wie Sanchos Esel einmal über sich selbst nachdachte

| 11 Lesermeinungen

Es ist höchste Zeit, dass wir einmal von ernsthaften Dingen sprechen, bevor der Sommer kommt und uns das Hirn zerfließen lässt. Es ist überhaupt höchste Zeit, wieder von etwas zu sprechen!

Es ist höchste Zeit, dass wir einmal von ernsthaften Dingen sprechen, bevor der Sommer kommt und uns das Hirn zerfließen lässt. Es ist überhaupt höchste Zeit, wieder von etwas zu sprechen! Susanne Lange, die Übersetzerin des neuen deutschen Don Quijote im Hanser Verlag, hat neulich den Voss-Preis für Ihre Arbeit in Empfang genommen und mir zwei Reden geschickt. Einmal die Laudatio auf sie von Martin von Koppenfels (sollte Ihnen der Name nichts sagen, lesen Sie seine Lorca-Übertragungen), und dann ihre eigene Dankesrede über den Beginn ihres Übersetzerinnendaseins, die lateinamerikanische Verbindung und vieles mehr. Eine Schlussfolgerung aus ihrer Rede muss wohl lauten: Übersetzer(innen) wählen ihren Beruf nicht, sondern werden vom ihm gewählt. Es verschlägt sie dort hinein. Höhere Mächte konspirieren, damit ein bestimmter Mensch zum Übersetzer und nicht etwa Naturforscher, Frisör oder Zahntechniker wird. Ich kenne einige Übersetzer, und alle sagen irgendwie dasselbe, nur mit anderen Worten. Wofür wären sie sonst Übersetzer?

Für den heutigen Tag wollte ich aber etwas von Susanne Lange, was diesem Blog zugute kommt. Ich fragte sie, was sie von Sanchos Esel halte. Einfach so. Eine Meinung über eines der Tiere, mit denen sie so viele Übersetzungskilometer durch die spanische Landschaft gezogen ist. Weil die Leute immer von Don Quijote und Sancho Panza sprechen, aber selten von Rocinante und Sanchos Esel. Vielleicht wissen ja einige von Ihnen, dass das Grautier plötzlich verschwindet und dann wieder auftaucht. Es ist eines der sonderbarsten Wesen der Weltliteratur. Neulich las ich bei einem spanischen Anhänger des Romans, die beiden Männer und die beiden Tiere hätten nach Cervantes‘ Angaben in zwei Tagen fünfhundert Kilometer zurückgelegt. Wie denn das sein könne? Nun. Ich müsste es nachrechnen. Oder die Strecke mal auf einem Esel zurücklegen. Sie sehen, der Roman steckt voller schwieriger Fragen. Hier folgen jetzt die Sätze, die mir Susanne Lange am 2. Juni geschickt hat:

„Was ich an Sanchos Grauohr am liebsten mag? Ich bewundere seine stoische Gelassenheit in allen Lebenslagen. Und seine bedingungslose Treue zu Sancho. Er ist ja eigentlich der Knappe des Knappen (und ein besserer, als sich ein Ritter je wünschen könnte). Ein ruhender Pol der Vernunft im Hintergrund, der es immer wieder nicht nur schafft, am wenigsten Dresche einzustecken, sondern es auch versteht, sich von allen am ausgiebigsten umhegen zu lassen. Vielleicht sogar ein ganz gewieftes Bürschchen, das die anderen sich verausgaben läßt und nur kopfschüttelnd zuschaut. Und wer weiß, wo er sich herumgetrieben hat, als er vorübergehend in den Falten des Romans untergetaucht ist (und die Schuld nachher dem Drucker in die Schuhe schiebt…) Nach seiner kurzzeitigen Abwesenheit kehrt er jedoch als ein geläuterter Philosoph in den Roman zurück und ist fortan nicht mehr aus ihm fortzudenken.“

Sie werden vertehen, dass mir diese Charakterisierung gefällt. „Ein ganz gewieftes Bürschchen, das die anderen sich verausgaben läßt und nur kopfschüttelnd zuschaut…“ Ja, das klingt attraktiv. Ich werde darüber nachdenken und meine Schlüsse daraus ziehen.

 


11 Lesermeinungen

  1. Dulcinea sagt:

    Don Paul, mit Verlaub. Ich...
    Don Paul, mit Verlaub. Ich dachte, so ähnlich sei Ihr Beruf ohnehin schon gelagert? Gut, das mit dem „gewieften Bürschchen“, das weiß ich jetzt nicht. Aber „die anderen sich verausgaben lassen und nur kopfschüttelnd zuschauen“ — man könnte aus Susanne Langes schönen Worten auch zitieren: „ruhender Pol der Vernunft im Hintergrund“, „am wenigsten Dresche einstecken“, „sich von allen am ausgiebigsten umhegen lassen“, eventuell sogar die „kurzzeitigen Abwesenheiten“? Ich dachte, das alles beschreibt den Beruf des Kulturkorrespondenten ganz treffend? Haben Sie deswegen Ihren Blog so genannt? Jetzt sagen Sie bestimmt gleich, „ach, wenn Sie wüßten, Dulcinea!“ Aber ich weiß nicht. Ich stelle mir das nur so vor.

  2. Madrid sagt:

    Das mit dem "ruhenden Pol der...
    Das mit dem „ruhenden Pol der Vernunft im Hintergrund“ war mir sofort aufgefallen, Dulcinea. Und ich dachte: „Das… das bist doch du!“ Ja. Genauso hatte ich mich immer gesehen. Genauso wollte ich diesen Blog gestalten. Nun. Sie sehen ja, was daraus geworden ist. Glücklicherweise gibt es unsere verschiedenen Kommentator(inn)en. So ein Blog, Dulcinea, ist ein work in progess. Und wenn ich in Zukunft wenig Dresche einstecke und von allen auf dieser Blogseite am ausgiebigsten umhegt werde… ja, dann sehe ich da noch viele Möglichkeiten.

  3. Übersetzer werden in Spanien...
    Übersetzer werden in Spanien sehr schlecht bezahlt. Deshalb ist die Qualität der meisten Übersetzungen niedrig. Übersetzer werden in Spanien von ihrem Beruf nicht gewählt, sondern verdammt.

  4. <p>Erinnert Sanchos Esel nicht...
    Erinnert Sanchos Esel nicht irgendwie an Florentino Pérez (den früheren und jetzt noch einmal gewählten Präsidenten des ehemals erfolgreichen Fussballvereins Real Madrid)??? Er war verschwunden und ist jetzt wieder aufgetaucht, er ist „ein ruhender Pol der Vernunft im Hintergrund“, er ist als „ein geläuterter Philosoph“ zurückgekehrt… Einer seiner Mitarbeiter hat einmal gesagt, Florentino Pérez sei „ein höheres Wesen“: ist Sanchos Esel auch ein höheres Wesen?
    Entschuldigen Sie, Don Pablo. Die Gedankenassoziation ist mir sofort eingefallen; ich habe sie ein paar Tage lang unterdrückt, aber ich musste es sagen.

  5. Madrid sagt:

    Diese Deutung, Don Jorge, ist...
    Diese Deutung, Don Jorge, ist von großer Tiefe. Sie erschüttert mich geradezu. Ich muss darüber nachdenken, ob sie – Ihr Einverständnis vorausgesetzt – nicht verdient, einem größeren Publikum zugänglich gemacht zu werden. Jedenfalls werde ich von nun an Florentinos Taten in neuem Licht sehen. Und bewerten! Danke, Don Jorge. Die kommende Saison wird zeigen, wer in diesem Roman Sancho Panza ist.

  6. danismile sagt:

    Lieber JorgeValcencia, ich...
    Lieber JorgeValcencia, ich muss leider aus eigener Erfahrung widersprechen. Übersetzer(innen) arbeiten heute unabhängig vom Standort. Ich übersetze mal in Spanien, mal in Deutschland, mal auf dem Wege hin und her … Meine spanischen Kunden bezahlen das, was ich mir als fairen Lohn vorstelle, ansonsten werden sie garnicht meine Kunden. Sie zahlen ebensoviel wie meine Kunden in Deutschland, Kanada, Argentinien … Die Qualität meiner Übersetzungen ist höchst unterschiedlich und hängt von vielen Faktoren ab, am allerwenigsten vom Preis. An erster Stelle sehe ich die Qualität des Originaltextes, dann die eingeräumte Zeit, die Übersetzung fertigzustellen, die Tagesform natürlich, deren Gewicht in der Qualität der Leistung in engem Zusammenhang mit der verfügbaren Zeit steht, ach ja, natürlich die Qualifizierung der Übersetzerin oder des Übersetzers nicht zu vergessen … Ist man sich seiner eigenen Grenzen bewusst, wagt sich nicht unbedingt in alle Fachgebiete, die nachgefragt werden, erzielt man eine Ergebnisqualität, derer man sich nicht schämen muss. Seit dem Internetzeitaler stehe ich als Übersetzer im Wettbewerb mit Übersetzern in aller Welt – eine Kollegin in, sagen wir, Bolivien, bietet die gleichen Konditionen an wie ich in Sant Cugat del Vallés, bei den Kosten habe ich natürlich gegenüber dem gewählten Beispiel einen Standortnachteil. Ich kenne keinen meiner Kunden persönlich, der Standort von Übersetzer und Kunde hat auf die Qualität der Arbeit so gut wie keinen Einfluss. Recherchen erfolgen über das Internet, ich benötige keine bestimmte Präsenzbibliothek. Trotzdem kann ich von dem Beruf leben, fühle mich nicht unterbezahlt (sonst würde ich eine Arbeit garnicht annehmen) und habe Freude an der Arbeit. Die mir dann auch noch Zeit lässt, mit Spannung diesem Blog zu folgen.

  7. Don Pablo, ich habe nichts...
    Don Pablo, ich habe nichts dagegen, dass Sie die unheimliche Gedankenassoziation Sanchos Esel – Florentino Pérez weiterentwickeln. Verschweigen Sie aber bitte, wer Ihre Quelle ist, sonst wäre mein guter Ruf ruiniert.
    Lieber Danismile, wir beide sprechen aus eigener Erfahrung, aber wir sprechen vielleicht über verschiedene Dinge. Ich spreche über die Übersetzung von Büchern. Und ich muss bestätigen, dass die spanischen Verlage sehr schlecht zahlen. Die Interessierten können mehr Information auf der Webseite des spanischen Übersetzervereins finden: http://www.cedro.org. Ich weiss, dass die Übersetzung anderer Texte gut bezahlt wird.

  8. Emtschuldigung!!! Die Webseite...
    Emtschuldigung!!! Die Webseite des spanischen Übersetzervereins ist nicht http://www.cedro.org, sondern http://www.acett.org

  9. Madrid sagt:

    <p>"El País" vom...
    „El País“ vom Samstag berichtet über eine Diskussion zu diesem Thema auf der Feria del Libro im Retiro. Die allgemeine Marginalisierung der Übersetzungsarbeit in Spanien hat natürlich mit mangelnden Importziffern und einer gewissen Selbstbezogenheit des hispanischen Marktes zu tun. Das heißt, es gibt zwar die hohe Übersetzungsqualität, zumindest theoretisch. Doch die Belange der (literarischen) Übersetzer haben in Spanien eine viel kleinere Lobby als etwa in Deutschland, wo die Zahl der Übersetzerpreise – um nur einen Indikator zu nennen – in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Eine Zahl aus dem genannten Übersetzergespräch ist hochinteressant: Einen juristischen Text als offizieller Übersetzer in eine andere Sprache zu bringen trägt dem Übersetzer sechsmal so viel ein wie eine anspruchsvolle literarische Übersetzung. Mit anderen Worten, die Arbeit an Weltliteratur wird zum Steckenpferd. Was nicht nur die persönliche Geschichte vieler großer Übersetzer ist; es ist der Grund, warum diese Arbeit oft die Grenze zur Selbstausbeutung überschreitet.

  10. In Deutschland gibt es nicht...
    In Deutschland gibt es nicht nur einige recht anständig dotierte Übersetzerpreise, es gibt auch den Deutschen Übersetzerfonds, der Stipendien für literarische Übersetzer vergibt und dessen Etat in den letzten Jahren erfreulicherweise immer wieder gestiegen ist. Angesichts der – ebenfalls erfreulich – hohen Anzahl literarischer Übersetzer in Deutschland ist aber auch ein Jahresetat von demnächst einer halben Million Euro nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, und wir werden unsere Arbeit auf absehbare Zeit finanzieren müssen, indem wir unseren Angehörigen auf der Tasche liegen oder uns – wie ich während der Übersetzung von David Foster Wallace’ Großroman „Infinite Jest“ – nach getaner Arbeit an der Weltliteratur die Nächte mit der lukrativeren Tätigkeit um die Ohren schlagen, Fachtexte aus den Bereichen Wirtschaft, Justiz oder sonstwas ins Deutsche zu bringen. Eine Alternative wäre die gelegentlich ins Gespräch geworfene Idee eines „Übersetzergroschens“, d.h. eine Anhebung der Bücherpreise, aber die bleibt wohl Zukunftsmusik, solange die Verlage Kulturgut verramschen und glauben, das Taschenbuch meinetwegen eines Romans von Flaubert dürfe nicht teurer sein als zwei Caffé macchiate.

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