Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Eine spanisch-deutsche Kulturgeschichte der Missverständnisse (2)

| 25 Lesermeinungen

Ich wollte unbedingt noch die Sache mit dem Kölner Dom erzählen. Also. Vor ein paar Jahren kündigte mir ein spanischer Bekannter an, er fahre zum erstenmal in seinem Leben nach Köln und freue sich sehr darauf. Besonders der Kölner Dom, der interessiere ihn. Er habe viel von ihm gehört. Auch, dass er sehr schön sei. Ich nickte dazu. Der Kölner Dom ist sehr schön. Ich kann es nicht anders sagen.

Ich wollte unbedingt noch die Sache mit dem Kölner Dom erzählen. Also. Vor ein paar Jahren kündigte mir ein spanischer Bekannter an, er fahre zum erstenmal in seinem Leben nach Köln und freue sich sehr darauf. Besonders der Kölner Dom, der interessiere ihn. Er habe viel von ihm gehört. Auch, dass er sehr schön sei. Ich nickte dazu. Der Kölner Dom ist sehr schön. Ich kann es nicht anders sagen.

Als mein spanischer Bekannter dann von seiner Köln-Reise zurückkam, war das erste, was er mir machte, ein Vorwurf. Warum wir Kölner diese Kathedrale nicht sauber hielten?! Der ganze Dom sei schmutzig, geradezu schwarz. Das Äußere.
„Hast du mal die Kathedrale von Burgos gesehen?“ fragte mein Bekannter. Er heißt Julio.
Ich sagte: „Ja, Julio. Ich kenne die Kathedrale von Burgos.“
„Und?“
„Wie, und?“
„Ist dir nicht aufgefallen, wie hell sie ist?“
„Doch“, sagte ich. „Die Kathedrale von Burgos ist hell.“
„Siehst du“, sagte Julio. „Sie ist sauber. Wenn sie schmutzig ist, diese Kathedrale, wird sie gereinigt. Das macht man so mit berühmten Bauwerken.“
Julios Einschätzung kam mir absurd vor, aber dann dachte ich länger darüber nach und fragte mich, wieso eigentlich. In Spanien werden die Sachen ständig gereinigt. Gerüstebauer verdienen sich dumm und dusselig. Unentwegt Fassadenarbeiten, reformas, obras. Wäre es wirklich unmöglich, den Kölner Dom, sagen wir, so zu reinigen, dass er wieder sandsteinfarben wird? So sah er doch einmal aus, nehme ich an. Er ist doch aus Sandstein. Aber dann wurde ich unsicher. Konnte es sein, dass der Kölner Dom wirklich einmal hell gewesen war? Schon Heinrich Heine besingt ihn doch als irgendwie finsteren Gesellen. Meint er das metaphorisch? Ich müsste es nachlesen.

„Es werden die Abgase sein“, sagte ich zu Julio. „Die Abgase und die Tauben. Köln ist größer als Burgos. Es gibt mehr Autos. Und der Dom ist größer als die Kathedrale.“

Aber eigentlich weiß ich nicht, warum ich das sagte. Ich hätte Julio entgegnen sollen, was ich jetzt hier hinschreibe: dass das Verhältnis zwischen den Bewohnern verschiedener Länder von einem dichten Netz vorgefasster Meinungen, grundloser Annahmen, zahlreicher Ahnungslosigkeiten und blinder Flecken gekennzeichnet ist. Diese lagunas, wie sie im Spanischen so schön heißen, sind sozusagen urteilskonstitutiv. Mit anderen Worten: Gerade das, was ein Deutscher über den Flamenco nicht weiß, formt seine Meinung. Gerade die Dinge, die er über den Stierkampf nicht gelernt hat, bildet das Rückgrat seiner Überzeugung. Umgekehrt: Wenn man Spanien nicht kennt, kommt einem der Wunsch, den Kölner Dom sauber zu schrubben, einigermaßen absurd vor. In Kenntnis der Spanier allerdings müsste man ihn gut verstehen können. Ich könnte lange darüber nachdenken. Die unmittelbare Folge von Julios Klage war allerdings, dass ich jedesmal, wenn ich vor dem Kölner Dom stehe, darüber nachgrübele, wie man ihm schonend eine Ganzkörperwäsche verpassen könnte.

Neulich in Frankfurt, vor der Spanischen Handelskammer in Deutschland, habe ich dann noch ein wenig von historischen Spanienbildern gesprochen. Man kann viel lernen, wenn man zum Beispiel den Baedeker von 1899 zu Spanien und Portugal aufschlägt. Manche Vorurteile sind sehr alt, andere jung. Manche scheinen einer fast genetisch erklärbaren deutschen Persönlichkeitsstruktur zu gehorchen, andere wiederum… schwirren frei herum.

Vielleicht habe ich schon einmal erwähnt, dass ich nicht daran glaube, Vorurteile und Stereotypen abzubauen, wie es immer so menschenfreundlich heißt. Ich halte viel mehr davon, unsere Klischees zu humanisieren, sie gewissermaßen einzuarbeiten in unser Selbst- und Fremdbild. In beide. Ich verstehe die Spanier besser, wenn ich weiß, dass sie den Kölner Dom schrubben wollen. Ich ahne etwas von dem, was sie bewegt. Vielleicht habe ich ja als Kind einmal dasselbe gewollt und den Gedanken nur deshalb vergessen, weil die Erziehung einem alle Radikalität austreibt. (Vielleicht fand ich den Kölner Dom aber auch schön, weil er so dreckig war wie ich selbst. Ich weiß es nicht.) Mein Bekannter Julio jedenfalls… wenn man ihn gewähren ließe, würden morgen die Geräte anrollen, und eine zuverlässige Firma für Gebäudereinigung würde den Kölner Dom gründlich saubermachen, und zwar so, dass kein Fleck zurückbleibt.

Für heute nur noch ein zwei Zitate aus dem Baedeker Spanien und Portugal von 1899, die Sie vielleicht so amüsieren wie mich:
* * *
 „Die Kaffeehäuser, in welchen in später Nachtstunde sogenannte Flamenco-Gesänge vorgetragen oder Flamenco-Tänze aufgeführt werden, sind von Damen durchaus zu meiden, von Herren höchstens in Begleitung von Einheimischen zu besuchen.“
* * *
„Bekanntlich sind alle Versuche, die Stiergefechte zu unterdrücken, erfolglos geblieben. Weder der Papst noch die Geistlichkeit, weder die Monarchie noch die Republik haben dieser Leidenschaft des spanischen Volkes beikommen können. Ohne eine allgemeine Hebung des Bildungsstandes des Volkes ist an eine Beseitigung der blutigen Schauspiele nicht zu denken.“
* * *

Ja, darüber könnte man ins Grübeln kommen. Den Stierkampf nannte man „Stiergefechte“. Und der Flamenco war nicht jugendfrei, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Spanien als wildes, ungezähmtes Land begegnet einem in der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts ständig. Eine dunkle, anziehende Welt! Spanien war anders, lange bevor jemand auf die Idee kam, daraus einen Slogan zu machen.

 


25 Lesermeinungen

  1. Madrid sagt:

    Ob Julio diese geheime...
    Ob Julio diese geheime Verbindung zwischen Köln und Burgos kannte? Er ist ein belesener Mensch. Jetzt wissen wir also: Kalkstein ist das eine, Sandstein etwas anderes. Danke, Don Thorsten, für die Bereicherung meiner Kenntnisse.

  2. <p>Just dieses Wochenende...
    Just dieses Wochenende hatte ich ein Erlebnis, das gut zu dem von Ihnen beschriebenen Reinigungswahn der Spanier passt. Ich wohne nun schon seit 4 Jahren im geliebten Madrid, und wenn dann deutsche Besucher kommen, fallen diesen dann gleich Dinge auf, an die man sich längst gewöhnt hat.
    Nach einem ausgedehnten Streifzug durch das Madrider Nachtleben machten meine Besucherin und ich uns auf den Weg nach Hause. Angesichts des feuchten Gehwegs und Pfützen rund um die Bäume sagte sie: Oh, es hat ja geregnet. Ich entgegnete gleich, dass das wahrscheinlich nur die Strassenreinigung war. Anfangs war ich immer sehr verwundert in welcher Menge und Häufigkeit hier das doch angeblich so kostbare Gut einfach nur in der Gegend herumgespritzt wird. Aber wer einmal in einer Madrider Augustnacht die mehreren Grade Temperaturunterschied und die bessere Luft in einem frisch abgespritzten Strassenstück geniessen durfte, hakt da auch nicht weiter nach. Meine Besucherin war natürlich skeptisch, aber nachdem wir ein paarhundert Meter weiter den Reinigungswagen passierten und danach der Bürgersteig tatsächlich staubtrocken war, gab es keine Fragen mehr.

  3. Madrid sagt:

    Ja, Don Ulrich, es ist schön,...
    Ja, Don Ulrich, es ist schön, was die Straßenreinigung in Madrid da macht. Der Temperaturunterschied allein würde ausreichen, um mir alle ökologischen Bedenken zu nehmen. Und nachts, manchmal, gegen vier Uhr… da habe ich die Leute coplas singen hören. Vielleicht idealisiere ich das, aber Reinigungsmännern, die coplas singen, geht es möglicherweise besser als solchen, die… keine singen! Oder die Reinigungsfrauen bei Tage, die mit sorgfältigem Make-up und MP3-Player den Besen schwingen: Die Stadt Madrid sollte das unter Kulturausgabe verbuchen.

  4. Molinero sagt:

    Seit 5 Jahren wird mit "agua...
    Seit 5 Jahren wird mit „agua reciclada“ in Madrid gereinigt, und nicht wie früher mit Trinkwasser; allerdings was auch kurios ist, sollte es ausnahmsweise wie heute in Madrid regnen so hält man den Dienstplan rigoros ein und reinigt auch dann. Verglichen vor 20 Jahren ist Madrid wirklich eine „saubere“ Stadt geworden….

  5. abfeldmann sagt:

    <p>bin allerdings gespannt,...
    bin allerdings gespannt, wie lange die sauberste stadt der welt (nach zuerich – und hoechste hauptstadt europas – deutlich vor zuerich) sich ihren wasch- und putztrieb bei wegfall der ertraege aus neubaubesteuerung noch leisten kann.

  6. <p>Hallo Don Paul, ich bin...
    Hallo Don Paul, ich bin ehrlich überrascht, dass keiner Ihrer Kommentatoren auf die Anregungen bezüglich Stiergefecht und Flamenco eingegangen ist. Hat das vielleicht niemand aufgegriffen weil es zu abgegriffen ist? Zu viel Klischee dabei? Das kann schon sein, erlauben Sie mir dennoch eine Anekdote zum Kulturschock des Flamenco beizutragen. Ich habe doch viele Gäste hier unten, und unweigerlich wird mir oft der Wunsch nach einer „authentischen“ Flamencodarbietung angetragen.
    Ich bin da oft etwas zögerlich, will aber gleichzeitig dem ehrlichen Willen zum Kulturverstehen nicht im Wege stehen. Als Resultat enden wir oft später in einer ziemlich lauten und schmierigen Bar, die reichlich Flamenco bietet. Über die Authentizität möchte ich mich nicht äussern – dazu kenne ich andere Orte, zu denen ich aber lieber mit hiesigen Freunden gehe. Einmal jedoch vor ungefähr 5 Jahren hatten wir alle ein sehr authentisches Erlebnis – nur wussten wir das damals nicht. Anstatt der eleganten Tanzdarbietungen, die ich meinen Gästen angekündigt hatte, erhob sich in der Bar ein unglaublich dicker, schwitzender junger Mann, gepresst wie eine pralle Wurst in ein Frauenkleid. Und tanzte schwitzend und schweigend – von Gesang keine Spur. Es war der damals vollkommen unbekannte „Falete“. Der Auftritt war vollkommen bizarr. Ich weiss nicht, mit welchem kulturellen Eindruck meine Gäste nach Hause gefahren sind – ich habe jedenfalls nie wieder von ihnen gehört.

  7. <p>Pardel, ich kann Ihnen von...
    Pardel, ich kann Ihnen von dem unter Spaniern normalen ersten Eindruck von den Deutschen erzählen, den auch ich anfangs hatte: trocken, distanziert, geizig. Ich betrachte diesen Eindruck auch als Missverständnis und sehe es heute anders, das heißt, ich habe es für mich aufgeklärt. Denn ich glaube heute, dass hinter der bekannten Großzügigkeit, Warmherzigkeit und dem angenehmen Entgegenkommen der Spanier auch etwas Anderes steckt: ein sehr starkes Bedürfnis, bei den anderen möglichst einen guten Eindruck zu hinterlassen, eine gute Figur zu machen, „a quedar bien“ (ich kann diesen Ausdruck nicht übersetzen, allein die Formulierung betont schon, dass was da wichtig ist, ist das Urteil der anderen über einen). Ich würde sagen, das ist bei den Deutschen nicht so ausgeprägt. Nicht dass es ihnen egal ist, was die anderen von ihnen halten. Nur machen sie sich nicht so viele Gedanken darüber. Deswegen bezahlt jeder in der Kneipe nur, was er verzehrt hat; deswegen heißt ja wirklich „ja“ und nein wirklich „nein“. Und deswegen zeigen sie sich, wie sie sind, was uns manchmal zu „kurz“ vorkommt: keine Notwendigkeit, sich rechtfertigen zu müssen, kein Satz, der mit „Es que…“ anfängt. Übrigens, meiner Erfahrung nach ist in vielen Fällen der zweite Eindruck ganz anders.

  8. Madrid sagt:

    Ds ist eine schöne...
    Ds ist eine schöne Geschichte, Albero-Amarillo. Sehr lebensecht. Mit den beiden Zitaten aus dem alten Baedeker wollte ich aber nicht provozieren oder eine Debatte über Stiergefechte in Gang bringen. Andererseits will ich sie auch nicht verhindern. Eher hatte ich Lust zu zeigen: Seht einmal, wie man das damals wahrnahm!
    Als ich nach Spanien zog, nahm ich mir vor, in den ersten Jahren keine Zeile über Flamenco und Stiere zu schreiben. Ich fand, diese Phänomene, die einerseits eine sehr spezifische spanische (bzw. andalusische) Kultur und andererseits ein verbreitetes Spanienklischee bezeichnen, sollten in meinem Kopf und in meiner Seele noch etwas ruhen. Nach einigen Jahren hatte ich dann wirklich Lust, etwas darüber zu schreiben. Zum Beispiel, was sie mir sagten, was ich ihnen entnahm, was sie für mich so besonders machte. Mehr wollte ich nicht. Und ich glaube immer noch, daß es große, unerschöpfliche Themen sind. Es gibt wunderbare Bücher darüber, auch von Fremden. Vielleicht kommen wir einmal darauf zurück. Ja, ganz sicher.

  9. In Amazon gibt es eine sehr...
    In Amazon gibt es eine sehr interessante Liste mit Büchern über die Erfahrung, mit Spanien in Kontakt zu treten.
    https://www.amazon.de/Die-beste-interkulturelle-Literatur-Spanien/lm/R1QKPGCE2PGX2B/ref=cm_lmt_srch_f_2_rsrsrs0

  10. Madrid sagt:

    Danke für die freundliche...
    Danke für die freundliche Empfehlung, Don Jorge. Das erste dieser Bücher habe ich hier. Das zweite auch.

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