Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Eine spanisch-deutsche Kulturgeschichte der Missverständnisse (3)

| 15 Lesermeinungen

Eigentlich wollte ich mich schon längst wieder gemeldet haben, aber ich war viel unterwegs, und wenn ich nicht unterwegs war, war es in Madrid sehr heiß. Diejenigen aus unserer Runde, die in Deutschland wohnen, finden das bestimmt keine lustige Bemerkung, denn in Deutschland ist es gerade ziemlich kühl. Aber da ich auch in Deutschland war, zwischendurch, darf ich sagen, dass diese Kühle dem Denken sehr förderlich ist.

Eigentlich wollte ich mich schon längst wieder gemeldet haben, aber ich war viel unterwegs, und wenn ich nicht unterwegs war, war es in Madrid sehr heiß. Diejenigen aus unserer Runde, die in Deutschland wohnen, finden das bestimmt keine lustige Bemerkung, denn in Deutschland ist es gerade ziemlich kühl. Aber da ich auch in Deutschland war, zwischendurch, darf ich sagen, dass diese Kühle dem Denken sehr förderlich ist.

Unter anderem habe ich die Kühle dafür genutzt, über eine Bemerkung von pastora-marcela aus der vergangenen Woche nachzudenken. Pastora-marcela schrieb, „hinter der bekannten Großzügigkeit, Warmherzigkeit und dem angenehmen Entgegenkommen der Spanier“ stecke auch etwas Anderes, nämlich „ein sehr starkes Bedürfnis, bei den anderen möglichst einen guten Eindruck zu hinterlassen, eine gute Figur zu machen, ‚a quedar bien‘.“

Wenn ich sage, dass ich lange darüber nachgedacht habe, meine ich das genau so. Das heißt, ich verstehe, was pastora-marcela sagen will, und ich verstehe, was diese Aussage bedeutet. Ich glaube sogar, dass sie stimmt. Aber damit weiß ich immer noch nicht, was ich von ihr halten soll.

Meine erste Frage wäre zum Beispiel: Ist es nicht löblich, dass jemand einen guten Eindruck hinterlassen möchte? Denn das heißt doch, er gibt sich Mühe, er denkt darüber nach, was andere Menschen von ihm halten werden, er sorgt sich um sein Bild in der Erinnerung der anderen. Ich kann darin nur Vorteile entdecken.

Ja, könnten andere jedoch einwenden. Dieser Mensch will allerdings gut erscheinen. Ihm kommt es auf den Eindruck an, nicht auf die Substanz. Und vielleicht hat pastora-marcela ihre Sätze als leise Kritik gemeint; als Plädoyer für die Substanz und gegen den schönen Schein.

Nun sind aber die allermeisten Begegnungen, die der Ausländer bei seinen Reisen hat, oberflächlich und außerordentlich kurz. Selten lässt sich bei dieser Gelegenheit das Wesen eines Menschen ausgiebig erforschen. Das heißt, der Reisende fährt meistens ausgesprochen gut damit, wenn sein Gegenüber bei ihm einen positiven Eindruck hinterlassen will und weiter nichts. Steige ich in einem Hotel ab, besuche Sehenswürdigkeiten, gehe essen, trinke auf der Plaza einen Kaffee, dann habe ich es nacheinander mit dem Taxifahrer, der Dame an der Rezeption, dem Concierge, dem Kartenverkäufer und dem Kellner zu tun. Erinnern Sie sich an meinen Kellner aus Cuenca, damals in der Karwoche? Na also. Da haben wir es. Der Mann wollte ganz sicher einen guten Eindruck hinterlassen. Und er tat es. Ich bilde mir deswegen nicht ein, sein Innerstes kennengelernt zu haben. Aber auf der Ebene, die für uns beide in einem solcherart geordneten Universum vorgesehen war, sind wir uns auf geradezu ideale Weise begegnet. Mehr, ich wette, dass ich mich auch noch in dreißig Jahren an ihn erinnern werde, sollten Erinnerung und Empfindungen mir bis dahin erhalten bleiben. Und deshalb weiß ich auch, dass ich über Menschen, die bei mir einen guten Eindruck hinterlassen wollen, kein böses Wort sagen werde.

Ich wollte Ihnen noch einige Weisheiten von Karl Baedeker aus dem Jahr 1899 zukommen lassen, aus der Einleitung zu seinem Reiseführer. Vielleicht machen die beiden Abschnitte Sie auch so nachdenklich wie mich. Es kommt mir nämlich so vor, als könnte man Ansichten über Menschen sammeln, so viel man möchte, man kommt nie an ein Ende. Hier also ist der alte Baedeker vor 110 Jahren mit dem, was er über die Spanier seiner Zeit dachte. Zur Erinnerung sei nur angefügt, dass Spanien ein Jahr zuvor seine letzten Kolonien, Kuba und die Philippinen, an die USA verloren hatte. Daher der „neuerdings so tief verletzte Nationalstolz der Spanier“, den Baedeker anscheinend komisch findet:

* * *

„In den Kreisen der Gebildeten herrscht, namentlich in Südspanien, ein lebhafter, heiterer und gefälliger Ton, welcher im Verein mit der landesüblichen Zwanglosigkeit und der vielfach freilich etwas phrasenhaften Höflichkeit den Fremden zunächst besticht. Man hüte sich aber, das Gespräch auf ernstere Dinge zu lenken, und vermeide vor allem jegliche Erörterung kirchlicher oder politischer Fragen. Der empfindliche, neuerdings so tief verletzte Nationalstolz der Spanier, ihre völlige Unkenntnis fremder Verhältnisse läßt eine ruhige Auseinandersetzung nicht zu. Man beschränke sich bei derartigen Gesprächen durchweg auf die Rolle eines wohlwollenden Gastes.

* * *

Das niedere Volk ist zwar ebenfalls nicht frei von nationaler Eitelkeit, aber es herrscht in ihm auch viel gesunder Menschenverstand. Dem taktvollen Fremden wird es nicht schwer fallen, den Verkehr mit ihm zu erlernen. Zweierlei ist dabei nie außer acht zu lassen: erstens, wo es gilt sein Recht zu wahren, Ruhe und Entschiedenheit, aber ohne Schroffheit, die nur die Leidenschaftlichkeit anregt; zweitens eine gewisse höfliche Rücksicht auch dem Geringsten gegenüber, der immer beansprucht, als ‚Caballero‘ behandelt zu werden. In Spanien herrscht eben im öffentlichen Verkehr ein Grad von Gleichheit und Freiheit, wie wohl in keinem anderen Lande, und hieraus ergibt sich auch jener ausgeprägte Unabhängigkeitssinn, jener vollkommene Mangel an Unterwürfigkeit, der die mittleren und unteren Klassen des spanischen Volkes kennzeichnet und im Handel und Wandel gegen den Käufer bisweilen geradezu in Ungefälligkeit ausartet.“

* * *

Mit diesen interessanten Zeilen Baedekers verabschiede ich mich von Ihnen. Bis bald!


15 Lesermeinungen

  1. <p>Don Paul, Großzügigkeit,...
    Don Paul, Großzügigkeit, Warmherzigkeit und angenehmes Entgegenkommen habe auch ich schon oft in Spanien genossen, trotzdem stimmt vor allem einer Deiner Sätze. Man kann Ansichten über Menschen sammeln, so viel man möchte, man kommt nie an ein Ende!
    Bei denen von Dir aufgeführten Beispielen aus dem Dienstleistungsgewerbe sollten die oben genannten Eigenschaften eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Aber auch in Spanien gibt es genügend Ausnahmen. Eine der ersten Begegnungen des Ausländers bei Reisen nach Spanien könnte ja die mit einer Iberia-Besatzung sein! Unterdessen weiß ich aus erster Hand, daß Iberia-Besatzungen darauf gedrillt werden, „nicht zu freundlich zu den Passagieren zu sein“. Ich mache unterdessen bei meinen regelmäßigen Flügen einen Bogen um diesen Anbieter. Über das „Service Call Center“ von Telefónica hast Du oft genug berichtet, und im Madrider Straßenverkehr sind die genannten Charaktereigenschaften Fremdwörter, hier gilt „yo primero“.

  2. Madrid sagt:

    Ja, Don Thorsten, der Madrider...
    Ja, Don Thorsten, der Madrider Straßenverkehr. Ich habe viel über ihn nachgedacht. Die Leute blinken nicht. Die Leute fragen nicht, ob man sie reinlassen will, sondern drängeln einfach. Die Leute bedanken sich nicht. Aber! Die Leute sind selten so prinzipiell und rechthaberisch wie bei uns. Das muss ich sagen. Ich zitiere jetzt einen iranischen Taxifahrer aus Köln, der mir einmal sagte: Ja, er fühle sich wohl in Deutschland, alles in Ordnung. Nur eines könne er nicht verstehen. Dass die Deutschen sich lieber das Auto von einem anderen rammen lassen, als auf ihre Vorfahrt zu verzichten. Das meine ich mit prinzipiell, Don Thorsten. Wir haben seinerzeit auch schon über unsere Belehrungen (die von uns Deutschen) gesprochen. Ich fürchte, wir belehren andere gern. Das ist nicht so schön. Im übrigen glaube ich, dass man sich an jeden Straßenverkehr der Welt gewöhnen würde. Man brauchte nur etwas Zeit. Und die nötige Übung. Den Madrider Verkehr finde ich nicht so schwierig. Die größere Aufgabe wäre Kairo. Manchmal glaube ich sogar, es würde mir Spaß machen, dort zu fahren. Dauernd zu hupen und keine Markierung zu respektieren. Tief drinnen (ich weiß nicht, ob das schon alle Leser[innen] dieses Blogs gemerkt haben) bin ich ja auch ein Rocker. Wie Carles Puyol.

  3. MartijnV sagt:

    <p>Persönlich erscheint mir...
    Persönlich erscheint mir der Hinweis von Herrn Baedeker, sich nicht als Tourist in allzu ernste politische Diskussionen verwickeln zu lassen, gerade in jener Zeit, nicht besonders exotisch. Sinngemäss steht das heutzutage auch in einem Reiseführer über ein Land wie Bosnien mit einer delikaten jüngeren politischen Vergangenheit. Die Ereignisse von 1898 haben ja auch tief bis ins 20ste Jahrhundert traumatisch nachgewirkt, und ich denke mir, das es ganz besonders so kurz danach schon ein sinnvoller Hinweis war, nicht allzu sehr nach diesem Thema zu fragen.
    Der Hinweis auf „ihre völlige Unkenntnis fremder Verhältnisse“ klingt aus heutiger Perspektive sicher sehr arrogant, aber erscheint mir eigentlich auf den zweiten Blick nicht so unglaublich realitätsfremd. Spanien hatte sich ja schon jahrhundertelang von allen Entwicklungen im Rest von Europa wie Aufklärung und Industralisierung durch eine regierende Kaste von Klerus, Adel und Grossgrundbesitzern abgekapselt und war mentalitätsmässig noch in vielen Bereichen kaum den Feudalismus entwachsen. Noch 1930 konnte über ein Drittel der Bevölkerung weder lesen noch schreiben, und 50 Prozent des Grundes gehörten 1 Prozent der Bevölkerung.
    Durch dieses Abschliessen von allen Politiken jenseits der Pyrenäen hatte sich wahrscheinlich schon eine ziemlich Inselmentalität gebildet, die sich in einigen Elementen für mein Gefühl heute noch findet, wie beispielsweise der unglaublich niedrige Anteil ausländischer Nachrichten im Fernsehen, schwache Fremdsprachenkenntnisse, wenig Auslandsreisen und im allgemeinen relativ wenig Kenntnisse des Auslands (zZumindet im Vergleich mit den meisten nordeuropäischen Ländern). Viele Spanier sitzen, meiner Erfahrung nach, doch viel stärker auf ihrer „Scholle“ bzw. „tierra“ als die meisten Menschen in Nordeuropa.

  4. Dulcinea sagt:

    Eine Freundin von mir nahm...
    Eine Freundin von mir nahm sich in Kairo immer ein Taxi, wenn sie über die vierspurige Straße zu ihrer Arbeit gelangen wollte. Die Straße zu Fuß zu überqueren, das ging ihrer Ansicht nach nicht. Das war nicht vorgesehen, gewissermaßen — ich meine, das Konzept Fußgänger als solches. So, wie in Spanien das Konzept Radfahrer nicht vorgesehen ist. Dazu kommt, daß diese Freundin tief drinnen, nun ja, vermutlich doch keine Rockerin ist. Nein. Eher nicht. Bei Ihnen dagegen, Don Paul, doch, das merkt man schon sehr deutlich. Nachts um eins Flaschen einzuwerfen, das… deutet darauf hin. Im übrigen feiere ich gerade den fünfhundertsten Kommentar zum fünfzigsten Blogeintrag! Obwohl es darauf ja nicht ankommt. Es sind nur zwei sehr runde Zahlen.

  5. abfeldmann sagt:

    ja, paul ingendaay, sie haben...
    ja, paul ingendaay, sie haben recht mit der fettunterlegung im letzten zitat. – dennoch, man kann es so oder so sehen. – mir erscheint die ‚Gleichheit und Freiheit‘ oft reines oberflaechenphaenomen. – man laesst die koeter in frieden bellen, alle entscheidungen werden ohnehin woanders getroffen. (und das bezieht sich jetzt graduell weniger auf die gegenwart als deutlich mehr auf die vergangenheitsgepraegte gegenwartskultur)

  6. Madrid sagt:

    Das ist interessant,...
    Das ist interessant, abfeldmann! Sie bezeichnen etwas als reines Oberflächenphänomen, was ich geradezu als reines Tiefenphänomen bezeichnen würde. Denn gerade auf der sozialen Oberfläche – dem Klassenverhalten, den Gesten, der objektiven Verteilung der Macht – ist die von Baedeker gemeinte niedere Schicht weder frei noch unabhängig, was dem Autor durchaus klar war. Das Paradoxe ist, dass sie sich dennoch so fühlt, obwohl jeder Augenschein dagegen sprechen müsste. Baedeker, scheint mir, will auf dieses Paradox ausdrücklich hinaus: dass noch der Ärmste in Spanien wie ein „caballero“ angesprochen werden will, weil er es in seinem Selbstverständnis – dort würde ich im Gegensatz zu Ihnen die Tiefe situieren – tatsächlich ist.

  7. abfeldmann sagt:

    unbenommen, paul ingendaay -...
    unbenommen, paul ingendaay – auch hier kommt es wieder auf die perspektive an. ist man eher bei marx oder bei hegel, wenn es darum geht, ob sein das bewusstsein bestimmt oder umgekehrt?
    ansichtssache.
    und spaniens beruehmtester philosoph – um einen wirklich berufenen zu befragen – was sagt der? „yo soy yo y mi circunstancia“, sagt der. – aber er ist natuerlich auch gaenzlich unspanisch und ein unerschopflich frischer quell fuer alle spaniennoergler.

  8. <p>Auch auf die Gefahr hin,...
    Auch auf die Gefahr hin, von den Hoehen der philosophischen Diskussion in die Niederungen der banalen Unterschiede abzutauchen, ist fuer mich das Thema „Balkon“ ein klassisches Missverstaendnis zwischen Deutschland und Spanien. In Deutschland lebt man auf dem Balkon, es ist sozusagen das Zimmer vor der Wohnung. Dort sitzt man mit Freunden, liest die Sonntagszeitung oder sonnt sich. Abend trinkt man ein Glaeschen Wein darauf, allein oder mit dem Liebsten.
    Ganz anders in Spanien. Auch hier ist ein Balkon wichtig, jedoch eher, um die Waschmaschine unterzubringen, die Fahrraeder oder den Muell. Kaum einem Spanier faellt es ein, sein gesellschaftliches Leben auf dem Balkon zu praktizieren. Warum auch, schliesslich ist da kaum etwas los. Wieviel interessanter ist die Bar an der Ecke oder auf der Plaça. Ich habe mich in diesem Falle uebrigens ziemlich aklimatisiert und meine Tochter neulich gefragt, warum wir eigentlich diese nutzlosen Blumen haben, die niemand sieht und die nur Arbeit machen. Sie wusste es nach einigen Jahren in Spanien auch nicht mehr wirklich.

  9. Dulcinea sagt:

    Die armen... Blumen! Doña...
    Die armen… Blumen! Doña Celine! Repräsentieren die Blumen denn nicht auch etwas, nach außen? Hinterlassen sie nicht einen guten Eindruck? Sieht sie denn wirklich niemand? Ich sehe immer schön bepflanzte spanische Balkone, auch wenn sie nicht verwendet werden.

  10. abfeldmann sagt:

    herzlichen dank,...
    herzlichen dank, celineambroxxx. die verwurschtung der balkonkultur war mir auf den ersten blick sympathisch. wunderbar. das ist das ausgleichstor fuer spanien.

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