Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Der Gastgeber des Moncloa-Palasts oder Kann man lächelnd die Wahrheit sagen?

| 43 Lesermeinungen

Heute morgen - Samstag - habe ich sehr lange El País gelesen. Abonnenten bekommen schon am Vortag das Sonntagsmagazin El País Semanal beigelegt, so dass wir gleich mit einem Wissensvorsprung ins Wochenende starten. Wir Abonnenten von El País. Wir Leser und Leserinnen der größten Tageszeitung Spaniens. Wir Anhänger der demokratischen Kultur. Und bevor Sie beim sonntäglichen Frühstück sitzen und El País Semanal durchblättern (sollte das zu Ihren Gewohnheiten gehören), sagt Ihnen Sanchos Esel, was Sie darin erwartet.

Heute morgen – Samstag – habe ich sehr lange El País gelesen. Abonnenten bekommen schon am Vortag das Sonntagsmagazin El País Semanal beigelegt, so dass wir gleich mit einem Wissensvorsprung ins Wochenende starten. Wir Abonnenten von El País. Wir Leser und Leserinnen der größten Tageszeitung Spaniens. Wir Anhänger der demokratischen Kultur. Und bevor Sie beim sonntäglichen Frühstück sitzen und El País Semanal durchblättern (sollte das zu Ihren Gewohnheiten gehören), sagt Ihnen Sanchos Esel, was Sie darin erwartet.

Das Magazin von El País bringt das „Porträt eines Landes: Hundert Bürger erzählen mitten in der Krise von ihrem Leben“. Das Titelfoto zeigt José Luis Rodríguez Zapatero mit drei Bürgerinnen und einem Bürger. Eine dieser Bürgerinnen, sie sitzt vorn, auf der Treppenstufe des Moncloa-Palasts, ist sehr hübsch und sehr jung. Die beiden anderen Bürgerinnen, stehend dahinter, sind älter, aber auch sie lächeln. Der Bürger ganz links im Bild, mit verschränkten Armen, lächelt nicht.

Ich finde es gut, dass einer nicht lächelt. Denn Zapatero… er lächelt natürlich auch. Eigentlich lächelt er immer. Inzwischen, ich muss es gestehen, irritiert mich das etwas. Zapatero lächelt nämlich auch dann, wenn es absolut keinen Grund dafür gibt. Und in diesem konkreten Fall – hundert Bürger erzählen aus ihrem Leben – gibt es wahrlich wenig Anlass zum Lächeln. Denn die Geschichten handeln davon, was die Wirtschaftskrise, die Spanien besonders hart getroffen hat, mit den Existenzen dieser Menschen anstellt. Und das Gespräch, das der Ministerpräsident mit diesen vier ausgewählten Menschen im Moncloa-Palast führt, es ist gewissermaßen das ideale Exempel einer geschickt vermarkteten und gnadenlos durchgezogenen kollektiven Lächeltherapie. Eine Feelgood-Geschichte, die soviel sagt wie: He, Leute, lasst uns mal die Köpfe zusammenstecken und einander unsere Geschichten erzählen. Danach geht es allen besser, auch wenn euch der Schlamm noch immer bis zum Hals steht.

Bestürzend daran ist dreierlei. Dass dem spanischen Regierungschef nichts Besseres zu der Krise einfällt, die er noch im letzten Sommer hartnäckiger geleugnet hat als jede andere politische Führungsfigur in Europa. Sodann, dass ein Blatt wie El País uns dergleichen ernsthaft als Beitrag zur Krise verkauft. ¡Por favor! Sentimental können wir selber sein. Dafür brauchen wir kein Abo. Drittens und letztens wohl auch, dass der Journalismus und mit ihm möglicherweise auch die Leserschaft so auf den Hund gekommen sind, dass uns die strategische Plazierung so eines Rührstücks kaum noch auffällt.

Denn der Kniff an der Sache ist, dass Zapatero sich zu den Bürgern setzt. Und zwar nicht irgendwohin. Nein. Der Gastgeber und seine vier Gäste nehmen auf den weißen Sofas des Moncloa-Palasts Platz. Genau dort, wo… aber hören wir dazu den Regierungschef selbst: „Kommt rein, kommt rein. Setzt euch. Hier empfange ich Regierungschefs… und die Banker.“

Ist das nicht putzig? Dort empfängt er Regierungschefs und Banker! Und jetzt sollen sich die vier Bürgerinnen und Bürger für anderthalb Stunden genauso wichtig fühlen wie solche mächtigen Leute.

Aber natürlich sind sie es nicht. Hier ist niemand der Eingeladenen mächtig. Und niemandes Wort zählt, jedenfalls nicht das Wort von Zapateros Gästen. Man tauscht Meinungen aus. Man plaudert. Man lässt sich fotografieren für El País Semanal. Eigentlich ist man überhaupt nur dafür da, von diesem Magazin fotografiert zu werden. Und die Geschichte, mit der El País Semanal eine gewaltige Bilderstrecke bestreitet – hundert Magazinseiten, das ist keine Kleinigkeit -, wird in manchen Kreisen sogar als journalistische Auseinandersetzung mit der Krise gelten. Ich spreche jetzt noch nicht einmal von unseren Belagerern des Moncloa-Palasts, die sich durch wochenlange Wartezeit längst eine Audienz bei Zapatero verdient haben müssten. Nein. Ich spreche von einem minimalen Anstandsrest, der verhindert hätte, dass diese PR-Show für die spanische Regierung über die Bühne geht.

Auf der allerletzten Seite des Magazins betritt dann ein Spielverderber die Szene. Er heißt Javier Marías und ist Schriftsteller. Marías schreibt in seiner Kolumne, er könne sein Land nicht ernstnehmen. Es nehme sich ja selbst nicht ernst. Wie könne es denn sein, dass sich die Leute mitten in der Krise einen Feiertag nach dem anderen holten? Immer mit puente, so dass das komplette Frühjahr von arbeitsfreien Tagen durchsetzt sei? Und wie komme es, dass alle, die sich über fehlendes Geld beklagten, ständig von den Belastungen durch den Wohnungskredit und das Auto sprächen? Verstehe es sich denn von selbst, dass jeder Arbeitslose eine Eigentumswohnung und ein Auto habe? Er selbst, Marías, jedenalls habe kein Auto und wohne zur Miete.

Ich gestehe, es tat gut, das mal zu hören. Warum, weiß ich auch nicht. Vielleicht ja nur, weil ich mir Marías nicht lächelnd vorstelle, wenn er solche Sätze schreibt.


43 Lesermeinungen

  1. Don Pablo, Sie sind der Beste...
    Don Pablo, Sie sind der Beste !!!!! Ich denke, Sie haben in Ihrem ganzen Leben einen einzigen Fehler begangen: „El País“ zu abonnieren.

  2. rocinante sagt:

    El País zu abonnieren ist...
    El País zu abonnieren ist sicher kein Fehler, man darf halt nicht nur eine Zeitung lesen, sondern mindestens 3.

  3. Madrid sagt:

    Don Jorge, das kann ich mir...
    Don Jorge, das kann ich mir nicht auswählen. Die wichtigste Tageszeitung des Landes muss der Korrespondent nun einmal haben. Stellen Sie sich einen spanischen Deutschland-Korrespondenten vor, der nicht die F.A.Z. läse. Sehen Sie?

  4. Madrid sagt:

    Rocinante, so handhabe ich das...
    Rocinante, so handhabe ich das auch. Um es mal sportlich auszudrücken: „El País“ für die linke Sturmseite, „El Mundo“ für die rechte. „ABC“ für die Kultur sowie Monarchisches. Gewissermaßen der hängende Rechtsaußen. Und im Mittelfeld „La Vanguardia“, fürs Ausbalancieren, in mancherlei Hinsicht. Als capricho hin und wieder auch „Público“. Und wenn ich mich ärgern will und „El Mundo“ oder „El País“ dazu nicht ausreichen – es gibt solche Tage -, greife ich zu „La Razón“. Das wirkt immer.

  5. <p>Ach Don Paul, jetzt haben...
    Ach Don Paul, jetzt haben Sie aber eines der ganz traurigen Kapitel der letzten Jahre aufgeschlagen. Nach der Abwahl von Aznar´s Personenkult-Partei (ich sehe erst jetzt, dass auch dies sich mit PP abkürzt) dachte ich, etwas ganz Neues sei möglich, sozusagen ein neuer Weg in der Politik, jenseits von rechts und links und der gerade hier üblichen Kampfrethorik. Aber „La Crisis“ einerseits sowie verkrustete Strukturen in allen Parteien andererseits sorgen scheinbar dafür, dass eine gewisse Dosis Unbedarftheit und erfrischende Naivität hart bestraft wird. Und Zapatero hat irgendwie in den 5 Jahren Regierungszeit nur die Winkelzüge des Parteienkampfs gelernt, aber nicht, wie er seine eigentlich guten Ideen umsetzt. Da ist er am Ende auch nur einer von diesen unangenehmen machtorientierten Politikern geworden. Nur das Lächeln ist geblieben, aber das wirkt jetzt nur noch wie aufgeklebt.
    Aber vielleicht habe ich alles auch nur falsch verstanden. Vielleicht bin ich selbst zu unbedarft.

  6. <p>Noch ganz kurz zu den...
    Noch ganz kurz zu den Zeitungen. Das stimmt natürlich alles, was Sie schreiben. Nur El Razón würde ich nicht einmal mit Handschuhen anfassen. Das Blatt ist einfach so weit Richtung Propaganda angesiedelt, dass der Erkenntnisgewinn nach dem Lesen gleich Null ist. Da lese ich liebe die Mediamarkt-Beilage.

  7. Madrid sagt:

    Dafür werden wir bezahlt,...
    Dafür werden wir bezahlt, Albero-Amarillo. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, was Sie nicht einmal mit Handschuhen anfassen würden. Hin und wieder habe ich aber auch schon an unerwarteter Stelle schöne Funde gemacht.
    Zu Ihrem ersten Eintrag: Ist es nicht schade, dass Aznar NIE lächelte und Zapatero IMMER lächelt? Wenn die beiden sich zusammentun würden, käme vielleicht ein ganz normales Paar dabei heraus. Pareja de hecho, sozusagen.

  8. Ich bin auch Online-Leserin...
    Ich bin auch Online-Leserin von El País. Ich merke schon seit einiger Zeit eine Entwicklung in der Zeitung, die mich etwas stutzig macht, z. B. den Gente-Teil, wo man Nachrichten liest, die eher in die Boulevardpresse gehören. Was mir aber den Rest gegeben hat sind die Berlusconi Bilder. Ich sehe ein, so ein Verhalten seitens eines Politikers, der mit öffentlichen Geldern auf diese Weise umgeht, muss bekannt werden. Anderseits frage ich mich: ist das seriöser Journalismus?

  9. Madrid sagt:

    Nein, pastora-marcela, das ist...
    Nein, pastora-marcela, das ist kein seriöser Journalismus. „El País“ hat diese Fotos ja nicht einmal, sondern drei- oder viermal gedruckt. Das nennt man Kampagnen-Journalismus. Womit kein Wort der Entschuldigung oder des Verständnisses für Berlusconi gesagt sein soll. Der Mann ist wohl längst jenseits aller Kriterien. Und die Italiener scheinen in ihrer großen Mehrheit genau das zu wollen.

  10. ojosazules sagt:

    Tja, das mit der freien,...
    Tja, das mit der freien, unabhängigen, investigativen, aufklärenden, der Pressefreiheit verpflichteten, von Parteiinteressen nicht tangierten Presse ist scheinbar doch zu einem großen Problem geworden. El Pais dient dem PSOE, El Mundo dem PP, ABC dem PP und den Monarchisten… Wer aber bitte informiert den interessierten Bürger in einer neutralen Form? Leider niemand, so viel ich weiß und immer wieder versuche herauszufinden. Und so gab es erst keine „crisis“, jetzt sind es schöne Bilder mit netten Bürgern. Dabei wünschen sich alle einfach etwas Vernunft und Sachorientierung, sowohl in der Presse als auch in der Politik. Das schöne an den Sonntagsausgaben: sie haben eine nette Kinderseite, immer etwas Klatsch und Tratsch, ein ausführliches Fernsehprogramm und die Regionalen einen großen Veranstaltungskalender. Fürs Wochenende wunderbar!

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