Sanchos Esel

Der Gastgeber des Moncloa-Palasts oder Kann man lächelnd die Wahrheit sagen?

Heute morgen – Samstag – habe ich sehr lange El País gelesen. Abonnenten bekommen schon am Vortag das Sonntagsmagazin El País Semanal beigelegt, so dass wir gleich mit einem Wissensvorsprung ins Wochenende starten. Wir Abonnenten von El País. Wir Leser und Leserinnen der größten Tageszeitung Spaniens. Wir Anhänger der demokratischen Kultur. Und bevor Sie beim sonntäglichen Frühstück sitzen und El País Semanal durchblättern (sollte das zu Ihren Gewohnheiten gehören), sagt Ihnen Sanchos Esel, was Sie darin erwartet.

Das Magazin von El País bringt das „Porträt eines Landes: Hundert Bürger erzählen mitten in der Krise von ihrem Leben“. Das Titelfoto zeigt José Luis Rodríguez Zapatero mit drei Bürgerinnen und einem Bürger. Eine dieser Bürgerinnen, sie sitzt vorn, auf der Treppenstufe des Moncloa-Palasts, ist sehr hübsch und sehr jung. Die beiden anderen Bürgerinnen, stehend dahinter, sind älter, aber auch sie lächeln. Der Bürger ganz links im Bild, mit verschränkten Armen, lächelt nicht.

Ich finde es gut, dass einer nicht lächelt. Denn Zapatero… er lächelt natürlich auch. Eigentlich lächelt er immer. Inzwischen, ich muss es gestehen, irritiert mich das etwas. Zapatero lächelt nämlich auch dann, wenn es absolut keinen Grund dafür gibt. Und in diesem konkreten Fall – hundert Bürger erzählen aus ihrem Leben – gibt es wahrlich wenig Anlass zum Lächeln. Denn die Geschichten handeln davon, was die Wirtschaftskrise, die Spanien besonders hart getroffen hat, mit den Existenzen dieser Menschen anstellt. Und das Gespräch, das der Ministerpräsident mit diesen vier ausgewählten Menschen im Moncloa-Palast führt, es ist gewissermaßen das ideale Exempel einer geschickt vermarkteten und gnadenlos durchgezogenen kollektiven Lächeltherapie. Eine Feelgood-Geschichte, die soviel sagt wie: He, Leute, lasst uns mal die Köpfe zusammenstecken und einander unsere Geschichten erzählen. Danach geht es allen besser, auch wenn euch der Schlamm noch immer bis zum Hals steht.

Bestürzend daran ist dreierlei. Dass dem spanischen Regierungschef nichts Besseres zu der Krise einfällt, die er noch im letzten Sommer hartnäckiger geleugnet hat als jede andere politische Führungsfigur in Europa. Sodann, dass ein Blatt wie El País uns dergleichen ernsthaft als Beitrag zur Krise verkauft. ¡Por favor! Sentimental können wir selber sein. Dafür brauchen wir kein Abo. Drittens und letztens wohl auch, dass der Journalismus und mit ihm möglicherweise auch die Leserschaft so auf den Hund gekommen sind, dass uns die strategische Plazierung so eines Rührstücks kaum noch auffällt.

Denn der Kniff an der Sache ist, dass Zapatero sich zu den Bürgern setzt. Und zwar nicht irgendwohin. Nein. Der Gastgeber und seine vier Gäste nehmen auf den weißen Sofas des Moncloa-Palasts Platz. Genau dort, wo… aber hören wir dazu den Regierungschef selbst: „Kommt rein, kommt rein. Setzt euch. Hier empfange ich Regierungschefs… und die Banker.“

Ist das nicht putzig? Dort empfängt er Regierungschefs und Banker! Und jetzt sollen sich die vier Bürgerinnen und Bürger für anderthalb Stunden genauso wichtig fühlen wie solche mächtigen Leute.

Aber natürlich sind sie es nicht. Hier ist niemand der Eingeladenen mächtig. Und niemandes Wort zählt, jedenfalls nicht das Wort von Zapateros Gästen. Man tauscht Meinungen aus. Man plaudert. Man lässt sich fotografieren für El País Semanal. Eigentlich ist man überhaupt nur dafür da, von diesem Magazin fotografiert zu werden. Und die Geschichte, mit der El País Semanal eine gewaltige Bilderstrecke bestreitet – hundert Magazinseiten, das ist keine Kleinigkeit -, wird in manchen Kreisen sogar als journalistische Auseinandersetzung mit der Krise gelten. Ich spreche jetzt noch nicht einmal von unseren Belagerern des Moncloa-Palasts, die sich durch wochenlange Wartezeit längst eine Audienz bei Zapatero verdient haben müssten. Nein. Ich spreche von einem minimalen Anstandsrest, der verhindert hätte, dass diese PR-Show für die spanische Regierung über die Bühne geht.

Auf der allerletzten Seite des Magazins betritt dann ein Spielverderber die Szene. Er heißt Javier Marías und ist Schriftsteller. Marías schreibt in seiner Kolumne, er könne sein Land nicht ernstnehmen. Es nehme sich ja selbst nicht ernst. Wie könne es denn sein, dass sich die Leute mitten in der Krise einen Feiertag nach dem anderen holten? Immer mit puente, so dass das komplette Frühjahr von arbeitsfreien Tagen durchsetzt sei? Und wie komme es, dass alle, die sich über fehlendes Geld beklagten, ständig von den Belastungen durch den Wohnungskredit und das Auto sprächen? Verstehe es sich denn von selbst, dass jeder Arbeitslose eine Eigentumswohnung und ein Auto habe? Er selbst, Marías, jedenalls habe kein Auto und wohne zur Miete.

Ich gestehe, es tat gut, das mal zu hören. Warum, weiß ich auch nicht. Vielleicht ja nur, weil ich mir Marías nicht lächelnd vorstelle, wenn er solche Sätze schreibt.

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