Vor einigen Monaten dachte ich noch, dies hier werde ein richtiger literarischer Blog. Ich wollte jeden Eintrag mit Zitaten aus dem Don Quijote durchsetzen, subtile philologische Fährten auslegen und mit leichten Schuhen durch die spanische Dichtung des Goldenen Zeitalters marschieren. So ungefähr. Doch dann kam die Wirklichkeit dazwischen. Mal war es Esperanza Aguirre. Dann irgendein anderer Politiker, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere. Wissen Sie noch, der caso Gürtel? Der klingt schon fast nach reiner Literatur. Die Anzüge von Francisco Camps! Oder die fünfzig Leibwächter von José María Aznar. Oder, um das letzte Beispiel zu nennen, die Sofabilder von José Luis Rodríguez Zapatero. Wobei wir jetzt die Fotos von Silvio Berlusconis sardischer Villa und die völlige Verworfenheit seines Privatlebens ganz außer acht lassen wollen.
Dort also, in den Skandalen von heute, liegt die Literatur. Unsere Literatur. Deswegen werden wir nicht aufhören können, von ihnen zu sprechen. Natürlich werden wir dabei immer wieder in die vergleichende kulturelle Beobachtung verfallen, etwas, was mich schon seit langem interessiert und die geschätzten Kommentatoren dieses Blogs offenbar auch. Man kann viel darüber lesen, noch mehr darüber reden und lernt dennoch nicht aus.
Jetzt, zum Monatsende, möchte ich trotzdem kurz innehalten. Ich möchte das tun, was ich mir vor fünf Monaten einmal vorgenommen hatte, doch nie geschafft habe. Ihnen allen ein paar schöne Sätze aus der spanischen Literatur vor die Füße werfen. In der Übersetzung von… einem der größten deutschen Sprachkünstler aller Zeiten. Erinnern Sie sich, dass wir auch schon über Übersetzungen gesprochen haben? Sehen Sie. Hier folgen jetzt also, damit Sie gut in den heißesten Monat des Jahres starten, ein paar erbauliche Sätze von… dazu später. Bitte lesen Sie sie auch als unverbindliche Reflexionsempfehlung meinerseits an spanische Politiker links, rechts und in der Mitte. Stoff zum Nachdenken am Strand. Bilder aus einer Welt, die von Soto de La Moraleja noch nichts wusste.
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„Stets handeln, als würde man gesehn. Der ist ein umsichtiger Mann, welcher sieht, daß man ihn sieht, oder doch sehn wird. Er weiß, daß die Wände hören, und daß schlechte Handlungen zu bersten drohen, um herauszukommen. Auch wann allein, handelt er wie unter den Augen der ganzen Welt. Denn da er weiß, daß man einst Alles wissen wird; so betrachtet er als schon gegenwärtige Zeugen die, welche es durch die Kunde späterhin werden müssen. Jener, welcher wünschte, daß die ganze Welt ihn stets sehn möchte, war nicht darüber besorgt, daß man ihn in seinem Hause aus den nächsten beobachten konnte.“
Don Paul! Aber es IST doch ein...
Don Paul! Aber es IST doch ein „richtiger literarischer Blog“, der Ihre, scheint mir? Mit Sanchos Esel und Rocinante und Pastora Marcela und all den anderen? Albero-Amarillo etwa oder Ojosazules? Das ist doch sehr… poetisch! Aber, wie wir sagen: „Nichts ist leichter als die Fremderkenntnis. Und nichts ist schwieriger als die Selbsterkenntnis.“
Wer sagte das, Dulcinea? Das...
Wer sagte das, Dulcinea? Das ist schön. Stand das mal in diesen Seiten? Abgesehen davon, dass es so ähnlich in der Bibel steht.
Nein, natürlich sind hier einige hochliterarische Wesen am Werk. Ich hatte nur nicht gedacht, dass die aktuellen Ereignisse einen beim Schreiben so… unterrühren würden. Ich beklage mich nicht. Manchmal allerdings schaue ich auf meine schönen Bücher und denke: Man müsste etwas mehr aus ihnen mitteilen. Wir studieren schließlich Gesamtwerke. Ich hätte Lust, jeden einzelnen von Ihnen zu fragen: Was war der beste Roman, den Sie in den letzten sechs Monaten gelesen haben? Und warum war er es? Was, bitte, hat er mit Ihrem Leben zu tun? Denken Sie darüber nach. Und dann erzählen Sie davon.
"Darf ich Ihnen zum...
„Darf ich Ihnen zum Monatsbeginn ein paar erbauliche Sätze vor die Füße werfen?…“ – Nein, for die füße nciht.
Aber vor die Aguen.
Darf ich Ihnen diesen Satz Kafkas anvertrauen?
„Alle Tugenden sind individuell, alle Laster sozial. Was als soziale Tugend gilt, etwa Liebe, Uneigennützigkeit, Gerechtigkeit, Opfermut, sind nur ›erstaunlich‹ abgeschwächte soziale Laster.“ (Franz Kafka)
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Und heute, am 1. Juli..?
S i e haben i h n bestimmt im/am Gymnasium kennen gelernt: Hans B e n d e r feiert seinen 90. Geburtstag.
– Wird er in der FAZ geehrt?
Don Paul, mich würde...
Don Paul, mich würde interessieren ob Garcián mit diesen herrlichen Worten eher Position für das Individuum und seine Bedürfnisse oder für den Erhalt der niedergehenden spanischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts bezieht? Für beide Position findet man Andeutungen, aber ich kann nur vermuten, wo seine Präferenz war.
Deine Liebe zu Schopenhauer ist übrigens bereits bekannt.
Der beste Roman den ich in den...
Der beste Roman den ich in den letzten 6 Monaten gelesen habe? Das wird schwierig. Eigentlich hat mich keiner überrascht oder überzeugt. Kein Buch hat mich so gefesselt dass ich es nicht aus der Hand legen wollte oder dass ich mir über das Geschriebene Gedanken gemacht hätte. Eigentlich schade, aber es liegt an der Wahl der Bücher.
Ja, Don Thorsten, es ist der...
Ja, Don Thorsten, es ist der große Gracián mit seinem Hand-Orakel, welches ja auch heißt: „Kunst der Weltklugheit“. Zusammen mit dem großen Schopenhauer. So ein Duo hat man nicht oft. Obwohl die deutschen Dichter und das Spanische immer wieder eine schöne Mischung ergeben haben. Nicht nur Tieck und Cervantes. Eichendorff hat zum Beispiel den „Conde Lucanor“ übersetzt.
Man wird bei Gracián für beide Sichtweisen Argumente finden: für die Verteidigung der Bedürfnisse des Individuums und für die nahezu heuchlerische Anpassung an herrschende Konventionen. „Stets handeln, als würde man gesehn“: Das klingt in unseren Ohren nach einem Terrorismus der Etikette. Zugleich sollten sich viele Politiker diesen Eintrag hinter die Ohren schreiben. Warum nicht als Tattoo?
rocinante, ich kenne ich Ihre...
rocinante, ich kenne ich Ihre Interessen nicht genau. Aber Ihnen sollte geholfen werden. Sie brauchen bessere literarische Ratgeber. Sind Sie der heitere oder der tiefgründige Typ? Lesen Sie viel? Neigen Sie zur Bosheit? Oder finden Sie die Welt großenteils so in Ordnung, wie sie ist? Gehen Sie auch größere Lesestrecken? Wenn man das weiß, kann man raten.
Am meisten gefesselt hat mich...
Am meisten gefesselt hat mich der Roman „Les veus del Pamano“ von Jaume Cabré, den ich allerdings auf Deutsch gelesen habe (ist preiswerter). Gefesselt deswegen, weil er auf unaufdringliche, um nicht zu sagen witzige Weise „las dos Españas“ der „Posguerra“ aus der Retrospektive schildert. Ich habe als Jugendlicher noch das Francoregime erlebt, war dann 25 Jahre lang als regelmäßiger Besucher Spaniens dem Land und Volk verbunden (einschließlich zweier inzwischen erwachsener Kinder und einer geschiedenen Frau). Der Roman schildert originell, wie sehr und mit welcher Transzendenz ein Fremdbild trügerisch sein kann. Wer die Handlung nicht kennt, dem verrate ich: Es geht um einen hochverehrten „Falangisten“, der in Wahrheit für die Gegenseite sein Leben aufs Spiel setzte. Daneben oder auch für mich in der Hauptsache geht es um die ungerechtfertigte Trennung von geliebter Frau und unbekannter Tochter. Der Bezug zu meinem Leben? Nun ja, zum einen findet die Geschichte in den katalanischen Bergen statt, zum anderen … aber das wäre jetzt zu persönlich.
Ich lese querbeet.
Will man...
Ich lese querbeet.
Will man Andere besser kennelernen, frage ich sie nach einem Buchvorschlag, denn es sagt viel aus über den „Ratgeber“.
rocinante, spanische...
rocinante, spanische Literatur? Deutsche Literatur? Querfeldein? Bis morgen stelle ich eine entsprechende Liste zusammen, wenn Sie möchten.