Gestern abend, beim nächtlichen Gang durch unser Viertel, machte ich eine lustige Entdeckung. Da stand eine Toilette auf dem Gehsteig. Vorher hatte dort nie eine Toilette gestanden. Ich betrachtete das Objekt aus der Nähe und stellte fest, dass die Menschen aufgehört hatten, diese Toilette zu benutzen. Sie war, sagen wir, ausgemustert worden. Jemand hatte sie gereinigt, und sie blinkte hell und fast romantisch durch die laue Sommernacht. Eine saubere Toilette, wenngleich mit unübersehbaren Spuren des… sagen wir, Herausbrechens. Jemand hatte das Stück brutal aus seinem angestammten Badezimmerzusammenhang entfernt und sich nicht um die Verletzungen geschert, die dabei zwangsläufig entstanden. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass es auf ein Uhr zuging und ich gerade mein Altglas entsorgt hatte. Sie kennen die Geschichte. Um diese Stunde bin ich den leiseren Regungen des Universums gegenüber sehr aufgeschlossen.
Während ich dastand und noch ein wenig über die Vergänglichkeit allen menschlichen Strebens philosophierte, wie ich es um diese Zeit gern tue, kam mir eine Episode aus meinem früheren Leben in den Sinn, die ebenfalls mit einer Toilette oder genauer, einer DT zu tun hatte – einer displaced toilet. Jene von damals – ich spreche von den frühen achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts – stand nicht auf dem Gehsteig, sondern auf der Straße, und zwar bei einem Polterabend in Köln. Die Tochter des Nachbarn hatte eingeladen, und alle warfen mit Begeisterung Porzellan und Gläser auf die Straße. Da sah ich sie. Die einsame Toilette. Oder das, was von ihr nach mehreren Knochenbrüchen übriggeblieben war. Jemand hatte gedacht: Mit der poltern wir. Gut, sagte ich mir. Machen wir das. Ich nahm die halbe Toilette, schwang sie, staunte über das massive Gewicht, schwang sie noch ein wenig… und beim letzten Schwung schrappte das heimtückische Ding an meiner Wade entlang, bevor ich es losließ und auf der Straße krachend zerbersten ließ. Die Scherben flogen weit umher. Irgendjemand klatschte in die Hände. Ein sinnvolles Ende für eine halbe Toilette. Ich nahm an, sie hatte ein erfülltes Leben gehabt.
An meiner Wade juckte etwas. Ich schaute hinunter und sah, dass sich die hellblaue Jeans rot färbte. Wenige Sekunden später stand mein Fuß im Blut. Der Abend endete in der Notaufnahme im Frechener Krankenhaus, wo die beiden hässlichen Wunden mit annehmbarem kosmetischen Ergebnis genäht wurden. Mein Bruder hatte vom Polterabend-Büffet sogar noch etwas Essbares geräubert und es mit ins Krankenhaus genommen. Er wollte sich die Feier nicht verderben lassen. So saßen wir da und aßen und lachten über die Dinge, die im Leben so passieren.
Als der Arzt seine Arbeit getan hatte, bekam ich ein Formular in die Hand, auf welchem zu lesen war: „Zwei Risswunden (8 und 6 Zentimeter) an der rechten Wade infolge defekter Toilette.“ Ich starrte auf den Satz, und sofort begannen in meinem Kopf drei, vier Drähte zu glühen. Die Welt veränderte ihre Farbe. Sie wurde schön, fast magisch. Schon damals war mir klar, dass ich nicht nur die beiden Narben am Bein, sondern auch die poetische Umschreibung meines Missgeschicks für den Rest meines Lebens behalten würde. Und sehen Sie? Mehr als zwanzig Jahre habe ich von dem Vorfall geschwiegen. Heute erzähle ich Ihnen davon.
Und jetzt… begibt sich Sanchos Esel auf die Sommerweide. Er wird dort etwas herumhängen, sich entspannen, mit anderen Eseln konferieren und leider wenig Möglichkeit haben, im Internet aktiv zu sein. Deswegen grüßt er von hier aus alle Kommentator(inn)en, wünscht schöne Sommerwochen und meldet sich dann gegen Mitte August zurück. Ob er wisse, was „freischalten“ ist, fragte ich ihn. Kommentare freischalten.
– Nein, sagte er.
– Wenn ein Kommentator auf dem Blog etwas schreibt, sagte ich, musst du es freischalten.
– Ah, sagte er.
– Wie willst du das denn handhaben?
– Wann?
– Im Sommer, du Esel. Wirst du etwas freischalten, wenn die Leute von ihrem Urlaub berichten wollen oder dergleichen? Wenn Sie Geschichten haben, die sie nicht für sich behalten können? Bleibt das Forum hier offen? Oder machst du es dicht?
Aber er verstand mich nicht. Er murmelte etwas davon, er könne ja alle paar Tage mal nachschauen, ob etwas freizuschalten sei, wenn mir so sehr daran liege. Aber vor allem mache er jetzt Ferien und freue sich auf die anderen Esel.
Gut. Sie haben ihn gehört. Senden Sie Botschaften, wenn Sie möchten. Berichten Sie den anderen, wenn Sie sich so sehr an sie gewöhnt haben, dass Ihnen etwas fehlen würde. Das könnte sein. Aber haben Sie Geduld. Denken Sie daran, dass manche Sätze zwanzig Jahre brauchen, um weitererzählt zu werden.
Selbstredend - ich werde mein...
Selbstredend – ich werde mein Bestes geben, um Sanchos Esel beim Durchstöbern seines Stalles nicht zu stören: werde nicht unnötig in Stroh und Heu herumwühlen, noch die Futterkrippe umwerfen – ich weiß ja, Sommerferien und so… nein, nein – ich werde mir still und leise einen ersten Teil seines Logbuches zusammenbasteln und mich gleich auf den abenteuerlichen Heimweg inmitten der S-Bahn-Unzulänglichkeiten eines Berliner Sommers machen… in der Gewissheit, beim Lesen einen Erkenntnisgewinn zu provozieren… und richten Sie ihm die besten Grüße aus – Sorgen muss er sich nun wirklich nicht machen…
lalibrera, die Grüße sind...
lalibrera, die Grüße sind ausgerichtet. Sanchos Esel wünscht Spaß und Erbauung bei der Lektüre.