Bevor ich von Brad Pitt und seinem Auftritt beim Filmfestival von San Sebastián berichte, erlauben Sie mir eine Präambel. Es gibt Menschen, Filmkritiker zumal, die ein ziemlich entspanntes Verhältnis zu Hollywoodstars pflegen. Oft bekommen sie nur ein paar Minuten im Gruppeninterview zugeteilt. Die Produktionsfirmen, der Filmverleih, die Agenten, die Stars selbst erlegen dem Ritual strenge Regeln auf, die im praktischen Vollzug – dem Interview – für den Kritiker oft peinliche, manchmal demütigende Formen annehmen. Was kann man da anders werden als depressiv oder philosophisch? Ich glaube, meine Kollegen Filmkritiker haben schon oft und tief in menschliche Abgründe geblickt.
Ich dagegen viel seltener! Vor einigen Jahren widerfuhr mir in San Sebastián das Glück, vom PR-Agenten von Michael Caine angerufen zu werden. Ob ich am morgigen Sonntagvormittag ein zwanzigminütiges Einzelinterview haben wolle?
– Sehr gern, sagte ich. Sie meinen, allein?
– Ja, allein. Sagen wir, um 11 Uhr im Hotel María Cristina?
– Mit Vergnügen.
Es war schön. Michael Caine wird sich nicht daran erinnern, aber ich werde diese Minuten in seiner Suite im Kopf bewahren, so lange ich lebe. Besonders den Augenblick, als ich fragte, ob er seine Rolle in dem Film, in welchem er einen brutalen Boxmanager jenseits der Widerwärtigkeitsgrenze spielt, ein wenig als König Lear-Geschichte verstehe?
– Sie meinen Shakespeare?
– Ja, sagte ich. Der Alte und seine undankbaren Kinder. Ich meine, man könnte doch…
– König Lear kenne ich nicht. Nie gelesen. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie.
Gut. Sie können sich ungefähr ein Bild machen, wie solche Interviews ablaufen. Es gibt immer wieder Überraschungen. Generell halte ich sowieso mehr davon, die Filme zu sehen, als die Schauspieler zu interviewen. Im Fall von Brad Pitt und Quentin Tarantino hat mich jetzt auch niemand angerufen, was mich andererseits nicht wundert. Anrufen tut ja nur jemand, der es nötig hat. Wie gesagt, die Begegnung mit den Stars ist mir nicht so wichtig.
Am Tag vor der Abreise nach San Sebastián aber hatte ich plötzlich Lust, meine Tochter zu beeindrucken. Sie ist dreizehn, da kostet das Beeindrucken etwas mehr Mühe als früher.
– Brad Pitt kommt auch, sage ich beiläufig zu ihr. Nach San Sebastián.
– Im Ernst? Brad Pitt?! He, kannst Du mir ein Autogramm besorgen?
– Auf keinen Fall, sage ich. Unmöglich. Das ist unprofessionell. Wir sind als Filmkritiker da. Nicht als Fans.
– Bitte, Papa! Ein kleines Autogramm!
– Ausgeschlossen, sage ich. Ich komme doch gar nicht an den ran.
– Aber ein Foto kannst Du machen! Nimm deine Kamera mit!
– Ich weiß nicht, ob ich ein Foto machen kann. Da sind tausend Leute, die ein Foto machen wollen!
– Eben! Andere machen auch eins! Nimm deine Kamera mit. Komm!
Also nahm ich die Kamera mit und unterzog mich zum erstenmal in zehn Jahren Festivalberichterstattung der Prozedur, mich eine halbe Stunde vor der Ankunft des Stars mit ausgefahrenen Ellenbogen im Konferenzsaal am Podium aufzubauen, auf das Signal der Saaldiener, Sicherheitsleute und sonstigen Wichtigtuer zu achten und die Kamera in Stellung zu bringen. Eines meiner ersten Fotos sehen Sie oben. Es ging alles sehr schnell, und ich bin es nicht gewohnt, unter widrigen klimatischen Bedingungen und ohne tiefere Reflexion zu arbeiten. Ich habe das Motiv trotzdem liebgewonnen. Ich könnte es für meine Tochter zu einer Brad-Pitt-Strukturtapete verarbeiten.
Ein Problem beim Fotografieren bestand darin, dass ständig die Tür aufging, ohne dass wirklich Brad Pitt herauskam. Mal kam eine kleine Frau heraus, dann ein größerer Mann, danach eine etwas breitere Frau und zum Schluss, glaube ich, ein dünner Mann, für die Zuordnung der Attribute will ich mich jetzt nicht verbürgen. Meine Kamera fokussierte die unkontrolliert näherkommenden und sich wieder entfernenden Körper ohne Unterlass, mein Finger wurde müde, die Schuhe waren zu eng, die Wärme setzte mir auch zu, und dann kam noch ein britischer Kollege mit einer Kamera, die siebenmal mehr wog als meine, aber nur dreimal soviel gekostet hatte, und fragte, ob er sich einen Augenblick vor meine Füße setzen dürfe.
– Are you crazy, man? You’re second row. This is first.
– No problem. Just asking.
– You must be kidding.
Das Fotografieren der Stars bringt nicht die angenehmsten Charaktereigenschaften zum Vorschein. Ich hatte fünf Minuten lang ein schlechtes Gewissen. Dann drehte ich mich um, sah dem britischen Kollegen in sein selbstgefälliges Gesicht und wusste, dass er mich beim Gerangel um die guten Plätze mindestens so mies behandelt hätte, wie ich ihn behandelt hatte. Da fühlte ich mich besser.
Jetzt strich ein kräftiger Mann in einer Art Uniform nervös an unserer wartenden Meute vorbei, schaute in unsere gierigen Augen und rief: „Dos segundos! No más, eh? Luego tenemos que empezar. Vale? Dos segunditos y os marcháis, vale? Que todo eso será dificil de manejar si os quedáis aquí bloqueando la vista de los demás, vale? Dos segunditos!“
Am Ende waren es mindestens dreißig, vierzig Sekunden, die ich mit der Kamera auf die sich bewegenden Figuren hielt und feuerte, was die Linse hergab. Denn plötzlich traten sie heraus, Menschen wie du und ich, Brad Pitt, Quentin Tarantino und der Produzent, dessen Namen ich nachschauen könnte, aber bitte sehen Sie mir nach, dass ich mich jetzt auf das Wesentliche konzentrieren will. Die Magie des Augenblicks. Die atmosphärische Verwandlung. Ein kollektives Stöhnen ging durch den Saal. Blitze schossen kreuz und quer. Wir alle wussten, dass wir uns schamlos und indezent benahmen, und taten es trotzdem. Ich spreche von Journalisten, die keine Fans und keine Groupies waren, sondern an einem normalen Nachmittag um 18:15 Uhr ihrem Beruf nachgingen.
Dummerweise hatte ich mich nicht eindeutig für oder gegen Blitzlicht entschieden. Die Fotos ohne Blitz wurden braun und suppig, die Bilder mit Blitz litten an der üblichen Zeitverzögerung, deren Effekt sich sehr schön auf meinem folgenden Bild studieren lässt. Vielleicht lag es aber auch daran, dass der britische Kollege mich zur Seite gestoßen hat.
Am Ende half mir mein geschätzter Kollege Georges Hausemer aus. Er hat auch eine Kamera, die siebenmal soviel wiegt wie meine, aber er ist außerdem erfahren, weitgereist und ein guter Fotograf. Neulich war er in Iran. Er ist ein Mann, der mit gefährlichen Situationen umgehen kann.
– Ich kann Dir Bilder schicken, wenn du willst, sagte er.
– Würdest du das tun?
– Kein Problem.
– Dann kann ich mich auf das andere konzentrieren, sagte ich.
Das schöne Brad-Pitt-Foto über diesen Zeilen, auf dem man besonders gut seine kräftigen Muskeln würdigen kann, ist von Georges Hausemer. Das Hemd spannt sich mächtig, können Sie es sehen? Von seinen Muskeln habe ich noch gar nicht gesprochen! Auch nicht von seinem zusseligen Bart und dem madonnenhaften Blick, den Sie hier ebenfalls gut im Detail betrachten können. Meine neueste Theorie ist, dass der Bart in Richtung Jesus Christus, der fromm nach oben gewandte Blick in Richtung Jungfrau Maria zielt. Ikonographisch gesprochen. Damit ließe sich vielleicht auch die große Popularität des Mannes erklären. Mein Eindruck war tatsächlich, dass er bei seinen Fans tiefverankerte Gläubigkeitswünsche auslöst, um sie dann wie einen Lichtkegel geschickt auf seine eigene Person zu lenken. Nur eine Theorie.
Leider haben wir hier gar nicht von dem gesprochen, was Brad Pitt gesagt hat. Seinem Wort, gewissermaßen. Der Botschaft. Dafür ist keine Zeit mehr. Ich kann aber vorausschicken, dass Brad Pitt auf mich einen sehr netten Eindruck gemacht hat. Gütig. Volksnah. Mit einem freundlichen Wort für Reiche und Arme. Er sagte uns sogar, er genieße den Kontakt mit seinem Publikum, was mehr ist, als ich von meinem Kontakt mit den Stars sagen kann. Auch darin äußerte sich, fand ich, seine Botschaft an uns alle.
I forgive you, son....
I forgive you, son.
Ich hatte darauf gehofft....
Ich hatte darauf gehofft. Danke.
sehr schoen. michael caine....
sehr schoen. michael caine. welch konsistenz. herrlich.
paul ingendaay, vielen dank.
–
ich habe eine frage an die geneigte leserschaft. ich bin – bekanntermassen – nicht der groesste fan spaniens. trotzdem sind einige meiner absoluten lieblingsorte auf der welt in spanien: allem voran der prado.
hier meine frage: woran liegt es, dass madrid mich in der regel kalt laesst, der prado mich aber beruehrt, wie selten etwas?
ich kann mir das nicht wirklich erklaeren – und das flaemische an den flaemischen meistern ist die antwort nicht…
Vielen Dank fuer die...
Vielen Dank fuer die Stargeschichte, Don Paul, aber wir erhoffen uns auch noch ein paar Bemerkungen ueber die Filme, die zu sehen sind.
Was Brad Pitt angeht, sein Verhaeltnis zu den Fotografen und auch sich selbst, gibt es ein schoenes Lied von den Wise Guys, die Sie als Koelner ja vielleicht auch kennen. Ich setze hier mal einen link zu Youtube, wenn es gestattet ist:
https://www.youtube.com/watch?v=gwOq96fRwzI
Zu Ihren Bildern eine Frage: haben sie diese – wie heute vielfach ueblich – mit einer Hand gemacht? Dabei ist die Gefahr besonders gross zu verwackeln. Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege, aber hell genug duerfte es bei einer Pressekonferenz eigentlich gewesen sein. Ausserdem reicht der Blitz bei den kleinen Kameras nur 1-2 m weit und kommt nicht annaehernd an die normale Beleuchtung heran. Aber ich bin sicher, Ihrer Tochter werden sie auf jeden Fall gefallen, da sie ja selbst gemacht und damit authentisch sind.
Viel Spass noch.
<p>Nein, HenryCharms, die...
Nein, HenryCharms, die Fotos sind einfach auf authentische Weise schlecht. Ich habe die Kamera mit beiden Händen gehalten. Aber die Bedingungen waren nicht die besten. Für einen Fotografen wie mich.
Ein längerer Bericht über die interessantesten Filme soll bald in der Zeitung stehen, voraussichtlich am Donnerstag auf unserer Kinoseite. Heute wird in „El País“ der argentinische Film „El secreto de sus ojos“ gelobt. Das war bisher der beste. Mit ziemlichem Abstand.
Die Fotos sind "auf...
Die Fotos sind „auf authentische Weise schlecht“, Don Paul, das hat mir gut gefallen. Der Bart des Propheten ist ja auch „auf authentische Weise schlecht“. So paßt es dann wieder. Ich habe auch sehr über die Brad-Pitt-Strukturtapete lachen müssen – ich finde das eigentlich recht avantgardistisch, das Foto. abfeldmann, Sie nicht? Ich dachte, Sie sind ein „visueller Mensch“? So schrieben Sie doch einmal. Wenn ich mich recht erinnere. Ich glaube, Sie schätzen den Prado deswegen. Mich berührt der Prado übrigens auch sehr. Sollten wir da etwa eine Gemeinsamkeit haben?
Da ich davon ausgehe, dass der...
Da ich davon ausgehe, dass der überwiegende Teil der Bloggemeinde (sorry dulcinea!) männlich ist, hier die unvermeidliche Frage:
Wo ist das Foto von Angelina????
Sehr amüsante Geschichte, Don Paul. Mehr davon!
Oh, das ist ein harter Job!...
Oh, das ist ein harter Job! Was soll man davon halten? Ich kennne die Situation so: Die Fotografen kämpfen wie die Löwen, um einen guten Platz zu ergattern, mit Stühlen, Klapptritten und Leitern, auf denen sie einen besseren Blick für sich erhoffen, oder wenigstens den anderen Fotografen hinter sich die Sicht zu versperren. Der Kampf um die Liegestühle, die Briten vs. Deutsche am Swimmingpool in der Werbung und auf Malle schlagen, sind ein Witz dagegen. Andere Unbeteiligte sind nicht zu beachten: lieber gleich niedertrampeln. Und am Tag danach sieht man auf allen Zeitungen dasselbe Foto. Was ist mit den anderen passiert? Waren sie nur Staffage? Sind sie alle leer ausgegangen? In diesem Falle verstehe ich, warum so verbissen um den besten Platz gekämpft wird, das ist existentiell. Dann kommt die PK. Vier oder fünf Journalisten kommen dazu, eine Frage zu stellen. Warum die, und nicht andere? Am Tag danach schreiben aber alle von Reuters ab, alle genau dasselbe. Wozu sind alle da? Wie fühlt man sich als Journalist/Fotograf danach? Mir kam diese Situation immer traurig und surreal vor.
Eine andere Frage, Herr Ingendaay, wenn Sie erlauben: Wissen Sie, ob ihre Tochter Ihre Beiträge liest?
Die Fotos sind bemerkenswert interessant. Haben Sie schon versucht, die Gebrachsanweisung der Digitalkamera zu studieren? RTFM hilft manchmal…
Mein Lieblingsgemälde im...
Mein Lieblingsgemälde im Prado wird von den meisten Besuchern übersehen. Es zeigt einen Hund, genauer gesagt den Kopf eines Hundes und zwei Farbflecken. Ich mag im übrigen Hunde nicht.
Danke für Ihre freundliche...
Danke für Ihre freundliche Würdigung, Dulcinea. Vielleicht sollte ich mich in die Fotografie stürzen! Hätte ich im Angesicht von Brad Pitt gute Fotos gemacht, hätte ich natürlich die besten für diesen Blog ausgewählt. Da ich aber vor allem misslungene gemacht habe, musste ich die schlechtesten auswählen. Das gebietet die Logik.