Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Brad Pitt war leibhaftig unter uns und hat zu uns gesprochen

| 64 Lesermeinungen

Bevor ich von Brad Pitt und seinem Auftritt beim Filmfestival von San Sebastián berichte, erlauben Sie mir eine Präambel. Es gibt Menschen, Filmkritiker zumal, die ein ziemlich entspanntes Verhältnis zu Hollywoodstars pflegen. Oft bekommen sie nur ein paar Minuten im Gruppeninterview zugeteilt. Die Produktionsfirmen, der Filmverleih, die Agenten, die Stars selbst erlegen dem Ritual strenge Regeln auf, die im praktischen Vollzug - dem Interview - für den Kritiker oft peinliche, manchmal demütigende Formen annehmen. Was kann man da anders werden als depressiv oder philosophisch? Ich glaube, meine Kollegen Filmkritiker haben schon oft und tief in menschliche Abgründe geblickt.

Bevor ich von Brad Pitt und seinem Auftritt beim Filmfestival von San Sebastián berichte, erlauben Sie mir eine Präambel. Es gibt Menschen, Filmkritiker zumal, die ein ziemlich entspanntes Verhältnis zu Hollywoodstars pflegen. Oft bekommen sie nur ein paar Minuten im Gruppeninterview zugeteilt. Die Produktionsfirmen, der Filmverleih, die Agenten, die Stars selbst erlegen dem Ritual strenge Regeln auf, die im praktischen Vollzug – dem Interview – für den Kritiker oft peinliche, manchmal demütigende Formen annehmen. Was kann man da anders werden als depressiv oder philosophisch? Ich glaube, meine Kollegen Filmkritiker haben schon oft und tief in menschliche Abgründe geblickt.

Ich dagegen viel seltener! Vor einigen Jahren widerfuhr mir in San Sebastián das Glück, vom PR-Agenten von Michael Caine angerufen zu werden. Ob ich am morgigen Sonntagvormittag ein zwanzigminütiges Einzelinterview haben wolle?
– Sehr gern, sagte ich. Sie meinen, allein?
– Ja, allein. Sagen wir, um 11 Uhr im Hotel María Cristina?
– Mit Vergnügen.

Es war schön. Michael Caine wird sich nicht daran erinnern, aber ich werde diese Minuten in seiner Suite im Kopf bewahren, so lange ich lebe. Besonders den Augenblick, als ich fragte, ob er seine Rolle in dem Film, in welchem er einen brutalen Boxmanager jenseits der Widerwärtigkeitsgrenze spielt, ein wenig als König Lear-Geschichte verstehe?
– Sie meinen Shakespeare?
– Ja, sagte ich. Der Alte und seine undankbaren Kinder. Ich meine, man könnte doch…
– König Lear kenne ich nicht. Nie gelesen. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie. 

Bild zu: Brad Pitt war leibhaftig unter uns und hat zu uns gesprochen

Gut. Sie können sich ungefähr ein Bild machen, wie solche Interviews ablaufen. Es gibt immer wieder Überraschungen. Generell halte ich sowieso mehr davon, die Filme zu sehen, als die Schauspieler zu interviewen. Im Fall von Brad Pitt und Quentin Tarantino hat mich jetzt auch niemand angerufen, was mich andererseits nicht wundert. Anrufen tut ja nur jemand, der es nötig hat. Wie gesagt, die Begegnung mit den Stars ist mir nicht so wichtig.

Am Tag vor der Abreise nach San Sebastián aber hatte ich plötzlich Lust, meine Tochter zu beeindrucken. Sie ist dreizehn, da kostet das Beeindrucken etwas mehr Mühe als früher. 

– Brad Pitt kommt auch, sage ich beiläufig zu ihr. Nach San Sebastián.
– Im Ernst? Brad Pitt?! He, kannst Du mir ein Autogramm besorgen?
– Auf keinen Fall, sage ich. Unmöglich. Das ist unprofessionell. Wir sind als Filmkritiker da. Nicht als Fans.
– Bitte, Papa! Ein kleines Autogramm!
– Ausgeschlossen, sage ich. Ich komme doch gar nicht an den ran.
– Aber ein Foto kannst Du machen! Nimm deine Kamera mit!
– Ich weiß nicht, ob ich ein Foto machen kann. Da sind tausend Leute, die ein Foto machen wollen!
– Eben! Andere machen auch eins! Nimm deine Kamera mit. Komm!

Bild zu: Brad Pitt war leibhaftig unter uns und hat zu uns gesprochen

Also nahm ich die Kamera mit und unterzog mich zum erstenmal in zehn Jahren Festivalberichterstattung der Prozedur, mich eine halbe Stunde vor der Ankunft des Stars mit ausgefahrenen Ellenbogen im Konferenzsaal am Podium aufzubauen, auf das Signal der Saaldiener, Sicherheitsleute und sonstigen Wichtigtuer zu achten und die Kamera in Stellung zu bringen. Eines meiner ersten Fotos sehen Sie oben. Es ging alles sehr schnell, und ich bin es nicht gewohnt, unter widrigen klimatischen Bedingungen und ohne tiefere Reflexion zu arbeiten. Ich habe das Motiv trotzdem liebgewonnen. Ich könnte es für meine Tochter zu einer Brad-Pitt-Strukturtapete verarbeiten. 

Ein Problem beim Fotografieren bestand darin, dass ständig die Tür aufging, ohne dass wirklich Brad Pitt herauskam. Mal kam eine kleine Frau heraus, dann ein größerer Mann, danach eine etwas breitere Frau und zum Schluss, glaube ich, ein dünner Mann, für die Zuordnung der Attribute will ich mich jetzt nicht verbürgen. Meine Kamera fokussierte die unkontrolliert näherkommenden und sich wieder entfernenden Körper ohne Unterlass, mein Finger wurde müde, die Schuhe waren zu eng, die Wärme setzte mir auch zu, und dann kam noch ein britischer Kollege mit einer Kamera, die siebenmal mehr wog als meine, aber nur dreimal soviel gekostet hatte, und fragte, ob er sich einen Augenblick vor meine Füße setzen dürfe.
– Are you crazy, man? You’re second row. This is first.
– No problem. Just asking.
– You must be kidding. 

Das Fotografieren der Stars bringt nicht die angenehmsten Charaktereigenschaften zum Vorschein. Ich hatte fünf Minuten lang ein schlechtes Gewissen. Dann drehte ich mich um, sah dem britischen Kollegen in sein selbstgefälliges Gesicht und wusste, dass er mich beim Gerangel um die guten Plätze mindestens so mies behandelt hätte, wie ich ihn behandelt hatte. Da fühlte ich mich besser. 

Jetzt strich ein kräftiger Mann in einer Art Uniform nervös an unserer wartenden Meute vorbei, schaute in unsere gierigen Augen und rief: „Dos segundos! No más, eh? Luego tenemos que empezar. Vale? Dos segunditos y os marcháis, vale? Que todo eso será dificil de manejar si os quedáis aquí bloqueando la vista de los demás, vale? Dos segunditos!“ 

Am Ende waren es mindestens dreißig, vierzig Sekunden, die ich mit der Kamera auf die sich bewegenden Figuren hielt und feuerte, was die Linse hergab. Denn plötzlich traten sie heraus, Menschen wie du und ich, Brad Pitt, Quentin Tarantino und der Produzent, dessen Namen ich nachschauen könnte, aber bitte sehen Sie mir nach, dass ich mich jetzt auf das Wesentliche konzentrieren will. Die Magie des Augenblicks. Die atmosphärische Verwandlung. Ein kollektives Stöhnen ging durch den Saal. Blitze schossen kreuz und quer. Wir alle wussten, dass wir uns schamlos und indezent benahmen, und taten es trotzdem. Ich spreche von Journalisten, die keine Fans und keine Groupies waren, sondern an einem normalen Nachmittag um 18:15 Uhr ihrem Beruf nachgingen.   

Dummerweise hatte ich mich nicht eindeutig für oder gegen Blitzlicht entschieden. Die Fotos ohne Blitz wurden braun und suppig, die Bilder mit Blitz litten an der üblichen Zeitverzögerung, deren Effekt sich sehr schön auf meinem folgenden Bild studieren lässt. Vielleicht lag es aber auch daran, dass der britische Kollege mich zur Seite gestoßen hat.

Bild zu: Brad Pitt war leibhaftig unter uns und hat zu uns gesprochen

Am Ende half mir mein geschätzter Kollege Georges Hausemer aus. Er hat auch eine Kamera, die siebenmal soviel wiegt wie meine, aber er ist außerdem erfahren, weitgereist und ein guter Fotograf. Neulich war er in Iran. Er ist ein Mann, der mit gefährlichen Situationen umgehen kann.
– Ich kann Dir Bilder schicken, wenn du willst, sagte er.
– Würdest du das tun?
– Kein Problem.
– Dann kann ich mich auf das andere konzentrieren, sagte ich.

Bild zu: Brad Pitt war leibhaftig unter uns und hat zu uns gesprochen

Das schöne Brad-Pitt-Foto über diesen Zeilen, auf dem man besonders gut seine kräftigen Muskeln würdigen kann, ist von Georges Hausemer. Das Hemd spannt sich mächtig, können Sie es sehen? Von seinen Muskeln habe ich noch gar nicht gesprochen! Auch nicht von seinem zusseligen Bart und dem madonnenhaften Blick, den Sie hier ebenfalls gut im Detail betrachten können. Meine neueste Theorie ist, dass der Bart in Richtung Jesus Christus, der fromm nach oben gewandte Blick in Richtung Jungfrau Maria zielt. Ikonographisch gesprochen. Damit ließe sich vielleicht auch die große Popularität des Mannes erklären. Mein Eindruck war tatsächlich, dass er bei seinen Fans tiefverankerte Gläubigkeitswünsche auslöst, um sie dann wie einen Lichtkegel geschickt auf seine eigene Person zu lenken. Nur eine Theorie.

Leider haben wir hier gar nicht von dem gesprochen, was Brad Pitt gesagt hat. Seinem Wort, gewissermaßen. Der Botschaft. Dafür ist keine Zeit mehr. Ich kann aber vorausschicken, dass Brad Pitt auf mich einen sehr netten Eindruck gemacht hat. Gütig. Volksnah. Mit einem freundlichen Wort für Reiche und Arme. Er sagte uns sogar, er genieße den Kontakt mit seinem Publikum, was mehr ist, als ich von meinem Kontakt mit den Stars sagen kann. Auch darin äußerte sich, fand ich, seine Botschaft an uns alle. 


64 Lesermeinungen

  1. Madrid sagt:

    <p>Noch einmal eine Bemerkung...
    Noch einmal eine Bemerkung zur Technik: Es gibt imer noch Störungen auf der Blogseite. Manchmal lassen sich die Blogs nicht öffnen. Manchmal werden Kommentare geschluckt. Benachrichtigungen per E-Mail an mich, die eingegangene Kommentare anzeigen, gibt es schon seit längerem nicht mehr. Bitte wundern Sie sich also nicht und bleiben Sie uns treu. Ich bitte um noch mehr Geduld, als wir alle schon gezeigt haben.
    *
    pardel, an meinen fotografischen Fertigkeiten will ich wirklich arbeiten. Früher dachte ich mal, es sei mit Schreiben getan. Das habe ich geübt. Doch jetzt eröffnen sich für mich überraschende Weiterbildungschancen. Ich sehe das mit großer Spannung. Pressefotografen genießen übrigens meinen höchsten Respekt. Der Kampf ist so hart, wie Sie ihn beschreiben.
    Was meine Tochter betrifft, habe ich sowohl sie wie auch die Mama um Abdruckerlaubnis gebeten. Soeben hat mich meine Tochter allerdings am Telefon dafür geschimpft, dass ich an Brad Bitt keine Frage gerichtet habe.
    – Die ANDEREN haben Fragen gestellt, sage ich.
    – Aber DU hättest eine stellen sollen!
    – Ich kenne den Film doch gar nicht. Er läuft hier nicht im Wettbewerb…
    – Du hättest trotzdem eine Frage stellen sollen!
    – Und warum?
    – Damit Du sagen kannst, Du hast Brad Pitt eine Frage gestellt.
    So lief das. Haben Sie ein ungefähres Bild?

  2. Madrid sagt:

    hadee, die fragliche Dame war...
    hadee, die fragliche Dame war nicht da. Sie ist vielfache Mutter bzw. übt vielfache Mutterfunktionen aus. Brad Pitt war aber guter Laune.
    *
    JorgeValencia, Ihr Prado-Bild wäre unter den ersten drei auf meiner nicht gerade kurzen Liste der zu stehlenden Prado-Bilder.

  3. Dulcinea sagt:

    Haadee, Sie Schläfer! Wenn...
    Haadee, Sie Schläfer! Wenn ich Sie einmal so nennen darf! Ich muß ein paar Dinge klarstellen. Es waren einmal wenige Damen auf diesem Blog, da haben Sie recht. Aber wir sind mehr geworden. Meine liebe pastora-marcela ist da, wir haben Chus, Gatamad, die leider nicht mehr schreibt, lalibrera… gut, ich muß sie nicht alle aufzählen. Sie wissen ja. Ich bin da guter Hoffnung. Don Paul bestimmt auch. Zweitens: Angelina Jolie IST einfach schöner als Brad Pitt. Das ist die reine Wahrheit. Oftmals sind Frauen schöner als Männer, haben Sie das einmal beobachtet? Das scheint ein Gesetz des Lebens zu sein. Drittens: darf ich Sie daran erinnern, haadee, daß Sie damals genug von Penélope Cruz hatten und die Diskussion auf Boris Becker brachten? Ich bin darüber noch immer nicht vollständig hinweg.
    ***
    JorgeValencia, glauben Sie wirklich, das von Ihnen erwähnte schöne Bild im Prado wird übersehen? Es prangt jedenfalls auf vielfältigen Souvenirartikeln im Museumsshop.
    ***
    Don Paul, wo kann ich mich über diesen unzumutbaren Zustand der Blogseiten beschweren?

  4. pardel sagt:

    Ja, ich kann mir durchaus ein...
    Ja, ich kann mir durchaus ein ungefähres Bild machen. Ich verstehe, was sie meint, auch wenn ich in ihrem Alter nach anderen Rollenmodellen schmachtete. Das waren ja auch andere Umstände.
    Ein Tipp zur Digitalkamera: kaufen Sie sich eine große Speicherkarte, und machen Sie Fotos wie wild. Verändern Sie ab und an die Einstellungen, auch zufällig. Irgend ein Bild wird schon was. Wenn Sie die Bilder dann im Computer betrachten, klicken Sie mit der rechten Maustaste darauf, dann erscheinen bei den meisten Programmen die Kameraeinstellungen, die Sie bei diesem Bild gewählt hatten. Da wissen Sie, was Sie richtig gemacht haben, und Sie können es das nächste Mal wieder.
    Es wäre vielleicht leichter, den Prado zu besetzen, als all die Bilder mitzunehmen, die man gerne hätte. Das Gebäude hat einige sehr nette Zimmer, schade, dass man die Fenster nicht öffenen kann und es zu wenige Stühle hat.

  5. Madrid sagt:

    <p>Dulcinea, vielleicht wäre...
    Dulcinea, vielleicht wäre ein Leserinnenbrief hilfreich. Man bekommt nicht immer Antwort. Das ist ein bisschen wie bei Kafka. Aber die Briefe werden gelesen.
    *
    Danke für die Hinweise, pardel. Vielleicht darf ich im Lauf der Monate an dieser Stelle meine Fortschritte präsentieren?

  6. pardel sagt:

    Selbstverständlich dürfen...
    Selbstverständlich dürfen Sie das, das ist doch Ihr Blog. So schlecht waren die Bilder aus Santiago ja auch nicht, das ist ausbaufähig. Bei der beschriebenen Methode dürfen Sie nur keine Scheu haben, den Müll zu löschen, sonst wird die größte Festplatte schnell voll.

  7. Madrid sagt:

    Santiago! Da sagen Sie etwas....
    Santiago! Da sagen Sie etwas. Ich hatte ja meine Kamera vergessen. Die Fotos habe ich mit dem Telefon gemacht.

  8. Dulcinea sagt:

    Geht in Ordnung. Wegen des...
    Geht in Ordnung. Wegen des Leserinnenbriefes, meine ich. Oh, ich vergaß. Ich finde den Eintrag großartig! Ich habe sehr gelacht! Männer müssen irgendwie immer Verbesserungshinweise geben. Ich als technisch unbegabte Frau darf an dieser Stelle einfach sagen: danke! Ohne diese Bilder hätten wir einen nur halb so amüsanten Text. Das wäre schade.

  9. haadee sagt:

    <p>@dulcinea - wer schläft,...
    @dulcinea – wer schläft, sündigt nicht. Ok, ich gebe zu , dass meine Einträge in der letzten Zeit etwas sparsam ausgefallen sind. Dennoch habe ich diesen wunderbaren Blog mit großer Aufmerksamkeit und regelmäßig verfolgt. Ich gestehe aber, dass ich als Bauerjunge vom unteren linken Niederrhein (Sie wissen, dass unser verehrter Don Paul als Literaturpreisträger desselben eine besondere Beziehung zu dieser Region hat) nicht immer den literarischen Exkursionen folgen konnte. Und der spanischen Sprache bin ich nun leider auch nicht mächtig. Beim Boulevard aber und den Sportthemen, ja, da bin ich zuhause… und natürlich den schönen Frauen!
    Ich entschuldige mich selbstverständlich bei allen anderen Damen dieses Blogs, dass ich sie nicht ausdrücklich benannt habe. Das „arme Bauernmädchen“ hat aber, wie ich finde, eine besondere Erwähnung verdient.

  10. Madrid sagt:

    hadee, genug der...
    hadee, genug der Selbstgeißelung. Ich bin sicher, alle Damen haben Ihnen längst verziehen.

Kommentare sind deaktiviert.