Wowi hat es nicht schlecht gemacht. Aber wie komme ich dazu, ihn „Wowi“ zu nennen?
Nun ja, man hört es eben so. Wie man ja auch „Klinsi“ und „Poldi“ hört. Wir Deutschen neigen zu solchen Verballhornungen, die falsche Vertraulichkeit vorspiegeln. Jedenfalls hat Klaus Wowereit, Berlins Regierender Bürgermeister, am Freitagabend in Oviedo mit unleugbarer Haltung den Prinz-von-Asturien-Preis für Eintracht entgegengenommen. Die mit fünfzigtausend Euro dotierte Auszeichnung geht an die Stadt Berlin „zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer“. Deswegen waren auch Mompi und… Diepi? Diepgi…? Deswegen waren auch seine beiden Amtsvorgänger Walter Momper und Eberhard Diepgen dabei. Die Rede hielt aber Wowi, weshalb ich eingangs sagte, er habe es nicht schlecht gemacht.
Oder sagen wir, Wowi entsprach den Erwartungen, indem er lauter vernünftige, unanfechtbare, unoriginelle Dinge äußerte, wie man es bei solchen Anlässen meistens tut. Seine Rhetorik, na ja. Ich weiß nicht, wer ihm die Reden schreibt. Außerdem hat Wowi eine laute Stimme, von der ich mir nicht sicher bin, ob ich sie dauernd hören will, aber das ist eine andere Frage. Diepi oder Diepgi trug übrigens eine gelbe Krawatte. Und Mompi eine rote. Weil er den legendären roten Schal nicht dabeihatte. Ich glaube, er wird sich schon manchmal gefragt haben, ob das mit dem roten Schal, damals vor zwanzig Jahren, wirklich eine gute Idee war. Es ist ja ein eher banales Kleidungsstück, und die eigene Präsenz in der deutschen Geschichte immer mit diesem roten Schal verbunden zu sehen (Genschers gelber Pullunder war etwas ganz anderes) könnte einem irgendwann auf die Nerven gehen. Man sieht Mompi und fragt sich: Wo hat er denn den roten Schal gelassen?
Einen kleinen Einwand muss ich vorbringen. Die Stadt Berlin ist als Preisempfängerin meines Erachtens zu groß. Der wesentliche Teil der Bevölkerung hat mit der Wiedervereinigung nur insofern zu tun, als er unwillkürlich Zeuge, Zaungast, oft auch nur Fernsehzuschauer war. Dass sich vor der eigenen Haustür epochale Geschichte abspielt, mag interessant sein, ist aber kein Verdienst, das in Asturien prämiert werden müsste. Andererseits wird mit der Auszeichnung für Berlin der enorme Anteil des Ostens geschmälert. Weder Leipzig noch die Montagsdemonstrationen noch die Bürgerrechtsbewegung kommen in dieser Würdigung vor. Mit allem Respekt vor Mompi, die eigentlichen Taten vollbrachten doch andere. Leider hat die Stiftung so die Chance verpasst, den Spaniern ein etwas komplexeres Bild der deutschen Wiedervereinigung zu vermitteln. Neben der Erosion eines abgewirtschafteten Systems und der friedlichen Revolution wäre es an der Zeit gewesen, auch einmal von dem zu sprechen, was verschwunden ist. Jetzt steht fest, dass dazu auch das Gedenken an die DDR-Opposition gehört.
Die Verleihung der Prinz-von-Asturien-Preise (über deren lange Ehrenliste eine mehrsprachige Webseite informiert) hat mir in den letzten zehn Jahren schon sehr schöne Erlebnisse beschert. Das Ritual hat sich in diesen zehn Jahren nicht verändert, nur verfeinert. Am Vormittag werden wir mit einer Chartermaschine nach Oviedo eingeflogen und kurz vor Mitternacht wieder zurück nach Madrid gebracht. Auch von Barcelona aus startet ein Flugzeug. Die Preisträger sind bereits früher angereist, halten Vorträge, geben Pressekonferenzen und lassen sich bis zur Erschöpfung fotografieren. Man könnte sagen, wer sich der Kultur, dem Königshaus, dem Kronprinzen, den Preisträgern oder sonst jemandem in Oviedo verbunden fühlt, muss an diesem Tag kommen. Wichtige Geschäftsleute, Starmoderatoren und sogenannte Kulturschaffende sind dabei, daneben auch Sanchos Esel, Ihr bescheidener Blogger und Berichterstatter. Die Damen haben Handkoffer dabei, damit sie sich für die Verleihungszeremonie um 18:30 im Teatro Campoamor umziehen können. Ich habe nur meinen Computer. Und mein Telefon, mit dem ich die bekannt mäßigen Fotos mache.
Das Feldlager und Hauptquartier, um es einmal so zu nennen, befindet sich im Hotel Reconquista, der edelsten Herberge am Ort. Ich habe Ihnen ein Foto von der Lobby mitgebracht, in welcher ein müder Mann gegen 15:30 sein Schläfchen hielt. Kein Wunder. Das opulente Mittagsbüffet, zu welchem Kronprinz Felipe mit Doña Letizia erscheint, hat es in sich. Manche nutzen die Gelegenheit, fabada zu essen, den überaus sättigenden asturischen Bohneneintopf. Vielleicht war das der Grund, warum den Herrn im Vordergrund dieses Bildes die Müdigkeit überfiel.
Hier, im Reconquista, haben sich in den Monaten zuvor die Jurys getroffen, um in acht Sparten die Preisträger zu ermitteln. Ich weiß noch, wie lustig es war, in ein und demselben Jahr – 1999 – Günter Grass und Steffi Graf geehrt zu sehen. Die Prinz-von-Asturien-Stiftung hat sich viel darauf zugutegehalten, Grass ihren Preis zugesprochen zu haben, bevor uns wenige Monate darauf die Nachricht vom Nobelpreis erreichte.
So etwas liebt man hier: Große Namen, die durch Akklamation noch größer werden. Der Sinn fürs Ewige, Sinnstiftende und feierlich Überhöhte ist so ausgeprägt, dass auf Bildschirmen im Hotel in Endlosschleife die Preisverleihungen früherer Jahre zu sehen sind. Helmut Kohl, Michail Gorbatschow, Fernando Alonso und immer wieder der Kronprinz, der im Vollzug seiner repräsentativen Pflichten älter geworden ist (dieses Jahr trägt er Bart und unterstreicht durch die Seriosität der ersten Grautöne ums Kinn seinen Anspruch auf den spanischen Thron), bilden Teil einer visuellen Dauerberieselung, mit der die Stiftung ihr jährlich anschwellendes Preisverleihungswerk propagiert und in eine kaum noch vorstellbare Ewigkeit projiziert. Solange es Oviedo gibt, denkt man, wird es diesen festlichen Tag Ende Oktober geben.
Es ist auch der Tag, an dem ich La Nueva España kaufe, eine Zeitung, die sonst nicht zu meinen täglichen Lektüren gehört, sowie La Voz de Asturias, für welche dasselbe gilt. La Nueva España bringt an diesem Tag eine hundertseitige Beilage zur Preisverleihung, die gründliche Lektüre erfordert. Ich studiere sie jedes Jahr. Alle Preisträger werden noch einmal ausführlich vorgestellt. Viele Fotos zeigen den Kronprinzen in seinem Reich. Und praktische Infografiken, wie die spanische Presse sie gern und häufig einsetzt, erklären uns ganz genau, auf welchem Stuhl welcher Preisträger sitzt (die Preisträger sitzen auf der Bühne immer links). Auch wenn Sie die Bildlegende nicht sehen können, Wowi trägt auf der obigen Grafik die Nummer 1.
Das Schönste dieses Tages sind allerdings nicht die Berühmten, sondern die vielen tausend Asturier, die auf den Straßen unterwegs sind, darunter phantastisch zurechtgemachte Trachtengruppen aus dem ganzen Fürstentum, Trommler, gaiteros, sowohl junge wie alte. Den ganzen Tag ist im Stadtzentrum Musik zu hören, eine Musik, die viel älter ist als der Ruhm irgendeines Menschen hier. Wenn die Preisträger ins Hotel gehen, werden sie von den Leuten bejubelt und beklatscht. Für diese Begeisterung, die keines Leistungsnachweises bedarf, kenne ich keine Parallele. Sie ist anrührend und verrät Vertrauen in die gerechte Ordnung der Dinge, die in Oviedo Jahr um Jahr bekräftigt wird: dass würdige Frauen und Männer eine würdige Ehrung verdienen. Seit neunundzwanzig Jahren geht das jetzt so; das Jubiläumsjahr 2010 wird sicherlich groß gefeiert werden.
Manche meiner Fotos legen den Gedanken nahe, durch die Trachten und die Absperrungsgitter werde noch einmal der Unterschied zwischen Würdenträgern (autoridades) und dem einfachen Volk inszeniert. In Wahrheit ist es natürlich eine Simulation, denn die Trachten, die in aufwendiger Handarbeit gefertigt werden, stellen einen viel höheren Wert dar als etwa die blaue Polizeiuniform oder die profane Alltagskluft eines gewöhnlichen Passanten. Sonderbarer ist da schon mein Eindruck, durch die Trachten würden auch die Gesichter in ihnen älter. Ich meine nicht biologisches, sondern geschichtliches Alter. Nicht nur die Frauen, auch die jungen Mädchen kommen mir so vor, als seien sie dem vorvorletzten Jahrhundert oder noch früheren Zeiten entsprungen. Und wenn ich genau darüber nachdenke, ist das einer der Gründe, warum ich so gern zur Verleihung der Prinz-von-Asturien-Preise nach Oviedo komme: So junge Gesichter, die es schon seit Hunderten von Jahren gibt, sieht man nicht oft.
Schön, Sie wieder zu lesen,...
Schön, Sie wieder zu lesen, Don Paul! Ich hatte schon befürchtet, Ihnen wäre in der Buchmesse der Computer gestohlen worden!
Dulcinea: Ich würde mich auf eine Fortsetzung Ihrer philosophischen Botanik freuen, bin auch gerne bereit, Nüsse abzuzählen und zu essen, aber dass Pinienkerne keine Schale haben, sehe ich anders. Oder heisst das harte Holz drumherum bei Pinienkernen einfach nicht Schale, sondern… ja, wie dann? Botanik birgt viele Überraschungen: Paprikaschoten sind keine Schoten, sondern Beeren, hingegen Himbeeren keine Beeren sind, sondern Mehrkornfrüchte, dafür zählen Holunderbeeren zum Steinobst. Meinten Sie so eine Unterscheidung, als Sie schrieben, Pinienkerne hätten keine Schale?
Kohl, Grass, S. Graf, M. Schumacher, die ganze Stadt Berlin, Habermas, Dahrendorf, Enzensberger, R. Mohn, Genscher… diese Jury scheint mir sehr gemanophil zu sein.
Berlins Schulden wachsen zinsbedingt bei einem Schuldenstand von 60 Milliarden Euro um mehr als 183.000 Euro stündlich. Wegen des Preisgeldes in Höhe von 50.000 Euro hätte sich die Reise nicht gelohnt, aber wenn „Wowi“, Diepgen (dessen Kosenamen nicht druckreif sind, jedenfalls nicht die mir geläufigen) und „Mompi“ uns für einen Tag erspart geblieben sind, ist das auch was. Man hat ihre Abwesenheit hier in der Berliner Provinz nicht gleich gemerkt, auch unsere Haushaltslage ist trotz der Reise- und Übernachtungskosten nicht wesentlich schlechter geworden. Wenn es für eine gute Sache ist, und Wowi die echte, richtig schäumig eingeschenkte asturische sidra entdeckt hat, ist das auch was wert. Vielen Dank an Asturien!
Ihre Berliner Perspektive,...
Ihre Berliner Perspektive, pardel, amüsiert mich. Darauf hatte ich gehofft.
pardel, Sie sind ein...
pardel, Sie sind ein aufmerksamer Leser, das ist schön. Die von Ihnen bevorzugten Pinienkerne, das wollte ich wohl sagen, unterscheiden sich einfach von allen anderen Schließ- und Schalenfrüchten darin, daß sich kein Fruchtgehäuse außen darum herum befindet. Das habe ich wohl nicht so gut ausgedrückt. Die Wacholderbeere ist übrigens ein ebensolcher Nacktsamer. Die Grimms nannten den Wacholder auch gern Machandel. Was wiederum nichts mit Mandel zu tun hat. — Don Paul, ich hoffe, sie haben der Jury meine Nußtheorie weitergegeben? Zehn Nüsse, nicht weniger, nicht mehr? Diese Leute scheinen recht dringend ein besseres Gedächtnis zu benötigen.
Nein, Dulcinea, Ihre...
Nein, Dulcinea, Ihre Nusstheorie habe ich in Oviedo nicht weitergegeben. Das habe ich leider versäumt. Ich weiß auch nicht, wo ich mit meinen Gedanken war. Verzeihen Sie.
Pardel, immerhin haben "wir"...
Pardel, immerhin haben „wir“ den Berlinern Plácido Domingo geschickt. Lied für Lied wird er vielleicht die Staatsoper renoviert bekommen… Andere spenden für Afrika. Sie dürfen also bitte guter Dinge bleiben.
<p>Ja, Chus, bei dem Tausch,...
Ja, Chus, bei dem Tausch, wenn er denn dauerhaft wäre, würde Berlin viel gewinnen. Ich befürchte nur, wir müssen Plácido Domingo wieder ziehen lassen, und Wowi, Diepgen und Momper kehren zurück. Ach! Anderseits: Wowi, Diepgen und Momper an Afrika zu spenden, wäre doch arg unfair. Solche Probleme sollte man selber lösen, und nicht an arme Länder exportieren, die schon zur Genüge gebeutelt sind. Ihre Herrscher sind noch schlimmer, zugegeben, aber das ist kein Grund, ihnen so etwas anzutun. Abgehalfterte Politiker sollte man nach Princeton abservieren, oder in die Vorstandsetagen eines Konzerns, das schmeichelt ihnen, dann gehen die freiwillig.
Esel + Esel + Asturien =...
Esel + Esel + Asturien = Donkijote.org.
Viel Vergnügen.
mugaburru, war das Polygenese...
mugaburru, war das Polygenese oder einfach Plagiat? don paul und sein Esel sollten doch patentiert werden… Für alle Fälle.
pardel, es gibt noch eine Möglichkeit, dummer Politiker unsichtbar zu machen… Nach Brüssel schicken! Demnächst erzähle ich Ihnen, ob die Massnahme etwas gebracht hat…
Chus, ich habe nicht geahnt,...
Chus, ich habe nicht geahnt, welche Empfindungen gegenüber Politikern ich hier auslöse. Da ich so selten in Wowis Stadt bin, nutze ich Ihre und pardels Beschreibungen als Ethnographie.
Der wahre Prinz ist... Don...
Der wahre Prinz ist… Don Pablo! Er reist ständig und besucht interessante Veranstaltungen, ohne ein Euro zu zahlen.