Sanchos Esel

Tüten und Eimer: Was Barcelona von Zürich unterscheidet

Vor etwa zehn Jahren saß ich auf einem Flug nach Zürich neben einem dunkelhaarigen Herrn, der sich im Lauf unserer Plauderei als Geschäftsmann herausstellte und gerade seine Eltern in der Extremadura besucht hatte. Wir sprachen über Spanien, sein Heimatdorf, gutes Essen, die Themen also, auf die man schnell kommt und über die es immer viel zu erzählen gibt. Irgendwann sagte der Mann: „Aber ich könnte dort nicht leben. Die Extremadura besuche ich; in der Schweiz lebe ich.“ Dann fiel er vom Spanischen in ein Schwyzerdütsch, an dessen Echtheit ich keine Sekunde zweifelte, und behielt die Sprache in der nächsten halben Stunde bei. Genau die Zeit, in der wir über Ordnung, Sauberkeit, frühe Bettruhe und die strengen Anstandsregeln einer gutorganisierten Zivilgesellschaft sprachen.

Mein Sitznachbar, so stellte sich heraus, war als Kind von seinen Eltern mit der spanischen Auswanderungswelle in die Schweiz gebracht worden und hatte seine Heimat nur in den Ferien wiedergesehen. Während seine Eltern in die Extremadura zurückkehrten, sobald ihre finanzielle Situation es ihnen erlaubte, blieb der Mann in Zürich, erwarb eine gute Ausbildung und fand mühelos Arbeit. Für ihn hatte immer festgestanden, dass er sich mehr als Schweizer denn als Spanier empfand. Er war, sagen wir, zum Gemütsschweizer geworden und pries die Errungenschaften der schweizerischen Gesellschaft über alles. „Das spanische Chaos“, sagte er. „Der Lärm. Der Dreck. Das würde ich nicht ertragen. Nicht jeden Tag.“

Gemischte Herkunft, Bikulturalität  und Zwei- oder Dreisprachigkeit bringen immer einen interessanten Cocktail hervor, denn die äußeren Faktoren treffen auf einen unvorhersehbaren Charakter und eine bestimmte innere Disposition. Wo das eine Kind sich weigert, eine bestimmte Sprache zu benutzen, erobert sich ein anderes diese Sprache als persönliches Ausdrucksmedium. Extreme Fälle solcher leidenschaftlichen Aneignung liefert die Literatur: Borges empfand sich – dank der englischen Großmutter – tief drinnen als angelsächsisch empfindender Schriftsteller, und Joseph Conrad und Vladimir Nabokov legten zugunsten des Englischen, das sie zu ihrer Literatursprache erhoben, sogar ihre jeweiligen Muttersprachen – Polnisch und Russisch – beiseite.

Mit der Sprache verwoben ist das Affektive. Was mag einer? Was entspricht ihm am meisten, wo fühlt er (sie) sich zu Hause? Zu dem Sohn spanischer Einwanderer, der zum Schweizer geworden war, kenne ich ein Gegenstück, nämlich den literarischen Übersetzer Peter Schwaar, den ich gerade in Barcelona getroffen habe. Peter Schwaar, der die Romane von Eduardo Mendoza, Carlos Ruiz Zafón und anderen ins Deutsche übertragen hat, verbringt nur wenige Wochen im Jahr in seiner Heimat; in der übrigen Zeit, der eigentlichen, zieht er den Süden vor. Als wir über Bürgerbewusstsein und Ökologie sprachen, sagte er, Barcelona sei ziemlich fortschrittlich, es gebe sogar eine aufwendige Mülltrennung und regelrechte Kampagnen, um die Menschen zum Umdenken zu bewegen.
Ich erzählte ihm von den eher schlappen Madrider Versuchen in dieser Richtung; von bolsa caca und den kleinen Umweltdebatten in unserem Blog.
Nein, sagte er, das sei in Barcelona ganz ernstzunehmen. Und als ich ihm sagte, ich würde das Prinzip dieser Mülltrennung gern kennenlernen, am besten mit Fotos, versprach er, mir dazu etwas zu schicken.

Schon am nächsten Tag – Peter Schwaar mag im Süden leben, doch er bleibt Schweizer – bekam ich die erste E-Mail mit Erläuterungen. Im Anhang, so schrieb er, sende er zwei Fotos von Barcelona ecologista.

„Auf dem ersten Bild die drei Entsorgungstüten, die das Ayuntamiento an sämtliche Haushalte verteilte (das Material erscheint mir nicht unbedingt umweltfreundlich, dafür ist es höchst solide, ich benutze die Dinger seit über zwei Jahren). Auf dem zweiten Bild dasselbe wie auf dem ersten – plus der neue kleine cubo für die basura orgánica, der samt einer Rolle abbaubarer Tüten ebenfalls gratis zu beziehen war. Auf Barcelonas Straßen nun also alle paar Meter: die grauen Container für den normalen Müll; die braunen für den organischen; die blauen, grünen und gelben (siehe Tüten) für Papier/Karton, Flaschen und Plastik/Metall. Im Hintergrund, orangefarben, die juteähnliche Einkaufstüte, die auf den Märkten verteilt wurde und auf der aufgedruckt ist: porta’m a comprar! (Nimm mich zum Einkaufen mit) und reutilitza’m! (Verwende mich wieder). Dazu kommt, wie gesagt, dass man in den Caprabo-Filialen an der Kasse seit einiger Zeit gefragt wird, ob man eine Tüte brauche – die muss man dann zwar (noch) nicht bezahlen, aber es liegt nicht mehr einfach wie früher ein Stapel auf. Du siehst, Barcelona hat sich der Umwelt verschrieben, weit mehr als beispielsweise Zürich.“

Als ich mir das so betrachtete, schien alles wieder seine Ordnung zu haben. Barcelona ist weiter als viele andere Teile des Landes und bemüht sich, eine saubere Stadt zu werden. Dann erreichte mich die zweite Mail. Wieder hing ein Foto daran, das ich Ihnen nicht vorenthalten will, dazu Peter Schwaars Kommentar: „Hier kommt noch sozusagen die Außenansicht – die heute vormittag erwähnte Containerschwemme. Nicht immer stehen sie so schön in Reih und Glied.“

Natürlich nicht, denke ich. Aber die Sache kommt dem nordeuropäischen Ideal schon ziemlich nahe.

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